Protokoll der Sitzung vom 19.05.2022

Nun zu der Rettungsstelle, die Sie hier fordern: Rettungsstellen sind Teil einer etablierten Notfallstruktur. Eine Rettungsstelle ohne Anschluss an ein stationäres Versorgungsangebot ist schlichtweg Unsinn. Was Sie hier beschreiben, ist keine Rettungsstelle, sondern eine hausärztliche Praxis mit Betten und verlängerten Öffnungszeiten. Gute Idee – verstehen Sie mich nicht falsch –, aber es ist eben keine Rettungsstelle. Noch wichtiger: Mehrere Rettungsstellen mit unterschiedlichen Versorgungsangeboten in enger räumlicher Nähe, so wie das hier der Fall ist, können auch zu einer Fehlversorgung führen, und zwar auf Kosten der Sicherheit der Patientinnen und Patienten. Denn ist es nicht so, dass Patientinnen und Patienten die nächstgelegene Notaufnahme aufsuchen, weil sie annehmen, dass überall die gleichen Versorgungsstrukturen vorhanden sind? – Dem ist aber nicht so.

(Bettina König)

Ich erkläre es Ihnen an einem Beispiel: Eine Frau hatte vor ein paar Tagen einen Fahrradunfall. Sie fühlte sich seitdem nicht wirklich schlecht, aber die Kopfschmerzen wurden stärker. Irgendwann geht sie zur Rettungsstelle, die Sie hier skizzieren. Dort stellt sich nach den Anmeldeformalitäten und der Untersuchung heraus, dass die Dame schnellstmöglich neurologisch versorgt werden muss, denn es bestand der dringende Verdacht auf Hirnblutung. Das heißt Überweisung, weiterversorgende Klinik, Transport. Das kostet Zeit, die die Patientin nicht hat. Das ist nicht nur ineffizient und verschwendet knappe Ressourcen, das ist vor allen Dingen keine gute Gesundheitsversorgung. Darüber sind wir uns hoffentlich einig.

[Beifall bei den GRÜNEN, Beifall von Tobias Schulze (LINKE) und Sebahat Atli (SPD)]

Wir müssen also neue Wege gehen, die lokalen Bedarfe verstehen, bestehende und neue Strukturen daran anpassen. Das lassen Sie uns jetzt aber nicht ganz schnell und mit heißer Nadel mal eben hier durch das Plenum zerren. Darüber reden wir dann bitte im Ausschuss. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Bettina König (SPD) und Sebahat Atli (SPD)]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die FDP-Fraktion hat Kollege Kluckert das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ganz froh, dass die CDU diesen Antrag heute eingebracht hat, weil man da auch mal den Unterschied zwischen unserer Gesundheitspolitik und der Gesundheitspolitik der CDU ganz deutlich machen kann. Ich würde mir hier ein bisschen mehr Ehrlichkeit gegenüber den betroffenen Anwohnern wünschen

[Heiko Melzer (CDU): Von uns?]

denn ich muss leider sagen, liebe AfD, liebe CDU, sich hinzustellen und zu sagen, man müsse das WenckebachKrankenhaus erhalten, ist unsachlich und populistisch.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Ich will Ihnen das auch erklären. Für all diejenigen, die nicht aus dem Bezirk kommen oder das WenckebachKrankenhaus nicht kennen: Das Wenckebach-Krankenhaus hat eine ganz besondere Atmosphäre, die es ausstrahlt; die großen Backsteingebäude, umgeben von einer tollen Parkanlage. Man hat das Gefühl, wenn man dort mal Kranke besucht hat oder selbst behandelt wurde, dass diese tolle Atmosphäre auch auf das Personal überstrahlt und man dort eine ganz besondere Behandlung bekommt. Deswegen kann ich auch verstehen, dass jeder Tempel

hofer sich von Herzen wünscht, dass das WenckebachKrankenhaus erhalten bleibt. Vom Herzen bin ich da auch bei den Anwohnern, aber zur Ehrlichkeit gehört auch dazu, dass das 1878 eröffnete Militärhospital, 144 Jahre alt, eben nicht mehr die Anforderungen eines modernen Krankenhauses der Neuzeit erfüllt.

Deswegen ist es eigentlich richtig – nicht nur eigentlich, sondern es wäre unsere Aufgabe als Politiker –, zu den Menschen in Tempelhof zu gehen und ihnen zu sagen, was die Vorteile der Zusammenlegung des AugusteViktoria-Krankenhauses und des Wenckebach-Krankenhauses sind. – Herr Hansel, Sie haben unrecht: Mein Herz schlägt auch für das Wenckebach-Krankenhaus, wenn ich aber am Tempelhofer Hafen mit einem Herzinfarkt umkippe, wie Sie gerade gesagt haben, das Herz nicht mehr schlägt, dann würde ich mich ins AVK fahren lassen. Fahren Sie doch mal ins AVK und gucken sich an, was dort entstanden ist: Modernste Operationssäle, unterschiedlich spezialisierte Fachrichtungen dicht beieinander, kurze Wege. Das sind die Krankenhäuser, die wir haben wollen. Es bringt überhaupt nichts, an einer Nostalgie festzuhalten und den Anwohnern populistisch nach dem Munde zu reden, sondern wir müssen ihnen deutlich machen, was der Vorteil ist.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Bettina König (SPD), Werner Graf (GRÜNE) und Anne Helm (LINKE) – Zuruf von Harald Laatsch (AfD)]

Was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, lieber Herr Zander: Sie wollen, dass Vivantes das weiterbetreibt. Vivantes ist erst mal hoch verschuldet. Eigentlich ist jedes Geld, das wir bei Vivantes reinstecken, schon eine Insolvenzverschleppung. Dann will Vivantes dort noch in den ambulanten Markt eingreifen, eine Konkurrenz zu den ambulanten, freiberuflichen Ärzten errichten. Frau Pieroth, es ist Ihre Politik, die die gute ärztliche Struktur rund um den Tempelhofer Damm zerstört. Die Menschen kommen nicht mehr zu ihrem Arzt, weil Sie dort mit Ihrer Politik alle Parkplätze weggenommen haben.

[Beifall bei der FDP – Lachen bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Zander?

Ich führe noch den einen Satz aus, dann lasse ich die Zwischenfrage zu.

[Tobias Schulze (LINKE): Zu den Parkplätzen?]

Sie legen dort den Ärzten dadurch so viele Steine in den Weg,

(Catherina Pieroth-Manelli)

[Werner Graf (GRÜNE): Eben nicht! Wir machen es grün!]

und jetzt wollen Sie mit einer staatlichen Struktur den ambulanten Ärzten noch mehr Konkurrenz machen. Das ist eine Sache, die wir auf jeden Fall verhindern werden. – Und jetzt lasse ich die Zwischenfrage zu.

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Kluckert! – Ich finde es interessant, wie Sie immer Antragstexte lesen. Sie lesen aus unserem Antrag heraus, dass wir das Wenckebach-Krankenhaus so erhalten wollen, wie es bislang ist, während Frau Pieroth sagt, das wird eigentlich nur eine Hausarztpraxis. Ich finde, dazwischen liegen Welten. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte.

[Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Würden Sie mir deshalb zustimmen, dass der Vorschlag, eine Portalklinik zu schaffen, die an ein normales, volles, großes Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung als Kooperation angeschlossen ist, ein Unterschied zu dem ist, was Sie gerade behaupten, dass wir populistisch den Erhalt des Krankenhauses, wie es bislang ist, fordern?

[Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Das kann ich Ihnen erklären: Man kann bei Ihnen schon sehr gut zwischen den Zeilen lesen. Sie sagen eigentlich ganz deutlich: Am liebsten hätten wir als CDU das Wenckebach-Krankenhaus erhalten, aber jetzt, wo das Kind schon in den Brunnen, in den Tempelhofer Hafen, gefallen ist, wollen wir wenigstens den Gesundheitsstandort dort sichern. – Sie suggerieren schon, dass man das Krankenhaus eigentlich hätte erhalten sollen. Jetzt kommt die CDU als Phönix aus der Asche und Retter des Gesundheitssystems und sagt: Jetzt kommen wir mit einer anderen Idee und erhalten wenigstens den Standort. – Der Standort wird übrigens erhalten. Dafür sind wir auch, allerdings anders, als Sie das fordern.

Damit komme ich zu der Portalpraxis. Eine Portalpraxis ist eine Praxis – für die Nichtgesundheitspolitiker in diesem Raum –, die an einem Krankenhaus angesiedelt ist, damit die teure stationäre Versorgung über die ambulanten Ärzte in der Portalpraxis erfolgen kann. Das ist dort aber gar nicht notwendig, Herr Zander, weil dort nämlich kein Krankenhaus und auch keine Rettungsstelle, wie man sie an einem Krankenhaus braucht, entstehen wird. Wir können uns darüber unterhalten, dass man dort eine ambulante 24/7-Notfallversorgung über Ärzte macht, aber es wird nie eine Rettungsstelle sein, wo Sie Schlaganfallpatienten, die im Krankenhaus eine Stroke Unit brauchen, versorgen können. Von daher ist Ihre Rettungs

stelle, oder die Portalpraxis, wie Sie das fordern, eine Mogelpackung.

[Beifall bei der FDP]

Aber bei dem ambulanten Campus sind wir bei Ihnen. Allerdings: Ich glaube, wir sollten uns überlegen und im Ausschuss ernsthaft diskutieren, ob das wirklich Vivantes betreiben kann und soll. Wir alle haben doch die Einladungen bekommen und sehen die Arbeitsbedingungen bei Vivantes. Vivantes hat scheinbar – so wird es jedenfalls von den Angestellten suggeriert – die schlechtesten Arbeitsbedingungen aller Krankenhäuser in dieser Stadt. Mittlerweile ist die Versorgung der Patienten so schlecht, dass hinter vorgehaltener Hand sogar gesagt wird: Bei uns wäre der Patient eventuell nicht gestorben, wenn wir mehr Personal gehabt hätten. – Diese Versorgung ist eine Versorgung, die ich für die Stadt nicht haben möchte, und deswegen sollte Vivantes auf gar keinen Fall noch weiter auch in den ambulanten Markt eingreifen und Schindluder betreiben.

Ich möchte, dass dort eine gute ambulante Struktur mit unterschiedlichen Ärzten entsteht; ein MVZ in Zusammenarbeit mit der KV, die eben nicht eine Konkurrenz zu den Ärzten am Tempelhofer Damm ist. Das können wir dort gerne entstehen lassen, da sind wir auch bei Ihnen, aber da haben wir ganz viele Änderungsanträge. Aber so, wie Sie das hier fordern – da können wir auf gar keinen Fall mitgehen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Linksfraktion hat der Abgeordnete Schulze das Wort.

Zwischen Ihnen und dem Sommerabend stehe jetzt nur noch ich.

[Heiterkeit – Beifall von Stefanie Fuchs (LINKE)]

Es wird nicht angenehm, weil was Herr Kluckert hier gerade gesagt hat, finde ich, ehrlich gesagt, wirklich schwierig für uns als Parlament, die wir auch für Vivantes als kommunales Krankenhausunternehmen verantwortlich sind. – Ich habe sieben Minuten! Ich wollte es Ihnen nur mal sagen: Ich habe sieben Minuten.

[Zurufe von der SPD: Nein! – Björn Matthias Jotzo (FDP): Drei! Zuruf von der FDP: Fünf!]

Fünf! Wir ändern das.

(Florian Kluckert)

Ach, Sie ändern das. Schade!

[Paul Fresdorf (FDP): Jetzt nur noch zwei!]

Also: Wenn Sie sagen, dass Investitionen in Vivantes Insolvenzverschleppung sind, dann muss ich mal sagen: Vivantes hat während der Pandemie in dieser Stadt die wichtigsten Aufgaben übernommen; die Aufgaben, vor denen sich viele private und auch freie Träger gedrückt haben. Da ist viel Rosinenpickerei passiert. Bei Vivantes nicht, weil Vivantes kann sich gar keine Rosinenpickerei leisten. Die müssen behandeln und haben das auch zusammen mit der Charité getan. Vivantes hat als öffentlicher Träger zusammen mit der Charité eine Partnerschaft beschlossen. Sie haben fast 40 Prozent der Betten, und sie sichern an dieser Stelle den Grundstock in der Versorgung.

Und es als Insolvenzverschleppung zu bezeichnen, hier zu investieren, anstatt das Wachstum, das wir bei Vivantes brauchen, in den Mittelpunkt zu rücken, das finde ich wirklich schwierig. Sie sollten sich mal die Arbeitsbedingungen bei freien oder privaten Häusern ansehen. Sie können gerne mal zu Helios nach Buch fahren und mal mit den Kolleginnen und Kollegen dort sprechen, oder Sie können mal bei Alexianer schauen. Das ist alles kein Stück besser. Der Unterschied ist, dass sich die Kolleginnen und Kollegen von Vivantes auf den Weg gemacht haben, um durch den Streik Dinge zu verbessern. Das ist der Unterschied, deswegen ist es in die Medien gekommen. Das würden sich die Beschäftigten bei den privaten Häusern gar nicht trauen.

Das Wenckebach-Klinikum ist ein Zeichen und ein Brennglas für die Entwicklung unseres Gesundheitswesens. Wir haben hier über 20 Jahre zu wenig investiert. Es ist ein sehr altes Haus – das wurde schon gesagt –, über 100 Jahre alt. Wir haben zu wenig investiert und stehen jetzt mit diesen alten Backsteingebäuden vor der Entscheidung, ob wir sie für viele 100 Millionen Euro wieder zu einem Krankenhaus umbauen, oder ob wir sie anderen Zwecken zuführen und die Krankenhausversorgung am AVK konzentrieren und dort die Betten aufbauen. Ich glaube, diese Entscheidung müssen wir als Haushaltsgesetzgeber sehr fundiert und mit der notwendigen Sorgfalt treffen, weil es sich nicht lohnt, ein altes Krankenhaus zu sanieren. Es wird dann noch kein modernes Krankenhaus; es ist immer noch ein altes Krankenhaus, das allerdings weiterfunktionieren könnte.

Was die Leute vor Ort brauchen, ist Versorgung im Notfall – das wurde hier schon ein paarmal gesagt –, und welches Modell dafür am besten funktioniert, ob es eine Notfallpraxis ist, die abends und am Wochenende geöffnet hat und möglicherweise Akutpatientinnen und -patienten auch ins AVK rübertransportieren lässt, oder ob es eine Portalpraxis ist – ich glaube, da sind verschiedene Abstufungen denkbar. Auch Pflege hat Vivantes dort

vorgeschlagen. Ich werbe aber dafür, dass wir dieses Gelände mit den Gebäuden in öffentlicher Hand behalten und nicht abgeben. Eine Privatisierung steht uns, glaube ich, nicht ins Haus.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]