Protokoll der Sitzung vom 27.06.2012

Zum Schluss appelliere ich an Sie: Lösen Sie sich von der pä dagogisch einseitigen Fixierung auf die Binnendifferenzie rung in einer Lerngruppe! Gerade auch die äußere Differen zierung in verschiedene Schularten und damit eine vielfältige Palette von Lernangeboten, wie sie für die beruflichen Schu len so typisch ist, bringt erhebliche Chancen für den einzel nen jungen Menschen. Fördern Sie neben der Binnendifferen zierung auch die äußere Differenzierung. Wenn Sie es mit der individuellen Förderung wirklich ernst meinen, gibt es zu die sem Weg keine Alternative.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregie rung erteile ich Frau Ministerin Warminski-Leitheußer das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Da men und Herren! Zunächst möchte ich mich dafür entschul digen, dass ich den Beginn der Debatte versäumt habe. Ich hatte ein Pressegespräch in einem Raum, in den die Debatte nicht übertragen wurde, und deshalb habe ich erst mit Verspä tung vom Beginn der Debatte erfahren. Frau Abg. Schmid, be trachten Sie dies bitte nicht als persönliche Missachtung.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Ich würde die Ent schuldigung nicht annehmen! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Dafür gibt es Mitarbeiter! – Un ruhe – Glocke des Präsidenten)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hören Sie sich doch die Entschuldigung an. Es ist doch schön, wenn sich eine Ministerin für so etwas überhaupt entschuldigt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Im Übrigen wollte ich Frau Abg. Schmid versichern, dass dies nicht als persönliche Missachtung ver standen werden soll. Frau Schmid, Sie wissen, ich schätze Sie als Gesprächspartnerin, auch wenn wir nicht immer einer Auf fassung sind.

Ich hoffe aber, ich habe die wesentlichen Argumente sozusa gen noch im Laufen mitbekommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die beruflichen Schulen in Baden-Württemberg leisten zweifellos eine sehr gute Arbeit. Wir haben eine Vielzahl unterschiedlicher Aus bildungsangebote, eine hohe Praxisnähe mit guten Kontakten zu den Betrieben; wir haben immer eine sehr zeitnahe Orien tierung an den tatsächlichen Anforderungen in der Arbeits welt, und wir haben sehr engagierte Lehrerinnen und Lehrer, gerade im beruflichen Bereich. Das zeichnet in der Tat das be rufliche Schulwesen in Baden-Württemberg aus, mit einem sehr guten Ruf über unsere Landesgrenzen hinweg.

Natürlich leisten die beruflichen Schulen auch einen wichti gen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit; das ist heute schon verschiedentlich angesprochen worden. Denn es ist

auch klar, dass viele junge Menschen aus bildungsfernen Mi lieus an den beruflichen Schulen zu einer Hochschulzugangs berechtigung kommen.

Wir sind international vorbildlich, insbesondere was die dua le Ausbildung angeht; wir sind eines der Länder, die im deutsch sprachigen Raum immer wieder als besonderes Vorbild be trachtet werden. Das ist ein gutes Pfund.

Wir, die Landesregierung, arbeiten sehr intensiv daran, dass die beruflichen Schulen so ausgestattet sind, dass sie ihre Ar beit auch tatsächlich gut erfüllen können. Wir haben aber – das kann ich Ihnen an dieser Stelle nun wirklich nicht erspa ren – eine sehr schwierige Situation vorgefunden. Die lang jährige strukturelle Unterversorgung der beruflichen Schulen ist ein Problem, das die vorherige Landesregierung zu verant worten hat. Wir gehen dieses Problem konsequent an.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Bei Übernahme der Regierungsverantwortung hatten wir ei ne strukturelle Unterversorgung von rund 4,4 %. Das heißt, 4,4 % aller Stunden an beruflichen Schulen fielen von vorn herein aus. Es hat zunächst einmal nichts mit erkrankten Leh rern zu tun, wenn die Stunden gar nicht erst mit entsprechen den Kapazitäten hinterlegt sind. Das ist eine Situation, die völ lig eindeutig zulasten der Schülerinnen und Schüler ging. Das war eine Gefährdung der Zukunftschancen der jungen Gene ration, weil Sie das Problem nicht angegangen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Seit dem Schuljahr 2006/2007 – ich habe mir die Linie noch einmal angeschaut – liegt das strukturelle Defizit an den be ruflichen Schulen bei 4,4 %. Davor lag es teilweise noch da rüber. Daran sieht man, dass Sie in den letzten fünf Jahren kei nen Schritt weitergekommen sind. Wenn Sie also heute die Forderung in den Raum stellen: „Macht es schneller!“, dann ist doch die Frage berechtigt: Warum haben Sie denn nichts getan? Warum sind Sie nicht schneller vorangekommen?

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Sieg fried Lehmann GRÜNE: Da war die Qualität noch nicht da!)

In dem ersten Jahr unter der neuen Regierung ist die struktu relle Unterversorgung an den beruflichen Schulen immerhin auf 4,1 % gesunken. Das heißt, wir tun etwas in kleinen Schrit ten, und wir werden auch weiter etwas tun. Wenn Sie in den letzten fünf Jahren in dem gleichen Tempo gearbeitet hätten, dann wären wir heute bei einem strukturellen Unterrichtsde fizit von 2,6 %.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Toll!)

Das muss man einmal ganz klar sagen. Das heißt, wenn Sie sich auf den Weg gemacht hätten, dann hätten wir heute eine andere Situation.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Warten Sie mal den September ab!)

Wir handeln, und Sie stellen Forderungen in den Raum, ob wohl Sie in den letzten fünf Jahren nichts getan haben.

Wir halten an dem Ziel fest, das strukturelle Defizit an den be ruflichen Schulen weiter abzubauen. Sie wissen, dass das auf grund der Haushaltslage nur in kleinen Schritten möglich ist.

Wir haben in diesem Haushaltsjahr weitere 100 Deputate zum Abbau der strukturellen Unterversorgung zur Verfügung ge stellt. Die zusätzlichen 50 Eingangsklassen an den beruflichen Gymnasien ermöglichen auch mehr Chancengerechtigkeit. Denn die jungen Menschen, die keine Klassen vorfinden, fin den damit auch keinen Platz an den beruflichen Schulen. Die ses Problem gehen wir an. Sie haben das bisher auch nicht ge tan.

Die damalige Landesregierung hat jungen Menschen den Weg zu den beruflichen Gymnasien versperrt. Wenn wir nicht gleich nach Übernahme der Regierungsverantwortung 139 Stellen, die zur Sperrung vorgesehen waren, entsperrt hätten – Sie kön nen sich daran erinnern; das haben wir gleich im Vierten Nachtrag getan –, dann wären auch diese Stellen weggefal len. Deshalb ist es aus meiner Sicht unzulässig, davon zu re den, wir würden beim Abbau des Defizits nicht weiterkom men. Ganz im Gegenteil: Wir tun etwas.

Meine Damen und Herren, die Sanierung wird aber nicht auf Kosten der Lehrerinnen und Lehrer erfolgen. Das heißt, wir bauen nicht das strukturelle Defizit ab, indem die Bugwelle weiter ansteigt. Auch das ist ein völlig unredliches Verfahren. Man muss dann schon ehrlich sein. Deshalb stehe ich auch dazu, dass wir zunächst einmal das strukturelle Defizit – üb rigens auch an den Sonderschulen – konsequent angehen und abbauen. Wir müssen uns in kleineren Schritten um die Bug welle kümmern; denn wir müssen verhindern, dass weiterhin Bugwellen in dieser Größenordnung entstehen.

Um es noch einmal zu verdeutlichen: Eine Bugwelle bedeu tet, dass wir Schulden gemacht haben, Schulden bei den Leh rerinnen und Lehrern. Wir haben allein 1 600 Deputate Schul den bei den Lehrerinnen und Lehrern an den beruflichen Schu len. Das sind Summen, die wir in den nächsten Jahren zurück zahlen müssen. Wenn wir die 1 300 Deputate, die wir als Bug welle an den Sonderschulen haben, hinzurechnen, dann ergibt das noch einmal 180 bis 200 Millionen €, die wir da zurück zahlen müssen.

Sie haben also Schulden gemacht, ohne einen Tilgungsplan aufzustellen. Auch das gehen wir an.

(Abg. Georg Wacker CDU meldet sich. – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Herr Präsident!)

Ich möchte zunächst einmal meine Ausführungen zu Ende führen, Herr Präsident. – Wir werden weiterhin dafür sorgen, dass das strukturelle Defizit abgebaut wird, und zwar ohne dass die Bugwelle weiter anwächst.

Jetzt kommen wir zu den Einstellungen in diesem Jahr. Mei ne Damen und Herren, ich wiederhole noch einmal etwas, was ich an dieser Stelle schon mehrfach gesagt habe: Wir hatten in diesem Jahr eine Sondersituation. Wir hatten aufgrund der bildungspolitischen Veränderungen keine verlässlichen Infor mationen darüber, wie die Schülerströme sind. Deshalb haben wir einmalig, nur für dieses Jahr, die Einstellungspraxis an den beruflichen Schulen verändert. Es ist absolut richtig, so vorzugehen, wenn man sorgfältig mit Ressourcen umgeht. Wir

haben die Einstellungen deshalb schwerpunktmäßig auf das Listenverfahren konzentriert. Auch das ist richtig. Im nächs ten Jahr wird es wieder anders laufen.

Um das auch noch einmal explizit zu sagen: Wir haben jetzt insgesamt 640 wissenschaftliche und zehn technische Lehrer an den beruflichen Schulen einstellen können. Das ist eine sehr gute Zahl. Zusätzlich werden wir aus dem Einstellungs kontingent der Gymnasiallehrer 100 Abordnungen an die be ruflichen Schulen vornehmen. Auch dadurch werden die be ruflichen Schulen deutlich unterstützt.

Insgesamt ist damit die Situation an den beruflichen Schulen nicht schlechter als bisher, sondern besser als bisher. Es hilft gar nichts, wenn Sie das immer wieder leugnen. Wir gehen Probleme, die Sie hinterlassen haben, konsequent an.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Meine Damen und Herren, es ist völlig klar – ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit –, dass wir, die Landesregierung, natürlich in der Verantwortung stehen, sehr sorgfältig mit den Ressourcen umzugehen, und zwar vor dem Hintergrund einer Schuldenbremse, die einzuhalten ist, und vor dem Hintergrund von Altlasten, die Sie hinterlassen haben. Deshalb gehen wir auch bei Einstellungen sorgfältig mit Entscheidungen um. Das ist der richtige Weg. Die Lehrerinnen und Lehrer haben das im Ergebnis auch verstanden, weil sie nämlich gesehen ha ben, dass das Ergebnis den Interessen der beruflichen Schu len gerecht wird.

(Abg. Georg Wacker CDU meldet sich.)

Im Ergebnis heißt das: Die strukturelle Unterversorgung wird weiter konsequent abgebaut. Wir werden uns auch um die Bugwelle kümmern, wenn auch nur in sehr kleinen Schritten; denn etwas anderes wird nicht möglich sein.

Im Übrigen werden wir die beruflichen Schulen weiterhin da bei unterstützen, dass sie ihre Arbeit gut machen können und dass nachfragegemäß insbesondere an den beruflichen Gym nasien auch die Klassen entstehen können, die erforderlich sind, damit tatsächlich alle jungen Menschen diesen Bildungs weg beschreiten können.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Frau Ministerin, lassen Sie zum Schluss noch eine Frage zu?

Ja, natürlich.

Bitte, Herr Abg. Wa cker.

Frau Ministerin, Sie sprachen von einer günstigen Prognose bezüglich des Einstellungsverfah rens vor dem Hintergrund, dass die schulscharfen Ausschrei bungen so gut wie nicht stattgefunden haben und dass Sie sehr spät mit dem Hauptzuweisungsverfahren begonnen haben. Können Sie zusagen, dass die beruflichen Schulen in BadenWürttemberg zu Beginn des neuen Schuljahrs tatsächlich auch

die Ressourcen bekommen, die sie brauchen, um mit einer gu ten Unterrichtsversorgung mit dem regulären Unterricht be ginnen zu können?

Sie sprechen jetzt an, ob ich tatsächlich garantieren kann, dass dann noch ein Lehrer für ein Spezial gebiet gefunden werden kann. Das sprechen Sie an.

(Abg. Georg Wacker CDU: Nein! Ich habe die Fra ge, denke ich, präzise formuliert, Frau Ministerin!)