Rainer Nalazek
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Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Den letzten beißen die Hunde, glaube ich, kann man auch sagen! Das, was Herr Tittmann eben wieder abgeliefert hat, also, ich kann es kaum fassen, aber ich versuche es trotzdem einmal!
Herr Tittmann, dass Sie und Ihre Kollegen aus der DVU und NPD in den Landtagen versuchen, Europa zum Feind zu erklären, hat ja schon System und zieht sich wie ein brauner Faden durch Ihre Redebeiträge.
Ich werde jetzt einmal die Gelegenheit nutzen, den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, warum wir Europa wollen und warum auch ein erweitertes Europa gut für unser Land ist. So haben Sie in Ihrem Redebeitrag natürlich mit keinem Wort erwähnt, dass auch das Land Bremen nicht unerheblich von den EUGeldern profitiert hat und profitieren wird. Sichtbare Beispiele gibt es viele. Allein in der Stadt Bremerhaven, Herr Tittmann, haben EU-Mittel die Umsetzung vieler Projekte und den Erhalt beziehungsweise die Schaffung von zahlreichen Arbeitsplätzen ermöglicht.
Hierzu gehören der Columbus-Bahnhof, der Fischereihafen, der Zoo am Meer, City-Port, das Biotechnologie-Zentrum, t.i.m.e.Port und so weiter. Seit 1990 sind über 300 Millionen Euro aus Europa nach Berlin geflossen.
Wir alle wissen, dass die Beitrittsländer Rumänien und Bulgarien schwer mit den Folgen von fünf Jahrzehnten sozialistischer Planwirtschaft zu kämpfen haben. Niemand kann erwarten, dass dieser gewaltige Rückstand binnen einiger Jahre aufgeholt wird. Aber verdienen sie nicht ebenso wie die anderen europäischen Länder unseren Beistand und unsere Solidarität? Man muss auch anerkennen, welch schwierigen Weg diese Länder in den letzten 16 Jahren bereits zurückgelegt haben. Diese haben unter großen Anstrengungen ihre politische, wirtschaftliche und rechtliche Entwicklung an die Werte der Europäische Union angeglichen. Es ist doch ein einmaliger Vorgang, wie sich diese Länder von diktatorisch geprägten Staaten zu Rechtsstaaten mit stabiler Demokratie und Marktwirtschaft entwickelt haben.
Gerade wir als Deutsche, die genau mitten darin liegen, müssen diese Entwicklung fördern, wo es nur geht. Aus diesem Grund müssen wir jedes oberflächliche Gemeckere über Europa zurückweisen, immer und immer wieder!
Wenn man Ihrer Argumentation folgen würde, Herr Tittmann, hätten wir bereits 1990 die deutsche Wiedervereinigung aus finanziellen Gründen absagen müssen. Ihr sinn- und niveauloser Antrag offenbart lediglich eine tief sitzende Europafeindlichkeit.
Wir bestreiten nicht, dass Bulgarien und Rumänien vor ihrem Beitritt noch Hausaufgaben zu erledigen haben. Die als Beitrittsvoraussetzung festgelegten strengen Kopenhagener Kriterien in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und funktionierende Marktwirtschaft müssen vom ersten Tag der Mitgliedschaft an erfüllt sein, da gibt es doch überhaupt keinen Zweifel! Einen Beitrittsautomatismus hat es bisher nicht gegeben und wird es auch in Zukunft nicht geben.
In ihrem neuesten Bericht zu den Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens bescheinigt die EU-Kommission den beiden Ländern die Erfüllung der politischen Kriterien für eine Mitgliedschaft. Gleichwohl hat auch die Kommission Bedenken insbesondere in den Bereichen Justiz und Korruptionsbekämpfung geäußert. Auch im Bereich des Minder
heitenschutzes besteht noch in beiden Ländern Nachholbedarf. Es ist völlig klar, dass der Beitrittstermin 1. Januar 2007 gegebenenfalls verschoben werden muss, wenn die Länder die Kriterien nicht erfüllen können. Die Erfahrungen haben aber gezeigt, dass EU-Anwärter ihre Verpflichtungen bis zum Beitrittszeitpunkt immer abgearbeitet haben. Zudem gibt es gerade im Bereich der Bekämpfung von Korruption und Verbrechen kein wirkungsvolleres Mittel als die Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Sich den beiden Ländern gegenüber abzuschotten, anstatt ihnen hierbei Hilfe zu leisten, ist nicht einmal vordergründig die bessere Lösung.
Im Oktober dieses Jahres wird die Kommission einen weiteren Fortschrittsbericht vorlegen. Auf dessen Grundlage wird von den Mitgliedsstaaten über den Aufnahmezeitpunkt entschieden werden. Eine lange Verzögerung oder Verschiebung wäre jedoch weder im Interesse Europas noch der Beitrittskandidaten. Dies wäre auch Wasser auf die Mühlen der antieuropäischen Kräfte sowohl in Rumänien und Bulgarien als auch im Rest Europas. Darüber hinaus behält sich die Kommission das Recht vor, Maßnahmen zu ergreifen, um negative Auswirkungen auf den Binnenmarkt zu verhindern, etwa in Form der Sperrung von EU-Geldern, wenn eine Kontrolle über deren Verwendung nicht sichergestellt werden kann. Diese Maßnahmen können noch bis zu drei Jahre nach dem Beitritt ergriffen werden.
Gleichzeitig müssen wir natürlich die Sorgen der Menschen vor einer geografischen Überdehnung der Europäischen Union ernst nehmen. Die Ablehnung der europäischen Verfassung in den Niederlanden und Frankreich zeigt, dass die EU es versäumt hat, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen. Ebenso nachvollziehbar sind die Ängste der Menschen hierzulande, ihren Arbeitsplatz an osteuropäische Arbeitnehmer zu verlieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Erweiterung der Europäischen Union liegt in unserem ureigensten Interesse. Die früheren Erweiterungsrunden zeigen, dass alle Mitgliedsländer von einem größeren Binnenmarkt und dem Zuwachs an Handel profitieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist Irland. In den sechziger Jahren noch als das Armenhaus Europas bezeichnet, hat sich der Lebensstandard dort seit 1973 wesentlich verbessert. Die irische Wirtschaft hat sich so gut entwickelt, dass mittlerweile sogar aktive Arbeitskräfte aus vielen anderen EU-Ländern angeworben werden.
Nun mag man einwenden, dass die Kluft der osteuropäischen Länder zu den alten EU-Ländern viel größer ist, als dies bei früheren Beitrittsrunden der Fall war. Langfristig wird aber auch dort eine Angleichung der Löhne, der sozialen Werte und der Lebens
bedingungen durchgeführt werden. Rumänien und Bulgarien sind zwar vergleichsweise arme Länder, weisen in den letzten Jahren aber beeindruckende gesellschaftliche Fortschritte auf und haben ein großes Wachstumspotenzial.
Welches Interesse könnten wir daran haben, dass unsere Nachbarn in Armut verharren? Natürlich ist Deutschland Nettozahler in Europa, dies bestreitet auch niemand. Das sind aber Investitionen in die Zukunft Europas, und sie zahlen sich für uns als Exportweltmeister mit Zins und Zinseszins aus.
Schließlich findet bereits heute der größte Teil unseres Außenhandels innerhalb der Europäischen Union statt. Im Zeitraum von 2004 bis 2006 haben die Bürger in den alten EU-Mitgliedsstaaten durchschnittlich 26 Euro pro Jahr und Einwohner für die Osterweiterung ausgegeben. Die wirtschaftlichen und politischen Vorteile der Erweiterung werden langfristig größer sein als die Haushaltskosten. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich der Handel zwischen den alten und neuen Mitgliedsstaaten vervierfacht.
Europa darf aber nicht nur als eine Freihandelszone verstanden werden. Es ist auch eine kulturelle Union, die uns helfen wird, die Herausforderungen der Globalisierung zu bewältigen. Ein vereintes Europa aus 27 Ländern hat das Gewicht, um einen wichtigen Anteil für eine gerechte und sichere Welt zu leisten. Sich gegeneinander auszuspielen, nützt nur Dritten, niemals den Europäern selbst, dies lehrt uns die Geschichte immer wieder. Um mit den USA oder aufstrebenden Ländern wie China oder Indien mitzuhalten, sind nationale Egoismen die falsche Strategie.
Herr Tittmann, noch eine Bemerkung zu Ihrem Antrag! Man kann ja zu der Erweiterung der Europäischen Union persönlich stehen, wie man möchte, darüber kann man debattieren. Die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens wurde jedoch bereits in den neunziger Jahren eingeleitet. Die entsprechenden Vereinbarungen und Entscheidungen wurden vor Jahren diskutiert und verabschiedet. Nun kommen Sie knapp sechs Monate vor dem geplanten Beitritt mit Ihrem sinn- und inhaltsleeren Antrag, der das Ziel hat, sich von bremischer Seite gegen einen Beitritt von Rumänien und Bulgarien auszusprechen. Ob der Beitritt nun 2007, 2008 oder überhaupt stattfindet, hängt nicht davon ab, was wir hier in der Bremischen Bürgerschaft beschließen. Allein diese Tatsachen offenbaren doch die Angst- und Panikmache, die Sie hier betreiben. Von ernstgemeinter und konstruktiver Kritik kann doch keine Rede sein!
Mit dem, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Tittmann, haben Sie wieder einmal ein Eigentor geschossen, mit rechts natürlich. Besser können Sie es auch gar nicht. Bei Ihrer politischen Einstellung zur internationalen Zusammenarbeit hätte die Fußballweltmeisterschaft wohl nur dann Ihre Billigung gefunden, wenn maximal die deutschen Bundesländer, Österreich und vielleicht noch die Schweiz gegeneinander gespielt hätten. Wahrscheinlich würden Sie unsere international ausgerichteten, Arbeitsplätze schaffenden Häfen in Bremerhaven und Bremen auch nur als Versorgungsbasis für Stuhr, Posthausen und vielleicht noch Sulingen akzeptieren und verstehen.
Ich sage es Ihnen nochmals ganz unverblümt, Herr Tittmann: Ich finde Ihre sogenannten politischen Beiträge hier im Haus von Mal zu Mal unerträglicher. Wir werden Ihren Antrag natürlich ablehnen! – Herzlichen Dank!
Wir fragen den Senat:
Erstens: Wie bewertet der Senat die Personalsituation an den Berufsschulen im Land Bremen im Hinblick auf Bedarf und Angebot von Lehrkräften für die unterschiedlichen Berufsfelder?
Zweitens: Wie viele Stellen von Berufsschullehrern/ Berufsschullehrerinnen sind bereits jetzt unbesetzt beziehungsweise werden innerhalb der nächsten acht Jahre durch altersbedingtes Ausscheiden oder Eintreten von Lehrkräften in die Freistellungsphase der Altersteilzeit neu besetzt werden müssen?
Drittens: Was unternimmt der Senat, um den sich bereits jetzt abzeichnenden Mangel an Berufsschullehrern/Berufsschullehrerinnen bestimmter Fachrichtungen abzuwenden?
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der DVU „EU-Beitritt der Türkei verhindern“ ist so überflüssig wie ein Kropf.
Gerade eben haben Sie, Herr Tittmann, mit Ihrer Rede uns allen ganz deutlich vor Augen geführt, die DVU gehört zu den Rückfalltätern, wenn es darum geht, gegen Ausländer Stimmung zu machen. Ihre Scharfmacherei ist der populistische Versuch, das Miteinander hier zu belasten. Sie signalisieren drei Millionen türkischen Bürgern in Deutschland und rund 30 000 in Bremen lebenden und integrierten türkischen Mitbürgern, ihr gehört eigentlich nicht dazu, und die Türkei kann nicht Mitglied der Europäischen Union werden, ihr fehlt das kulturelle europäische Gütesiegel als Beitrittsvoraussetzung. Meine Damen und Herren, hätte die Europäische Union entstehen können, wenn ihre Gründungsväter sich einer solchen Engstirnigkeit verschrieben hätten? War es nicht gerade das Wissen um die Katastrophen Europas, was sie sprachliche, kulturelle, religiöse und historische Gräben überwinden ließ und einen Neuanfang erst möglich gemacht hat? Ging es Robert Schumann und Konrad Adenauer tatsächlich um die Festschreibung von partikularen Traditionen oder vielmehr um die Formulierung von Werten, die keinem Land, keiner Region in die Wiege gelegt worden wären? Wir bekennen uns zur Türkei. Wir sagen ja zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Die EUKommission hat es sich in den letzten Wochen und Monaten nicht leicht gemacht mit der Abfassung des Fortschrittsberichts, in dem die Reformanstrengungen der Türkei innerhalb des letzten Jahres bewertet werden. Wir werden sehen, dass die Türkei mit dem Reformwerk den richtigen Weg eingeschlagen hat. Vieles mehr, als wir uns noch vor zwei Jahren zu erträumen gewagt hätten, ist geschehen. Wir sehen aber auch, dass noch viel zu tun ist, bis die Türkei so weit sein wird, um der Europäischen Union als Vollmitglied beizutreten. Wenn wir es ernst meinen mit der Unterstützung des Reformkurses der Türkei, dann dürfen wir die Beitrittsperspektive nicht verbauen. Beim Europäischen Rat am 16. Dezember dieses Jahres geht es genau um dies, den Türken Mut zu machen, weiter voranzuschreiten auf dem Weg hin zu einem Rechtsstaat, der Menschenrechte und Minderheitenrechte achtet, der demokratisch verfasst ist, dessen Richter unabhängig sind und in denen das Recht auf freie Ausübung der Religion ein Grundrecht ist, das allen zugute kommen muss, Sunniten, Aleviten, Christen und Juden, und dass niemand wegen seines Glaubens benachteiligt wird. Meine Damen und Herren, Europa ist von 1,5 Milliarden Muslimen umgeben. Im Umgang mit ihnen brauchen wir eine rechtsstaatliche, demokratische Türkei.
Wir alle sind daran interessiert, dass es eine große islamische Gesellschaft gibt, die den Weg der De
mokratie und der Beachtung der Menschenrechte und Minderheitenrechte erfolgreich beschreitet, weil es die bessere Antwort auf die Herausforderung des Kampfes der Zivilisation ist als alle anderen denkbaren Antworten.
Von den 54 islamischen Staaten der Erde hat nur die Türkei die Demokratie eingeführt. Staat und Religionsfreiheit sind streng getrennt. Eine solche islamische Gesellschaft ist die beste Antwort auf die terroristische Herausforderung in der internationalen Politik.
Sie, Herr Tittmann, werden mit Ihrem kollektiven Verdummungsprozess, bei dem so getan wird, als gehe es um etwas anderes, keinen Erfolg haben.
Es geht nicht um einen EU-Beitritt der Türkei heute, morgen oder im Dezember 2004, sondern darum, ob Verhandlungen, die viele Jahre dauern werden, aufgenommen werden oder nicht.
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend etwas zum Stichwort Glaubwürdigkeit sagen. Seit 41 Jahren hat die Türkei ein Assoziationsabkommen mit Beitrittsperspektive. Seit neun Jahren hat die Türkei eine Zollunion mit der EU. Seit fünf Jahren ist die Türkei offizielle Beitrittskandidatin. Vor zwei Jahren hat der Europäische Rat klare Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen formuliert. Das hat eindrucksvolle Reformbemühungen in Ankara ausgelöst. Natürlich kann man sagen, das reicht alles nicht. Natürlich kann man sagen, da fehlt noch etwas. Natürlich kann man sagen, Erlass eines Gesetzes bedeutet nicht gleich Umsetzung. All das ist zulässig.
So ist die Europäische Kommission auch an die Sache herangegangen. Sie hat all das berücksichtigt und sorgfältig abgewogen. Das Ergebnis ist in dem einen entscheidenden Satz der Kommissionsempfehlung festgehalten, den ich hier mit Genehmigung der Präsidentin zitieren möchte. Da heißt es: „In Anbetracht der allgemeinen Fortschritte im Reformprozess und unter der Voraussetzung, dass die Türkei die noch ausstehenden Gesetze in Kraft setzt, ist die Kommission der Auffassung, dass die Türkei die politischen Kriterien in ausreichendem Maß erfüllt, und empfiehlt die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen.“
Wir sagen: Ja, das überzeugt uns. Das ist eine verantwortungsvolle und eine faire Empfehlung am Ende einer Vorbereitungszeit von 41 Jahren. Deswegen wollen und werden wir dieser Empfehlung folgen. Man kann nicht, Herr Tittmann, seit Jahrzehnten jemanden einladen und dann nur einen Stehplatz anbieten. Der DVU-Antrag „EU-Beitritt
der Türkei verhindern“ ist nicht seriös. Würden wir im letzten Moment sagen, Nein, Entschuldigung, jetzt treffen wir eine grundsätzlich völlig andere Entscheidung, dann stellt sich doch die Frage, wer künftig dieser EU noch trauen und vertrauen soll. Wer also sollte bei einem Nein in letzter Minute der Europäischen Union überhaupt noch etwas glauben? Aber genau das, Herr Tittmann, einen Schwenk in letzter Minute, empfiehlt Ihr Antrag, eine unglaubwürdige und unredliche Offerte! – Danke schön!
Wir fragen den Senat:
Erstens: Wie beurteilt der Senat den Stand der Verhandlungen zur Reform der Struktur- und Kohäsionspolitik auf EU-Ebene?
Zweitens: Welches sind aus Sicht des Senats die Eckpunkte bremischer Interessen zur Fortsetzung der EU-Strukturpolitik ab 2007 im Hinblick auf die weitere Förderung des Strukturwandels in Bremen und Bremerhaven?
Drittens: Wie beurteilt der Senat in diesem Zusammenhang den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Entscheidungshoheit über die Regionalförderung nach Ziel zwei den Mitgliedstaaten zu überlassen?
Frau Staatsrätin, wie ist der Sachstand der Länderabstimmung zur Strukturpolitik der EU 2007?
Ich habe noch eine Frage, Frau Staatsrätin. Was tut der Senat, um die innerbremische Unterrichtung und Abstimmung zu gewährleisten?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es wird Sie nicht besonders überraschen, dass ich für die grundsätzlichen Linien des vorliegenden Antrags der Grünen durchaus Sympathie hege. Selbstverständlich unterstützt die SPDFraktion die Haltung, dass die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien entscheidend für den Umgang der EU mit der Türkei sein muss. Wir unterstützen auch die Haltung, der Türkei eine redliche Chance und Beitrittsperspektive zu geben. Der Weg der Türkei in konsequenter Annäherung an die EU ist uns politisch seit langem vorgezeichnet.
Letztlich hat das Land bereits seit dem Assoziierungsabkommen von 1963 eine Beitrittsperspektive
im weiteren Sinn. In jüngerer Zeit wurde mit den Beschlüssen des Europäischen Rates vom Dezember 2002 in Kopenhagen und dann erneut durch den Europäischen Rat in Brüssel im Dezember 2003 die Beitrittsperspektive bestätigt und damit die Anerkennung als Beitrittsaspirant ausdrücklich unterstrichen. Für den Prozess der nächsten Jahre gibt es einen klaren Fahrplan, der, wie soeben gesagt, von den Staats- und Regierungschefs getragen und mehrfach bestätigt wurde.
Meine Damen und Herren, die Europäische Union prüft und bewertet wie bei allen anderen Kandidatenländern in jährlichen Berichten die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt. Auf der Grundlage der Kommissionsempfehlung entscheiden die europäischen Staats- und Regierungschefs und der Europäische Rat, seit dem 1. Mai 2004 sind es 25 Staaten, über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Der Bericht der Kommission erscheint im Herbst dieses Jahres, der auf der Basis der Fortschritte, die die Türkei in ihren Reformanstrengungen unternommen hat, eine Empfehlung abgibt.
Ende dieses Jahres werden die Staats- und Regierungschefs – nicht eine Regierungskonferenz, wie Frau Dr. Trüpel meint – entscheiden, ob, wenn ja, wann Verhandlungen mit Ankara aufgenommen werden könnten. Diese möglicherweise zu beginnenden Beitrittsverhandlungen bezeichnen einen auf jeden Fall zeitintensiven und zudem ergebnisoffenen Prozess. Als frühestmöglichen Termin für einen Beitritt gilt allgemein die Mitte des nächsten Jahrzehnts. Wir reden nicht von 2005 oder 2006, sondern wir reden über einen Zeitraum von annähernd 15 Jahren.
Ein EU-Beitritt der Türkei steht in der kommenden und übernächsten Legislaturperiode des Europaparlaments gar nicht auf dem Erweiterungsfahrplan. Die Debatte zum Türkeibeitritt zur EU erweckt oft den Eindruck, als stünde der Beitritt unmittelbar bevor. Mitnichten, wir reden von einem Prozess, der vermutlich deutlich in das nächste Jahrzehnt hineinragen wird. Als tolerante und gesprächsoffene Partei billigen wir jeder Partei zu, in der politischen Öffentlichkeit die Frage des Türkeibeitritts zur Europäischen Union zu thematisieren. Heute, neun Tage vor der Europawahl, kann uns dies jedoch nicht veranlassen, diesem allein durch Wahlkampfinteressen bestimmten Antrag zuzustimmen,
letztlich inhaltlich die bestehende und mehrfach ausdrücklich unterstrichene Beschlusslage des Europäischen Rates als Bremische Bürgerschaft zu bestätigen.
Der Prozess, wie er vereinbart und von den europäischen Staaten getragen wird, ist überaus sinnvoll. Es gibt noch viele offene Fragen und Felder, in
denen sich die Türkei konsequent um Reformen bemühen muss. Es geht einerseits um ökonomische Voraussetzungen. Bemängelt hatte der Fortschrittsbericht der Kommission vom Jahr 2003 jedoch vorrangig das Erfüllen der politischen Anforderungen an die Türkei, die auch Teil der Kopenhagener Kriterien sind. Hierbei geht es um die Gewährleistung der institutionellen Festigkeit der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung, der Wahrung der Menschenrechte und des Schutzes von Minderheiten. Gerade für uns Sozialdemokraten sind diese Werte von besonderer Bedeutung. Dafür steht seit Jahrzehnten unsere Politik. Wir haben stets der Achtung und Wahrung von Minderheitsrechten große politische Priorität gegeben.
Meine Damen und Herren, es genügt nicht, dass das Parlament in Ankara Gesetze zum Schutz der Menschenrechte beschließt. Es genügt nicht, Religions- und Pressefreiheit oder die Ächtung der Folter nur durch Parlamentsbeschlüsse zu garantieren, sondern sie müssen auch im praktischen Leben umgesetzt werden.
Vor sechs Wochen haben wir mit Sorge zur Kenntnis nehmen müssen, dass das Staatssicherheitsgericht in Ankara das Urteil gegen Leyla Zana und drei andere ehemalige türkische Abgeordnete kurdischer Herkunft nicht annulliert hat. Dieses neue Urteil vom 22. April 2004 widerspricht den Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Das Verfahren Zana ist beispielhaft dafür, welch große Unterschiede noch zwischen dem Justizsystem der Türkei und jenem der Europäischen Union bestehen. Auch die Sprache der türkischen Minderheit in Unterricht und Fernsehen ist praktisch noch nicht durchgesetzt.
Vor allem mit Bezug auf den soeben zitierten Fall des Staatssicherheitsgerichtes muss Europa feststellen, dass bei allen Reformbemühungen doch recht widersprüchliche Signale aus der Türkei kommen. Dennoch befürworten wir auch die Vorbeitrittshilfen der Europäischen Union an die Türkei zur Vertiefung der Heranführungsstrategie und halten sie für ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der Reformkräfte in der Türkei.
Zur Unterstützung des Heranführungsprozesses und weiterer notwendiger Reformmaßnahmen erhält die Türkei bereits seit dem Jahr 2000 Finanzhilfen unter anderem zur Vertiefung der Zollunion mit der EU sowie zur Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Bis 2006 ist ein Gesamtbetrag
von 1,05 Milliarden Euro vorgesehen. Ferner kann die Türkei auf Mittel der Europäischen Investitionsbank zurückgreifen, europäische Finanzspritzen, die für die Beitrittsperspektive und der Fortsetzung des Reformprozesses der Türkei förderlich sind.
Allemal, meine Damen und Herren, haben wir bei uns in Deutschland innenpolitisch immer vor Augen, dass zweieinhalb Millionen Türken in Deutschland leben. Davon sind mehr als 600 000 Türken eingebürgert. Wir anerkennen auch, dass 300 000 Arbeitsplätze in Deutschland durch türkische Unternehmen angeboten werden und welche Rolle die Integration dieser türkischen Bevölkerung in Deutschland hat.
Die schauen natürlich auch auf das, was die Politik macht. Darum stimme ich auch dem SPD-Erweiterungskommissar Günther Verheugen zu. Er hat keine grundsätzlichen Einwände gegen die Türkei in die Europäische Union. Dass die Türkei an den Irak grenzt und ein vorwiegend moslemisches Land ist, spielt keine Rolle mehr. Ich füge hinzu, es kann aus geostrategischen Gründen durchaus ein Vorteil sein, an der Grenze zu einer Hauptkrisenregion und im belasteten Verhältnis zum moslemischen Teil der Welt, einen stabilen Partner Türkei noch stärker in unser Werte- und Wirtschaftssystem einzubinden. Er glaubt aber, so im Interview im „Morgenmagazin“ der ARD am 27. April 2004, dass wir jetzt allmählich an unsere Grenzen stoßen. In den kommenden Jahren sei das Wichtigste, das wirtschaftliche Fundament dieses Europas der 25 so zu stärken, dass es das große politische Gebäude, das wir errichtet haben, auch wirklich tragen kann.
Meine Damen und Herren, ich finde es richtig, der Türkei verlässliche Perspektiven zu geben. Darüber, Frau Dr. Trüpel, gibt es zwischen uns beiden und unseren jeweiligen Parteien keinen Dissens, ganz im Gegensatz zu unserem Koalitionspartner, wenn ich das anfügen darf. Ich wiederhole mich möglicherweise, wenn ich sage, dass wir Sozialdemokraten es trotz aller Sympathie für die Grundlinien Ihres Antrages vorziehen, dieses Thema unaufgeregt zu betrachten. Mit einer auf den Europawahlkampf ausgerichteten Debatte zur Frage Türkeibeitritt werden wir der Türkei und ihren Bürgerinnen und Bürgern ebenso wenig gerecht wie den türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die hier bei uns in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten leben. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir, die Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen, bringen gemeinsam den Antrag „Am Ziel einer Europäischen Verfassung festhalten!“ ein, weil wir der Auffassung sind, dass es unverzichtbar ist, dass der Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents fast unverändert und so schnell wie möglich verabschiedet wird. Schließlich geht es um das Wohl von fast 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern ab 1. Mai, dem historischen Beitrittstag der ost- und mitteleuropäischen Staaten in die EU.
Durch die Erweiterung von dann 15 auf 25 Staaten ist ein Miteinander auf der Grundlage von gemeinsamer Gesetzgebung unabdingbar. Für nostalgische Sonderrollen gibt es keinen Platz in der erweiterten Europäischen Union. Wer trotzdem darauf beharrt, setzt bewusst das gesamte Projekt EU aufs Spiel. Auch bei der Integration gilt, Ruhestand bedeutet Rückschritt, denn eine politische Lähmung der EU hätte natürlich auch wirtschaftliche und damit soziale Auswirkungen. Dieser Situation sollten sich alle bewusst sein, die derzeit die EU in erster Linie als Geldgeber, aber nicht als politisches Projekt sehen wollen. Ein bisschen dabei sein geht nicht, entweder ganz oder gar nicht! Man kann sich ein zweites Scheitern nicht erlauben.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Brüsseler Regierungskonferenz im Dezember 2003, oder sagen wir besser, die Verhinderung eines Ergebnisses, ist ein herber Rückschlag für Europa, aber es ist keine Katastrophe. Europa hat immer gezeigt, dass es zu einer Bewegung fähig ist, doch dazu bedarf es der Überzeugung und des Mutes, die Innenpolitik einmal zu Hause zu lassen, wenn man nach Brüssel fährt, um über die Zukunft Europas zu verhandeln.
Immerhin können wir positiv festhalten, dass es keinen faulen Kompromiss gegeben hat, denn ein Nizza-II-Vertrag, das haben wir in den Europadebatten in diesem Parlament immer vertreten, wäre keine Lösung, sondern würde mehr Probleme im europäischen Haus schaffen und diese für Jahre zementieren. Man kann nur hoffen, dass das vorläufige Scheitern die Einsicht befördert, dass es eine Lösung auf der Grundlage des Entwurfs des Konvents mit den bereits in der Regierungskonferenz erzielten Kompromissen geben wird. In diesem Zusammenhang sage ich nicht zum ersten Mal: Jetzt noch darauf zu satteln und Forderungen nachzuschieben, damit würde nicht nur die Autorität des Konvents und seines Entwurfs in Frage gestellt, nein, erschwert würde damit auch, dass die weiteren Beratungen zu einem guten Ergebnis führen.
Meine Damen und Herren, das Unken und Orakeln über Kerneuropa, über verschiedene Geschwindigkeiten muss aufhören. Wer hier auch immer glaubt, dass das Scheitern des Gipfels zumindest den Vor
teil hat, im Zusammenhang mit der Verfassung beispielsweise über die neue Finanzverteilung zwischen Gebern und Nehmern verhandeln zu können, dazu kann ich nur sagen, diejenigen haben von Europa wenig begriffen. Das Ziel muss sein, die Einsicht in die europäisch gebotene Vernunft zu mehren. Diese Vernunft liegt in Gestalt der europäischen Verfassung auf dem Tisch. Lassen Sie uns vernünftig sein, denn für unsere gemeinsame europäische Zukunft müssen wir streiten! Dies heißt, wir müssen für den Entwurf des Konvents streiten, denn die Bürgerinnen und Bürger sollten wissen, was die Grundlage der Europäischen Union ist, wenn sie im Juni, also genau in 89 Tagen, zur Europawahl gehen. Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren. Es gilt, neuen Mut zu fassen, es gilt, nach neuen Lösungen zu suchen. Europa bedeutet Geben und Nehmen, es bedeutet, Kompromisse zu schließen.
Meine Damen und Herren, die so genannte doppelte Mehrheit, an deren Frage letztlich die Verfassung gescheitert ist, ist eine kluge Konstruktion. Die doppelte Mehrheit muss einfach kommen, und zwar möglichst im Verhältnis 50 zu 60. Gemeint ist damit, dass Mehrheitsentscheidungen im EU-Rat künftig getroffen sind, wenn hinter der Zustimmung 50 Prozent der Staaten und 60 Prozent der von den Regierungen repräsentierten Bevölkerung stehen. Eine erweiterte Union mit 25 Mitgliedsstaaten muss einfach die Blockademöglichkeit einschränken, um handlungsfähig zu bleiben.
Ich habe Verständnis dafür, dass Polen mit der Abgabe von Souveränität Schwierigkeiten hat. Dieses Land hat sich erst vor wenigen Jahren vom Joch des Kommunismus befreit. Nur, diese Diskussion hätte man natürlich im Vorfeld des Beitritts mit Polen führen müssen. Umso erfreulicher ist es, dass die Vorsitzenden der Europaausschüsse der Parlamente von Frankreich, Deutschland und Polen bei ihrem Treffen in Berlin am 28. Januar 2004 forderten, eine EUVerfassung noch vor den EU-Wahlen am 13. Juni zu beschließen.
Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich die Aussage des Vorsitzenden des EU-Ausschusses in der französischen Nationalversammlung, Pierre Lequiller: „Es wird sehr schwierig, Wahlen abzuhalten, ohne über eine konkrete Verfassung sprechen zu können.“ Eine eindeutige Aussage, der ich meinerseits nichts mehr hinzuzufügen habe!
Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag „Am Ziel einer Europäischen Verfassung festhalten!“ wollen wir allen Gedankenspielen über ein eventuelles Kerneuropa eine Absage erteilen, solange es
noch die Hoffnung gibt, sich auf eine Verfassung für alle zu einigen.
Im Antrag bitten wir deshalb den Senat, sich weiter gemeinsam mit den übrigen Ländern und gegenüber der Bundesregierung für einen EU-Verfassungsvertrag auf der Grundlage des Konvententwurfes einzusetzen. Wir gehen davon aus, dass die Regierungschefs der Länder zu ihrem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz am 18. Dezember 2003 stehen. Bund und Länder stimmen darin überein, dass der vom Konvent vorgelegte Vertragsentwurf Grundlage aller weiteren Verhandlungen sein muss trotz teilweise unterschiedlicher Bewertungen zu einzelnen Vertragsbestimmungen.
Das nächste Treffen der Staats- und Regierungschefs ist für den 25. und 26. März 2004 geplant, also nächste Woche. Auf dieser Konferenz darf der Verfassungsentwurf nicht zerfleddert werden. Den Anstrengungen der irischen Präsidentschaft, in bilateralen Gesprächen mit den Mitgliedsstaaten die Einigungsmöglichkeiten auszuloten, gilt unsere volle Solidarität. Der Verfassungsentwurf ist mehr als nur Ausgangspunkt, er ist in seiner Ausgewogenheit, seinem Gleichgewicht und in allen wesentlichen Elementen die Lösung.
Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag solidarisieren wir uns mit der Resolution des EUParlaments vom 21. Dezember 2003. Das EU-Parlament hat mit großer Mehrheit von vier Fraktionen, Konservativen, Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen, einen Beschluss über die erste europäische Verfassung bis zum 1. Mai 2004, dem Datum der Aufnahme von zehn Beitrittsstaaten, gefordert. In der Entschließung stellt das EU-Parlament das Scheitern der Methode der Regierungskonferenz fest und erinnert an die Effizienz des europäischen Parlaments. Weiter wird zutiefst bedauert, dass es dem Europäischen Rat nicht gelungen ist, eine umfassende Einigung zu erzielen. Das bisher Erreichte darf nicht zerlaufen. Das Momentum für den Konventstext darf nicht verloren gehen.
Wenn wir am 13. Juni 2004, also in 89 Tagen, vor unsere Wähler treten werden, müssen wir ihnen ein Projekt für Europa anbieten, das zu den Kernaussagen aus dem Beschluss des EU-Parlaments am 21. Dezember 2003 steht. Nicht mehr und nicht weniger beinhaltet auch unser gemeinsamer Antrag „Am Ziel einer Europäischen Verfassung festhalten!“ an den Senat die Aufforderung, sich in den entsprechenden Gremien auf Länderebene und gegenüber der Bundesregierung dafür einzusetzen, die europäische Verfassung auf Grundlage des Konvententwurfes so schnell wie möglich Realität werden zu lassen. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu nehmen: Die SPD-Fraktion lehnt den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab. Dieser Schritt ist uns nicht leicht gefallen, weil wir grundsätzlich alle in der Sache mit der Botschaft an die Staats- und Regierungschefs und die Außenminister der 25 Mitgliedstaaten übereinstimmen, grundsätzliche Zustimmung zum Konventsentwurf zur europäischen Verfassung durch die Regierungskonferenz in Rom. Mit Blick auf den Bundestag: Auch alle dort vertretenen Parteien einschließlich der FDP haben sinn
gemäß zum Ausdruck gebracht, den historischen Kompromiss nicht aufzuschnüren. So ist sichergestellt, dass sich die Regierungskonferenz auf die entscheidenden politischen Fragen konzentriert und sich nicht in Details verheddert.
Angesichts dieser Realität, Frau Dr. Trüpel, ist der Antrag der Grünen, lassen Sie es mich salopp sagen, ein wenig listig. Wenn Sie nicht unbedingt auf Punkt zwei Ihres Antrages beharrt hätten, die Bürgerschaft aufzufordern, dass der Senat im Bundesrat die Initiative ergreift für eine Abstimmung der Bevölkerung über den europäischen Vertragsentwurf parallel zu den Europawahlen im Juni 2004, dann wäre der SPD-Fraktion das heutige Nein zum Antrag der Bremer Grünen nicht leicht gefallen.
Allerdings, und hier fanden CDU und SPD einen differenzierteren Antrag sinnvoller als die pauschale Bewertung des Konventsergebnisses durch die Fraktion der Grünen mit „gut“, erfüllt der vorliegende Verfassungsentwurf die Forderung gerade der deutschen Länder nur teilweise. Wenn wir uns gleichwohl gegen ein Aufschnüren des Kompromisspaketes wenden, geschieht dies deshalb, weil wir eben bei sorgfältiger Abwägung der erreichten Ergebnisse gegen das Risiko des Scheiterns der Auffassung sind, dass von deutscher Seite das Ergebnis nicht in Frage gestellt werden sollte.
Mit der Eröffnung der Regierungskonferenz am vergangenen Sonnabend wurde deutlich, dass von Seiten einiger Mitgliedstaaten noch erheblicher Diskussionsbedarf zum Entwurf besteht. Dieser bezieht sich vor allem auf institutionelle Fragen. Bestimmungen zu einzelnen Politikbereichen, die den Ländern am Herzen liegen, stehen bislang nicht auf der Tagesordnung der Regierungskonferenz. Daher teilen wir ausdrücklich die Haltung der Bundsregierung, nicht durch ein Einbringen zusätzlicher Forderungen von deutscher Seite den mühsam austarierten Kompromiss wieder in Gefahr zu bringen, und wir unterstützen den Senat in seiner Politik, diese Position im Kreis der Länder und gegenüber dem Bund zum Ausdruck zu bringen.
Was nun die von Ihnen geforderte Volksabstimmung angeht, ist Ihnen doch klar, mit dieser Forderung stellen Sie sich gegen den prominentesten Grünen, Ihren Bundesaußenminister Joschka Fischer!
Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus seiner Bundestagsrede vom 27. Juni 2003: „Wir haben in Thessaloniki beschlossen, die Regierungskonferenz soll kurz, intensiv und ergebnisorientiert sein. Sie soll ihre Arbeit so bald wie möglich abschließen, denn wir müssen den europäischen Bürgern vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004 ge
nügend Zeit lassen, sich mit dem Ergebnis vertraut zu machen.“
Intern ist bekannt, dass Bundesaußenminister Fischer entschiedener Gegner einer solchen Volksabstimmung ist. Im Gegensatz zu vielen Mitgliedern des EU-Konvents hatte er sich bei den Beratungen über den Vertragsentwurf nicht für eine Volksabstimmung stark gemacht. Gleichwohl ist der Gedanke nachvollziehbar, die europäische Verfassung den 450 Millionen Menschen in 25 europäischen Staaten durch ein Referendum zur Abstimmung vorzulegen. So ein Verfahren böte viele Chancen, die Menschen mehr als bisher für Europa zu interessieren und sie zu informieren. Aber es birgt auch ernst zu nehmende Risiken.
Meine Damen und Herren, um die Forderung nach einem Volksentscheid durchzusetzen, müsste zunächst das Grundgesetz geändert werden. Das Grundgesetz sieht ein Referendum auf Bundesebene nicht vor. Eine entsprechende Grundgesetzänderung würde eine Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat erfordern. Wir wissen doch alle, das Meinungsbild innerhalb der Parteien zum Referendum in der Bundesrepublik ist uneinheitlich. Die Mehrheit von SPD und CDU lehnt ein Referendum jedoch ab. Auch das Land Bremen wird im Bundesrat aus guten Gründen keine Initiative für ein Referendum ergreifen.
Wir wissen darum, dass das Thema europäische Verfassung von hoher Komplexität ist. Dem begründeten Wunsch mancher Politiker, das Interesse der Bevölkerung an der Europäischen Union zu steigern, steht die Gefahr entgegen, die Verfassungsdiskussion für simple Stimmungsmache durch Europagegner zu instrumentalisieren. Allen Europapolitikern in schlechter Erinnerung dürfte das Nein der Iren zum Nizza-Vertrag vor zwei Jahren sein. Der Schock traf die Europäische Union völlig unvorbereitet. Mit einem Nein der sonst so europafreundlichen Insulaner hatte nun wirklich niemand gerechnet. Die Iren brachten den so mühsam ausgehandelten Reformvorschlag ins Wanken und gefährdeten damit auch die Erweiterung der Union.
Meine Damen und Herren, und was geschah vor knapp vier Wochen in Schweden bei der Volksabstimmung über die Einführung des Euros, der gemeinsamen europäischen Währung, wichtiger Baustein für die EU und die Bürger – –.
Wichtiger Baustein für die EU und die Bürger, sich wirtschaftlich in der globalisierten Welt stark zu behaupten! In diesem Zusammenhang erhielt ich kürzlich eine E-Mail, der Absender Mitglied einer europäischen Nichtregie
rungsorganisation, NGO, die sich für europäische Demokratie einsetzt. Er brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass es einer Mehrheit der schwedischen Wahlberechtigten am 15. September dieses Jahres gelungen war, die Einführung des Euros in Schweden zu verhindern.
Meine Damen und Herren, die vielfältig argumentierte Ablehnung des Euros durch die Entscheidung des Volkes in Schweden zeigte und zeigt, es kann bei entsprechender Emotionalisierung und Stimmungsmache das Verständnis für die Notwendigkeit, in Europa einen Zustand herzustellen, der mehr ist als nur das Eigenwohl eines Volkes, fehlen.
Meine Damen und Herren, im Moment steht immer noch offen, wie die EU-Verfassung in den Mitgliedstaaten ratifiziert wird. Mit Sicherheit ist ein Referendum bisher nur in Irland, Dänemark und Luxemburg vorgesehen.
In Portugal und Spanien deuten die Anzeichen auf ein Referendum hin. In den Niederlanden, Frankreich sowie Großbritannien ist ein Referendum zwar möglich, nach jetziger Planung aber eher unwahrscheinlich. Kein Referendum wird es nach derzeitigem Stand in Österreich, Italien, Belgien, Finnland, Schweden und Griechenland geben. Ungeklärt ist die Situation in den meisten Beitrittsländern. Aufgrund der Erfahrung mit den Beitrittsreferenden und geringer Wahlbeteiligung ist die Haltung dort aber eher reserviert. Wir stehen am Anfang der Debatte.
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion fühlt sich der Verantwortung und Wahrhaftigkeit gegenüber dem fragilen Einigungswerk Europa, vor allem aber gegenüber unserer Bevölkerung, allen Bremer Bürgerinnen und Bürgern, verpflichtet. Sie will informiert sein und nicht agitiert werden. Die SPDFraktion sagt ja zu Europa und zur europäischen Verfassung.
Aus diesem Grunde bringen wir, die Fraktionen von CDU und SPD, einen gemeinsamen Antrag, eine Entschließung zum europäischen Verfassungsvertrag hier und heute ein, der die Position der Bremischen Bürgerschaft zur Fortentwicklung des europäischen Vertragswerkes für eine an den Grundsätzen des Subsidiaritätsprinzips ausgerichtete Europäische Union unterstützt. An die Mitglieder der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen appelliere ich: Springen Sie über Ihren eigenen Schatten, unterstützen auch Sie unseren gemeinsamen Antrag! Die Europawahl im Juni 2004 ist die beste Volksabstimmung über den EUKonvent. – Herzlichen Dank!