Protokoll der Sitzung vom 08.10.2009

Ein Vorteil in Baden-Württemberg ist, dass wir hier ein gut funktionierendes Suchthilfenetzwerk haben. In allen Stadt- und Landkreisen wurden in der Zwischenzeit kommunale Suchthilfenetzwerke gegründet, in denen die Prävention, die psychosoziale Beratung, Ärzte und Suchtkrankenhilfe vernetzt sind. Daher ist es auch vernünftig, die diamorphingestützte Substitution als weiteren Baustein darin einzubetten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Abschluss ein Wort zur Situation der Karlsruher Heroinambulanz sagen. Das ist uns ein besonderes Anliegen. Wir wollen, dass die Karlsruher Heroinambulanz als hoch kompetente, seit Jahren bewährte Einrichtung zur Heroinabgabe erhalten bleibt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Die Stadt Karlsruhe hat sich ebenfalls nachdrücklich für eine Fortführung ausgesprochen und auf Anraten des Sozialminis teriums Kontakt zum Zentrum für Psychiatrie Wiesloch aufgenommen. Bisher hat übrigens allein die Stadt Karlsruhe die Kosten für die Heroinambulanz getragen – im Unterschied zu dem Modellstandort Hannover in Niedersachsen oder dem Standort Frankfurt in Hessen.

Die Landesregierung war in diesem Bereich lange Jahre untätig und hat die Stadt Karlsruhe alleingelassen. Deswegen erwarten wir von der Landesregierung, dass sie sich künftig auch an den Kosten der Heroinambulanz in Karlsruhe beteiligt.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abg. Haußmann das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Etwa 200 bis 300 von über zehn Millionen Menschen in Baden-Württemberg befinden sich in einer fast ausweglosen Lebenssituation. Sie sind schwerstabhängig von Heroin, und ihnen hilft aktuell keine der bislang erlaubten Therapien. Ohne Hilfen würden sie ihr Einkommen, das sie sich häufig auf illegale Weise beschaffen, zu nahezu 100 % für Heroin ausgeben. An jedem Tag beginnt für sie ein neuer Überlebenskampf. Das Heroin macht sie abhängig, aber die normale Dosis tötet sie nicht.

Heroinabhängigkeit ist eine Krankheit und kein strafrechtliches Delikt. Das sollte die Grundlage unserer Debatte sein. Strafrechtliche Delikte bei diesem Personenkreis sind oft Raub und Betrug, die häufig der Beschaffung von Geld für das Heroin dienen, genauso wie der Diebstahl von Betäubungsmitteln in Apotheken oder der Besitz, Verkauf und Handel mit Drogen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind die Folgen oder Begleitumstände der Erkrankung und nicht die Ursachen. „Hilfe statt Strafe“ muss deshalb der Grundsatz unseres Handelns sein.

(Beifall bei der SPD)

Nach langer und intensiver Diskussion, der Anhörung von Sachverständigen und der Auswertung eines Modellprojekts, an dem auch Einrichtungen aus Baden-Württemberg teilgenommen hatten, haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat mit großer Mehrheit, wenn auch nur mit wenigen Stimmen von CDU und CSU, in diesem Sommer beschlossen, dass Schwerheroinabhängige im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung mit Diamorphin – das ist pharmazeutisch hergestelltes Heroin – behandelt werden können, soweit der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 92 SGB V dies bestätigt. Dies betrifft – das sage ich ausdrücklich – nur eine kleine Gruppe von Schwerstopiatabhängigen, denen anders nicht zu helfen ist, und keinesfalls alle Heroinabhängigen.

Nach den neuen Regelungen – vielleicht muss man sie in diesem Haus einfach noch einmal auf den Tisch bringen – gelten für diese Behandlungen folgende Voraussetzungen:

Diamorphin soll nur an über 23 Jahre alte Patienten und Patientinnen abgegeben werden, bei denen seit mindestens fünf Jahren eine Opiatabhängigkeit besteht und bei denen schwerwiegende somatische und psychische Störungen bei überwiegend intravenösem Konsum vorliegen.

Vor dem Beginn der Diamorphinbehandlung müssen mindes tens zwei herkömmliche Therapien ohne Erfolg stattgefunden haben.

Die Behandlung soll regelmäßig von Experten überprüft werden, und sie soll nur in Einrichtungen durchgeführt werden, die besondere Anforderungen im Hinblick auf die personelle und sächliche Ausstattung und Sicherheit erfüllen und die über eine entsprechende Erlaubnis der Landesbehörde verfügen.

Alle Expertinnen und Experten aus den Suchthilfe- und Ärzteverbänden, den Krankenkassen und den Apotheken in BadenWürttemberg, die in der AG Substitution zusammenarbeiten, begrüßen den Beschluss des Gesetzgebers und setzen sich für

eine zügige Umsetzung auf Landesebene ein. Die AG Substitution weist darauf hin, dass – ich zitiere –

... die Substitution von Opiatabhängigen auch mit Diamorphin eine ambulante ärztliche Behandlungsform darstellt.

(Beifall der Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP und Bri- gitte Lösch GRÜNE)

Danke schön.

Als solche hat sie sich auch international bewährt, weil mit dieser Methode Abhängige, auch Schwerstabhängige, in ihrer Lebensrealität erreicht,

das halte ich für sehr wichtig –

gesundheitlich stabilisiert und weiteren abstinenzorientierten Behandlungen zugeführt werden können. Im stationären Bereich

ich sage das ausdrücklich, auch im Hinblick darauf, dass Sie den Beschluss gefasst haben, die Behandlung an den Zentren für Psychiatrie anzusiedeln –

werden Opiatabhängige bis auf wenige Ausnahmen (z. B. akut Psychosekranke) nicht substituiert, sondern einer Entzugsbehandlung unterzogen.

Das beißt sich natürlich etwas mit dem Beschluss, den die CDU Baden-Württemberg auf ihrem Parteitag 2006 getroffen hat. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht – ich sage ausdrücklich: nicht – um eine unkontrollierte ambulante Abgabe; hier geht es um eine streng zu kontrollierende und mit hohen Auflagen verbundene medizinische Behandlung.

Ich denke, dass sich Ihre anderen schwerwiegenden Bedenken inzwischen erledigt haben. Dabei ging es zum einen um die Abgrenzung zwischen den Abhängigen, denen sonst nicht mehr geholfen werden kann, und denjenigen, für die es bessere Therapieformen gibt.

Wir glauben, dass die Voraussetzungen, die ich vorhin aufgezählt habe und die jetzt in § 9 a der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung geregelt werden, die zusätzlich – nicht alternativ – zur Fachkompetenz des besonders qualifizierten Arztes bzw. der Ärztin stehen, diese Abgrenzung auch gewährleisten. Kein Heroinabhängiger kann sich diese Behandlungsform aussuchen, sondern der Arzt bzw. die Ärztin müssen diese im Individualfall für die einzig mögliche Therapieform halten, und der Patient muss die genannten Bedingungen erfüllen.

Zum anderen bezog sich die Kritik der CDU auf die Dauer der psychosozialen Betreuung. Ich halte dies für ein Missverständnis. Die Zeitdauer der psychosozialen Betreuung ist während der Diamorphinbehandlung nicht auf sechs Monate beschränkt. Vielmehr darf umgekehrt die Diamorphinbehandlung überhaupt nur dann Anwendung finden, wenn eine psychosoziale Betreuung über mindestens sechs Monate gewährleistet ist und wenn sich der bzw. die Heroinabhängige dabei auch auf die psychosoziale Betreuung einlässt. Das halte ich für einen ganz wichtigen Aspekt.

Natürlich sollten wir alle davon ausgehen dürfen, dass suchtabhängige Menschen fortlaufend Angebote der psychosozialen

Beratung bekommen. Aber erstens kann man Suchtabhängige nicht in die Betreuung zwingen, und zweitens sähe der Standard der psychosozialen Betreuung bei uns deutlich besser aus, wenn das Land Baden-Württemberg nicht vor wenigen Jahren seine Mittel für die Unterstützung der Arbeit der Suchthilfestellen um mehrere Hunderttausend Euro gekürzt hätte.

Einen Nebeneffekt der neuen Regelung will ich hier noch erwähnen. Auch wenn das Geld angesichts der Notlagen der betroffenen Menschen und ihrer Angehörigen nicht die größte Rolle spielen sollte, so hat doch die Auswertung der Modellprojekte ergeben, dass sich bei einer flächendeckenden Anwendung deutliche Einsparungen erzielen lassen. Diese betreffen nicht nur die Kosten, die den gesetzlichen Krankenkassen, den Rentenversicherungs- und Sozialhilfeträgern für bisher erfolglose Behandlungsformen entstanden sind. Sie betreffen auch die Kosten für Polizeieinsätze, für die Gerichte und den Strafvollzug, wenn die Heroinabhängigen nicht erst kriminell werden müssen, um den Heroinkonsum zu finanzieren.

Was muss die Landesregierung tun? Nach dem geänderten § 13 des Betäubungsmittelgesetzes müssen den Einrichtungen, die zur Diamorphinbehandlung zugelassen werden sollen, Erlaubnisse erteilt werden. Zudem sind die Ausstattung und die Sicherheitsvorkehrungen im Einzelnen durch eine Richtlinie zu regeln. Darüber werden wir – so haben wir es besprochen – im Ausschuss beraten.

Es gilt, schnellstmöglich – das ist unser großes Anliegen – im Sinn der betroffenen Menschen und ihrer Angehörigen zu handeln. Insbesondere für die Menschen, die an den Modellprojekten teilgenommen haben, muss ein nahtloser Übergang in der Behandlung möglich sein. Wir haben auch hier im Land hervorragende Einrichtungen, die diese Probanden betreut haben, wie die AWO-Ambulanz in Karlsruhe. Die wissen alle nicht: Geht es weiter, geht es nicht weiter?

Es geht auch um die Zugänglichkeit der Einrichtung. Das ist uns ein wichtiges Anliegen. Wenn jetzt seitens der Landesregierung daran gedacht ist, die Diamorphinbehandlung an den Zentren für Psychiatrie anzusiedeln, so fragen wir, ob damit die ballungsraumfernen Zentren für Psychiatrie gemeint sind. Wir meinen – das sage ich ganz ausdrücklich –: Der Zugang zur diamorphingestützten Behandlung darf nicht dadurch erschwert werden, dass die Wege zur Behandlung besonders weit, umständlich und mit hohen Kosten für die Betroffenen verbunden sind.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Sehr geehrte Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, es kommt nun darauf an, im engen Zusammenwirken mit den Kommunen, den Krankenkassen, den Suchthilfe- und Ärzteverbänden eine möglichst einvernehmliche Regelung zu finden, die den betroffenen Menschen rasch hilft. Wir wollen hier einen sehr niederschwelligen Zugang haben. Ich hoffe, dass wir uns auch im Sozialausschuss darauf einigen können.

Wir werden das Nähere im Sozialausschuss weiterberaten.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Teufel von der Fraktion der CDU.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Jetzt wird zur Sache gesprochen!)

Meine sehr verehrte Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat in seiner Sitzung am 28. Mai 2009 dem Gesetzentwurf zur dia morphingestützten Substitutionsbehandlung zugestimmt. Das Gesetz ist am 21. Juli dieses Jahres in Kraft getreten. Damit ist auf Bundesebene der wesentliche Schritt zur Schaffung eines Rechtsanspruchs für Schwerstabhängige erfolgt.

Die CDU-Fraktion setzt bei der Suchtbekämpfung auf die bewährte Strategie mit Prävention, Repression, Suchthilfe und Überlebenshilfe. Wir wollen auch weiterhin für die ca. 200 bis 300 Schwerstabhängigen im Südwesten keine Dauersubstitution. Klares Ziel ist die Abstinenz. Der Charakter der Suchthilfe muss auch in Zukunft erkennbar bleiben.

Der Erfolg in der Suchthilfe besteht aus der Qualität der Einzelmaßnahme und der Qualität der Kooperationen. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Suchthilfe liegt in der Kooperation zwischen der Suchtmedizin und den psychosozialen Beratungsstellen. Diese Kooperation dient der gesundheitlichen Stabilisierung der Patienten und der Wiedereingliederung in unsere Gesellschaft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten uns nicht gegenseitig absprechen, dass wir alle das Beste für die Schwerstabhängigen in unserem Land wollen. Die CDU-Fraktion verschließt sich nicht neuen Therapieformen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ha- gen Kluck FDP/DVP: Sehr gut! Bravo!)

Im Interesse der Betroffenen wollen wir jedoch auf der Grundlage fundierter Ergebnisse handeln.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Ein bisschen mehr Mut, Herr Kollege Teufel!)

Aufgrund des nunmehr geltenden bundesgesetzlichen Rechtsanspruchs der Schwerstabhängigen, unter bestimmten Voraussetzungen eine diamorphingestützte Substitution zu erhalten, sehen wir uns in großer Verantwortung, mit der gebotenen Sorgfalt in Baden-Württemberg die Abgabe umzusetzen. Dazu gehört, dass die diamorphingestützte Substitution nur in hoch kompetenten Einrichtungen genehmigt werden sollte, um erstens die notwendige hohe Qualität der Behandlung zu gewährleisten und zweitens den Missbrauch von Diamorphin zuverlässig auszuschließen. Wir wollen keinen Abgabewildwuchs wie in der Schweiz.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Ursula Hauß- mann SPD)