(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Kindergeld ab- schaffen, oder?)
Meine Damen und Herren von der CDU, es ist völlig klar: Die These des entgangenen Gewinns ist eine völlige Überdehnung des Gerechtigkeitsbegriffs. Diese These hat mit Subsidiarität nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um einen Anschlag auf die Subsidiarität, was Ihr Fraktionsvorsitzender hier macht.
Das stellt das Subsidiaritätsprinzip geradezu auf den Kopf. „Konservativ“ heißt gerade etwas anderes. „Konservativ“ heißt, die Werte, die in der Geschichte der Menschheit schon immer richtig waren, hochzuhalten. Zu diesen Werten gehört, dass Kinder ein Reichtum sind,
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Aber die, die auf Arbeit verzichten, macht es eben arm! – Zuruf des Abg. Winfried Scheuermann CDU)
Kinder können uns Dinge schenken, die wir mit noch so viel Geld nicht erwerben können. Das ist eine konservative Haltung gegenüber Kindern.
Deswegen erwarte ich von Ihnen eine klare Positionierung, wie Sie jetzt zu diesem Betreuungsgeld stehen
und wie Sie das Fass, das Sie damit aufgemacht haben – das Fass des entgangenen Gewinns –, finanzpolitisch zumachen wollen.
Der Kollege Hoffmann – man muss sich das einmal vorstellen – wirft uns gerade vor, wir könnten die Anforderungen, die wir an die Ausweitung von Kinderbetreuungsplätzen hätten, gar nicht finanzieren. In einer solchen Situation, in der es großer Anstrengungen bedarf, die Finanzierung weiterer Kinderbetreuungsangebote überhaupt zu ermöglichen, unter streicht Ihr Fraktionsvorsitzender die These des entgangenen Gewinns.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der mächtigste Erneuerer ist die Zeit. Francis Bacon schrieb dem Gang der Dinge eine Kraft zu, die sachte, aber unwiderstehlich auf Veränderungen drängt.
Wie wir heute Vormittag gehört haben, drängt die Forderung nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf ebenfalls unwiderstehlich nach Veränderung und, wie ich meine, auch auf deren Realisierung. Keine Kommune, kein Landkreis, kein Bundesland, aber auch kein Arbeitgeber kann es sich heute noch erlauben, sich dieser Forderung zu entziehen. Die Zukunftsfähigkeit unseres Landes hängt entscheidend davon ab, wie wir den Familien ein gutes und lebenswertes Umfeld bieten. Familienfreundlichkeit ist heute ein international anerkannter Standortfaktor.
Ohne eine wirklich gute Betreuungsmöglichkeit, auch für Kinder unter drei Jahren, hat die Universität Schwierigkeiten, international bekannte Wissenschaftler oder Gastwissenschaftler zu engagieren.
Der neue Oberbürgermeister von Heidelberg, Dr. Eckart Würzner, hat dies wohl gesehen und hat, so meine ich, ein gutes liberales Programm übernommen, das ursprünglich in Ham
Herr Kollege Kretschmann, bei den Gutscheinen geht es wirklich um Betreuung und nicht um eine Alimentierung, wie Sie es gerade angesprochen haben, die dann gegeben wäre, wenn diejenigen, die Geld bekommen, die Betreuung gar nicht in Anspruch nehmen würden.
Nach dem Vorschlag von Heidelberg bekommt jemand, der Kinder hat, die unter drei Jahre alt sind und die er zu einer Tagesmutter geben oder in eine Kinderkrippe schicken will, pro Kind pro Monat einen Gutschein von 200 €. Dieser Anspruch entfällt erst ab einem Familienbruttoeinkommen von mehr als 7 000 €. Die Zuschüsse für die freien Träger werden ebenfalls um 50 % erhöht.
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass Heidelberg und andere Städte – unter anderem Heilbronn und Künzelsau –, die eine ähnliche Kinderförderung eingeführt haben, genau wissen, warum sie die Familien und insbesondere die Kinder unterstützen. Sie machen es meines Erachtens nicht deswegen, weil sie sonst keine Gelegenheit hätten, Geld auszugeben.
Familienfreundlichkeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind heute, wie ich sagte, internationaler Standard. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dient aber auch der bestmöglichen Ausnutzung des Arbeitskräftepotenzials. Familiengerechte Lebens- und Umweltbedingungen sind probate Mittel, dem zukünftigen Fachkräftemangel zu begegnen.
Die Mitarbeiter suchen ihre Arbeitgeber zwischenzeitlich u. a. danach aus, bei wem sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich realisieren können. Nicht zuletzt aus eigenem wirtschaftlichem Interesse sollten daher die Arbeitgeber diese Anforderungen mit einer familienbewussten Personalpolitik aktiv unterstützen.
Beispielhaft möchte ich die Firma VAUDE aus Tettnang nennen. Dieses Unternehmen hat 2001 sein Kinderhaus geschaffen. Darin werden Kinder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch Kinder aus Tettnang und Umgebung betreut, und zwar Kinder im Alter von einem Jahr bis zehn Jahren. Das Unternehmen hat erkannt, dass auch in ländlichen Gegenden und Regionen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schwer zu realisieren ist. Wenn also immer wieder gesagt wird, auf dem Land sei alles noch in Ordnung, so stimmt dies einfach nicht. Es kommt auf die jeweilige Situation an. Das Unternehmen hat die Konsequenzen zuvor gespürt, wenn es z. B. eine gute Mitarbeiterin verloren hat, die trotz Kind zwar weiterarbeiten wollte, es aber aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten nicht konnte.
Die heutigen Ergebnisse bei VAUDE können sich sehen lassen. Dort ist – wie mir gesagt wurde und wie ich es schriftlich habe – ein regelrechter Babyboom ausgebrochen. Dies zeigt sich im Vergleich der Geburtenquote 2004 mit dem Bundesdurchschnitt. Deutschlands Geburtenquote lag 2004 bei 8,7
Kindern pro 1 000 Einwohner. Bei der Firma VAUDE lag die se Quote – natürlich hochgerechnet – bei 35 Kindern pro 1 000 Einwohner. Das heißt, es ist eine Vervierfachung. Damit ist die Firma VAUDE heute meines Erachtens sicherlich auch in diesem Punkt „Marktführer“. Das war bei dieser Firma nicht immer so. In den Jahren 1999 und 2000 lag die Quote hochgerechnet noch bei fünf Kindern pro 1 000 Einwohner. Die Steigerung zwischen 2001 und 2005 ist evident.
Meine Damen und Herren, was ich damit sagen will: Die geringe Kinderquote, über die wir uns in der Bundesrepublik immer beschweren, ist nicht gottgegeben oder unveränderbar. Sie ist durch aktive Familienpolitik tatsächlich ganz entscheidend veränderbar, meine Damen und Herren. Daran sollten wir arbeiten.
Die Maßnahmen der Firma VAUDE zeitigen aber noch ganz andere Resultate. Es wird berichtet, dass sich das Betriebsklima wesentlich verbessert hat, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seltener krank sind und dass sie länger im Betrieb arbeiten, sodass die Fluktuation wesentlich geringer geworden ist. Außerdem, meine Damen und Herren, ist der Anteil der Frauen in Leitungspositionen wesentlich höher als im Bundesdurchschnitt.
Meine Damen und Herren, alle in Politik und Wirtschaft tätigen Personen und Organisationen müssen meines Erachtens zusammenarbeiten, um in Baden-Württemberg eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sich die Verantwortlichen hinsichtlich dieses Problems und der damit verbundenen Aufforderung teilweise gewissermaßen die Bälle gegenseitig zuschieben. Die Kommunen verweisen auf den Landkreis; der Landkreis verweist auf das Land; das Land verweist auf die Kommunen und Kreise. Man schiebt sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Das ist meines Erachtens der falsche Weg. Wir müssen gemeinsam versuchen, aus dieser Geschichte herauszukommen.
Wir wollen, meine Damen und Herren, den Menschen aber auch nicht vorschreiben, dass sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren müssen. Wir wollen den Eltern vielmehr die Möglichkeit geben, selbst zu wählen und sowohl Familie als auch Beruf zu realisieren. Wir dürfen die Mütter und Väter weder in die eine noch in die andere Rolle zwingen.
Insbesondere dürfen wir den jungen Frauen nicht das Gefühl geben, sich zwischen Beruf und Familie entscheiden zu müssen. Die Alternative darf nicht lauten „Kind oder Beruf“. Vielmehr muss „Beruf und Kind“ möglich sein.
Ein weiterer Grund, weshalb wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dringend realisieren müssen, ist die steigende Anzahl der alleinerziehenden Väter und Mütter. Ein Drittel aller Ehen in der Bundesrepublik werden geschieden. Daraus
resultieren teilweise dann alleinerziehende Väter und Mütter. Wenn diese alleinerziehenden Väter und Mütter nicht selbst arbeiten können und damit nicht selbst dafür sorgen können, dass sie ein eigenes berufliches Einkommen haben, sind sie auf die Hilfe des Staates angewiesen. Wir sind dann aufgerufen, diesen Personen Transferleistungen – besser gesagt: Sozialhilfe – zu zahlen. Meines Erachtens ist es aber wesentlich sinnvoller, alleinerziehenden Vätern und Müttern die Möglichkeit zur Berufstätigkeit zu geben, während sie die Kinder gut versorgt wissen.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur eine humane, sondern auch eine ökonomisch sinnvolle Forderung. Wenn wir Männer und Frauen gleich gut ausbilden – und eine gute Ausbildung von Menschen beiderlei Geschlechts ist der kostbarste Rohstoff in unserem ressourcen- und kinderarmen Land –, dann ist es doch unverständlich, wenn Eltern nach der Geburt eines Kindes gesagt wird: „So, jetzt muss einer von euch zu Hause bleiben und sich um das Kind kümmern!“
Wenn sich junge Menschen in ihrem Beruf wohl fühlen und sich darin verwirklichen können, ist es unmenschlich, zu sagen: „Bleib du jetzt zu Hause!“ Damit würde die gesamte Investition, die in die Ausbildung gesteckt wurde, nutzlos und wertlos. Damit würden wertvolle Ressourcen vergeudet.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Nur dann, wenn in jeder Kommune ausreichend viele und qualitativ hochwertige Betreuungsangebote vorhanden sind, können Mütter und Väter ohne Sorge um das Wohl ihrer Kinder ihrer Berufstätigkeit nachgehen. Dies hilft nicht nur den Vätern und Müttern, sondern uns allen, meine Damen und Her ren, weil wir unser Land dadurch in einem entscheidenden Punkt voranbringen und es international wettbewerbsfähiger machen.