Protokoll der Sitzung vom 20.05.2020

Deshalb ist es wichtig, dass das Land aktiv an der Weiterent wicklung dieser Finanzverfassung mitwirkt, sich als selbstbe wusstes Land zu seiner eigenen Staatlichkeit bekennt und ei gene Akzente setzt. Das findet Niederschlag in diesem Ge setzentwurf.

Zweitens zeichnet diesen Gesetzentwurf aus, dass ihn vier Fraktionen tragen, während Verfassungsänderungen sonst eher auf Veranlassung der Regierung erfolgen, wenn diese aus ak tuellem Anlass ein Gesetz erlassen will und dazu eine Verfas sungsänderung braucht. Hier ist es nicht so; hier kommt die Initiative aus dem Parlament selbst. Der breite Rückhalt ist gut, wenn wir an das Unterfangen einer Verfassungsänderung gehen,

(Beifall)

vor allem dann, wenn es sich um eine solch weitreichende Entscheidung mit erheblichen Konsequenzen handelt. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass gerade jetzt, im Zei chen von Corona, diese Schuldenbremse ihre besondere Be deutung gewinnt.

Der dritte Punkt: Diese Regelung, die wir jetzt in dritter Le sung beschließen, stärkt vor allem den Haushaltsgesetzgeber, der für den Haushalt, für die Finanzpolitik dieses Landes ver antwortlich ist. Es ist das Königsrecht des Parlaments, das wir mit dieser Verfassungsänderung deutlich stärken. Ich glaube, es ist gut so, wenn wir das Handeln des Parlaments gerade in seiner Kernfunktion als Haushaltsgesetzgeber weiter stärken und auf eine entsprechend breite Legitimationsgrundlage stel len, nämlich unsere Verfassung.

Diese Stärkung scheint mir besonders dann wichtig, wenn wir in einer Zeit leben, in der mit Verordnungen regiert wird und in der das eine oder andere in der parlamentarischen Beratung durchaus zu kurz kommen kann.

Der vierte Punkt ist die konkrete Ausgestaltung der Schulden bremse mit ihren Abweichungen von der grundgesetzlichen Regelung. Für uns ist die Feststellung einer Notsituation mit Zweidrittelmehrheit wichtig. Wir sind stolz darauf, dass wir das erreichen konnten und dem Primat des Parlaments ent sprechend Rechnung getragen wird.

Wir begrüßen die Aufnahme der Konjunkturkomponente ei nerseits und des Kontrollkontos andererseits, womit ausnahms weise aufgenommene Schulden in einem respektablen Zeit raum zurückgezahlt werden müssen.

Auch werden die Kontrollrechte des Parlaments zweifelsoh ne gestärkt. Gestärkt wird auch die Rolle der Nichtregierungs fraktionen. Das ist uns besonders wichtig. Ich glaube, das zeigt dieses Gesetz. Das ist gut so.

Abschließend: Die Verfassungsänderung ist kein Grund zum Jubeln, aber sicher eine wichtige Grundlage für eine seriöse Haushaltspolitik in der Zukunft. Diese muss ihre Alltagstaug lichkeit noch unter Beweis stellen. Ihre Anwendung ist Dau eraufgabe, bei der Parlament und Regierung insgesamt gefor dert sind.

Den Fraktionen, die diesen Gesetzentwurf eingebracht haben, aber auch der Arbeitsgruppe beim Finanzministerium, an der die Fraktionen mitgewirkt haben, der Frau Finanzministerin und dem Rechnungshof herzlichen Dank. Ich glaube, wir sind da auf einem guten Weg.

(Beifall)

Nun hat Herr Abg. Dr. Po deswa das Wort für die AfD.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir spre chen heute in der Dritten Beratung über das Gesetz zur Än derung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg. Es geht um die Einführung der Schuldenbremse. Die AfD steht, wie schon mehrfach angemerkt, nicht auf der Liste der Unter stützer dieser Verfassungsänderung. Der Grund dafür ist al lerdings einzig und allein das infantile Verhalten der Altpar teien.

(Beifall)

Wir freuen uns trotzdem darüber, dass Sie einen Programm punkt aus dem AfD-Landtagswahlprogramm aus dem Jahr

2016 im Wesentlichen vollständig umsetzen. So falsch kön nen die Forderungen, so falsch kann das Programm der AfD dann ja offensichtlich nicht sein.

(Beifall – Zuruf: Schauen Sie mal ins Wahlprogramm 2020 der CDU!)

Was soll die Schuldenbremse bewirken? Wir wollen damit kommende Generationen vor einer Überschuldung schützen. Leider wird dieses minimal gestiegene Verantwortungsbe wusstsein der Landespolitik gleichzeitig torpediert durch die Bundespolitik und durch die EU-Politik.

(Zuruf: Oh Jesses!)

Während in den europäischen Verträgen, während in Artikel 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Uni on klar und unmissverständlich geregelt ist, dass kein Staat für die Schulden der anderen Staaten haften darf, will Ihr Alt parteienkartell unser Steuergeld erneut verschenken. Sie tre ten den europäischen Gedanken, Sie treten die europäischen Verträge mit Füßen.

Angela Merkel und Emmanuel Macron wollen zusammen 500 Milliarden € Schulden als Wiederaufbaubonds über den EUHaushalt aufnehmen und ohne Rückzahlungsverpflichtung verschenken. Jeder weiß, wer das bezahlen soll. Welche Stra ße, welche Brücke, welche Schule wurde vom Coronavirus zerstört und muss jetzt wieder aufgebaut werden? Es ist völ lig klar, dass dieses Geld direkt in die konsumtiven Ausgaben der Haushalte der europäischen Länder fließen wird. Die Bun deskanzlerin will das Geld der deutschen Steuerzahler ver schenken, das Geld der Steuerzahler, die der OECD, der EZB und der Bank Credit Suisse zufolge mit rund 35 000 € Medi anvermögen pro Kopf in Europa das geringste Vermögen ha ben. Das geringste! Nur Portugal ist noch ärmer. Und Italien mit über 70 000 € Medianvermögen pro Kopf hat schon an gekündigt, dass 500 Milliarden € nicht reichen werden. Da wird man nachlegen müssen.

Dabei wäre nur der deutsche Anteil an diesem Geschenk mit rund 150 Milliarden € ausreichend, um die Grundrente in Deutschland für 50 Jahre zu finanzieren.

(Beifall – Zuruf: Hört, hört!)

Dass Deutschland die höchsten Steuern und Abgaben der Welt hat, reicht nicht. Wir beschenken dann noch die Staaten, wel che wie Spanien das bedingungslose Grundeinkommen an ih re Bürger auszahlen wollen. Das ist in Spanien Regierungs programm.

Kommen wir zur Landespolitik zurück. Über das Hilfspaket I der Regierung wurden nach der Aufstellung der Finanzminis terin bisher 2,2 Milliarden € ausgezahlt.

Das Hilfsprogramm II über 1,5 Milliarden € wurde gerade ver kündet, ebenso wie der Investitionsfonds über 1 Milliarde €. Die Steuermindereinnahmen belaufen sich auf 3,3 Milliar den €. Das macht zusammen genau 8 Milliarden €. Es wurde ja wiederholt festgestellt, dass die Steuermindereinnahmen – wir sparen nicht in die Krise hinein – nicht durch Einsparun gen, sondern – durch was? – durch zusätzliche Schulden ge deckt werden sollen. Gleichzeitig verzeichnen die Gemeinden Steuermindereinnahmen in Höhe von 3,6 Milliarden €. Das sind zusammen schon 11,6 Milliarden €.

Und hier will die Landesregierung – sie muss es – einen Ret tungsschirm aufspannen. Weiter ist ein Konjunkturprogramm für die Wirtschaft in Milliardenhöhe geplant, und Herr Lucha will beträchtliche Mittel in das Gesundheitssystem investie ren, um auf die zweite Infektionswelle vorbereitet zu sein. Wenn ich nicht ganz falsch gerechnet habe, sind wir hier schon bei realistischen 15 Milliarden € angekommen.

Wir alle wissen, dass das Land mit Kreditermächtigungen – neue Schulden in Höhe von 5 Milliarden € – und Haushalts reserven über 6,2 Milliarden € verfügt. Wir haben also rund 15 Milliarden € Bedarf, 6,2 Milliarden € wurden bislang be schlossen. Da ist es schon sehr verwunderlich, wenn Herr Schwarz, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, vor zwei, drei Stunden den Pressevertretern erklärt hat, dass „verantwortungs bewusst“ eine Reserve von 1,5 Milliarden € zurückgehalten wurde.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Und der Ministerpräsident tritt dieser Lüge nicht entgegen! Da stelle ich mir die Frage: Warum, Herr Ministerpräsident Kretschmann, verheimlichen Sie den Bürgern von BadenWürttemberg die Finanzkatastrophe des Landes?

(Beifall)

Herr Abg. Dr. Podeswa, kommen Sie bitte zum Ende.

Warum, Herr Ministerpräsi dent, lassen Sie zu, dass die Bürger belogen werden? Welche Absichten verfolgen Sie damit?

(Beifall – Zuruf: Sehr gut! – Abg. Tobias Wald CDU: Kein Wort zur Schuldenbremse! – Gegenruf des Abg. Bernd Gögel AfD: Es ist doch in der aktuellen Situ ation fatal, über die Schuldenbremse zu sprechen!)

Herr Abg. Brauer, Sie sprechen nun für die FDP/DVP.

(Unruhe)

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rechnung des Kollegen Podeswa von gerade eben konnte ich nicht ganz nachvollziehen.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Der Landtag hat für die Intervention aufgrund der Corona krise Kreditbewilligungen in Höhe von 5 Milliarden € freige geben – so weit d’accord. Nimmt man die 1,2 Milliarden € Haushaltsrücklage hinzu, so beläuft sich der zusätzliche finan zielle Handlungsspielraum auf mehr als 6 Milliarden €. Die se Summe wird noch durch die Zuweisungen des Bundes für Soforthilfen und den Gesundheitsfonds ergänzt.

Dass diese Ad-hoc-Bewilligungen und die Verwendung von Rücklagen hier dringend erforderlich waren, bestreitet nie mand ernsthaft. Über die Mitnahmeeffekte, die dabei entstan den sind, lässt sich allerdings trefflich streiten, und hier muss auch dringend nachgeprüft werden, welche Unternehmen in unsolidarischer Weise Soforthilfen in Anspruch genommen haben.

Jetzt wird ja nicht mehr nur mit der Gießkanne agiert, sondern seit gestern werden auch branchenspezifische Hilfen auf den Weg gebracht. Ministerpräsident Kretschmann wollte dies ja eigentlich nicht; seine Minister haben aber bereits im Vorfeld die genaue Höhe sowie die Modalitäten der Auszahlung hin ausposaunt – nur, um dann von ihm teilweise zurückgepfiffen zu werden.

Nebenbei bemerkt: Die 10 Millionen €, die Sie für den Sport übrig haben, sind ein Treppenwitz der Coronageschichte.

Bei der Mittelverwendung lief also nicht alles rund. Bei der Mittelherkunft beginnen die Probleme erst jetzt. Umsatzsteu er, sonstige Verbrauchsteuern, Gewinnsteuern und die Ein kommensteuer – überall sind drastische Rückgänge zu erwar ten. Die Rede ist von 6,8 Milliarden € im Jahr 2021, die we niger in der Landeskasse sein werden, und ein Delta von 5,9 Milliarden € im selben Zeitraum bei Kreisen, Städten und Ge meinden. Für diese ist der Einbruch bei den Gewerbesteuer einnahmen natürlich besonders dramatisch.

Da erübrigt sich die Frage, ob man diese enormen Steueraus fälle nur durch zusätzliche Schulden kompensieren kann. Man kann das nicht; man darf es nicht. Wir werden also auf der Ausgabenseite alles zur Disposition stellen müssen, was in der Gegenwart nicht unbedingt erforderlich ist und was nicht der Sicherung unseres Wohlstands in der Zukunft dient.

(Beifall)

Ausgabenkritik mit einer gehörigen Portion Selbstkritik – das erwarte ich von der Landesregierung.

Prestigeprojekte, Stellenaufwuchs in den Ministerien und Selbstbeweihräucherung – genannt: Imagekampagnen – ha ben in einer Krise dieses Ausmaßes gar nichts verloren. Das müssen Sie jetzt einsehen und auch danach handeln. Ihr Ver halten in der Vergangenheit war nicht dazu geeignet, dieses Land krisenfest zu machen. Ein aufgeblähter Haushalt, der keinen Raum mehr für nennenswerte Tilgungsleistungen lässt, ist das Ergebnis von neun Jahren Regierung Kretschmann. Das Ergebnis ist ein riesiger Schuldenberg von 45 Milliar den €, der jetzt natürlich im Zuge von Corona noch weiter an wachsen wird.

Ja, das Land kann sich auch mit der Schuldenbremse weiter verschulden. Auch nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Schuldenbremse ist es möglich, dass im Zuge eines Konjunk turausgleichs im Sinne des Absatzes 2 oder durch Feststellung einer Notlage gemäß Absatz 3 des Artikels 84 der Landesver fassung die Einnahmen und Ausgaben durch weitere Schulden aufnahme ausgeglichen werden.

Die Finanzministerin wird ja nicht müde, zu betonen, dass ei ne Verschuldung von rund 1 Milliarde € schon beim letzten Doppelhaushalt – unter Maßgabe der Verfassungsänderung – möglich gewesen wäre. Das stimmt auch. Aber, Frau Sitz mann, erwarten Sie von der Opposition tatsächlich, dass wir Sie loben, nur weil Sie in Zeiten der höchsten Steuereinnah men in der Geschichte Baden-Württembergs ohne neue Schul den ausgekommen sind? Das können Sie nicht von uns erwar ten; das ist nämlich eine reine Selbstverständlichkeit.