Frau Präsidentin, sehr ge ehrte Damen und Herren Kollegen! Der 25. April 2007 war in Heilbronn ein ungewöhnlicher, fast schon sommerlicher Tag. Als nach 14 Uhr zunehmend Sirenen zu hören waren, Heliko pter am Himmel kreisten und Mandanten ihren Termin bei mir in der Kanzlei absagten, weil der Verkehr weiträumig in und um Heilbronn zum Erliegen gekommen war, wurde mir klar, dass etwas Schreckliches passiert sein muss. Nur langsam, dann aber in Windeseile verbreitete sich die Hiobsbotschaft, wonach auf der Heilbronner Theresienwiese ein Anschlag auf eine Polizeistreife verübt worden sei.
Der wohl beispiellosen, wenngleich leider erfolglosen Fahn dung nach den Tätern folgte eine Zeit der Trauer, der Enttäu schung über einen ausbleibenden Fahndungserfolg und der Frustration über Ermittlungspannen, bis dann mit der Selbst enttarnung von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe am 4. No vember 2011 der Ernüchterung Entsetzen folgte.
Für uns bestehen keine Zweifel: In Heilbronn ermordeten die Rechtsterroristen des NSU an diesem 25. April unsere Polizistin Michèle Kiesewetter und verletzten unseren Poli zeibeamten Martin A. lebensgefährlich. Es war eine kaltblü tige, empathielose, ja menschenverachtende Tat, die mich in ih rer Brutalität noch heute erschaudern lässt. Michèle Kiesewet ter war das zehnte Todesopfer des Nationalsozialistischen Untergrunds. Zuvor ermordete das Trio aus niedrigsten Be weggründen, aus rassistischer Motivation heraus neun Men schen, verübte drei Bombenanschläge und 15 Raubüberfäl le.
Dem Entsetzen folgten die Entschlossenheit und damit der Auftrag an uns alle, zu prüfen, was schiefgelaufen ist und was zu verbessern, zu verändern ist: bei den Ermittlungsbehörden, aber und vor allem auch in unserer Gesellschaft. Das Ziel, die Botschaft ist klar: Nie wieder darf es möglich sein – nicht in Baden-Württemberg, nicht in der Bundesrepublik Deutsch land –, dass Extremisten – gleich, ob rechts, ob links, ob völ kisch-nationalistisch oder religiös – ihrer kranken Ideologie mordend Raum verschaffen.
Mit diesem Ziel ist auch der zweite Untersuchungsausschuss angetreten, offene und aus dem ersten Untersuchungsaus schuss offen gebliebene Fragen zu beantworten und Ansätze zu liefern, wo in Baden-Württemberg möglicherweise nicht alles so gelaufen ist, wie es vielleicht hätte laufen müssen, lau fen können.
Wer wird und wer ist Rechtsextremist? Die Existenz und das Wirken von Rechtsextremisten war Thema dieses Untersu chungsausschusses. Hier wurden viele Personen aus der rechtsextremistischen Szene, von Staats- und Verfassungs schutz sowie aus der Forschung gehört. Der Einstieg scheint simpel: Kameradschaft, Zusammengehörigkeit, gleichartige Gesinnung, nicht zuletzt der kleinste gemeinsame Nenner, nämlich Alkohol und laute Musik. Es geht um Anerkennung und um Unterhaltung.
Einen wesentlichen Beitrag der Rekrutierung, der Radikali sierung spielt – so zeigt sich für den Ausschuss ein einheitli ches Bild – der Rechtsrock. Rechtsrocker provozieren. Mar kige Worte, eingängige Melodien und martialische Tattoos be stimmen den Auftritt. Ihre Fans füllen Hallen europaweit – heute wie in den Neunzigerjahren. Man ist dort unter sich.
Auch dies geht aus einer Antwort des Innenministeriums zu einer meiner Anfragen zu diesem Thema hervor und macht deutlich, dass wir, dass der Ausschuss hier Handlungsbedarf sieht, diesem Treiben ein Ende zu bereiten. Für den Ausschuss wird auch deutlich: Es bedarf präventiver Maßnahmen, um Jugendliche gegen jede Form von Extremismus im Allgemei nen, gegen Rechtsextremismus im Besonderen zu sensibili sieren.
Geschichtsunterricht ist wichtig. Prävention bedarf aber auch einer pädagogischen Begleitung für die offenen Fragen unse rer Zeit, für die Extremisten – rechts wie links – einfache Ant worten vorgaukeln. Eine Stärkung der Gesellschaftswissen schaften, des Gemeinschaftskundeunterrichts an unseren Schulen ist dabei unerlässlich und für uns zwingende Folge dieser gewonnenen Erkenntnis.
Die Förderung einer positiven Einstellung zu demokratischen Institutionen, zu Rechtsstaatlichkeit ist dabei die beste Vor sorge vor rechtsextremistisch motivierten Straftaten.
Ein wesentliches Augenmerk des Ausschusses lag auch auf der Arbeit des Verfassungsschutzes, dabei insbesondere auf dem Einsatz von V-Leuten. Wir verkennen nicht, dass Ver trauenspersonen unerlässlich sind für die Gewinnung von In formationen aus extremistischen Strukturen. Gleichwohl konnten die im ersten Ausschuss gewonnenen Erfahrungen, dass der Einsatz von V-Leuten stets kritisch überprüft werden muss, bestätigt werden. Verfehlungen allerdings, wie sie bei spielsweise durch die Vernehmung von Tino B. für das Lan desamt für Verfassungsschutz in Thüringen aufgeworfen wur den, konnten wir erfreulicherweise für das LfV in BadenWürttemberg nicht feststellen.
Als problematisch – gerade mit dem Wissen, dass ein Unter suchungsausschuss, der sich u. a. mit Verschwörungstheorien beschäftigt, möglichst offen und transparent arbeiten sollte – haben wir die geübte Einstufungspraxis, wonach oftmals groß flächig und schwer nachvollziehbar Akten als Verschlusssa che eingestuft wurden und somit die Informationsweitergabe erschwert und die Digitalisierung gehemmt wird, ausgemacht. Es ist nach unserer Überzeugung geboten, dass hier praktika ble und an dem öffentlichen Interesse orientierte Regelungen gefunden werden, ohne dem Geheimhaltungsinteresse seine Notwendigkeit abzusprechen.
Wir wollen darüber hinaus prüfen, inwieweit beispielsweise mit Kooperationen im wissenschaftlichen Bereich, mit Uni versitäten und Hochschulen, die Untersuchung der sozialen Hintergründe sowie die Bewertung von Entwicklungen in ex tremistischen Bereichen helfen können, unabhängig von der juristischen Verfolgung diesen Gefahren präventiv und repres siv zu begegnen.
Oft konsternierend zur Kenntnis genommen hat der Aus schuss, dass der Informationsaustausch zwischen den Behör den vertikal wie horizontal nicht immer fehlerfrei verlaufen ist. Bereits in den vergangenen Jahren konnten hier einige Ver besserungen erzielt werden, doch zeigen die Ermittlungspan nen, nicht zuletzt bei Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, dass der behördeninterne Austausch noch immer verbesserungsbedürftig ist.
Ich denke aber, wir sind verpflichtet, es gewissenhaft zu ver suchen, ähnlich, wie wir uns auch wünschen, dass seitens der
Polizei, seitens der Ermittlungsbehörden nicht in Schubladen, sondern ergebnisoffen und zunächst auch möglicherweise auf den ersten Blick abwegig gedacht wird.
Schließlich konnten wir feststellen, dass ein nicht unerhebli cher Reibungsverlust beispielsweise durch die in den Ländern unterschiedlichen EDV-Systeme und die unzureichende Kom patibilität entsteht. Hier besteht nach unserer Auffassung drin gender Handlungsbedarf, der keinen Aufschub duldet.
Als defizitär und verbesserungswürdig haben wir die frühzei tige Hilfe und Beratung für Opfer insbesondere in Ermitt lungs- und Strafverfahren und den Opferschutz im Allgemei nen empfunden. Hier hat der Landtag bereits erste Korrektu ren sowie eine bessere Ausstattung der Landesstiftung Opfer schutz beschlossen. Gut so!
Meine Damen und Herren, der Untersuchungsausschuss „NSU II“ hat akribisch, sorgfältig, engagiert und objektiv ge arbeitet. Weit verbreitete Verschwörungstheorien wurden aus geräumt, wie beispielsweise die Anwesenheit ausländischer Geheimdienste am 25. April 2007 auf der Heilbronner There sienwiese oder gar eine Verstrickung, eine Verbindung zur Sauerland-Gruppe. Ein mögliches Unterstützungsnetzwerk wurde beleuchtet, auch wenn keine direkte Unterstützungs handlung für das Trio aus Baden-Württemberg festgestellt werden konnte.
Das Behördenhandeln wurde umfangreich analysiert. Und ob wohl einiges im Argen lag, vieles mit der Kenntnis von heu te wohl anders gemacht würde, können wir das von manchen unterstellte Behördenversagen hier in Baden-Württemberg nicht bestätigen.
Vielen Dank, Herr Kollege. Sehr großzügig. – Ihre Vorredner haben sowohl den Sachverhalt aufgeführt als auch dann möglicherweise zu treffende Maßnahmen, wie man derartige exzessive Akte in Zukunft verhindern könne, und erwähnten weitgehende Ein griffe in die Freiheitsrechte der Bürger wie z. B. ein Verbot von Musikveranstaltungen auf Verdacht hin, die Entwaffnung von Bürgern auf Verdacht oder Beschuldigung hin. Wie ste hen Sie zu solchen Maßnahmen?
Herr Dr. Fiechtner, grund sätzlich ist festzuhalten, dass es nicht vorbehaltlos irgendwel che Eingriffe geben kann. Wir leben in einem Rechtsstaat. In sofern gibt es jederzeit die Möglichkeit, das Verwaltungshan deln gerichtlich überprüfen zu lassen. Ich habe volles Vertrau en zur Justiz und zu der Handlungsfähigkeit unserer Justiz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz dieser von mir und auch von meinen Vorrednern beschriebenen akribischen Ar beit konnte der Untersuchungsausschuss nicht alle dunklen Geheimnisse ans Licht bringen, nicht sämtliche Fragen klä ren. Die Aufklärung und die Aufarbeitung dieser Terrorserie ist unabhängig vom Ende der parlamentarischen Untersu chung mit dem heutigen Tag nicht abgeschlossen. Das sind und bleiben wir den Opfern schuldig.
Meine sehr geehrten Da men und Herren, gibt es weitere Wortmeldungen? – Frau Abg. Dr. Baum für die AfD, bitte.
Sehr geehrter Herr Weirauch, Sie haben wieder einmal nicht zugehört. Denn ich sagte in der Pressekonferenz, dass uns leider juristische Unterstützung ver sagt blieb –
Gern beantworte ich Ihnen auch die Frage, warum wir heute differenziert abstimmen werden. Nach Diskussion in der Frak tion haben wir uns dazu entschlossen, einseitiges Vorgehen gegen Extremismus abzulehnen. Hiermit möchte ich – –
Allen Anwesenden sage ich hiermit, dass wir unseren eigenen Abschlussbericht natürlich auf unserer Homepage veröffent lichen werden. Dann können Sie alle das sehr gern nachlesen.
Wir kommen also zur Abstimmung über die Beschlussemp fehlung des Untersuchungsausschusses im vierten Teil auf den Seiten 1046 bis 1066 der Drucksache 16/5250.
Ich schlage Ihnen vor, dass wir über die Abschnitte I bis IV getrennt abstimmen. – Sie sind damit einverstanden.
Dann komme ich zunächst zu Abschnitt I, mit dem Ihnen vor geschlagen wird, vom Bericht des Untersuchungsausschusses Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt diesem Abschnitt zu? Ich