Nun kommt das „Aber“: Meine Fraktion sagte auch zur heutigen Debatte, dass wir lieber nicht auf die Regierungserklärung erwidern. Das ist sein Recht. Er kann in Würde noch seinen letzten Redebeitrag halten.
Wir haben auch gesehen, dass Sie, die CDU-Fraktion die Würde genommen haben! Das werden wir uns für den Wahlkampf aufheben. [Kittelmann (CDU): Tragisch, wenn man nicht aufhören kann!]
Wie Sie sich hier aufgeführt haben, ist ein unverzichtbares Dokument! Da kommen wir der Wirklichkeit auch näher!
Sie wollen sich hier als erstes Regierungsmitglied im Nachkriegsberlin nach so vielen Amtsjahren abwählen lassen! Jeder weiß, warum es geschieht. Auch die vielen Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, die man hier heute sieht, wissen es. Sie dürfen nicht zurücktreten. Sie dürfen sich selbst keinen Abgang bereiten, wie sie es gern hätten, weil ihre Fraktion sie als Opfer auf dem Altar eines allgemeinen Misstrauensvotums sehen will. Sie verlangen es, die sich hier heute schon als pöbelnde Wahlkampftruppe profiliert haben.
[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Kittelmann (CDU): Sie werden unverschämt, Herr Wieland!]
Damit habe ich wenig Probleme! – Wenn sich Herr Steffel hier hinstellt und sagt, dass da die alten Leute kommen,
so sage ich Ihnen einmal ganz deutlich, dass wir versprochen haben, zunächst einen Neuanfang in der Politik zu machen. Das werden wir auch tun. Wir haben den Bürgern Neuwahlen versprochen. Diese werden wir durchführen. Es ist selten so klar von politischen Parteien darauf orientiert worden, dass der Souverän das Wort erhält und sagt, wie es weiter gehen soll. Ein Regierungschef, der hier heute in einer langen Regierungserklärung kein Wort der Selbstkritik zu dem Schuldendesaster gesagt hat, das er angerichtet hat,
der über alles gesprochen hat, nur nicht über das, was in der ganzen Welt seit Monaten in Bezug auf Berlin diskutiert wird, der die Realität so verdrängt, dass er hier erzählt, seine Tarifangleichung sei es gewesen, dass wir heute über 70 Milliarden DM Schulden haben, [Kittelmann (CDU): Das ist unwahr! Das hat er so nie gesagt!]
ein solcher Regierender Bürgermeister kann schlechterdings diese Stadt nicht mehr regieren. Das ist der Grund, weshalb es zu einem Neuanfang kommen muss. Das allein ist der Grund. Das haben die Menschen in dieser Stadt doch gemerkt. Sie sind es, die für Neuwahlen anstehen und unterschreiben. Sie sind es, die wollen, dass es so nicht weitergeht. Wir tragen diesem Willen nur Rechnung. Auch deswegen hat die SPD diesen Bruch vollzogen. Sie musste ihn vollziehen, um nicht selbst in den Strudel des Neuwahlenbegehrens zu kommen. Das alles blenden Sie aus und erzählen uns Verschwörungsgeschichten, lesen Sachen vor, die Herr Landowsky selbst in die „Berliner Morgenpost“ lanciert hat. Hören Sie mit diesen Gruselstories auf! Die Berliner wollen den Neuanfang. Sie bekommen ihn auch. Wir bereiten ihn vor und führen ihn durch. Ich wage die Prognose, die ich immer angeführt habe: Sobald Eberhard Diepgen abgewählt ist, aber auch erst dann, ist auch die CDU für Neuwahlen. Das werden wir am Montag erleben!
Sie haben, Herr Diepgen, 10 Jahre lang das Wort von Berlin als Werkstatt der Einheit geprägt. Oft genug habe ich Ihre Reden gehört. Oft wusste ich, was kommt. Es bleibt nicht aus, wenn man drei- bis viermal am Tag redet. Ich frage Sie, Herr Diepgen: Wenn Sie jetzt mit Ihrer CDU wieder zu dem zurückkehren wollen, was Jörg Schönbohm heute als Überschrift in einem Zeitungsartikel von ihm formuliert hat: „Berlin wird wieder Frontstadt!“ – damit ist die innere Front gemeint – machen Sie, ob Sie es wollen oder nicht, alles kaputt, was Sie hier auch unter der Überschrift „Werkstatt der Einheit“ geleistet haben!
Sie haben durchaus einiges geleistet. Aber jetzt führen Sie mit einem Lager- und Blockwahlkampf, mit den Gespenstern des Kalten Krieges, mit Herrn Steffel, der hier einen kommunistischen Putsch an die Wand malt, einen Kampf, als ob wir in den fünfziger Jahren wären. Wir sind selbstbewusst und sagen, dass die Stadt längst weiter ist. Die Berliner sind weiter. Dieses Spektakel Freiheit oder Sozialismus läuft nicht mehr, weil es nicht mehr die Realität, sondern weil es die Mottenkiste ist. Das werden Sie erleben. Wir werden die Zukunft gestalten. Wir werden Impulse setzen. Wir werden einen Senat bilden, der sich eine zeitliche Befristung gegeben hat. Es wird aber ein vollwertiger Senat sein. Es wird ein Senat mit Impulsen sein. Er wird das neue Berlin und den Neuanfang personifizieren. Das werden Sie alles übermorgen erleben!
Der Hauptstadtbeschluss war wichtig. Das ist keine Frage. Herr Böger hat völlig richtig gesagt, dass er leider nicht von der Mehrheit der CDU in der Abstimmung damals getragen wurde. Es mussten die Stimmen der PDS, auch die Stimmen der Grünen-Vertreter hinzukommen. Sie hätten es nicht geschafft!
[Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Weil die Grünen mehrheitlich dagegen gestimmt haben! – Frau Ströver (Grüne): Das ist nicht wahr!]
Lieber Herr Lehmann-Brauns, kommen Sie nicht auch noch mit dieser Geschichtslüge! Damals saß Bündnis 90 für uns im Bundestag und hat dort zugestimmt!
Ich erinnere mich noch, wie sich ein Sonderflugzeug der Berliner CDU – mit Manfred Preuss und mit Herrn Wienhold zum Beispiel – auf den Weg nach Bonn machte, um Ihren Kanzler, der nur als Privatmann Herr Kohl erklärt hat, dass er für Berlin ist, noch in letzter Minute davon zu überzeugen, dass die Entscheidung für Berlin fallen muss. So sah es in der CDU aus. Eine solche Überzeugungsarbeit war notwendig.
Dann stellen Sie sich jetzt nicht hierhin und behaupten, Sie seien die Umzugspartei und die Hauptstadtpartei gewesen! Das waren Sie nicht.
Kollege Niedergesäß hat es schon oft gesagt – ich zitiere ihn ausnahmsweise einmal: „Auch Sie haben damals gejubelt, Herr Wieland, als dieser Umzugsbeschluss fiel.“ – Ich habe gejubelt, das ist richtig. In den letzten Tagen aber – das muss ich Ihnen sagen – war mir überhaupt nicht nach Jubeln zumute.
Und mir wird auch demnächst nicht nach Jubeln zumute sein. Woran liegt das wohl? – An etwas, das Sie gar nicht zur Kenntnis genommen haben, dass nämlich dieser Senat insbesondere infolge der Bankenkrise die Finanzen dieses Landes so sehr zerrüttet hat, dass zum Jubeln wahrlich kein Grund besteht. Wir können uns die gute Laune der SPD nur so erklären, dass wirklich eine Zentnerlast von ihren Schultern gefallen ist, weil sie mit Ihnen nicht mehr koalieren und sprechen muss. Das hat man heute gesehen, und Sie haben ja auch alles getan, um die letzten emotionalen Brücken abzubauen. Insofern waren die Reden von Herrn Steffel und von Herrn Diepgen tatsächlich gut.
[Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Niedergesäß (CDU): Ein schwacher Beifall war das wieder einmal!]
Wir mussten in den letzten Tagen erleben, dass von Herrn Merz, von Herrn Steffel und von vielen anderen der normale demokratische Prozess, der hier abläuft, das verfassungsmäßige Vorgehen – –
Sie sagen wieder „Putsch“. Dann will ich einmal darauf eingehen: Wir machen von den Möglichkeiten der Berliner Verfassung Gebrauch.
Wir tun es in diesen Formen, und wir lassen das nicht als Putsch diskreditieren, als ob wir in einer mittelamerikanischen Bananenrepublik lebten.
Ja, Sie tun es aber. Sie tun es unentwegt. Herr Steffel hat es auch getan. [Atzler (CDU): Trotzdem Putsch! – Heiterkeit bei den Grünen, der SPD und der PDS]
Überlegen Sie Ihre Wortwahl! – Wer ist es denn, der hier auf einmal als Spätbekehrter sein Herz für die direkte Demokratie entdeckt hat? – Herr Kaczmarek erzählt uns: „Nun ändern wir doch mal schnell die Verfassung, damit wir zu einer Direktwahl des Regierenden Bürgermeisters kommen!“
Ja, mit Herrn Gysi sozusagen im Einklang! Bei Herrn Gysi weiß man nun nicht, ob er gestern erklärt hat oder heute erklärt oder morgen oder Sonntag erklären wird, was er tut. Sonntag ist jetzt der Termin. Man darf also noch gespannt sein, ob er Sonntag erklären wird, inwieweit er zur Verfügung steht und was seine Direktkandidaturpläne machen.
Herr Gysi wird dann, wenn er merkt, er könnte Regierender Bürgermeister werden, vielleicht auch einmal einen Blick in den Haushaltsplan des Landes Berlin werfen.
Vorher wäre es ja auch unnötig und eine Vergeudung seiner Ressourcen gewesen, Kollege Wolf! Das verstehe ich. So viel Professionalität ist in Ordnung. Aber warum er sich denn nun ausgerechnet von seinem Mandanten Barenboim sozusagen den Fehlbedarf der Berlin Kultur auf 10 % hochrechnen ließ, weiß ich nicht. [Zurufe von der PDS]
Ich sage nur – auch beruhigend in Richtung der CDU: Viel ist unsicher an dem Wahlausgang, aber eines steht fest: Gregor Gysi wird nicht Regierender Bürgermeister von Berlin werden.