Protokoll der Sitzung vom 29.10.2003

keit von Familie und Beruf. Da stehen die Kleinkindbetreuung und die Ganztagsbetreuung im Vordergrund. Dort müssen wir die Mittel investieren.

(Beifall bei den Grünen)

Das heißt, wir müssen auch einmal überprüfen, ob wir nicht Teile des Landeserziehungsgelds in diesen Bereich umwidmen sollten, weil er einfach auf Nachfrage stößt und sehr viel wichtiger ist, als ihn die Landesregierung nimmt.

Ich komme zum

(Abg. Rech CDU: Schluss!)

letzten Punkt. Was fehlt in der Regierungserklärung eigentlich völlig? Ich habe es in meiner Einleitung schon gesagt: kein Wort zur Ökologie, kein Wort zur Nachhaltigkeit, kein Wort zur Umwelt. Das ist die große Leerstelle dieser Regierung. Sie blendet alle diesbezüglichen Probleme aus. Sie blendet zum Beispiel die Probleme durch den wachsenden Verkehr aus und lädt sie bei der Bundesregierung ab. Seit 1980 hat sich der Straßenverkehr auf den Hauptachsen im Land glatt verdoppelt.

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Ähnlich entwickeln sich die Zahl der Kraftfahrzeuge und die Kilometerleistung der Berufspendler. Dies hat vielfältige negative Konsequenzen für Mensch, Umwelt und die Wirtschaft im Land: von der Luftverschmutzung in den Städten bis hin zum Stau, der die Wirtschaft schädigt. Darüber verlieren Sie kein Wort.

Die Standardantwort, die Sie haben, verweist immer nur auf Berlin. Ihr Selbstlob für die Verbesserungen im öffentlichen Personennahverkehr müsste aber eigentlich der Bundesregierung gelten, denn dort kommen die Gelder her, für die wir uns eingesetzt und krumm gelegt haben. Sie dagegen haben die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs fast auf null heruntergefahren.

Wenn man bei den Problemen, die wir haben, dann noch berücksichtigt, dass Sie unentwegt immer nur mehr Geld vom Bund fordern, der ja bekanntlich genauso wenig hat wie Sie, aber eine Absenkung der Pendlerpauschale, deren Höhe völlig unsinnig ist, ablehnen, dann ist das nicht mehr nachvollziehbar. Es ist nicht nachvollziehbar, dass man trotz knappster Haushaltsressourcen und trotz der Probleme, wie sie etwa der Berufspendlerverkehr mit sich bringt, weiterhin eine solche Fehlallokation zulässt.

Wenn man weiß, dass bei den Berufspendlern nur in jedem 15. Auto mehr als eine Person sitzt, dann ist klar, dass man auch hier etwas gegen das Verkehrsmengenwachstum tun kann, um den Verkehr zu entlasten, statt immer nur mehr Geld vom Bund zu fordern, obwohl Sie schon viel mehr bekommen haben als je unter einer Kohl-Regierung. Also, ich finde, das hat doch mit der Zeit wirklich etwas Kindisches.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hauk CDU: Das ist eine Bevölkerungsallokation im Ballungsraum! – Zuruf des Abg. Röhm CDU)

Das hat keinen Sinn; das Geld ist nicht vorhanden. Bei dem riesigen Landverbrauch ist es ja auch ökologisch gar nicht

erträglich, dem Stau nur immer hinterherbauen zu wollen, statt wirklich einmal etwas für einen Stopp des Verkehrsmengenwachstums zu tun.

(Abg. Hauk CDU: Das wird dann die Landflucht in die Stadt!)

Die Ökologie kommt schon gar nicht vor, außer bei Ihrem Kampf gegen die Windkraft.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Oh, oh!)

Ihr Kampf gegen die Windkraft und Ihre Forderung, die Laufzeit der Atomkraftwerke zu verlängern, werfen das richtige Licht auf Ihre ganze Energiepolitik.

Der Kampf gegen die Windkraft ist nicht glaubwürdig, weil ein Flächenverbrauch in Baden-Württemberg von 12,1 Hektar am Tag völlig andere Ursachen als die Windkraft hat. Es ist überhaupt nicht glaubwürdig, dass Sie auf einmal den Landschaftsschutz entdecken.

Zweitens: Sie verstoßen gegen die eigenen Ziele. Jeder weiß, dass Sie Ihre selbst gesetzten Ziele, den Anteil der regenerativen Energien zu verdoppeln, ohne Windkraft nicht erreichen können. Denn dazu ist ein Anteil von 20 % Windkraft erforderlich. Das steht in Ihren eigenen Gutachten. Sie verletzen aber auch das Prinzip der Subsidiarität und widersprechen der Eloge, Herr Ministerpräsident, die Sie heute gegen die Bürokratie gerichtet haben, gegen die Senkung von Standards und was auch immer.

Ich fordere Sie auf, einmal das, was Sie über Bürokratie und Subsidiarität gesagt haben, an Ihrem Verhalten zur Windkraft zu spiegeln.

(Heiterkeit des Ministerpräsidenten Teufel)

Wenn es Ihnen nicht passt, ist es Ihnen vollkommen wurscht, was vor Ort entschieden wird, wo die Kompetenz herrscht und wo die Leute wissen, was sie wollen. Nein, da wird durchgestellt, und da gehen Sie so weit, Entscheidungen, die vor Ort gefallen sind, nachträglich rückgängig machen zu wollen. Das ist Ihre Art von Bürokratieabbau. Das, was Sie sagen, konterkarieren Sie selbst völlig. Man ist immer dort für Bürokratieabbau, wo es einem gefällt, und dort, wo es einem nicht gefällt, stellt man das Telefon durch bis zur letzten Bürgerinitiative gegen Windkraft. Das ist Ihre Politik.

(Beifall bei den Grünen)

Was Sie da tun, ist wirtschaftspolitisch völlig unverantwortlich. 180 Betriebe in Baden-Württemberg sind Zulieferer für Windkraftanlagen. Das ist eine grandiose Perspektive, die sich da auftut. Wir haben in der letzten Woche die Firma Liebherr in Biberach besucht, die von den Schwankungen in der Baukonjunktur sehr abhängig ist und sich dadurch ein kräftiges Standbein zugelegt hat, dass sie inzwischen die ganze Welt mit Komponenten für Windkraftanlagen beliefert.

Gegen solche Firmen, gegen Bürgerinnen und Bürger, die hier ihr gutes Geld anlegen,

(Zurufe der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE und Zim- mermann CDU)

machen Sie eine Kampagne ohne Maß und Ziel, die das Investitionsklima ruiniert und industriepolitisch absolut verheerend ist. Denn die größten Abnehmer – ich empfehle Ihnen einmal einen Besuch bei Liebherr – sind heute Schwellenländer wie Brasilien und Indien, die diese Technologie deswegen übernehmen können, weil wir sie hier kraftvoll gefördert und vorangetrieben haben. In einer solchen wirtschaftlichen Situation einen Industriezweig zu bekämpfen, der in wenigen Jahren 40 000 Arbeitsplätze geschaffen hat, ist völlig unverantwortlich.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Zimmermann CDU – Ge- genruf des Abg. Drexler SPD: Mach nicht so viel Wind da hinten!)

Was ist Ihre Alternative? Ihre Alternative heißt, die Laufzeit von Atomkraftwerken zu verlängern. Jetzt muss man einmal überlegen, was das industriepolitisch heißt. Dort, wo wir in dem ganzen Bereich der regenerativen Energien Innovationen wie noch nie haben, wird dagegen gekämpft oder nichts getan. Dagegen wollen Sie weiter an Altindustrien festhalten, die seit Jahrzehnten bestehen. Das muss man sich einmal industriepolitisch vorstellen.

(Abg. Drexler SPD: Stillstand!)

Wir setzen nicht mehr auf Innovation und Fortschritt, sondern wir verlängern den Einsatz alter Technologien.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Unglaublich!)

Das ist das Ende jeder vernünftigen Industriepolitik.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Unglaublich!)

Das ist das Ende jeder Wettbewerbsfähigkeit im Land. Das ist tödlich für ein Land wie Baden-Württemberg, das den Großteil seiner Produkte exportiert.

In der Energiepolitik tut sich eine wunderbare Vision auf: ein neuer Kraftwerkspark mit gut regelbaren, kleinen Kraftwerken – Kraft-Wärme-Kopplung –, die die eingesetzte Energie mit optimalen Wirkungsgraden nutzen, ein Mix regenerativer Energien, wo die technologische Entwicklung jedes Jahr etwas Neues hervorbringt, wo wir als Hightechland unsere Beiträge leisten können, eine Effizienzrevolution, wo industriepolitisch, aber auch in den Haushalten unglaubliche Potenziale wirtschaftlich mobilisierbar sind.

Am Allerschönsten daran ist: Das ist eine Strategie weg vom Öl, das ist eine Strategie für den Klimaschutz. Es ist auch, Kollege Oettinger, eine Strategie, die für unser Land passt.

(Zuruf von der CDU: Jawohl!)

Das ist eine Strategie für unseren Mittelstand. Endlich kommt die Energiepolitik weg von wenigen Großkonzernen, hinein in die Häuser, hinauf auf unsere Dächer, hinein in jede Handwerksstube und in jeden mittelständischen Betrieb.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Scheuermann CDU: So etwas kann nur einer sagen, der ins Bett geht, wenn das Licht ausgeht!)

Die Vision wird nicht sein, dass wir neue Atomkraftwerke bauen; die Vision wird sein, dass im Keller jedes Hauses eine Brennstoffzelle oder eine Kraft-Wärme-gekoppelte Gasturbine Strom liefert. Das ist die Zukunft.

(Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Das ist eine absolut dezentrale, mittelstandsorientierte Energiepolitik, ein Energiepark, der sich auch – wer hätte das gedacht? – in die Bürgergesellschaft einbettet und wo man nicht an einen großen Stromkonzern bezahlt,

(Abg. Heinz CDU: Kein Mensch weiß, was das kostet! – Zuruf des Abg. Röhm CDU)

sondern wo sich die Bürger, die Kommunen, das Handwerk, der Mittelstand und die intelligentesten Forschungsunternehmen an der Vision einer nachhaltigen Wirtschaft und einer Bürgergesellschaft beteiligen, die das trägt und umsetzt.

Das ist, glaube ich, ein sehr gutes Beispiel, wie wir in Baden-Württemberg vorankommen, mutig neue Wege zu beschreiten, nicht ängstlich den Einsatz alter Technologien zu verlängern, die Bürgerinnen und Bürger in solche Prozesse einzubeziehen und aus Baden-Württemberg ein Land zu machen, das für eine aktive Bürgergesellschaft steht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Herr Ministerpräsident Teufel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst gegen den Vorwurf wenden, ich hätte in der Regierungserklärung ausschließlich die Bundespolitik angegriffen. Wer sich halbwegs objektiv zum einen die umfassende Bilanz, die wir schriftlich vorgelegt haben, und zum anderen die Regierungserklärung ansieht, der müsste erkennen, dass wir uns zur Halbzeit dieser Legislaturperiode mit den Problemen des Landes Baden-Württemberg, mit der Frage, was in der ersten Hälfte erreicht worden ist, mit den Zielen, die wir anstreben, aber auch mit den Wegen, die wir aufzeigen, um diese Ziele zu erreichen, beschäftigt haben. Es würde sich lohnen, wenn Sie, meine Herren Oppositionsführer, abseits der Polemik, die Sie hier angestellt haben, das einmal lesen und sich darüber Gedanken machen würden, ob Sie sich dem einen oder anderen Punkt nicht anschließen können, wenn es um die Zukunft unseres Landes geht.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das war sehr diffe- renziert!)