Protocol of the Session on November 11, 2020

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(Unterbrechung der Sitzung: 13:01 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 14:15 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle zur Fortsetzung der 132. Sit zung des Landtags von Baden-Württemberg.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Regierungsbefragung

Das erste Thema hat die AfD-Fraktion angemeldet:

A u ß e r o r d e n t l i c h e W i r t s c h a f t s h i l f e n f ü r Z w a n g s s c h l i e ß u n g e n

Ich darf den Vertreter der AfD-Fraktion bitten, das Thema vom Redepult aus vorzutragen.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, sehr geehrte Frau Wirtschaftsministerin,...

(Der Redner trägt eine Mund-Nasen-Bedeckung. – Zurufe, u. a.: Maske! – Wenn Sie die Maske abneh men, versteht man Sie besser!)

Beim Reden dürfen Sie die Maske ablegen, Herr Abg. Dr. Podeswa.

(Der Redner nimmt die Mund-Nasen-Bedeckung ab. – Zurufe)

... sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Hotel- und Gaststättenverband spricht in seiner letzten Mitteilung davon, dass aktuell 71,3 % der Mitgliedsunternehmen in ihrer Existenz gefährdet sind. Rund 17,5 % der Gastrobetriebe droht wegen akuter Zahlungsunfä higkeit die Insolvenz. Dazu kommen unzählige indirekt be troffene Zulieferbetriebe in diesem Bereich, z. B. aus dem Un terhaltungsbereich. Die Mitarbeiter sind, wie man leicht nach vollziehen kann, sehr verzweifelt. Jeder Tag zählt.

Deshalb frage ich das Wirtschaftsministerium: Wann erhalten die Unternehmen die Novemberhilfe, wie begleitet die Lan desregierung die außerordentlichen Wirtschaftshilfen, und welche weiteren Maßnahmen sieht die Landesregierung vor, um die Liquidität der Unternehmen auch nach dem Novem ber sicherzustellen?

Vielen Dank.

Danke schön. – Jetzt wird kurz das Redepult desinfiziert. Danach darf ich Frau Wirt schaftsministerin Dr. Hoffmeister-Kraut bitten zu antworten.

(Das Redepult wird desinfiziert.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie hat un ser Land weiter fest im Griff. Niemand hat sich diese Situati on ausgesucht. Aus den Gegebenheiten müssen wir nun das Beste machen.

Die Zahl der Infektionen hat jetzt im Herbst wieder zugenom men und hat eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Deshalb haben sich die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder gemeinsam mit der Bundeskanzlerin am 28. Oktober

auf weiter gehende Maßnahmen geeinigt, die die Schließung bestimmter Bereiche, bestimmter Unternehmen umfassen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass die Kontakte einge schränkt werden müssen und die Infektionsgefahr reduziert werden muss, damit wir die Infektionsketten wieder in den Griff bekommen und dadurch wieder eine Kontrolle über die ganze Situation erhalten.

Zu den betroffenen Betrieben: Alle, die hier entschieden ha ben und die diese Entscheidung auch mittragen, wissen natür lich um die Dimension und die wirtschaftlichen Auswirkun gen, die diese Entscheidung für die einzelnen Unternehmen in der Realität darstellt. Deshalb hat sich der Bund gemein sam mit den Ländern auf außerordentliche Wirtschaftshilfen geeinigt – außerordentliche Wirtschaftshilfen dahin gehend, dass jetzt eine ganz neue Systematik zugrunde gelegt wird. Den Betrieben wird also ein Teil ihres Umsatzes erstattet, der ihnen im November entgeht.

Herr Dr. Podeswa, Sie haben gefragt, wann die Unternehmen diese Novemberhilfe, wie sie bezeichnet wird, erhalten. Ich denke, es ist ganz wichtig, zu beleuchten, welche Unterneh men die Novemberhilfe in Anspruch nehmen können. Das sind zum einen die direkt durch die Schließungen betroffenen Betriebe: Theater, Messen, Kinos, Freizeit- und Amateursport betriebe, Schwimm- und Spaßbäder, Fitnessclubs, Gastrono miebetriebe, Bars, Clubs, Diskotheken, Kneipen und ähnliche Einrichtungen.

Hotels dürfen zwar für beruflich bedingte Zwecke ihren Be trieb aufrechterhalten. Da aber auch in den Unternehmen ein Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur wirklich notwendige Reisen unternimmt, ist den Hotels natürlich auch dieser Bereich massiv weggebrochen, sodass auch die Hotels als direkt betroffene Unternehmen angesehen werden. Ich den ke, das ist eine ganz wichtige und richtige Entscheidung.

Zu den indirekt betroffenen Unternehmen, die diese Wirt schaftshilfe ebenfalls in Anspruch nehmen können: Derzeit besagt das Eckpunktepapier des Bundes, dass Unternehmen, die nachweislich regelmäßig 80 % ihres Umsatzes mit den di rekt von der Schließung betroffenen Unternehmen erzielen, die Novemberhilfe in Anspruch nehmen können.

Wir, das Wirtschaftsministerium, sehen hier aber gewisse Schwierigkeiten bei der Abgrenzung und bei der Nachprü fung. Deswegen wünschen wir uns – da stehen wir noch im Austausch mit dem Bund –, dass man hier eine einfachere Re gelung im Sinne der Schnelligkeit und im Sinne eines gerin gen bürokratischen Aufwands, den wir so klein wie möglich halten wollen, findet. Andererseits muss die Hilfe natürlich auch den Kriterien, die im Vorfeld gesetzt werden, entspre chen, sodass tatsächlich nur diejenigen Hilfe in Anspruch neh men können, die antragsberechtigt sind.

Da befinden wir uns in einem gewissen Spannungsverhältnis. Wir haben in der Wirtschaftsministerkonferenz, die eine Son dersitzung einberufen hat, vorgeschlagen, dass man indirekt betroffene Unternehmen grundsätzlich dahin gehend definiert, dass sie einen Umsatzrückgang von mindestens 70 % im Ver gleich zum Vorjahresmonat ausweisen können und damit an spruchsberechtigt werden. Darüber diskutieren wir im Mo ment noch mit dem Bund. Die Länder haben sich hierfür stark gemacht. Da gibt es noch keine finale Entscheidung.

Umfang der Finanzhilfe: Wir diskutieren derzeit, dass 75 % des Umsatzes im November des Vorjahres angesetzt werden könnten. Für Unternehmen, die erst danach gegründet wor den sind, könnte – dafür habe ich mich starkgemacht – der Vormonatsumsatz aus dem Jahr 2020, also vom Oktober 2020 angesetzt werden oder der durchschnittliche Monatsumsatz seit der Gründung des Unternehmens herangezogen werden. Damit würde also auch für diese Unternehmen die Novem berhilfe zugänglich.

Für Soloselbstständige soll es eine Sonderregelung geben: Hil fen, die bis zu 5 000 € betragen. Sie könnten die benötigte Hil fe dann direkt auf der Plattform eingeben und müssten nicht über die verschiedenen prüfenden Dritten gehen.

Wir haben hier noch einmal erweitert: Es sind Steuerberater und jetzt auch Rechtsanwälte zugelassen, vereidigte Buchprü fer und Wirtschaftsprüfer. Sie übernehmen eine Art Vorprü fung, damit der Bewilligungsprozess in der Umsetzung eine entsprechend hohe Qualität erfährt.

Hier soll natürlich auch Missbrauch vorgebeugt werden. Des wegen gibt es das Vorschalten dieser prüfenden Dritten. Ich denke, das ist auch richtig und wichtig. Übrigens können die se Kosten entsprechend angesetzt werden.

Die Novemberhilfen sollen – das ist der feste Wille des Bun des – noch im November zur Not als Abschlagszahlungen aus bezahlt werden. Jeder, der sich damit beschäftigt, weiß: Die se Bundesplattform muss erst programmiert, die Verfahren müssen aufgesetzt werden. Die Länder administrieren die Auszahlung vor Ort bei den Betrieben, die die Anträge zent ral bei der Bundesplattform stellen. Die Bewilligung und Aus zahlung erfolgt aber über die Länder.

Hier begleiten wir, das Land, ganz eng. Zum einen sind wir bei den Kriterien, beim Austausch und bei der Konkretisie rung stark eingebunden, zum anderen sind wir in die Umset zung stark eingebunden. Wir sind mit Hochdruck dran. Der Bund muss die offenen Themen noch intern zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und dem Bundesfinanzminister klären. Er setzt aber alles daran, schnell in die Umsetzung zu gehen.

Wir, das Land, sehen die Abschlagszahlung vor dem Hinter grund der Schnelligkeit positiv, vor dem Hintergrund des Auf wands, der dadurch bedingt wird, nicht ganz so positiv, weil der Antrag im Nachgang auch spitz abgerechnet werden muss. Jeder Antrag muss quasi zweimal in die Hand genommen wer den. Das ist auch für die Antragsteller eine enorme Steigerung des bürokratischen Aufwands. Hier ist ebenfalls noch einmal abzuwägen.

Wir haben als weitere Maßnahmen noch unsere Landespro gramme. Wir haben die Ergänzung bei der Überbrückungshil fe mit dem fiktiven Unternehmerlohn. Wir haben das Stabili sierungsprogramm HOGA. Wir haben das Programm für tech nische Dienstleister, für Schausteller und Taxifahrer den Til gungszuschuss. All diese Programme laufen nach wie vor noch und kommen den Unternehmen bei uns im Land BadenWürttemberg zugute. Es geht darum, möglichst viel dafür zu tun, dass die Firmen diese schwierige Zeit überstehen können. Denn wir wollen in dieser schwierigen Situation, die niemand zu verantworten hat, möglichst wenige Betriebe verlieren.

Frau Ministerin, ich habe noch drei weitere Fragesteller zu diesem Thema, welches ei ne zeitliche Begrenzung hat.

Ich rufe als Erste Frau Abg. Gurr-Hirsch auf.

Sehr geehrte Frau Mi nisterin! Wir alle haben uns diese Situation mit der Schlie ßung der Gastronomie nicht herbeigesehnt. Wie bewerten Sie das besonnene und konstruktive Verhalten der Verbandsver treter der Gastronomie, und wie ist die Frage, die im Raum steht, nämlich die Anrechnung von Außer-Haus-Essen auf die Wirtschaftshilfe nun entschieden?

Wir sind mit den Verbandsvertre tern in engem Austausch. Ich führe in regelmäßigen Abstän den mit den Wirtschaftsvertretern und mit den Arbeitnehmer vertretern ein Corona-Spitzengespräch. Die sind hier eben falls eingebunden. Wir tauschen uns in regelmäßigen Abstän den über die Probleme und Schwierigkeiten aus, die in der Praxis bestehen, um diese Schwierigkeiten zu beheben.

Der Punkt der Anrechenbarkeit der Essen-to-go-Umsätze ist auf Bundesebene bereits entschieden. Bei den Restaurants werden diese Umsätze auf die Umsatzhöhe im November nicht angerechnet werden. Bei allen anderen von direkter Schließung betroffenen Betrieben wird die Schwelle bei 25 % liegen. Alles, was darüber ist, wird angerechnet werden.

Nun darf ich Herrn Abg. Paal bitten, seine Frage vorzubringen.

Frau Ministerin, vielen Dank für die bisherigen Antworten. – Ich möchte noch näher auf einen Be reich eingehen, den ich für wichtig halte. Es ist offensichtlich noch nicht abschließend und im Detail geklärt, welche Unter nehmen bei dieser Novemberhilfe antragsberechtigt sein wer den. Unabhängig davon, welche Festlegungen final getroffen werden – das werden wir bald erfahren –, muss beinahe da von ausgegangen werden, dass voraussichtlich doch nicht al le Unternehmen, die von diesen Schließungen betroffen sind, antragsberechtigt sein werden.

Deshalb finde ich es ganz wichtig, dass Sie mir die Fragen be antworten, auf was diese Unternehmen, welche Umsatzaus fälle erleiden, heute schon hingewiesen werden können, wel che Hilfen es gibt, auf was sich die Unternehmen einstellen und wo sie Anträge stellen können, um Hilfe zu bekommen. Was gibt es heute schon?

Es wird so sein, dass bei den No vemberhilfen ein von der Definition her wesentlich breiteres Spektrum an Unternehmen besteht, die anspruchsberechtigt sind. Darunter sind auch öffentliche Betriebe – das war bis lang nicht möglich. Auch Vereine und öffentliche Einrichtun gen können die Novemberhilfe in Anspruch nehmen. Das war im Rahmen der Soforthilfe und der Überbrückungshilfen bis lang so nicht der Fall.

Ich habe bereits dargelegt, welche Betriebe für den Bund im Moment als indirekt Betroffene gelten, und ich habe die Po sition dargelegt, die wir vertreten, die die Wirtschaftsminister der Länder vertreten. Dabei geht es um die 70-%-Regel beim

Umsatzeinbruch. Es finden ja auch keine Veranstaltungen statt, aber die Betriebe, die in diesem Bereich aktiv sind, un terliegen keiner behördlichen Schließung. Das heißt, diese Be triebe, die nicht unter die 70- bzw. 80-%-Klausel fallen – die 80-%-Klausel ist vom Bund in die Diskussion eingebracht worden; final ist hierüber aber noch nicht entschieden –, kön nen jetzt die Überbrückungshilfe II in Anspruch nehmen.

Diese ist ja ebenfalls in wesentlichen Teilen verbessert wor den, nämlich zum einen, was das Eingangskriterium angeht – bisher waren es 40 % Umsatzeinbruch, jetzt ist es auf 30 % hochgesetzt worden –, und zum anderen, was den Fixkosten anteil betrifft, der erstattet wird; dieser wurde von 80 auf 90 % angehoben. Auch dafür habe ich mich starkgemacht, und zwar bereits bei der Überbrückungshilfe I. Ich bin froh, dass wir jetzt in der Überbrückungshilfe II den Betrieben bessere Kon ditionen anbieten können.

Denn, wie gesagt, manche Unternehmen sind jetzt schon seit März in dieser schwierigen Situation. Denken wir nur an die Messebetriebe, an sämtliche Unternehmen, die im Messeum feld oder in der Veranstaltungsbranche aktiv sind. Auch wenn über den Sommer kleinere Veranstaltungen stattfinden konn ten, so war hier doch eine sehr große Zurückhaltung zu beob achten. Ich nenne zudem die gesamte Reisebranche oder die Schausteller – hierfür haben wir ja ein Extraprogramm auf den Weg gebracht, das wir in puncto Antragsberechtigung jetzt noch weiter verlängert haben.

Vielen Dank. – Nun hat Herr Abg. Dr. Schweickert das Wort.

Frau Ministerin, Sie haben gerade gesagt, jetzt müsse das erst noch programmiert werden. Mit Verlaub – man hat es erfolgreich am Montag vor einer Woche geschafft, die Gastronomie zu schließen. Wenn man nach eineinhalb Wochen dann sagt, das müsse nun erst noch programmiert werden, dann verstehe ich, ehrlich gesagt, die Welt nicht mehr.

Das gilt zumindest für mich – und ich bin mir sicher, auch für die Unternehmen, für die Sie tätig waren –: Für den Novem ber 2019 gibt es eine Umsatzsteuervoranmeldung; diese liegt für jedes Unternehmen vor. Da kann ich einen Studenten im ersten Semester dransetzen, der mir das Kürzel „Gastrono mie“ als Branche auswählt, und kann eine Abschlagszahlung in Höhe von 50 % morgen, wenn ich das will, überweisen. Was soll denn da groß programmiert werden? Wenn man schnell helfen will – etwas anderes wäre es, wenn man das im zweiten Schritt nicht machen wollte –, dann gibt es da Mög lichkeiten, dies deutlich zu beschleunigen.