Protokoll der Sitzung vom 13.12.2012

(Unruhe)

Ich darf noch einmal um Ruhe bitten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Mittags pause eintreten, darf ich Sie noch auf Folgendes hinweisen: Gleich im Anschluss, in der Mittagspause der Plenarsitzung, findet die Eröffnung der Ausstellung „Typisch ‚Zigeuner‘? – Mythos und Wirklichkeiten“ des Verbands Deutscher Sinti und Roma statt. Die Ausstellung umfasst u. a. die historischen Hintergründe sowie die Darstellung der Einwanderung nach Europa, den Antiziganismus in den Wissenschaften, der Poli tik, den Medien, der Kultur und im Alltag sowie die Bildungs situation deutscher Sinti und Roma. Eine Begleitveranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung zu dieser Ausstellung findet heute Abend statt. Nach einer Führung durch die Ausstellung wird es eine Podiumsdiskussion geben. Zu beiden Veranstaltungen sind Sie herzlich eingeladen.

Wir treten nun in die Mittagspause ein. Wir setzen die Sitzung um 13:50 Uhr fort.

Herzlichen Dank.

(Unterbrechung der Sitzung: 12:51 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 13:52 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der Tagesordnung der 54. Plenarsit zung fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 b auf:

Einzelplan 09: Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Fi nanzen und Wirtschaft – Drucksache 15/2609

Berichterstatter: Abg. Hans-Peter Storz

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Beratung des Einzelplans 09 eine Redezeit von zehn Minuten je Frak tion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

Wünscht der Berichterstatter das Wort?

(Abg. Manfred Lucha GRÜNE meldet sich. – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Frau Präsidentin! – Abg. Manfred Lucha GRÜNE: Frau Präsidentin, sollten wir nicht noch zehn Minuten warten?)

Nein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der Tagesordnung fort und gehen davon aus, dass die noch feh

lenden Kolleginnen und Kollegen in den nächsten zwei bis drei

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Stunden!)

Minuten anwesend sein können.

Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort.

Ich erteile in der Allgemeinen Aussprache Herrn Kollegen Klenk das Wort.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr guter Mann!)

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Ich will jetzt keinen Kommentar über den Stellenwert der Sozialpolitik in diesem Hohen Haus abgeben.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Aber echt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr verehrte Frau Ministerin, wenn ich an die ersten Wochen oder auch an die ersten anderthalb Jahre der letzten Legislaturperiode zurück denke, dann muss ich Ihnen sagen: Wir hatten damals ein Mammutprogramm vor uns liegen und hatten Bedenken, ob wir dies in den fünf Jahren überhaupt schaffen. Ich sage Ih nen: Bis auf wenige Vorhaben wurde alles zügig umgesetzt und auf den Weg gebracht. Ich will damit aber auch die Mit arbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialministeriums loben. Sie sind zügiges und effizientes Arbeiten gewohnt. Wenn es also derzeit stockt, dann liegt es mit Sicherheit nicht an den Beschäftigten im Ministerium.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir haben Ihnen im vergangenen Jahr noch einen sogenann ten Welpenschutz eingeräumt. Doch damit ist jetzt Schluss. Le gen Sie endlich los, und planen Sie nicht einfach unkonkret vor sich hin.

(Beifall des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Wir wollen endlich mehr konkrete Entwürfe und Taten sehen.

(Abg. Manfred Lucha GRÜNE: Abwarten!)

Abwarten, ja. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Regierung verharrt im sozialpolitischen Stillstand. Die we sentlichen Dinge werden nicht in Angriff genommen, bzw. man orientiert sich nicht an den Fakten.

Frau Ministerin, allein mit ein bisschen Geld – hier und dort zu verteilen nach dem Motto „Geben ist seliger als Nehmen“ – ist noch keine vernünftige und insbesondere nachhaltige Po litik gemacht.

Lassen Sie mich die wenigen Punkte Ihrer bisherigen Arbeit aufgreifen und Ihnen unsere Meinung bzw. auch Befürchtun gen hierzu mitteilen.

Gespart wurde bei denen, die sich am wenigsten wehren kön nen bzw. nicht organisiert sind, beispielsweise – dieses The ma können wir Ihnen einfach nicht ersparen – die Bezieher des Landeserziehungsgelds. Gerade das Landeserziehungs geld ist – heute Morgen haben wir es in der Aktuellen Debat te vom Kollegen Kunzmann wieder gehört – ein Instrument, das den armen Familien und insbesondere den Alleinerziehen

den zugutegekommen ist. So gern die Regierung dies tun wür de: Die Schwellenhaushalte dürfen hier nicht vernachlässigt werden.

Laut der Stellungnahme Ihres Hauses zu einem Antrag von uns ist davon auszugehen, dass in den Jahren 2010 und 2011 etwa 50 bis 60 % der Bezieher von Landeserziehungsgeld kei ne Leistungen nach SGB II oder SGB XII bezogen haben. Das Landeserziehungsgeld war gerade für Familien mit geringem Einkommen außerhalb des Leistungsbezugs eine wichtige Un terstützung. Ein Teil von ihnen wird nun künftig nicht umhin kommen, Sozialleistungen zu beantragen.

Die Behauptung der Landesregierung, das Landeserziehungs geld sei kein Mittel zur Armutsbekämpfung, ist nichts als ein schlechter Rechtfertigungsversuch. Denn vor der Streichung war noch geplant, das Landeserziehungsgeld für die Bezieher von Hartz-IV-Leistungen zu erhalten. Das heißt, für diese Gruppe war es nach Ihren eigenen Aussagen doch ein wirk sames Mittel.

(Abg. Werner Raab CDU: So ist es!)

Diese Argumentation, meine Damen und Herren, bedeutet ein fach, dass in den Augen der Landesregierung nur die Famili en, die durch den Bezug von Hartz-IV-Leistungen ihre Armut quasi nachgewiesen haben, eine Unterstützung verdienen, die jungen Familien, die ein geringes Einkommen beziehen und die Mittel ebenso dringend brauchen, jedoch nicht.

Nun wurde das Landeserziehungsgeld aufgrund einer bloßen Annahme gestrichen. Eine endgültige Entscheidung über die Abrechnung wurde nicht abgewartet, sodass nun im Ergebnis niemand mehr Unterstützung erhält, obwohl die SPD in ih rem Wahlprogramm noch Folgendes vertrat:

Wir werden Kinder- und Familienarmut in Baden-Würt temberg bekämpfen. Auf uns ist Verlass: Wir werden das Landeserziehungsgeld als wichtige Leistung/Unterstüt zung für einkommensschwache Familien verteidigen.

Auch der so oft betonte Ausgleich für den Wegfall ist nicht erkennbar. Als Kompensation soll u. a. das Programm STÄR KE dienen und daher in vollem Umfang erhalten bleiben. Nur: Mit der Kompensation kann es nicht so weit her sein, da sich die Haushaltsansätze hier nicht verändert haben.

Bezeichnend ist auch, dass in der Stellungnahme der Landes regierung vom November 2012 neben dem Programm STÄR KE auf die Erhöhung der Mittel für Schulsozialarbeit sowie auf den ausstehenden Armuts- und Reichtumsbericht und das Landesarbeitsmarktprogramm verwiesen wird. Keine der auf gezählten Maßnahmen ist eine direkte finanzielle Unterstüt zung bedürftiger Familien. Vielmehr handelt es sich um künf tige Projekte und Modellversuche – ein schwacher Ersatz für ein seit Jahrzehnten etabliertes, gutes Programm.

Wir stellen deshalb heute nochmals den Antrag, das Landes erziehungsgeld in seiner bisherigen Form fortzuführen.

Frau Ministerin, ich vermute, Ihr Zwischenruf wird nicht Ein gang ins Protokoll gefunden haben, weil es nicht zulässig ist, dass Regierungsmitglieder in einer Plenardebatte einen Zwi schenruf machen.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Aber als Abgeordne te!)

Aber wenn ich es richtig gehört habe – ein paar Kollegen ha ben es mir bestätigt –, haben Sie das getan. Heute früh in der Aktuellen Debatte hat Herr Kollege Kunzmann die rhetori sche Frage gestellt, ob es denn falsch sei, wenn man Famili en besserstelle. Mir wurde gesagt, Sie hätten daraufhin einen Zwischenruf mit dem Wort „Ja“ gemacht. Darüber sollten Sie nachdenken. Wenn das tatsächlich so war, sollten Sie das nachher in Ihrem Beitrag dementieren.

Kommen wir zu einem anderen Punkt, zum Landesprogramm „Gute und sichere Arbeit“. Man kann schon über den Begriff streiten. Kernstück des Landesprogramms ist der sogenannte Passiv-Aktiv-Transfer. Das ist auch ein bundespolitisches Thema. Dieses Element ist bisher im SGB II gesetzlich noch nicht vorgesehen. Daher kann dies nur als Modellprojekt durchgeführt werden, was durch den Einsatz von Landesmit teln ermöglicht wird. Dargestellt haben Sie es als ein Modell, bei welchem die Leistungen für den Regelbedarf und die Kos ten der Unterkunft in Arbeitsentgelte umgewandelt werden. Dies ist so pauschal nicht korrekt, denn diese Leistungen dür fen tatsächlich nicht bezahlt werden, wenn jemand beschäf tigt ist.

Ziel ist die Entwicklung eines sozialen Arbeitsmarkts, um ar beitsmarktfernen, langzeitarbeitslosen Menschen mit multip len Vermittlungshemmnissen eine sozialversicherungspflich tige Beschäftigung zu ermöglichen. Dieses Ziel ist nicht grund sätzlich zu beanstanden und wird auch unterstützt. Das haben wir im letzten Jahr schon gesagt. Nur stellt sich die Frage, ob das tatsächlich der richtige Weg ist und nicht nur ein Presti geobjekt.

Denn ein Punkt dieses Programms darf nicht ignoriert wer den: Das Gehalt wird zu 100 % durch öffentliche Leistungen gedeckt, nämlich zum einen durch den von der individuellen Minderleistung abhängigen Zuschuss des Jobcenters zur Be schäftigung nach § 16 SGB II, der bis zu 75 % des Entgelts ausmachen kann, und zum anderen durch einen Zuschuss von Stadt- oder Landkreisen anstelle der ersparten kommunalen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung von monatlich 400 € pro Teilnehmer. Zusätzlich werden die Kosten für die Betreuungskraft übernommen.

Da Langzeitarbeitslose mit Vermittlungshemmnissen die Ziel gruppe sein sollen, dürften die Mittel wohl auch ausgeschöpft werden. Für die an dem Programm teilnehmenden Arbeitge ber besteht somit keinerlei Risiko. Die Frage ist nur, ob diese auch bereit sind – das ist eigentlich unser gemeinsames Ziel –, diese Personen weiterzubeschäftigen, wenn das Geld nicht mehr fließt.