Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

Aktuelle Debatte – Keine Steuersenkung auf Pump! – beantragt von der Fraktion GRÜNE

Es gelten die üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen, fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

(Zurufe von den Grünen)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Gesetz, das in wenigen Tagen, am 18. Dezember, im Bundesrat zur Entscheidung ansteht, heißt „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr gut!)

Schauen wir einmal, was es damit auf sich hat. Wir sehen jedenfalls, dass die öffentliche Verschuldung massiv ansteigen wird. Die Landesregierung wird in den nächsten beiden Haushaltsjahren 4,6 Milliarden € neue Schulden machen. Dazu kommen dann die Ausfälle aus den geplanten Steuersenkungen; ab dem Jahr 2011 sind 1,3 Milliarden € beim Land und ca. 1 Milliarde € bei den Kommunen in Baden-Württemberg zu erwarten.

Jetzt nehmen wir einmal optimistischerweise an, dass die Wirtschaftskrise im Jahr 2011 vorbei ist. Dann bleibt im Landeshaushalt das strukturelle Defizit von ca. 2 Milliarden €. Wir sehen bis zum Jahr 2020 eine Steigerung der Verschuldung von 43 auf mehr als 80 Milliarden €. Halten die Steuerausfälle aber länger an, dann kommen wir leicht auf 90 Milliarden € im Jahr 2020. Das ist eine Verdopplung der Neuverschuldung im Budget innerhalb von zehn Jahren, und es ist eine Verdopplung der Zinslast von 2 auf 4 Milliarden €.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Ich habe von den Regierungsfraktionen noch kein Wort darüber gehört, wie dann noch der grundgesetzlich verankerte Stopp der Neuverschuldung ab dem Jahr 2020 eingehalten werden soll. Ich habe kein Wort darüber gehört, wie dann noch die Kernaufgaben des Landes in Bildung, Forschung, Kinderbetreuung, Klimaschutz erfüllt werden sollen, zumal genau in diesem Zeitraum die Pensionsverpflichtungen richtig zuschlagen werden; dabei geht es bis zum Jahr 2020 um nochmals mindestens 2 Milliarden €.

Dazu kommen die Risiken bei der LBBW, für die wir auch eine Bürgschaft von über 12 Milliarden € ausgesprochen haben. Bewahre Gott, wenn diese Summe oder auch nur Teile davon fällig werden sollten. Und was passiert, wenn die Zinsen steigen? 1 % Steigerung ergibt eine Belastung von weiteren 400 Millionen €. Kann man in einer solchen Situation Steuern senken?

(Abg. Hagen Kluck und Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Ja!)

Ist es verantwortungsvoll

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Ja!)

und verantwortbar, die Haushalte der öffentlichen Hand in Ansehung der Aufgaben, die vor uns stehen, Herr Rülke, z. B. beim Klimaschutz – auch wenn der Sie überhaupt nicht interessiert – weiter so zu belasten?

(Zurufe der Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel und Beate Fauser FDP/DVP)

Jetzt hat die Regierungskoalition in Berlin sogenannte goldene Regeln zur Haushaltspolitik aufgestellt. Eine dieser Regeln heißt: Alle Maßnahmen stehen unter Finanzierungsvor

behalt. Das kann doch sinnvollerweise nur heißen, dass man nicht grenzenlos Maßnahmen auf Pump finanziert.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Macht auch keiner!)

Nur das kann doch der Sinn dieser sogenannten goldenen Regel sein. Was sonst soll Finanzierungsvorbehalt heißen? Doch sicher nicht einfach mehr Schulden machen. Das ist doch dann kein Finanzierungsvorbehalt.

(Beifall bei den Grünen)

Das sind goldene Sonntagsregeln, die mit der Praxis offensichtlich nichts zu tun haben. Aber damit könnte doch der Hinweis gegeben werden, dass man das, was man vor den Wah len einfach leichtfertig versprochen hat, einer Überprüfung unterzieht und sagt: In dieser Haushaltssituation und angesichts der Einbrüche, die wir haben, können wir das derzeit nicht machen.

Frau Merkel und Herr Oettinger sind herumgelaufen und haben allen erzählt, es werde keine Steuersenkungen auf Pump geben. Jetzt erleben wir genau das Gegenteil: Versprochen, gebrochen.

(Beifall bei den Grünen)

Ministerpräsident Oettinger war lange Zeit noch auf der Seite derer, die vor solchen Steuersenkungen gewarnt haben. Jetzt ist er in das Lager der Fähnchenschwenker übergelaufen, wobei er natürlich die Forderung nach einer Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelbesitzer schon immer vertreten hatte. Die Hoteliers sind übrigens die einzige Gruppe, die diese Steuersenkungen überhaupt noch gut findet – die unsinnigste Maßnahme von allen, aber mit riesigen finanziellen Folgen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Alle anderen lehnen das, wenn sie ihre fünf Sinne noch beisammen haben, ab.

Jetzt kommt das gelbe Märchen der Selbstfinanzierung der Steuersenkungen.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das ist doch kein Märchen! Das zeigt die Erfahrung! – Weitere Zurufe von der FDP/DVP)

Jetzt hören wir einmal, was der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, Professor Fuest, hierzu sagt. Er sagt, dass allerhöchstens die Hälfte der Mindereinnahmen durch Steuerentlastung anschließend durch höhere Steuereinnahmen aufgrund höherer privater Ausgaben und durch Kosteneinsparungen, die sich durch eine geringere Arbeitslosigkeit ergeben, wieder in öffentliche Kassen zurückfließen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das ist doch schon einmal etwas! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Hört, hört!)

Allerdings, so Professor Fuest, müsse man damit rechnen, dass die öffentlichen Hände versuchen werden, die Ausfälle an anderer Stelle zu kompensieren.

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Genau das passiert schon. Die Kommunen sind gar nicht in der Lage, diese Ausfälle zu schultern. Hören Sie sich jetzt einmal bei den Kommunen um. Die Kommunen sind gezwungen – denn sie dürfen ja nicht so grenzenlos Schulden machen wie Land und Bund –,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Nicht aufregen!)

Gebühren und Steuern massiv zu erhöhen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Nur da, wo die Grü- nen die Mehrheit haben!)

Wenn Sie jetzt auf Pump das Kindergeld um 20 € erhöhen, die Kommunen aber gleichzeitig die Kindergartengebühren um 20 € erhöhen müssen, weil sie sonst gar keine genehmigungsfähigen Haushalte zustande bringen,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Die hätten trotz- dem erhöht! Natürlich!)

dann heißt das: in die linke Tasche hinein, aus der rechten Tasche wieder heraus.

(Abg. Ingo Rust SPD: „Mehr Netto vom Brutto“ nennt sich das! – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Nur: Alle anderen Gebühren – öffentlicher Nahverkehr usw. – müssen dann auch die tragen, die durch Ihre Steuersenkung gar nicht entlastet werden.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Stimmt doch gar nicht! Eine Milchmädchenrechnung!)

Das heißt, das Ganze hat nicht nur überhaupt keine Wachstumseffekte, sondern ist noch dazu sozial ungerecht.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Abwarten und Tee trinken!)

Herr Kollege Mappus, Sie waren gestern zusammen mit dem Kollegen Schmiedel über eine Äußerung von mir höchst beleidigt.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Zu Recht!)

Ich habe gesagt: „Im Verwaltungsrat der LBBW herrscht Durchwinkmentalität, sobald der Rubel rollt. Die Aufgabe, hart nachzufragen, wird offenbar nicht wahrgenommen.“

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das gilt auch für die Grünen, die da drinsitzen! – Gegenrufe von den Grünen)

Das haben Sie jetzt dahin gehend missinterpretiert, ich hätte die Aussage intendiert, solange der Rubel in die Taschen der Verwaltungsratsmitglieder rolle, würden diese durchwinken.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Völliger Quatsch!)