Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Ein zweiter Punkt hat auch etwas mit dem 5. Dezember zu tun. Das ist, glaube ich, noch nicht jedem klar geworden. In einem Schreiben an den Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft in Mannheim, das der Kollege Reichardt verfasst hat, steht:

Wir haben gegen 15 Uhr am gleichen Tag in der Landtagsfraktion der CDU das Thema umfassend besprochen.

Davor führt er aus, um 11 Uhr sei das Kultusministerium informiert worden. Da muss ich natürlich schon sagen: Wenn man schon um 15 Uhr in eine Gruppe gegangen ist, die aus einer hohen zweistelligen Zahl an Personen besteht und die für mich eigentlich zur Öffentlichkeit gehört, und dort diese Sache diskutiert hat, dann hätte die Entscheidung „Gehe ich an die Öffentlichkeit oder nicht?“ eigentlich schon getroffen sein müssen. Trotzdem hat das Kultusministerium die Schulen erst um 17:07 Uhr per Mail informieren lassen. Diese zwei Stunden hätten den Schulen außerordentlich gutgetan. Sie werden mir recht geben, dass um 15 Uhr vermutlich mehr Direktoren mit ihrem Mailprogramm arbeiten als um 17 Uhr. Was wäre denn passiert, wenn man in der Regierungsfraktion CDU vielleicht zu dem Ergebnis gekommen wäre, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen?

(Zuruf des Abg. Dr. Nils Schmid SPD)

Hätten dann vielleicht die Schulleiter, die hier unter Ihnen sitzen, gesagt, sie müssten das bis zum Tag danach wieder vergessen? So geht es nicht!

(Zuruf des Abg. Winfried Scheuermann CDU)

Sie mussten bis um 15 Uhr, bevor Sie an irgendeine Öffentlichkeit gehen, klären, ob Sie das machen oder nicht. Dann hätten Sie aber den Schritt auch gleich umfassend machen müssen. Es kann nicht sein, dass das operative Arbeiten der Landesregierung davon abhängt, dass man vorher in der CDUFraktion beraten hat und anderswo nicht.

(Beifall bei der SPD)

Das ist vom Zeitablauf her das, was hier kritisiert wurde. Dazu habe ich bis jetzt noch nichts gehört. Dazu bekomme ich auch in der Stellungnahme zu unserem Antrag keine Auskunft, Herr Rau,

(Glocke des Präsidenten)

weil Sie nämlich keine genauen Uhrzeiten über diese Abläufe in die Stellungnahme hineingeschrieben haben. Das hätte uns außerordentlich interessiert.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Der Präsident hat geläutet!)

Herr Kollege Dr. Mentrup, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Vossschulte?

Ja, Frau Vossschulte, bitte.

Bitte.

Herr Abgeordneter, ist Ihnen bekannt, dass Fraktionssitzungen nicht öffentlich sind?

Ich habe vorhin gesagt – haben Sie das gehört oder nicht? –, dass wir das natürlich in der Fraktion besprochen haben, dass die Fraktion aber keineswegs entschieden hat.

Ich unterstelle, dass Sie nicht entschieden haben. Ich halte es aber für problematisch, auch wenn es eine – –

(Abg. Christa Vossschulte CDU: Das hörte sich nicht so an!)

Sie sagen, Sie könnten die Schulleiter nicht informieren, weil es dann öffentlich würde. Aber Sie stellen hier in den Raum, dass ich, wenn ich das mit einer so großen Gruppe aus dem politischen Raum diskutiere, das dann anschließend eventuell als nicht öffentlich betrachte.

(Zuruf der Abg. Ursula Lazarus CDU)

Da müssten wir mit gleichem Maß vorgehen.

(Zurufe der Abg. Heiderose Berroth und Dr. Hans- Peter Wetzel FDP/DVP)

Ich halte das für eine falsche zeitliche Reihenfolge. Ich hätte mir gewünscht, dass man dann um 15 Uhr gleich an die gesamte Öffentlichkeit gegangen wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Vossschulte, jetzt komme ich zur Vorbereitung. Sie haben mit Recht auf die gemeinsame Verwaltungsvorschrift hingewiesen. Herr Rau, Sie haben das auch getan. So gesehen waren die Schulen nicht ganz unvorbereitet.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Wir stellen aber fest – das ist auch nach dem 6. Dezember noch so gewesen –, dass diese Krisenpläne in vielen Schulen ausgefüllt waren, dass darin Adressen und Telefonnummern der Elternbeiratsvorsitzenden und vieler anderer am Schulleben Beteiligter drinstehen, dass es aber in der Schule selbst mit den Beteiligten noch nicht so diskutiert wurde. Zum Teil wussten die Eltern gar nichts davon, dass sie in diesen Krisenplänen stehen. Insofern ist einfach noch einmal unser dringender Appell – –

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Dann wenden Sie sich bitte an die jeweilige Schule! Das ist die Pflicht der Schulen, nicht des Kultusministeriums! Herr Dr. Mentrup, benennen Sie die Schulen! Dann gehen wir der Sache nach! Das ist völlig unverantwortlich!)

Das ist jetzt keine parteipolitische Auseinandersetzung. Nehmen Sie doch meinen Ton jetzt einmal positiv an, Herr Röhm.

Ich möchte nur an Sie alle appellieren, nicht nur abzufragen, ob die Krisenpläne ausgefüllt wurden, sondern auch, ob man es vor Ort mit den Beteiligten diskutiert hat. Wir würden sonst eine ganz andere Diskussion führen. Insofern hat Frau Vogt in Bezug auf diesen Tag durchaus recht. Im Nachhinein geben Ihnen die Abläufe insofern ein Stück weit recht, als nichts passiert ist. Aber wenn aufgrund einer Panikreaktion eines Elternteils oder eines Schülers irgendetwas passiert wäre, wür

den wir dieselbe Sache hier unter ganz anderen Vorzeichen diskutieren.

Frau Vossschulte, wenn für den Fall eines konkreten Anlasses, der Ankündigung eines Amoklaufs an einer Schule, hier drinsteht, man solle alle Schulklassenzimmer abschließen, dann kann ich bei einem so unspezifischen Verdacht wie an diesem 6. Dezember nicht erwarten – und das hat vielerorts Panik ausgelöst –, dass man bei 4 500 Schulen alle Klassenzimmer abschließt. Das halte ich für die falsche Reaktionsweise.

(Abg. Christa Vossschulte CDU: Das muss man doch nicht machen! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ab- zuschließen ist unter Umständen auch falsch!)

Schauen Sie sich die Mail an, die dann an die Schulen verschickt wurde. Sie, Herr Rau, haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Sie nur die Informationen des Innenministeriums weitergegeben haben. Zu Ihren konkreten Vorschlägen an die Schulen steht nur drin:

Das Kultusministerium bittet die Schulleitungen, die schulische Situation besonders sorgfältig zu beobachten und bei Auffälligkeiten gegebenenfalls umgehend mit der örtlichen Polizeidienststelle Kontakt aufzunehmen.

Wenn man weiß, dass diese Krisenpläne zweieinhalb Monate vorher überhaupt zum ersten Mal veröffentlicht wurden, wenn man weiß, dass sie noch nicht an allen Schulen umfassend diskutiert werden, und wenn man sich in einer langen und schwierigen Abstimmung dann darauf verständigt, abends an die Schulen zu schreiben, hätte ich erwartet, dass man dort auch Handlungsanweisungen gibt und es nicht jeder Schule ein Stück weit allein überlässt, wie sie reagiert. Da sind zum Teil absurde Dinge abgelaufen, die Gott sei Dank zu keinen Schwierigkeiten und Schäden geführt haben. Aber es hätte auch durchaus anders sein können.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Es gibt kein Sche- ma!)

Jetzt noch eine letzte Bemerkung – Sie geben mir schon zu Recht ein Blinkzeichen, Herr Präsident –, und diese meine ich ernst: Es ist richtig, zum Thema Gewaltprävention mehr zu unternehmen. Viele Kommunen bringen selbst eigene Finanzmittel auf, um Gewaltpräventionsprogramme an den Schulen durchzuführen, oder akquirieren Drittmittel dafür. Es ist auch richtig, die Zahl der Schulpsychologen zu erhöhen. Das hat alles etwas damit zu tun, dass an Schulen expansiv Gewalt entsteht und dass die Schulen Schulpsychologen aus den staatlichen Stellen heranziehen und in einen solchen Prozess einschalten.

(Zuruf der Abg. Christa Vossschulte CDU)

Bei dem Thema der Täterpersönlichkeiten von Amokläufern kommen wir allein mit diesen Mitteln nicht aus. Wenn Sie die Zeitungsberichterstattung der letzten Wochen zum fünften Jahrestag des Geschehens in Erfurt gelesen haben, dann erkennen Sie daraus sehr deutlich: Es ist ein Schüler gewesen, der wegen disziplinarischer Maßnahmen ein halbes Jahr vorher von der Schule ausgeschlossen wurde. Es sind die Stillen, es sind die, die zunächst in ihrer Videowelt in die Aggression flüchten, die eben nicht vor Ort in der Schule aggressiv sind,

sondern eher die Gehemmten, die Stillen, die im Klassenverband oft nicht negativ auffallen. Wenn Sie diese Personen, sofern Sie sie überhaupt, um ihnen zu helfen, kennenlernen können, erreichen wollen, brauchen Sie Know-how vor Ort an der Schule. Sie brauchen die kleinen Hinweise, Sie brauchen das Gefühl, wer in einen Klassenverband integriert ist und wer nicht. Das können die Schulpsychologen an zentraler Stelle nicht leisten.

(Glocke des Präsidenten)

Insofern ist das, wenn man das Thema Amoklauf wirklich angehen will – sofern man das überhaupt kann;

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Eben!)

ich schränke das ein –, ein dringendes Plädoyer, wieder sozialpädagogische Kompetenz an die Schule vor Ort zu bringen, wo man die Atmosphäre selbst spürt, wo man die Kinder kennenlernen kann und dann vielleicht die eine oder andere dieser Personen anspricht. Und es ist ein Appell, dass wir unser Bildungssystem so eng stricken müssen, dass jemand auch dann, wenn er aus der Schule verwiesen worden ist, nicht in seine eigene und möglicherweise von Videospielen durchsetzte Welt zurückfällt.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege!

Ich bin am Ende.

Sie sagen das schon seit zwei Minuten.

(Heiterkeit – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Du bist schon längst über das Ende hinausgesprungen!)