Ich werde nicht mehr wi dersprechen. – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kol legen! Heute schreiben wir ein kleines Stück Rechtsgeschich te. Lange wurde bemängelt, dass die Parlamente kaum über verbindliche Mitsprachemöglichkeiten bei den Corona-Ver ordnungen der Regierungen verfügen. Heute ist die Landes regierung erstmals auf die Zustimmung des Landtags zur gel tenden Corona-Verordnung angewiesen. Die Initiative dafür ging bereits Mitte Mai von einem Gesetzentwurf der FDP/ DVP-Fraktion aus.
Es ist in der Folge gelungen, fraktionsübergreifend und ge meinsam einen Gesetzentwurf vorzulegen, der zwar ein gan zes Stück hinter dem unseren zurückgeblieben ist, aber doch vorsieht, dass der Landtag alle zwei Monate seine Zustim mung zur Corona-Verordnung erteilen muss. An dieser Stel le herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen für die konstruktiven Gespräche.
Es ist gut, dass die Deutungshoheiten von den Regierungen wieder auf plural zusammengesetzte Gremien übergehen, in
denen die gesellschaftliche Vielfalt Stimme hat. Denn ange sichts dessen, was wir heute über das Virus wissen, ist eine geänderte Betrachtungsweise geboten: weg von Maximalmaß nahmen, hin zu einem Denken, bei dem Zweck-Mittel-Rela tionen auf der Basis normativer Zurechnungen handlungslei tend werden – wenn Sie so wollen, Schritte in Richtung Nor malität.
In den letzten Monaten wurde viel über die Maßnahmen ge schrieben und diskutiert. Ja, es wurde auch protestiert, auch von so manchen, deren krude Theorien von mir, von meiner Fraktion und wohl auch von der Mehrheit in unserer Gesell schaft nicht geteilt oder vielmehr abgelehnt werden.
Doch die Grundrechte stehen nicht unter Demoskopievorbe halt, etwa nach dem Motto: Als politische Gemeinschaft könn ten wir uns doch mehrheitlich einig sein, auf die Ausübung unserer Freiheitsrechte auch einmal kollektiv zu verzichten, wie es der Verwaltungsrechtler Oliver Lepsius in einem Gast beitrag in der FAZ trefflich formulierte. Ja, er hat recht: Es darf keine einseitige Beschränkung bei der Zielverfolgung ge ben. Vielmehr ist die Vielzahl der Belange im Blick zu behal ten.
Grundrechte formulieren eben nicht nur Rechte, sondern sie formulieren eine rechtlich sanktionierbare politische Kultur der Willensbildung und Entscheidungsbegründung. Sie ver langen, bei der hoheitlichen Willensbildung berücksichtigt zu werden, und beschränken die Eingriffe auf das Verhältnismä ßige.
Davon war insbesondere zu Beginn der Pandemie im Bund, aber auch in Baden-Württemberg mitunter wenig zu spüren. Viel zu lange, scheint es, hat man die Deutungshoheit einsei tig an Berater, Virologen und Epidemiologen abgetreten, statt auch Akteure mit einzubeziehen, die über die unterschied lichsten Lebensbereiche Bescheid wissen.
Daher kam zu spät zur Sprache, welche Schäden der nach die sem Verfahren gewählte Kurs auslöst und möglicherweise noch auslösen wird – für unser Arbeitsleben, für die Wirt schaft, für Kultur und Religion, vor allem aber für die Kinder und die vernachlässigten Themen Bildungs- und Chancenge rechtigkeit. Gerade in diesem Punkt liegt noch einiges im Ar gen.
Wir mussten auch feststellen, dass die freie Entfaltung der Per sönlichkeit – Freizeit, Hobby oder auch Spaß, eben all das, was auch Lebensqualität in unserem Land ausmacht – über keine grundrechtliche Lobby verfügt, nicht selten verstärkt durch das vielfach eingeredete schlechte Gewissen, Freiheits gebrauch sei lebensgefährlich und unsolidarisch.
Dies – auch das möchte ich an dieser Stelle in aller Deutlich keit sagen – liegt aber auch daran, dass es einige Unbelehrba re gibt, die nicht wahrhaben wollen, dass Freiheit und Verant wortung für sich und für den anderen untrennbar miteinander verbunden sind.
(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Sehr richtig!)
Dennoch war es nicht vermeidbar, dass wir zahlreiche Blüten erleben mussten, die nicht selten durch die Gerichte kassiert
und korrigiert werden mussten. Der gebetsmühlenhafte Ver weis auf die §§ 28 und 32 des Infektionsschutzgesetzes greift zum Ärger auch mancher Regierenden eben nicht durchgän gig, da weitgehende Grundrechtseingriffe davon nicht abge deckt werden. Auch das gehört in diese Diskussion, dass wir uns in Erinnerung rufen müssen, dass das Grundgesetz gera de keine Rangordnung der Freiheitsrechte vorsieht.
Ich bin inhaltlich bei Ihnen. Hier zu vernünftigen und diffe renzierten Schritten zu gelangen ist sicherlich nicht leicht. In einer Partizipationskultur mit dem Erfahrungswissen aus un terschiedlichen Lebensbereichen gestaltet sich dies jedoch leichter.
Lassen Sie mich daher exemplarisch drei Punkte benennen, anhand derer Problemlagen beleuchtet werden sollen und die wir mit entsprechenden Entschließungsanträgen flankieren.
Zum einen fordern wir den Erlass einer eigenen Verordnung für Weihnachtsmärkte und ähnliche Spezialmärkte. Die Stand betreiber und die Kommunen brauchen endlich Planungssi cherheit dahin gehend, ob und in welcher Form Weihnachts märkte stattfinden können.
Unter Wahrung der seither in der Gastronomie bewährten Hy giene- und Abstandsvorschriften muss dies – und auch der Ausschank von alkoholischen Getränken – möglich sein. Das Thema ist trotz des Vorschlags des Herrn Ministerpräsidenten noch nicht obsolet, da die aktuelle Verordnung Spezialmärk te und Messen eben noch immer reguliert.
Es ist auch unsere Aufgabe – ohne irgendetwas zu verharm losen oder zu negieren –, ein Signal der Zuversicht und des Optimismus auszusenden. Schließlich ist das Gesundheitssys tem sehr gut vorbereitet, während die deutsche Bevölkerung mental wenig vorbereitet ist. So hat es zumindest der Virolo ge Hendrik Streeck vorhin in einem Interview ausgeführt: Es gibt zu viel Angst, hat Streeck gesagt.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der AfD – Abg. Anton Baron AfD: Ja, in den Medien beson ders!)
Ferner fordern wir eine Bildungs- und Betreuungsgarantie für die Schulen und die Kindertagesbetreuung. Eltern, Kinder und Lehrer brauchen die Planungssicherheit, dass es hier keine flä chendeckenden Schließungen mehr geben wird. Notwendig ist vielmehr ein Stufenplan – –
Entschuldigung. Kann die AfD ihre Besprechung jetzt vielleicht nach außerhalb des Ple narsaals verlegen, bitte? Das geht jetzt schon arg lange. Über einen räumlichen Abstand hinweg so viel zu reden ist einfach zu laut.
Vielen Dank, Frau Präsi dentin. – Notwendig ist vielmehr ein Stufenplan, anhand des sen klar wird, ab welchem Infektionsgeschehen vor Ort wel che lokale Maßnahme für die Bildungseinrichtung getroffen wird.
Außerdem beantragen wir, das Verbot jahrgangsübergreifen der Arbeitsgemeinschaften an den Schulen anhand der Rege lungen und Erfahrungen in anderen Bundesländern zu über prüfen und entsprechend dem Ergebnis eine Regelung zu er arbeiten, welche die jahrgangsübergreifenden Arbeitsgemein schaften unter Einhaltung der Gesundheitsschutzbestimmun gen wieder ermöglicht.
Schließlich soll es in Reisebussen Gruppen von bis zu zehn Personen erlaubt werden, auf den Mund-Nasen-Schutz zu ver zichten, wenn ausreichender Abstand zu anderen Personen ge währleistet ist. Es ist nicht nachvollziehbar, warum in Reise bussen schärfere Vorgaben gelten sollen als beispielsweise in geschlossenen Räumen von Restaurants.
Gestatten Sie mir noch einen Satz zu den Coronagästelisten. Es wird vielfach bemängelt, dass hier häufig Aliasnamen an gegeben werden. Ich habe es vorhin bereits angesprochen: Wir hatten es auch in einer Anfrage thematisiert, und im Ergebnis stand einfach die Sorge bei den Betroffenen, dass diese Lis ten möglicherweise bei strafrechtlichen Ermittlungen heran gezogen werden. Warum wird nicht – das war auch ein Vor schlag, den wir unterbreitet haben und bei dem ich weiß, dass er auch Unterstützung aus den Reihen anderer Fraktionen fin det; ich schaue den Kollegen Sckerl an, der mir vorhin auch gerade signalisiert hat, dies mittragen zu können – seitens des Justiz- oder des Innenministeriums eine Verzichtserklärung ausgestellt und erklärt, dass diese Gästelisten nicht zur straf rechtlichen Ermittlung herangezogen werden? Dann würde es vielen vielleicht leichter fallen, hierbei auf die Angabe von Aliasnamen zu verzichten.
Die geltenden Corona-Verordnungen des Landes weisen ins gesamt Licht, aber auch viel Schatten auf. Wir wissen heute deutlich mehr über das Covid-19-Virus, und das bedeutet auch, dass Maßnahmen und Beschränkungen noch zielgerich teter erfolgen müssen. Entscheidend ist die Eindämmung des Virus am Ort des Geschehens. Insofern hat sich neben dem Miteinander auch der föderale Wettbewerb bewährt.
Heute entscheiden wir über die Corona-Verordnung in der ak tuellen Fassung. Diese werden wir aufgrund der genannten Defizite nicht mittragen können.
Frau Präsidentin, meine Da men und Herren! In der Medizin gilt der Grundsatz, dass die Therapie keinen größeren Schaden anrichten darf als die Krank heit selbst. Das muss analog auch für Maßnahmen und Geset ze gelten, die von der Politik beschlossen werden.
In Bezug auf Corona-Erkrankungen bedeutet dies, dass die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Virusausbreitung er griffen werden, nicht zu schwerwiegenderen Schäden führen dürfen als die Erkrankung. Das ist mitnichten der Fall, wie in zwischen von unzähligen Ärzten, Psychologen, Sozialarbei tern, Neurologen und auch Virologen warnend öffentlich er klärt wird.
Ein Gesetz, das vorsieht, positiv getestete Kinder ohne Sym ptome innerhalb der Familie zu isolieren, und das bei Nicht einhaltung der Quarantänemaßnahmen eine zwangsweise Ab sonderung des Kindes in einem Krankenhaus und ein hohes Bußgeld vorsieht,
ist als ein Instrument anzusehen, das es bisher nur in totalitä ren Staaten gab und das ich selbst aus der DDR kenne,
Dieses Gesetz dient der Einschüchterung und Gefügigma chung von Eltern, die ansonsten solche Maßnahmen seelischer Grausamkeit – anders kann man es nicht bezeichnen – nie mals akzeptieren würden.