(Abg. Reinhold Gall SPD: Die zweite Reihe hinter der Frau Ministerin wird ihn schon wieder ausbrem sen! – Weitere Zurufe – Glocke der Präsidentin)
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, wir sprechen hier über eines der wichtigs ten Themen überhaupt. Deswegen bitte ich uns alle, dies mit den passenden Worten zu tun. Nicht alle Worte, die wir bis her gehört haben, passen zur Ernsthaftigkeit des Themas.
Wir sprechen nämlich über das Grundrecht der freien Mei nungsäußerung, das eines der wesentlichen Grundrechte un serer Verfassung ist und das wir alle durch tägliches gutes Vor bild in die gelebte Praxis umsetzen sollten. Freie Meinungs äußerung beinhaltet dann auch, die richtigen Worte zum rich tigen Zeitpunkt zu finden. Dies gilt für dieses Hohe Haus. Dies gilt aber auch für Führungskräfte im baden-württembergi schen Bildungssystem; das ist eine Umschreibung für Schul leiterinnen und Schulleiter; sie sind Führungskräfte im Bil dungssystem Baden-Württembergs.
Frau Abg. Rastätter, Sie haben vorhin die Konferenz der GEW mit dem Titel „Zwischen allen Stühlen“ erwähnt. Dort habe ich auch gesagt: Meine Damen und Herren, als Schulleiter und Schulleiterinnen haben Sie nicht eine Schule als Lehen be kommen und nicht Schüler als Geißel Ihrer persönlichen Mei nung, sondern Sie leiten eine Schule im baden-württembergi schen Bildungssystem.
Gleichwohl sind sie selbstverständlich – ich bin erstaunt, dass dies hier überhaupt noch einmal thematisiert werden muss – Bürger eines Landes, in dem Meinungsfreiheit gilt.
Meine Damen und Herren, jetzt gilt es, dies so zusammenzu bringen, wie es heute jeder Mensch tun muss, der in einer be ruflichen Organisation tätig ist, ob er Mitarbeiter einer Partei ist, wie vorhin als Beispiel zitiert wurde, oder anderswo ar beitet. Jeder Berufstätige steht vor genau dieser Herausforde rung,
seine persönliche Meinung, die manchmal auch emotional ge prägt sein mag, die manchmal aufgrund von Einzelerlebnis sen geprägt sein mag, mit seiner verantwortungsvollen Posi tion in einem System in Einklang zu bringen und dies so zu leben, dass er sich trotzdem im Spiegel, gleichwohl aber auch seinen Arbeitgeber anschauen kann.
Das ist eine Gratwanderung, meine Damen und Herren. Das verlangen wir jeden Tag von den Berufstätigen draußen im Land. Warum sollten wir es nicht von einem Schulleiter oder einer Schulleiterin in Baden-Württemberg verlangen können? Wir verlangen dies, und 99,99 % dieser Personengruppe ha ben überhaupt kein Problem damit, diese Gratwanderung so hinzubekommen, dass sie sowohl in den eigenen Spiegel als auch in den Spiegel der Bildungspolitik schauen können.
Meine Damen und Herren, ich muss mich über das Bild von baden-württembergischen Beamten im Schuldienst wundern,
wo ein Anruf eines Schulamts, eines Regierungspräsidiums einen Gehorsam auslösen würde, eine Habtachtstellung bei den Beamten.
(Abg. Reinhold Gall SPD: Aber es wird versucht! Da rum geht es doch! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Ge nau so ist es!)
(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP und Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: So ist es! – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP zur SPD: Das ist euer Menschenbild vom Un tertan! – Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)
Sie unterstellen, dass dann jemand „habtacht steht“. Meine Damen und Herren, diese Lehrer und Lehrerinnen, die Sie hier meinen verteidigen zu müssen, gibt es überhaupt nicht mehr.
Diejenigen, über die Sie reden, gibt es nicht. Ich bin stolz da rauf, dass die Lehrerschaft in Baden-Württemberg ihre Mei nung äußert und für sie einsteht.
Meine Damen und Herren, müssen wir es tatsächlich als un sittlich ansehen, wenn ein Schulamt mit einem Schulleiter in ein Gespräch tritt? Es passiert – das wissen Sie vielleicht noch nicht; ich verrate es Ihnen – am Tag wahrscheinlich Tausen de Male, dass ein Schulamt einen Schulleiter anruft. Aller dings erhalten wir dann nicht Tausende Male eine Beschwer de: „Hier hat jemand unbotmäßig versucht, mich in meiner Amtsausübung zu beeinträchtigen.“ Vielmehr werden in sol chen Gesprächen Probleme und anderes besprochen. Dies ist gelebter Alltag und wird auch so bleiben.
Meine Damen und Herren, Meinung ist erwünscht, und Mei nung wird natürlich auch diskutiert. Wenn nicht jeder jede Ge legenheit nutzt, dann tut mir das leid.
Anscheinend gibt es dort jährlich eine Situation, bei der man diskutieren kann oder diskutieren könnte. Ich war am dritten Tag nach meinem Amtsantritt bei einer Diskussionsveranstal tung in Ravensburg. Im Publikum befand sich ein namentlich hier nicht zu bezeichnender, aber als oberschwäbischer Re bell, glaube ich, im Land bekannter kritischer Kopf. Ich hat te mich darauf gefreut, dass er die Diskussion sucht und die Gelegenheit nutzt, mit mir zu diskutieren. Leider hat er es nicht getan. Schade.
Oh Gott, oh Gott. Es war eine freie Veranstaltung. Andere Menschen haben die Möglichkeit genutzt und hatten keine Angst davor, dass vielleicht jemand dabei ist und dies hört.
Meine Damen und Herren, seit meinem Amtsantritt führe ich regelmäßig – mindestens alle zwei Wochen – Gesprächsrun den mit Lehrerinnen und Lehrern durch. Ich würde Sie gern einmal dazu einladen; denn da würden Sie sehen, dass sie überhaupt keine Angst davor haben, einer Kultusministerin kritische Dinge ins Gesicht zu sagen, dass es nur so pfeift. Da geht es um Einzelthemen, wofür die Lehrer jeden Tag kämp fen und sagen: „Das sind unsere Probleme.“ Es ist noch nie mand in Ohnmacht gefallen, weil er Angst hätte, ich würde es hinterher seinem Staatlichen Schulamt mitteilen.
Meine Damen und Herren, reden Sie mit den Leuten, gehen Sie hinaus, begleiten Sie mich, wenn Sie möchten,
und sehen Sie, wie mutig die Lehrerinnen und Lehrer in der Wahrnehmung ihrer Grundrechte sind. Wir haben dieses Pro blem nicht. Schon gar nicht sollten Sie meinen, Sie müssten denjenigen rote Teppiche ausbreiten, die einmal einen Brief schreiben. Breiten Sie denjenigen rote Teppiche aus und re den Sie mit denjenigen, die sich täglich bemühen, in konst ruktiver Kritik das Schulsystem weiterzuentwickeln und für die jungen Menschen etwas zu tun. Denen rollen wir rote Tep piche aus.
Ich tue das fast täglich. Es macht Spaß und macht mich stolz auf die Lehrerinnen und Lehrer im Land; die sind viel muti ger, als Sie denken.
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von der CDU und der FDP/DVP: Jawohl! – Bravo! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Wenn das so weitergeht, will die GEW noch bei der CDU eintreten!)