Protokoll der Sitzung vom 08.10.2009

Bitte schön.

Frau Abg. Berroth.

Frau Kollegin Rudolf, erinnere ich mich richtig, dass aus Ihrer Fraktion relativ häufig und völlig zu Recht die Forderung kommt, das Land solle Schulden abbauen? Jetzt werfen Sie uns vor, dass wir Personal abbauen. Wie hätten Sie es denn gern? Den Kuchen behalten und gleichzeitig essen, das geht leider nicht.

Eine zweite Frage noch zu dem, was Sie vorhin hinsichtlich der Ausbildungsverhältnisse gesagt haben. Ich erinnere mich sehr gut, dass Sie – vermutlich sogar Sie persönlich – vor ein bis zwei Jahren in einer entsprechenden Debatte gesagt haben: „Selbst dann, wenn wir nachher nicht einstellen können, dann bilden wir doch wenigstens aus.“ Und jetzt kommen Sie und werfen uns vor, dass wir sie nicht übernehmen. Was hätten Sie nun gern? Was ist denn richtig?

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Wider- spruch, alles Widerspruch!)

Frau Berroth, fangen wir mit dem zweiten Punkt an. Die Aussage „auch wenn Sie sie nicht übernehmen“ haben Sie von mir ganz bestimmt nicht gehört.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Aber aus Ihrer Fraktion sehr wohl!)

Nein, die Reihenfolge ist eine andere.

Es gibt natürlich Situationen, in denen ein Arbeitgeber die Verantwortung übernimmt, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, und schließlich nicht alle übernehmen kann. Vom Land oder von einem landeseigenen Betrieb als Arbeitgeber erwarte ich aber, dass er eine Aussage darüber treffen kann, warum und wie er etwas tut. Es ist Teil der sozialen Verantwortung und der Transparenz, die man diesem Haus und dem Land schuldig ist, dass man diese Dinge offenlegt und nicht versucht, sich über Anträge hinwegzumogeln und dann hier bei der Stellungnahme auch keine Auskunft dazu zu geben. So geht es nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zu Ihrer ersten Frage: Tatsächlich bauen wir Personal ab, sanieren über diesen Weg den Haushalt und stellen dann über Sachmittel befristet beschäftigtes Personal ein, weil die Arbeit nicht getan ist. Das ist einfach ein unehrliches Vorgehen. Man kann selbstverständlich für einen Abbau von Schulden und einen möglichst sparsamen Einsatz von Ressourcen sein, aber man muss auf der anderen Seite als Staat seiner Verantwortung gerecht werden und klar sagen: Wo kann ich mit diesem Personalkörper Aufgaben erfüllen, und wo mogele ich mich über Sachmittel mit befristeten oder geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen durch? So geht es eben auch nicht.

Das Land hat eine soziale Verantwortung als Arbeitgeber. Die Anfragen und die Antworten, die hier vorliegen, gelten nicht für eine Wirtschaftskrise. Die Statistik ist vielmehr rückwärtsgewandt. Wir reden hier über die vergangenen zwei, drei Jahre, und angesichts dessen, was uns auf dieser Grundlage in Zukunft in Baden-Württemberg erwartet, kann es einem nur schlecht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Veronika Netzhammer CDU: Jetzt einmal vorsichtig! Jetzt ein- mal halblang!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die beiden Anträge Drucksachen 14/3090 (berichtigte Fassung) und 14/3207 können, weil es Berichtsanträge sind, für erledigt erklärt werden. – Sie stimmen zu. Es ist so beschlossen.

Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des

Ministeriums für Arbeit und Soziales – Weiterführung der diamorphingestützten Therapie für Schwerstab hängige – Drucksache 14/3105

b) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Ministeriums für Arbeit und Soziales – Diamorphingestützte Substitutionsbehandlung in Baden-Württemberg – Drucksache 14/4788

c) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des

Ministeriums für Arbeit und Soziales – Gesetz zur diamorphingestützten Substitution – Umsetzung in BadenWürttemberg – Drucksache 14/4956

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung zu a und c fünf Minuten und die Begründung zu b fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Wem darf ich das Wort für die Fraktion GRÜNE geben? – Frau Abg. Lösch.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den vergan genen Jahren viele kontroverse Debatten über die Diamorphinvergabe an Schwerstabhängige geführt – kontroverse Debatten, die vor allem von Teilen der CDU-Landtagsfraktion oftmals mit einer Polemik geführt wurden, die mit sachlichen Argumenten nichts mehr zu tun hatte. Anstatt die Ergebnisse der Modellstudie zur Kenntnis zu nehmen, haben Sie sich lieber in Ihren ideologischen Schützengräben vergraben.

(Zurufe von der CDU)

Nun hat der Bundesrat am 10. Juli 2009 in seiner Beratung dem Gesetz zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung zugestimmt. Dieses Gesetz ist am 21. Juli in Kraft getreten und nun auch in Baden-Württemberg umzusetzen. Das ist eine gute Nachricht für die schwerstabhängigen und somit auch schwerstkranken Menschen in Baden-Württemberg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren heute u. a. über zwei Anträge der Fraktion GRÜNE. Der eine Antrag wurde im Juli 2008, der andere im Juli 2009 eingebracht. Der Antrag aus dem Jahr 2008 hat sich inzwischen erledigt, sodass wir nur noch über den Antrag aus dem Jahr 2009 diskutieren müssen.

Die Landesregierung hat über acht Wochen benötigt, um zu dem Antrag Drucksache 14/4956 Stellung zu nehmen. Ich bin mit dem Ergebnis zum großen Teil zufrieden. In diesem Fall muss man sagen, dass es sich gelohnt hat, auf die Stellungnahme zu diesem Antrag zu warten.

Für die Umsetzung der Diamorphinvergabe muss die Landesregierung nun Richtlinien erlassen. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie zeitnah – „zeitnah“ heißt für mich schnellstmöglich – eine Richtlinie erlässt, um das betreffende Gesetz nun auch in Baden-Württemberg umzusetzen.

Sie schreiben in Ihrer Stellungnahme, Sie wollten eine Richtlinie, die sowohl auf den Erfahrungen der Modellstandorte aufbaut als auch mit den anderen Bundesländern abgestimmt ist. Bisher gestaltet sich dies wohl sehr schwierig, da auf Län

derebene noch keine Einigung erzielt werden konnte. Deshalb fordere ich das Land auf, selbstbewusst genug zu sein, um zur Not eine eigene Richtlinie zu erlassen, wie es übrigens in Hessen im Augenblick geplant ist.

Was sind nun die Voraussetzungen, um Diamorphin abzugeben? Um Diamorphin abzugeben, ist Folgendes zu berücksichtigen: Es muss nachgewiesen sein, dass die Einrichtung in das örtliche Suchthilfesystem eingebunden ist. Es muss gewährleistet sein, dass die Einrichtung über eine zweckdienliche personelle und sächliche Ausstattung verfügt, und es muss eine sachkundige Person benannt werden, die sich für das Einhalten der Auflagen verantwortlich erklärt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mit diesen Voraussetzungen sind wir einverstanden.

Wir erwarten von der Landesregierung nun, dass ein Versorgungsnetz aufgebaut wird, das vom betroffenen Mensch her, also vom Schwerstabhängigen her, gedacht ist. Für das Gelingen der Therapie ist nämlich entscheidend, dass die Patienten in ihrem normalen Lebensumfeld bleiben. Nach den Erfahrungen aller Suchtexperten sind Hilfe- und Unterstützungsangebote gerade dann besonders wirksam und nachhaltig, wenn sie im alltäglichen und gewohnten Umfeld der Betroffenen verankert und damit zugänglich und leicht erreichbar sind.

Ich bin für die Stellungnahme der AG Substitution sehr dankbar. Sie weist ebenfalls darauf hin, dass auch bei Opiatabhängigen die Substitution durch Diamorphin eine ambulante ärztliche Behandlungsform darstellt.

(Beifall der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE und Dr. Ul- rich Noll FDP/DVP)

Als solche hat sie sich international bewährt, weil mit dieser Methode auch Schwerstabhängige in ihrer Lebensrealität erreicht werden, gesundheitlich stabilisiert werden und weiteren abstinenzorientierten Behandlungen zugeführt werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe sehr, dass sich die Sozialministerin in diesem Fall gegenüber der CDU-Fraktion durchsetzen kann.

(Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Die CDU-Fraktion hat eine rein stationäre Abgabe an den Zentren für Psychiatrie vorgeschlagen. Dieser Vorschlag geht komplett an der Realität vorbei, da die Zentren für Psychiatrie mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur umständlich zu erreichen wären und eine erzwungene psychiatrische Behandlung den vorgegebenen Voraussetzungen in keinem Fall entsprechen würde.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Außenstellen der Zentren für Psychiatrie in Ballungsräumen, die in das örtliche Suchthilfenetzwerk mit eingebunden sind und eine ambulante Abgabeform haben, sind selbstverständlich geschätzte Partner.

Wir haben in unserem Antrag nun nachgefragt, welche Standorte die Landesregierung für kompetent hält, um die kontrol

lierte Abgabe von Diamorphin umzusetzen. Die Landesregierung beruft sich in ihrer Stellungnahme auf die Empfehlungen der AG Substitution, die nun die Raumschaften Mannheim, Karlsruhe, Freiburg, Heilbronn, Stuttgart, Singen, Ulm, Ravensburg und Tübingen/Reutlingen als Standorte für die diamorphingestützte Substitution ausweist.

(Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Auch Reutlingen, Herr Kollege Hillebrand.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Wir gehen von ca. 200 bis 300 Schwerstabhängigen in BadenWürttemberg aus. Daher, denke ich, ist es sachgerecht, die Dia morphinabgabe dort durchzuführen, wo sinnvolle funktionsfähige Einheiten zustande kommen, wo es also genügend Schwerstabhängige gibt. Infrage kommen dabei natürlich in erster Linie Einrichtungen, in denen auch mit anderen Substitutionsmitteln wie Methadon oder Subutex behandelt wird, u. a. natürlich die Schwerpunktpraxen. Es wird in der Diskussion zu klären sein, ob und inwieweit auch niedergelassene Ärzte, die bereits substituieren, in die Diamorphinabgabe einbezogen werden sollten,

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

um eine flächendeckende Erreichbarkeit für die Schwerstabhängigen sicherzustellen.

Ein Vorteil in Baden-Württemberg ist, dass wir hier ein gut funktionierendes Suchthilfenetzwerk haben. In allen Stadt- und Landkreisen wurden in der Zwischenzeit kommunale Suchthilfenetzwerke gegründet, in denen die Prävention, die psychosoziale Beratung, Ärzte und Suchtkrankenhilfe vernetzt sind. Daher ist es auch vernünftig, die diamorphingestützte Substitution als weiteren Baustein darin einzubetten.