Das heißt, man reagiert auf den Druck aus der Bevölkerung erst dann, wenn er entsprechend groß ist und wenn man er kennt, dass die eigene Entscheidung vielleicht falsch war.
Heute Morgen hatten wir ein ganz prominentes Beispiel: Wir hatten die Anweisung des Kultusministeriums, für das kom mende Schuljahr das Singen an den Schulen komplett zu ver bieten. Dagegen gab es einen großen Aufstand, angekündig te Demonstrationen; die Bevölkerung meldete sich zu Wort. Dann reißt man das Steuer herum und stellt die eigene Ent scheidung infrage – und macht im Prinzip das Gegenteil von dem, was man gestern noch gesagt hat.
Da stellt sich für viele Menschen die Frage: Ist diese Landes regierung möglicherweise schwerhörig? Versteht sie nur noch etwas, wenn nicht mehr das Gehörtwerden, sondern das An geschrienwerden alltäglich ist? Politik muss zuhören. Sie muss hören, was Bürger sagen, und sie sollte auch immer zu hören.
Eine Politik der Landesregierung, die vorab nicht zuhört, hat hinterher immer sehr viel zu korrigieren. Wenn die Regierung unsinnig entscheidet, kommt lauter Protest der Bürgerinnen und Bürger, und dann plötzlich kommt die Kehrtwende. Das darf uns, wenn wir Politik richtig machen wollen, nicht so oft passieren. Denn der Frust in der Bevölkerung steigt, und vor allem steigt der Frust derer, die sich dann eben sehr laut zu Wort melden.
Wir müssen versuchen, dies durch eine frühzeitige Einbin dung der Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Was heißt das beim konkreten Projekt des Volksantrags? Das heißt, dass wir diesen Prozess, der in der Landwirtschaft jetzt die Landwir tinnen und Landwirte in unserem Land vor riesengroße Her
ausforderungen stellt, nicht einfach als mit dem Erlass dieses Gesetzes erledigt abhaken wollen. Das mahnen die Landwir tinnen und Landwirte auch ausdrücklich an, dass das der Be ginn eines Prozesses sein muss. Da müssen Sie in Ihrer aktu ellen Regierungskonstellation aufpassen, dass Sie die ideolo gischen Scheuklappen, die Sie möglicherweise bei der Erar beitung dieses Gesetzentwurfs endlich einmal abgenommen hatten, nicht ganz schnell wieder aufhaben.
Es geht nämlich um die Frage, wie wir den Prozess so beglei ten, dass die Landwirtinnen und Landwirte es gemeinsam schaffen, diesen Umstellungsprozess in Richtung von weni ger Pestizideinsatz und mehr Biolandbau voranzubringen. Da hilft es überhaupt nichts, wenn Sie einem Teil der Landwir tinnen und Landwirte ein Schild entgegenhalten: Nur die Bio landwirtschaft ist die gute Landwirtschaft, und die konventi onelle Landwirtschaft ist die böse Landwirtschaft.
Das ist Ideologie; das funktioniert nicht. Deswegen ist es auch wichtig, dass man den Landwirtinnen und Landwirten die Wahrheit sagt, dass nämlich eine Umstellung notwendig ist.
Da ist es jetzt zentral – jetzt ist leider Herr Umweltminister Untersteller nicht im Saal, der vorhin nämlich gelacht hat –: Wir haben damals, als es um das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ ging, gesagt: Die Bestrebungen sind richtig, der An stoß ist richtig, aber die Landwirtinnen und Landwirte dürfen mit diesen Herausforderungen nicht alleingelassen werden. Hier geht es um die Sicherung von Existenzen in der bäuerli chen Landwirtschaft in Baden-Württemberg. Und das gehört zur Wahrheit dazu.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das, was wir heute tun, ein gutes Zeichen für die direkte Demokratie in Ba den-Württemberg. Aber das darf nicht dazu führen – die Ge fahr sehe ich –, dass die Selbstzufriedenheit obsiegt, dass man sich zurücklehnt und sagt: „Wir haben alles richtig gemacht.“ Schon die Tatsache, dass es des Volksantrags und des Volks begehrens bedurfte, sollte Ihnen zeigen, dass Sie nicht alles richtig gemacht haben.
Auch die Situation, die draußen aktuell stattfindet, dass sich Bäuerinnen und Bauern mit ihren Problemen zum Teil allein gelassen fühlen, dürfen wir so nicht lassen. Wir müssen den Umweltverbänden eine Stimme geben, und wir müssen einen guten Ausgleich mit den Landwirtinnen und Landwirten fin den. Beide müssen bereit sein, von Maximalpositionen her unterzugehen, und zwar nicht nur bei diesem Gesetzentwurf, sondern auch in der Entwicklung in den nächsten Jahren. Dann werden wir in Baden-Württemberg stabile bäuerliche Strukturen und definitiv mehr Artenschutz und Biodiversität haben.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, „Mehr Demo kratie wagen“, hat einmal ein großer Politiker der SPD for muliert, um ein neues, demokratisches Zeitalter in dieser Re publik einzuläuten. Das war damals mit Sicherheit wichtig und notwendig. Sie hätten vor einem Jahr dazu die Gelegen heit gehabt. Wenn Sie das Demokratiestärkungsgesetz der AfD nicht einfach abgebügelt hätten, hätten Sie die Gelegenheit gehabt, auch hier in diesem Land mehr Demokratie zu wagen.
Den ersten erfolgreichen Volksantrag, wie Sie ihn zu Recht bezeichnet haben, haben zwei Imker aus Stuttgart initiiert. Es ging um das Bienensterben. Als dieser Antrag erfolgreich lief, haben die Landesregierung und speziell die Grünen richtig Panik bekommen. Ich verstehe das. Denn Sie regieren jetzt seit fast zehn Jahren dieses Bundesland, und in Ihrem Kern geschäft des Umwelt- und Naturschutzes brauchen Sie ein Volksbegehren, um eine vernünftige Umwelt- und Natur schutzpolitik zu betreiben. Das hat Sie zu der Zeit natürlich massiv verunsichert. Das kann ich nachvollziehen.
Aber wenn Sie das nun hier als eine große Leistung und als eine große Einigung der Ministerien mit den Antragstellern dargestellt haben – um das Ganze dann in einen Gesetzent wurf münden zu lassen, mit dem beide Seiten mehr schlecht als recht leben können –, dann sehe ich das doch als etwas übertrieben an.
Zur Politik des Gehörtwerdens – es hat mich auch sehr ge freut, dass Sie das hier erwähnt haben –: Vielleicht hören Sie einmal auf alle Teile des Parlaments. Es wäre schön, wenn nicht ein Teil dieses Parlaments permanent ausgeklammert würde – wie heute Morgen beim Tagesordnungspunkt 3; so etwas ist hier zum zweiten Mal im letzten halben Jahr gesche hen.
Ja, das Gehörtwerden: Wir möchten, dass unsere Wähler, die se Hunderttausende, bundesweit Millionen Wähler im Parla ment gehört, nicht ausgegrenzt und nicht als Nichtdemokra ten verunglimpft werden.
Wenn wir nun zur Verbindung Mensch – Natur kommen, so haben Sie ein wichtiges Zitat gebracht: Das Wirkungsgefüge der Natur regelt alles. Das ist so. Seit Anbeginn dieses Plane ten ist es so, dass die Natur den Lauf der Dinge bestimmt und nicht der Mensch. Das müssen wir noch einmal betonen. Es ist eine permanente Überheblichkeit, den Menschen über die Natur zu stellen. Das funktioniert nicht, meine Damen und Herren.
Vielleicht versucht die Natur im Moment ja auch, eine Rege lung in Bezug auf die Überbevölkerung herbeizuführen – was Covid-19 betrifft. Auch das ist möglich.
Wir werden es nicht wissen, wir werden es nicht erfahren. Wir können uns dagegen wehren, wir können uns dagegen stem men, uns entsprechend verhalten und uns anpassen, aber den Lauf der Dinge auf diesem Planeten regelt die Natur und nicht der Mensch.
Insektensterben: Ich habe, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, das Gefühl, dass meine Windschutzscheibe beim Fahren doch tatsächlich wieder verdreckt.
Diese Zeit kommt erst noch, wenn Sie mit Ihrer Politik am Ende sind. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, zu dem es nur noch ein Auto in Baden-Württemberg gibt. Dann müssen wir uns darum streiten.
Überlegen Sie mal, ob das Insektensterben nicht auch etwas mit Ihrem 2012 eingeführten E-10-Zusatz zum Treibstoff zu tun hat. Dies hat bewirkt, dass in der Landwirtschaft sehr viele Monokulturen entstanden sind,
etwa Mais und andere Pflanzen, die für den Sprit und für rein fahrtechnische Zwecke angebaut wurden. Es entstanden gro ße Monokulturen.
(Zurufe, u. a. Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜ NE: Wo sind Ihnen denn Ihre Ideen gekommen? Auf dem Klo?)
Damit hat zu tun, dass die Kleintiere in diesen Regionen, auf diesen Feldern keinen Lebensraum mehr finden.
Dann haben Sie hier die Ausgaben für Lebensmittel erwähnt. Das entspricht natürlich der Wahrheit; selbstverständlich. Die Menschen geben durchschnittlich nur noch 13,7 % ihres Ein kommens für Lebensmittel aus. Aber ich sage Ihnen auch, wa rum: Sie können gar nicht mehr ausgeben, denn sie haben ja schon 60 % an Sie, an den Staat, abgeführt. Wo sollen diese Menschen denn noch mehr Geld für Lebensmittel hernehmen?
Ich bin gestern Morgen durch Bad Cannstatt gefahren und kam an einem Tafelladen vorbei. Ich kann Ihnen sagen: Da stand eine Schlange von mindestens 25 Menschen – mit Ab stand –; diese standen an, um in diesem Tafelladen Lebens mittel zu besorgen – oder das, was noch an Lebensmitteln üb rig war. Solche Zahlen nehmen zu; das lesen Sie täglich. Da kann man doch nicht kritisieren, die Menschen würden nur 13,7 % ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Sie würden gern 40, 50 % ihres Einkommens für gute Lebensmit tel ausgeben. Aber dieses Geld müssen Sie ihnen auch lassen.
Zu Ihren Ideen von Biodiversität, vom Umbau der Gesell schaft, von neuen Anbaukulturen, von Bioanbau muss ich sa gen: Eine Position ist bei den Verhandlungen in Brüssel fast komplett hinten heruntergefallen, und das sind Ihre Ideen zum Naturschutz.
Dieses Billionenprogramm, das da aufgelegt wurde, beschäf tigt sich in erster Linie mit den Grundbedürfnissen der Men schen in Europa: Arbeitsplätze, Einkommen. Das sind die we sentlichen Punkte. Das muss zunächst mal gesichert werden. Denn das Hemd ist allen näher als die Hose. So ist das.
Zu den Ideen, die Sie für die Zukunft haben, und dazu, was Bioanbau, was gute, qualitativ hochwertige Lebensmittel be trifft, was das Tierwohl betrifft: Das ist alles umsetzbar – aber nur mit einem gewissen Protektionismus, der das überhaupt erst ermöglicht.