Protokoll der Sitzung vom 29.10.2003

(Abg. Hauk CDU: Dort, wo es Bedarf gibt, wird das sukzessive gemacht!)

Herr Hauk, uns interessiert, ob die Hunderte von Ganztagsschulen in Baden-Württemberg, die jetzt einen Antrag gestellt haben, auch die erforderliche Lehrerzuweisung, das erforderliche pädagogische Personal vom Land zur Verfügung gestellt bekommen oder ob mittags über Vereine oder sonstige Organisationen nur eine Betreuung erfolgt.

(Abg. Hauk CDU: Betreuung heißt doch nicht gleichzeitig Beschulung!)

Denn das ist dann keine pädagogische Ganztagsschule, Herr Hauk.

(Abg. Hauk CDU: Natürlich! Reichen Ihnen denn die 35 Wochenstunden von Schülern nicht?)

Darüber werden wir uns dann hier unterhalten müssen. Wenn Sie natürlich der Auffassung sind, dass nachmittags nur eine Betreuung erforderlich ist, dann stellt sich natürlich die Frage, ob das Geld des Bundes für Ganztagsschulen richtig angelegt ist.

Im Übrigen will ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, sagen, dass der Arbeitgeberverband – das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen – flächendeckend 20 % Ganztagsschulen fordert. Flächendeckend! Daran sollten Sie sich schon einmal orientieren.

Wir werden auf jeden Fall dafür sorgen, dass die Anträge, die jetzt von Kommunen gestellt werden und die nicht nur Brennpunktschulen betreffen, irgendwann auch einmal dem Landtag vorgelegt werden, Frau Kultusministerin, damit wir das wissen. Es wird ja immer behauptet, es gäbe keine. Wir hoffen, dass es jetzt Hunderte gibt, weil wir in der Zwischenzeit Durchschläge der Anträge bekommen. Aber hier wird uns ja immer erzählt, es gäbe keine Anträge.

Dann erwarten wir, dass diese Anträge genehmigt werden. Der Bund übernimmt die Investitionskosten. Das ist übrigens ein großes Investitionsprogramm für die Kommunen. Auch das muss man einmal sagen. Bisher haben sie sich geweigert, das Geld überhaupt anzunehmen; das war ja bis zum Frühjahr so. Das ist also ein Investitionsprogramm für die Bildung, das der Bund den Kommunen bezahlt. Das Land muss den Rest aufbringen. Aber das sehen wir in Ihrer Politik bisher nicht. Dazu hätten wir im Übrigen heute auch eine Aussage in der Regierungserklärung erwartet.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen: Die Debatte wird ganz spannend, weil es einen Unterschied zwischen der Regierungspolitik und der Einzelmeinung von Herrn Oettinger gibt. Es hat sogar vor anderthalb Jahren eine Debatte in einem nordwürttembergischen Bezirksverband gegeben, bei der Herr Oettinger mit seinem Anliegen, flächendeckend Ganztagsschulen einzurichten, noch unterlegen ist.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Insoweit hat sich Ihre Position jetzt vielleicht auch verändert.

Noch etwas zum ÖPNV, Herr Ministerpräsident. Ich finde es ja gut, wenn Sie loben, dass der Bund so viel Geld gibt. Sie haben in der Zwischenzeit 718 Millionen € pro Jahr an Regionalisierungsmitteln eingestrichen. Das ist sehr gut, und das verteilen Sie gut. Wir waren ja auch für eine Regionalisierung, weil ein Land das viel besser machen kann als der Bund.

(Abg. Alfred Haas CDU: Sehr gut! – Abg. Pfister FDP/DVP: Das Gesetz haben wir ja schon lange!)

Darüber gab es doch noch nie eine Diskussion. Nur haben Sie in der Zwischenzeit im Nachtragshaushalt von diesem Betrag 45,27 Millionen € zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet, also nicht für die ursprüngliche Aufgabe.

(Abg. Zeller SPD: Zweckentfremdung!)

Das macht uns den Kampf für weitere Regionalisierungsmittel in Berlin nicht einfach, weil man dort sagt: Wenn ihr Haushaltslöcher stopft, können wir euch das Geld nicht geben.

Zum Abschluss möchte ich noch sagen, weil Sie sich vorhin als Nahverkehrsexperte gefeiert haben: Das Einzige, was Sie im Nahverkehr umgesetzt haben, ist, dass es in der Zwischenzeit doch die Möglichkeit gibt, dass in unseren Zügen Fahrräder kostenlos mitgenommen werden. Das ist ein großer Erfolg – vielleicht auch der Grünen und der SPD –; aber mehr hat sich hier, so wie in vielen anderen Bereichen auch, nicht verändert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist Tagesordnungspunkt 1 beendet.

Ich unterbreche die Sitzung bis 15:45 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung: 14:53 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 15:45 Uhr)

Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Kultur braucht Freiräume – das Streichkonzert der Landesregierung im Kunst- und Kulturbereich in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion GRÜNE

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuelle Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

(Abg. Fischer SPD: Sehr gut!)

Schließlich darf ich auf § 60 Abs. 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Das Wort erhält Frau Abg. Sitzmann.

(Abg. Hauk CDU: Einfach familiär heute!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass zumindest oben auf der Zuhörertribüne viele Leute sitzen. Hier unten ist die Besetzung noch ein bisschen dürftig.

(Abg. Hauk CDU: Die Wichtigen sind alle da, Frau Kollegin!)

Schön wärs, denn es geht bei der Kulturpolitik um ein wichtiges Thema. Über die Kulturpolitik ist hier im Landtag schon seit vielen Jahren nicht mehr diskutiert worden. Nur wenn es um Einsparungen geht, ist sie ab und zu einmal ein Thema. Aber die Kulturpolitik als Ganzes hat hier schon lange keine Rolle mehr gespielt.

Es wird also höchste Zeit, dass wir das Thema auf die politische Agenda setzen. Denn die europäische Einigung braucht ein kulturelles Fundament. Das gilt auch für die Föderalismusdiskussion, die wir heute Morgen geführt haben. Damit ist die Grundlage vorhanden, dass die Förderungen der Länder und des Bundes im Kulturbereich systematisiert werden. Die Kulturhoheit der Länder begründet ja gerade den Anspruch als eigenständige Staatsebene, das heißt die Gesetzgebungskompetenz in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur.

Vor diesem Hintergrund wollen wir mit der heutigen Debatte den Anstoß für eine öffentliche kulturpolitische Auseinandersetzung geben. Diese müssen wir möglichst breit darüber führen, worin eigentlich der Stellenwert von Kunst und Kultur besteht, welche Leitlinien es für die staatliche Förderung von Kulturangeboten gibt, welche strukturellen Reformen wir brauchen, welche Rahmenbedingungen die Kultureinrichtungen benötigen. Schließlich ist noch zu fragen, wie in Zeiten knapper Kassen die kulturelle Grundversorgung und die Bildungsfunktion der Kultur sichergestellt werden können und wie die Freiräume, die ja dringend erforderlich sind, erhalten werden können.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Carla Bre- genzer SPD)

Kürzungen nach dem Rasenmäherprinzip lehnen wir deshalb ab. Kunst und Kultur sind natürlich dynamische Prozesse, die immer wieder auf die Agenda gesetzt werden müssen und der kontinuierlichen Auseinandersetzung bedürfen.

Leider haben die Prüfaufträge der Haushaltsstrukturkommission bisher noch zu keinerlei Ergebnissen geführt.

(Zuruf der Abg. Heike Dederer GRÜNE)

Stattdessen hat die Landesregierung in mehreren Schritten Sparrunden verordnet: zum Beispiel für 2002 3,4 Millionen € und für 2003, also das laufende Jahr, 8,1 Millionen €. Für 2004 sind 12,6 Millionen € vorgesehen, und dies nur im Bereich des Wissenschaftsministeriums. Hinzu kommen Einsparungen im Bereich des Kultusministeriums. Auch da geht es noch einmal um einen Betrag von fast 7 Millionen €.

Ich möchte Ihnen gern ein paar Beispiele nennen, was diese Einsparungen bedeuten. Sie bedeuten für die Akademie Schloss Solitude 150 000 € weniger, für die Staatsgalerie 600 000 €, für das Haus der Geschichte 400 000 €, für die soziokulturellen Zentren 170 000 €. Sie bedeuten im Bereich des Kultusministeriums zum Beispiel 2,2 Millionen € weniger für die Bereiche Jugend und kulturelle Angelegenheiten, für Volkshochschulen 1 Million € und für Musikschulen 2,5 Millionen € weniger. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Das Problem ist: Alle Einrichtungen bekommen weniger; sie sind in ihrem Bestand gefährdet. Sie müssen immer mehr in die Konkurrenz mit kommerziellen Anbietern treten, die Teilnehmerbeiträge bei den Bildungseinrichtungen steigen, künstlerische Freiräume werden geringer, und die Kulturschaffenden sind mit der Verwaltung des Mangels beschäftigt. Aus diesem Grund lehnen wir die Kürzungen mit dem Rasenmäher entschieden ab.

(Beifall bei den Grünen)

Ich möchte dies noch an zwei Beispielen begründen.

Erstens: Kommunale Theater. Herr Minister Frankenberg hat im Mai dieses Jahres gesagt, dem Rationalisierungsdruck bei personalintensiven Einrichtungen wie Theatern seien letztlich auch Grenzen gesetzt. Trotzdem müssen die kommunalen Theater ab dem nächsten Jahr mit 5 % weniger auskommen; die Kommunen können das aufgrund der Krise ihrer Finanzen nicht ausgleichen.

(Zuruf des Abg. Sieber CDU)

Die Theater haben hohe fixe Kosten, und wenn es so weitergeht, wird es langfristig dazu kommen, dass wir am Ende Theater, Bühnen, Häuser und Verwaltungen, aber keine Aufführungen mehr haben. Außerdem ist mittlerweile von Planungssicherheit keine Rede mehr. Wir wissen also nicht, was die nächste Sparrunde bringt.

Zweites Beispiel: Soziokultur. Hier werden für 53 Zentren die Zuschüsse um 10 % gekürzt. Von Augenmaß und Ver