Protokoll der Sitzung vom 22.04.2009

Erstens: Im Hinblick auf die Erfüllung der Fünfprozentquote gab es immer wieder die Frage: Wie viel davon sind tatsächlich Neueinstellungen, und wie viele von diesen 5 % sind leider während ihres Berufslebens schwerbehindert geworden?

Zweitens: Insgesamt wird die Förderung der Einstellung von Menschen mit Behinderungen dadurch unterstützt, dass es ein Umlagesystem gibt. Ich habe im Finanzausschuss schon einmal angeregt, dass die Landesregierung darüber nachdenken möge, ein solches System auch zwischen den Ministerien einzuführen, um alle Ministerien über die 5 % zu bekommen, weil dadurch die Quote insgesamt höher würde. Denn tatsächlich sieht es so aus, dass junge Menschen, die eine Schwerbehinderung haben, in aller Regel keine Beschäftigung finden.

Auf der einen Seite kann man sich durchaus loben, wenn man etwas Gutes tut, aber man muss doch zur Kenntnis nehmen, dass diese Gesellschaft für die Menschen, die mit Behinderungen zur Welt kommen oder in jungen Jahren Behinderungen erwerben, nicht viel übrig hat.

Bitte schön, Herr Staatsekretär.

Liebe Frau Kollegin Rudolf, Ihre Einschätzung, die Sie im letzten Satz zum Ausdruck gebracht haben, diese Gesellschaft habe für junge behinderte Menschen nicht viel übrig, teile ich überhaupt nicht. Aus meiner Arbeit als Beauftragter der Landesregierung für die Belange behinderter Menschen weiß ich, dass gerade für junge behinderte Mitbürgerinnen und Mitbürger – Kollege Dr. Noll wird mir dies bestätigen können –

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ja!)

sehr viel getan wird. Ich möchte an dieser Stelle ganz ausdrücklich all den Gruppierungen danken, die sich dafür einsetzen, dass diese Menschen in Arbeit und Brot kommen.

Natürlich ist es nicht ganz einfach. Das liegt in der Natur der Sache. Je schwerer die Behinderung ist, desto schwerer ist es natürlich auch, diesen Menschen einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Ich habe jetzt keine exakten Zahlen vorliegen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass auch und gerade im öffentlichen Dienst Ausbildungsplätze für Behinderte zur Verfügung gestellt werden.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Würden Sie mir bitte nachreichen, wie viele das sind?)

Ich kann versuchen, das zu erheben, und werde es Ihnen dann gern persönlich zur Verfügung stellen. Das ist überhaupt kein Thema. Sofern wir das erfasst haben, bekommen Sie das selbstverständlich.

Nun zu dem anderen Punkt, den Sie angesprochen haben. Das betrifft wahrscheinlich das Thema Ausgleichsabgabe. Ich halte nichts davon, zu sagen: „Wir scheren jetzt alle Ministerien über einen Kamm.“ Jeder, der die Pflichtquote nicht erreicht, muss ja in entsprechendem Umfang eine Ausgleichsabgabe bezahlen. Sie wissen vielleicht, dass wir dabei in BadenWürttemberg insgesamt 80 Millionen € einnehmen – weniger aus dem öffentlichen Dienst, sondern vielmehr aus den privaten Beschäftigungsverhältnissen. Das sind 80 Millionen €, die den Behinderten wieder zugutekommen.

Wir als Land Baden-Württemberg – da wird sich der Finanzminister freuen – müssen jetzt aufgrund dessen, dass wir die Quote nahezu überall erfüllen, fast keine Ausgleichsabgabe mehr bezahlen.

Ich sehe überhaupt keinen Sinn darin, einen interministeriellen Ausgleich herbeizuführen, wie Sie das jetzt vorgeschlagen haben. Ich denke, so, wie die Regelungen sind, sind sie durchaus gut und sachgerecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Mielich. Aber bitte fassen Sie sich kurz.

(Abg. Stefan Mappus CDU: Die Stunde ist um! Die Stunde ist schon lange um! – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: 67 Minuten haben wir schon!)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sie haben genau das Thema angesprochen, das mich besonders interessiert. Es wird kaum noch erforderlich, die Ausgleichabgabe zu zahlen. Auf der anderen Seite heißt das aber auch, dass für die Integrationsprojekte, die aus dieser Ausgleichsabgabe finanziert werden, zunehmend weniger Geld da ist. Ich stelle die Frage: Gibt es Bestrebungen der Landesregierung, die Finanzierung der Integrationsprojekte auf andere Füße zu stellen?

Liebe Frau Kollegin Mielich, Ihre Frage kann ich kurz und bündig beantworten: Es gibt keine Bestrebungen, an dem System der Ausgleichszahlungen auch nur irgendetwas zu ändern. Denn dieses Ausgleichssys tem hat sich absolut bewährt. Wir sollten auf der einen Seite ja froh sein, wenn behinderte Menschen einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen. Ich spreche die Betriebe und Unternehmen draußen im Land häufig darauf an.

Die Kehrseite der Medaille ist aber die: Wenn dieser Arbeitsplatz durch einen behinderten Menschen besetzt werden kann, dann kann es nicht sein, dass der Arbeitgeber zusätzlich noch eine Ausgleichsabgabe zu leisten hat. Ich denke, es ist insgesamt ausgewogen, und wir sollten es daher bei diesem System belassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Ul- rich Noll FDP/DVP: Das macht doch auch Sinn!)

Vielen Dank. Die Regierungsbefragung ist damit beendet.

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD,

der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der FDP/DVP – Bestellung eines Sonderausschusses „Konsequenzen aus dem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen: Jugendgefährdung und Jugendgewalt“ – Drucksache 14/4325

b) Wahl der Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder

des Sonderausschusses

Das Präsidium hat festgelegt, dass eine Aussprache mit einer Redezeit von fünf Minuten je Fraktion geführt werden soll.

Ich erteile Herrn Abg. Palm das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Genau sechs Wochen ist es her, dass uns die schreckliche Gewalttat von Winnenden und Wendlingen aus unserem geordneten Alltag gerissen und bis ins Mark getroffen hat. Tränen, Trauer, Schock standen uns allen ins Gesicht geschrieben. Wir weinten um die Opfer, fühlten mit den Angehörigen, Freunden, Mitschülern und Lehrern und konnten das Unfassbare nicht begreifen.

Die tiefe Betroffenheit und das Entsetzen haben teilweise zu Sprachlosigkeit, Aktionismus oder Überreaktionen geführt.

(Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Nicht so, meine Damen und Herren, im Landtag von BadenWürttemberg. Wir alle haben uns gemeinsam mit der Landesregierung entschlossen, die grausame Tat in ihrem ganzen Umfang von den Ursachen über den Tathergang bis hin zu den polizeilichen Ermittlungen gründlich zu analysieren und Konsequenzen daraus zu diskutieren.

Die Konsequenzen, werte Kolleginnen und Kollegen, werden umso wertvoller sein, je durchdachter und fundierter sie ermittelt werden.

Getragen von der unendlichen Trauer um die Opfer, von der über den Tag hinaus bestehenden Solidarität mit den Angehörigen und von der uns übertragenen Verantwortung für unsere Gesellschaft haben sich alle vier Fraktionen des Landtags auf einen gemeinsamen Antrag zur Einsetzung eines Sonderausschusses verständigt. Unter Einbeziehung des Berichts der bereits mit Hochdruck arbeitenden Arbeitsgruppe der Landesregierung sollen bis zum Jahresende ganz konkrete politische Beschlussempfehlungen für den Landtag als Konsequenz aus dem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen erarbeitet werden.

Der gemeinsame Antrag als Signal der Geschlossenheit und Einigkeit in grundlegenden Fragen über den Zusammenhalt unserer Gesellschaft – und dazu, meine Damen und Herren, gehört ohne Zweifel der staatliche Schutz der Bürger vor Gewalt – ist die beste Basis für eine zielgerichtete Ausschussarbeit und ein deutlich sichtbares Zeichen für ein Funktionieren der demokratischen Grundsätze in unserem Land.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Die Menschen in Baden-Württemberg hätten nämlich keinerlei Verständnis für eine Aufarbeitung der furchtbaren Geschehnisse vor dem Hintergrund partei- oder wahltaktischer Überlegungen.

Signale zum Konsens haben alle Fraktionen ausgesandt. Dafür danke ich ausdrücklich. Auch der Respekt vor den Leis tungen der Lehrerinnen und Lehrer, der Polizei und der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die während und nach dem Amoklauf vielfach bis an die eigenen Grenzen der Belastbarkeit und noch darüber hinaus gegangen sind, verbietet es, etwas anderes als eine objektive Betrachtung der Geschehnisse in einer Kultur der gegenseitigen Achtung und Akzeptanz durchzuführen.

Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung. Der diesen gemeinsamen Antrag tragende Geist war für mich wichtige Trieb feder zum persönlichen Engagement im Sonderausschuss. Da

rüber hinaus habe ich mich im Ständigen Ausschuss schon seit Längerem mit dem Bereich „Jugend und Medien“ befasst. Als Wahlkreisabgeordneter von Winnenden besteht überdies eine besondere Nähe zu den Ereignissen und den so schwer betroffenen Menschen. So habe ich die gestrige Wahl zum designierten Ausschussvorsitzenden durch meine Fraktion im vollen Bewusstsein der großen Verantwortung für eine inhaltlich und atmosphärisch erfolgreiche Arbeit angenommen.

Offenheit, Transparenz, die Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik sowie ein Eingehen auf die berechtigten Anliegen der Betroffenen sind mir dabei besonders wichtig.

Gleich im Anschluss werde ich mich zusammen mit den Ausschussobleuten aller vier Fraktionen mit Vertreterinnen und Vertretern des Aktionsbündnisses aus Winnenden treffen, um die Gedanken, Wünsche und Forderungen der Eltern, die ein Kind durch den Amoklauf verloren haben, ganz direkt in unsere Arbeit einfließen zu lassen.

Meine Damen und Herren, dieser Sonderausschuss wird keine Alibiveranstaltung werden. Allein der persönliche Anspruch aller designierten Ausschussmitglieder und der durch den gemeinsamen Antrag formulierte politische Wille zum Handeln sind dafür zu groß. Die Erwartungshaltung darf auf der anderen Seite aber auch nicht so hoch gesetzt werden, dass der Eindruck entsteht, durch die Ergebnisse des Sonderausschusses allein könnten zukünftige Amokläufe verhindert oder deutlich unwahrscheinlicher werden. Dieser Ausschuss ist e i n e Plattform für eine politische und gesellschaftliche Diskussion, der wir uns alle noch weitaus intensiver als bisher und weit über die Grenzen des Landtags hinaus zu stellen haben.

Der Ausschuss soll dabei quasi die Funktion eines Katalysators haben. Wir brauchen eine ganz breite Debatte über die Ursachen einer zunehmenden Gewaltbereitschaft unter jungen Menschen und über wirksame Möglichkeiten für die Prävention davor. Nur wenn es uns gelingt, einen breiten gesellschaftlichen und parteiübergreifenden Konsens herbeizuführen, nur wenn es uns gelingt, den Schwarzen Peter nicht von den Eltern zu den Lehrern, von der Politik zu den Medien und vice versa zu verschieben, können Staat und Gesellschaft ihrer Pflicht in diesem existenziellen Bereich gerecht werden.

Wir dürfen uns dabei von der Komplexität der Aufgabe und der Vielzahl der Einflussfaktoren nicht entmutigen lassen. Meine Hoffnung ist, dass der Sonderausschuss und wir alle im Landtag von Baden-Württemberg einen wertvollen Beitrag zu einer nachhaltigen Verbesserung der Verhältnisse leis ten können.

„Was ist schon Hoffnung?“ mag sich der eine oder andere nun im Hinblick auf den Sonderausschuss fragen. Václav Havel hat einmal formuliert:

Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgehen wird, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.

So interpretiert, hege ich zutiefst die Hoffnung, dass der Sonderausschuss Sinn machen wird. Er muss Sinn machen, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abg. Altpeter das Wort.