Protokoll der Sitzung vom 22.04.2009

Mich interessiert, wie man dazu kommt, montags etwas zu fordern, was man am Freitag zuvor im Bundesrat noch abgelehnt hatte. Mich würde insbesondere interessieren, was denn für diese Kursänderung um 180 Grad über das Wochenende ausschlaggebend war.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Frau Ministerin Gönner, bitte.

Lieber Herr Untersteller, das Entscheidende ist, dass wir nicht gegen den Antrag Hamburgs gestimmt haben. Vielmehr hat sich die Landesregierung zu diesem Antrag enthalten. Eine Enthaltung – so steht es im Koalitionsvertrag – erfolgt dann, wenn es unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Landesregierung gibt.

(Lachen der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

In diesem Fall, so denke ich, steht es der Umweltministerin durchaus zu, danach weiterhin ihre Position zu vertreten.

Das ist der Grund. Wir haben nicht dagegen gestimmt. Wir haben uns enthalten. Damit müssen wir leben. Die Kollegen aus Hamburg haben auch ansonsten recht wenig Zustimmung erhalten. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen; aber dennoch darf ich als Umweltministerin weiterhin diese Forderung aufstellen.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt hierzu offenbar keine weiteren Fragen.

Ich erteile nun Frau Abg. Wonnay das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sprache ist der Schlüssel zur Bildung, ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Das ist in diesem Raum unbestritten. Wir wissen, dass wir in diesem Bereich ein enormes Problem haben. Bis zu 30 % der Kindergartenkinder – nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund – sind förderbedürftig. Diese Zahl stammt von Staatssekretär Georg Wacker und ist durch viele Untersuchungen belegt.

Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, haben angekündigt, im Bereich der Sprachförderung wesentlich mehr zu tun. Auf die Vorhaltung, dass diese wichtige Bildungsaufgabe nicht ausschließlich über die Landesstiftung zu meistern sei, sondern über den Landeshaushalt gewährleistet sein müsse, haben Sie angekündigt, Sie wollten dafür sorgen, dass jedes Kind, das nach der Sprachstandsdiagnose förderbedürftig ist, auch ein entsprechendes Förderangebot erhält.

Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Die Landesstiftung hat ihre Richtlinien verschärft, die Sprachstandsdiagnose findet mit vier Jahren statt. Nach den neuen Richtlinien jedoch soll die Sprachförderung künftig erst im Alter von fünf Jahren beginnen. Ein ganzes Jahr wollen Sie verschenken.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Unglaublich!)

Sie sind zudem nicht bereit, von der Mindestgruppengröße von sechs Kindern abzuweichen. Gerade im ländlichen Raum wird es allerdings bei ein- und zweigruppigen Betreuungseinrichtungen schwierig sein, diese Mindestgröße überhaupt zu erreichen. Sie nehmen also eine eklatante Benachteiligung des ländlichen Raums in Kauf.

Sie senken die Förderhöhe von 2 700 € auf 2 400 €. Sie vergrößern die Fördergruppe von acht auf elf Kinder, was eklatant schlechtere Bedingungen für die Sprachförderung bedeutet, und Sie streichen das, was bisher vorgesehen war, dass nämlich pro Kindergartengruppe für die Elternbeteiligung

500 € zur Verfügung gestellt werden können, obwohl die wissenschaftliche Begleitung ausdrücklich gesagt hat, wie wichtig dies ist. Entgegen allen hehren Bekundungen, Sie wollten die Sprachförderung ausweiten und wollten jedem Kind, das sprachförderbedürftig ist, ein entsprechendes Angebot machen – ich könnte Ihnen aus den verschiedenen Debatten zitieren –, verschlechtern Sie die Situation.

Das ist ein Armutszeugnis. Ich fordere Sie auf – dies ist meine Frage –, jetzt in diesem Haus darzulegen, ob Sie bereit sind, diese Verschlechterung sofort zu korrigieren, und ob Sie bereit sind, endlich über den Landeshaushalt sicherzustellen, dass wir in Baden-Württemberg für jedes Kind vom ersten Kindergartentag an ein verlässliches Sprachförderkonzept haben, so, wie es sich für ein „Kinderland“ gehören würde.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister Rau.

Frau Kollegin Wonnay, ich teile Ihre Einschätzung der Bedeutung der Sprachförderung im vorschulischen Bereich. Deswegen haben wir beschlossen, dass die Einschulungsuntersuchung ins fünfte Lebensjahr, wenn ein Kind vier Jahre alt ist, vorgezogen wird. Aber das, was Sie an zeitlicher Differenz errechnet haben, ist so nicht richtig. „Im fünften Lebensjahr“ heißt: Die Kinder sind dann vier Jahre alt, aber die Untersuchung erfolgt nicht am vierten Geburtstag, sondern im Frühjahr des jeweiligen Jahres. Insofern können die Untersuchungen, die bei festgestelltem Förderbedarf zweistufig sind – die Diagnose schließt sich ja an –, nach der Sommerpause beginnen. Dann steht ein ganzes Jahr für die direkte Förderung zur Verfügung. Das ist eine durchaus sinnvolle Abfolge von Untersuchung, Diagnose und Förderung. Da entsteht keine Lücke.

Wenn Sie jetzt die Bedingungen, die die Landesstiftung der Ausschreibung zugrunde gelegt hat, hier zitieren, dann möchte ich deutlich sagen, dass die Erfahrungen, die die Landesstiftung mit der Sprachförderung in Baden-Württemberg bisher vorzulegen hat, sehr gut sind. Damit ist das Know-how der Landesstiftung gesichert, und damit ist sie in der Lage, die notwendigen Strukturen weiter auszubauen.

Jetzt stellt sich die weitere Frage, ob sie mit den Mitteln, die im Aufsichtsrat derzeit für notwendig erachtet werden und durch einen entsprechenden Beschluss bereitgestellt worden sind, diese flächendeckende Ausweitung auch realisieren kann. Ich bin der Meinung, dass wir in diesem Bereich noch weiteren Beratungsbedarf mit der Landesstiftung haben, was die Konditionen angeht. Die Ausschreibung ist, da die Landesstiftung eine selbstständige Organisation ist – –

(Abg. Reinhold Gall SPD: Jetzt ist die Landesstiftung schuld! – Abg. Marianne Wonnay SPD: Das ist ja ein Armutszeugnis!)

Nein, sie ist nicht schuld. Vielmehr haben wir einen Beratungsbedarf in den zuständigen Gremien. Das ist alles. Ich denke, dass man auf diesen Beratungsbedarf hinweisen darf.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Das ist eine Aufgabe der Landesregierung! – Zuruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Die Landesstiftung hat diese Aufgabe nicht ohne Grund übernommen. Ich habe die Gründe gerade angeführt. Die große Erfahrung, die Tatsache, dass sie Strukturen dafür aufgebaut hat, dass sie in der Lage ist, Aus- und Fortbildung zu betreiben, all das spricht dafür, dass die Landesstiftung diese Aufgabe übernimmt. Ich bin sicher, dass wir beim Start nach der Sommerpause zu einer angemessenen Unterstützung der Sprachförderung im Land und zu ihrem landesweiten Ausbau kommen werden.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP – Abg. Marianne Wonnay SPD: Das ist nur schwach!)

Bitte, Frau Abg. Lösch. – Herr Minister, bleiben Sie bitte noch am Rednerpult stehen.

Sehr geehrter Herr Minister Rau, Sie haben gerade Ausführungen über die Wichtigkeit der Sprachförderung gemacht. Da besteht auch Einigkeit.

Die Sprachförderung bei der Landesstiftung unterliegt jetzt den neuen Sprachförderrichtlinien. Das heißt, dass künftig nur Kinder, die ein Jahr vor der Einschulung stehen, in den Genuss der Sprachförderung über die Landesstiftung kommen. Meine Frage ist: Welche Gründe haben dazu geführt, dass die Landesstiftung jetzt die neuen Sprachförderrichtlinien aufgelegt hat? Wer ist künftig für die Kinder zuständig, die bereits ab dem ersten oder zweiten Kindergartenjahr eine Sprachförderung brauchen würden?

Frau Kollegin Lösch, ich habe gerade versucht, deutlich zu machen, dass die Einschulungsuntersuchung, die Diagnose und die folgende Förderung in einem sinnvollen zeitlichen Ablauf zueinander stehen.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Also!)

Dabei bleibe ich.

Es kann durchaus sein, dass bei Kindern in einem früheren Alter medizinische Befunde auftreten, die eine zusätzliche Behandlung erforderlich machen. Das hat aber nichts mit der Sprachförderung durch die Landesstiftung zu tun. Das hat eher mit logopädischem Behandlungsbedarf oder anderem zu tun. Das ist dann eine Sache, die ausschließlich über die Gesundheitsdienste abzuwickeln ist. Das hat mit der Sprachförderung durch die Landesstiftung in diesem Sinne nichts zu tun.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Die Gründe, weshalb die Landesstiftung neue Richtlinien aufgelegt hat! Das war meine Frage!)

Das hat mit dem flächendeckenden Ausbau zu tun. Man hat sich dieser neuen, größeren Aufgabe geöffnet, indem man dafür organisatorische Voraussetzungen geschaffen hat. Es ist deutlich gesagt worden – auch in den Gremien der Landesstiftung, denen auch Vertreter Ihrer Fraktion angehören –, dass dies ein Wert an sich ist.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Jetzt geht’s aber los!)

Es könnte ja sein, dass die SPD-Mitglieder des Aufsichtsrats die Informationen weitergeben, wenn man darüber in der Sache spricht. Das wäre immerhin eine Möglichkeit.

Ich will Ihnen sagen, dass im Aufsichtsrat ausdrücklich festgehalten worden ist, dass wir mit diesen Vorgaben arbeiten und dass angenommen wird, dass dieser Betrag ausreicht. Wenn er aber nicht ausreicht, werden weitere Möglichkeiten der Finanzierung von Sprachförderung geschaffen. Das ist im Aufsichtsrat explizit gesagt worden. Es bedarf dann einer neuen Aufsichtsratssitzung, um das Ganze entsprechend anzupassen, wenn eine Anpassung erforderlich ist.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Gibt es weitere Fragen zu diesem Thema? – Bitte, Frau Abg. Wonnay.

Herr Minister Rau, das war überhaupt keine zufriedenstellende Antwort, weil Sie mit keiner Silbe darauf eingegangen sind, was Sie mit den verschärften Bedingungen anrichten. Diese sind natürlich darauf ausgelegt, mit den 8 Millionen € auszukommen.

Bisher haben Sie nach Ihren eigenen Aussagen über die Landesstiftung etwa 15 000 Kinder erreicht. Wenn jedoch – das haben Sie in Plenardebatten selbst gesagt – bei bis zu 30 % der Kinder Förderbedarf besteht, dann sind das in BadenWürttemberg nahezu 100 000 Kinder, für die es ein Angebot zu schaffen gilt.

Mit diesen Maßnahmen betreiben Sie keine Ausweitung, sondern eine Restriktion. Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie es schaffen wollen, dass jedes förderbedürftige Kind ein Angebot der Förderung erhält, und zwar zeitnah und möglichst vom ersten Kindergartentag an. Bei der Beantwortung dieser Frage können Sie sich nicht hinter der Landesstiftung wegducken. Das liegt vielmehr in der ureigenen Verantwortung der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Frau Kollegin Wonnay, Sie gehen ziemlich fahrlässig mit den Zahlen um.

(Oh-Rufe von der SPD – Abg. Marianne Wonnay SPD: Das sind Ihre Zahlen aus der Debatte, darge- stellt von Staatssekretär Wacker!)

Die Zahl der Kinder, die für die Sprachförderung im letzten Kindergartenjahr infrage kommen, haben Sie gleichgesetzt mit der Zahl der Kinder, die insgesamt den Kindergarten im Land Baden-Württemberg in allen drei Jahren besuchen.

(Zurufe von der SPD: Nein!)

Damit haben Sie eine unzulässige Verfälschung der Datengrundlage vorgenommen.