Protokoll der Sitzung vom 19.12.2007

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Grund, warum wir heute über den Mindestlohn diskutieren. Dazu haben wir hoffentlich klare Antworten gegeben.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/ DVP: Und deswegen helfen Sie dem armen Herrn Zumwinkel? – Abg. Ute Vogt SPD: Dass Leute für 5 € schaffen müssen, das kann doch niemand guthei- ßen! Und wir zahlen es mit Steuergeldern! – Gegen- ruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Wir kommen jetzt zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung des Antrags der Fraktion der SPD, Drucksache 14/1803. Es ist Abstimmung begehrt. Wer für diesen Antrag ist, der möge bitte die Hand erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

(Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Punkt 5 der Tagesordnung ist damit erledigt.

Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 8:

a) Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion GRÜ

NE und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – „Global Marshall Plan“-Initiative in Baden-Württemberg – Drucksache 14/1201

b) Große Anfrage der Fraktion der CDU und Antwort der

Landesregierung – Entwicklungszusammenarbeit aus Baden-Württemberg – Drucksache 14/1265

c) Antrag der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme

des Wirtschaftsministeriums – Neue Partnerschaft mit Afrika; Besuch von Ministerpräsident Oettinger in Südafrika – Drucksache 14/1742 (geänderte Fassung)

Das Präsidium hat eine Aussprache mit einer Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt. Die Redezeiten müssen nicht ausgeschöpft werden, sagt gerade unser Kollege Schriftführer.

(Heiterkeit des Abg. Rudolf Hausmann SPD)

Das wollte ich hier auch noch sagen.

Wer möchte zu diesem Punkt sprechen? –

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Niemand!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Hausmann das Wort.

(Abg. Ute Vogt SPD: Das ist heute sein Tag!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind an einem Punkt angelangt, bei dem es ein paar Gemeinsamkeiten mehr gibt als beim vorherigen Thema.

Wer von uns 1950 zur Welt kam, wurde in eine Welt mit 2,5 Milliarden Menschen hineingeboren. Heute hat er 6,5 Milliarden Menschen um sich herum, und in weiteren 50 Jahren, 2050, werden 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben.

Europa, Nordamerika und Japan haben in dieser Zeit ihren Wasserverbrauch verdreifacht, den Ausstoß von CO2 vervierfacht und betreiben fünfmal so viel Fischfang, und die Güterproduktion wird sich weltweit um das Siebenfache erhöht haben. Die ökologische Basis dafür ist deutlich geringer geworden.

Durch Transport, durch Kommunikationswege, durch die Entwicklung neuer Technologien ist die Lebensweise bei uns, in den reichen Ländern, sichtbar geworden für die Menschen, die anders und in deutlich schwierigeren Verhältnissen leben. Das hat etwas mit Globalisierung und teilweise zumindest auch mit Transparenz zu tun.

Wenn wir uns die Welt als ein Dorf mit 1 000 Bewohnern vorstellen, dann finden wir als erstes ein Segment von 200 Bewohnern vor, zu denen auch ein Superreicher zählt, dem 30 % von allem, entsprechend auch von der Fläche, gehören. Diese ersten 200 haben Villen, Luxusmalls und ein bis drei Autos pro Familie. Dann kommt der große Mittelstand mit 400 Leuten. Dieser Mittelstand zeichnet sich nicht wie bei uns dadurch aus, dass er über ein Auto verfügt, sondern dadurch, dass er irgendwo am Rande des Dorfes mit drei Ziegen und fünf Hühnern arbeitet. Außerdem haben wir noch die Gruppe der Armen mit 400 Leuten, von denen wiederum die Hälfte ganz Arme sind mit hohen Sterblichkeitsraten, Kindersterblichkeit, Krankheiten etc.

Wenn man sich anschaut, dass die ganz Armen, die sozusagen am Rande der Müllkippe leben, ihr Baumaterial daraus holen, ihre Nahrung daraus holen, ihre Freizeit u. a. mit Fernsehen verbringen und dass auf ihrem Dorfplatz möglicherweise ein wackeliger Fernseher steht, der „Seifenopern des Lebens“ sendet und die Lebenswirklichkeit – oder das, was dafür gehalten wird – der anderen 600 reproduziert, dann darf man sich nicht wundern, dass dadurch ein Trend entsteht, dem nachzueifern. Ich habe Ihnen vorhin schon gesagt: Wir haben die Situation, dass der „ökologische Fußabdruck“ dramatisch zu groß ist, das heißt der Verbrauch heute schon viel zu groß ist im Vergleich zur Ressource, und dass wir einen Ausgleich schaffen müssen. Dieser Ausgleich darf jedoch nicht dadurch hergestellt werden, dass wir sagen: „Die anderen dürfen nun nicht die Entwicklung durchmachen, die auch wir durchlaufen haben“, sondern er muss von gleichen Voraussetzungen für alle ausgehen und sich von der Maxime leiten lassen: Was ich tue, das kann auch zum Gesetz erhoben werden, oder – das Ganze in globalisierter Darstellung –: Was wir als reiche Staaten tun, müssen auch ärmere Länder oder Schwellenländer machen können.

Diese Entwicklung – es geht auch um einen demokratischen Zugang, einen sozialen Zugang – erfordert eine ganze Serie von Maßnahmen. Wenn ich nur einmal die übergeordneten Ziele betrachte, die in dem jeweiligen Land wirksam umgesetzt werden sollen, dann heißt das – da sind wir uns Gott sei Dank einig –: Wir brauchen so etwas wie einen Marshallplan. Ich unterstütze ihn ja nicht komplett, aber immerhin enthält er als Punkt 1 die Millenniumsziele, also Abbau von Hunger, Grundschulbildung für alle, Gleichstellung, Senkung der Kindersterblichkeit, Verbesserung der Gesundheit der Mütter, Bekämpfung von Krankheiten, Nachhaltigkeit etc. Das sind Ziele, die man umsetzen muss, und zwar mit einer relativ hohen Geschwindigkeit. Die UN haben beschlossen, dies bis 2015 umzusetzen.

Zum Zweiten brauchen wir pro Jahr 100 Milliarden € mehr Geld, damit die Ziele überhaupt umsetzbar sind. Diese Länder benötigen 100 Milliarden € mehr, damit sie überhaupt die Voraussetzungen bekommen, die Millenniumsziele umzusetzen.

Wir brauchen drittens konkrete Maßnahmen, um diese Ziele zu erreichen. Da ist die Tobin-Steuer in der Diskussion, für die Gott sei Dank in der Zwischenzeit ganz viele Wirtschaftsleute plädieren, u. a. auch bei uns in Baden-Württemberg Professor Rademacher, der Vorsitzende des Bundesverbands für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft, der ein ganz klares Votum dafür abgibt. Er sagt: Ein Steuersatz von einem Zehntausendstel, also 0,01 %, je finanzieller Transaktion bringt insgesamt 30 Milliarden €. Jetzt sage ich Ihnen: 0,03 % brächten also bereits fast 100 Milliarden. Ich vereinfache das jetzt einmal. Was internationale Finanztransaktionen anbelangt, kann man das ja hochrechnen: Bei 10 000 € geht es um insgesamt 3 Cent. Das wäre die Größenordnung, um das Problem zu erledigen. Das ist bei uns derzeit leider noch nicht möglich. Es ist aber möglich, dass einem armen Afrikaner, der hier lebt und seiner Familie, die zu Hause Hunger leidet, 200 € schicken will, 50 € für die Transaktion abgeknöpft werden. Dann sind es plötzlich 25 %; das ist bei uns möglich. Also muss sich in dieser Richtung deutlich etwas verändern.

„Ökosozial statt marktradikal“ steht auf der Agenda. Das wird – zumindest verbal – übrigens Gott sei Dank von allen Parteien so unterstützt. Ich denke, wir in Baden-Württemberg müssen uns folgende Gedanken machen: Es gibt da ganz viele Akteure, z. B. Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Ministerien etc. Das will ich jetzt gar nicht bewerten; so viel Zeit will ich mir jetzt nicht nehmen. Es finden bei uns also ganz viele Aktivitäten statt. Wir meinen, diese Aktivitäten müssen klar gebündelt und auf einen roten Faden hin konzentriert werden. Es muss fühlbar werden, welche Teilaufgabe wir in Baden-Württemberg – auch wenn wir natürlich nicht vorrangig zuständig sind, sondern die Kompetenz für die Entwicklungshilfe beim Bund liegt – erfüllen und welche Maßnahmen wir umsetzen wollen. Wenn man alle Anträge betrachtet, die heute vorliegen, meine ich, dass wir schon relativ weit gekommen sind.

„Durchsetzung der weltweit vereinbarten Millenniumsziele“ steht in den Initiativen von CDU und FDP/DVP. Prima! Das unterstützen wir. Wir werden auch den Antrag der Koalitionsfraktionen, Drucksache 14/2165, unterstützen.

(Zuruf von der FDP/DVP: Sehr gut!)

Wir unterstützen natürlich das Bestreben, im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie der Entwicklungszusammenarbeit eine herausragende Stellung einzuräumen. Das Gleiche gilt für den hohen Stellenwert der Entwicklungszusammenarbeit und die Äußerungen zu Burundi.

Noch einmal: Ich glaube, wir werden fokussierter arbeiten müssen und werden die Kräfte, die wir haben, bündeln müssen, damit auch für die Menschen in Baden-Württemberg spürbar wird, was sich insgesamt tun muss, damit unser Tun gelingt.

Im Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion GRÜNE ist der „Global Marshall Plan“ enthalten, den Sie derzeit ablehnen. Wir bitten darum, die Anträge noch in den Ausschüssen zu beraten.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Okay!)

Die SPD-Fraktion wird auch Ihrem Antrag zustimmen, weil das ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung ist. Da

für, dass wir bis zum Jahr 2015 Ergebnisse brauchen, ist zwar noch nicht viel getan, aber ein solcher erster Schritt ist die Voraussetzung dafür, weitere Schritte hinzubekommen. Wenn wir gemeinsam in diese Richtung marschieren könnten, wäre das schön.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Splett für die Fraktion GRÜNE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn wir heute hier im Landtag eine entwicklungspolitische Debatte führen, dann ist das kein Akt vorweihnachtlicher Fürsorge, sondern geht es um ganz harte Fakten. Es geht um die Frage, wie wir die Zukunft gestalten wollen.

Dazu müssen wir uns erst einmal vor Augen führen, wie die Zustände in der Welt aussehen. Herr Hausmann hat dazu schon einiges ausgeführt; ich will noch einige Zahlen ergänzen.

Täglich sterben 30 000 Kinder an Hunger, an den Folgen schmutzigen Wassers oder an vermeidbaren Krankheiten. Der Vermögenszuwachs der etwa 800 Dollar-Milliardäre beträgt pro Jahr 300 bis 400 Milliarden US-Dollar. Die vier reichsten Menschen der Welt besitzen mehr Geld als eine Milliarde der ärmsten Menschen dieser Welt zusammen.

Für Entwicklungszusammenarbeit stehen weltweit weniger als 100 Milliarden US-Dollar bereit, während die Rüstungsausgaben 1 000 Milliarden US-Dollar betragen.

Baden-Württemberg zieht sich Jahr für Jahr weiter aus der Armutsbekämpfung und aus Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit zurück, da die Mittel als sogenannte Freiwilligkeitsleistungen zum Zweck der Haushaltskonsolidierung eingespart werden.

Die Millenniumsziele wurden im Jahr 2000 von 189 Staaten, darunter der Bundesrepublik Deutschland, als weltweite Entwicklungsziele vereinbart, die bis zum Jahr 2015 zu erreichen sind. Zu den Zielen gehören die Beseitigung der extremen Armut und des Hungers, die Verwirklichung der allgemeinen Grundschulbildung, die Gleichstellung der Geschlechter, aber auch die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit. Es geht darum, die Welt gerechter und nachhaltiger zu machen.

Die Halbzeitbilanz zeigt uns, dass wir noch weit von der Erreichung der Millenniumsziele entfernt sind und nicht im Zeitplan liegen. Einige Länder entfernen sich sogar von den Zielen. In Afrika leiden noch immer 40 % der Menschen unter extremer Armut.

Baden-Württemberg hat erklärt, hinter den Zielen der Millenniumserklärung zu stehen. Das ist gut so. Aber wenn man dahintersteht, muss man auch sagen, was man tut, um die Ziele zu erreichen. Damit sind wir bei unserem Antrag zur Unterstützung der „Global Marshall Plan“-Initiative. Der „Global Marshall Plan“-Initiative geht es darum, diese Millenniumsziele umzusetzen, die dafür notwendigen finanziellen Mittel zu erschließen und die ökosoziale Marktwirtschaft zu stärken. Die „Global Marshall Plan“-Initiative hat Wurzeln in Baden

Württemberg. Eines ihrer Gründungsdokumente ist die sogenannte Stuttgarter Erklärung. Trotzdem – und das wundert uns – hat diese Initiative bisher relativ wenig Resonanz in BadenWürttemberg und dagegen mehr Resonanz in anderen Bundesländern gefunden. Fast alle österreichischen Bundesländer haben Beschlüsse zur Unterstützung der Initiative gefasst, und auch der Thüringer Landtag hat dies getan. Erst vor wenigen Wochen hat die Stadt München einen entsprechenden Beschluss gefasst.