Protokoll der Sitzung vom 18.05.2000

Frau Kollegin Paulig, wenn Sie gerne Schriftführerin oder Präsidentin werden wollen, müssen Sie sich um dieses Amt bewerben.

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sorry!)

Ich sehe keine Stimmenthaltung. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Wir kommen nun zu der von der SPD-Fraktion beantragten namentlichen Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/3572. Für die Stimmabgabe sind die entsprechend gekennzeichneten Urnen bereitgestellt. Die Ja-Urnen sind sowohl auf der Seite der CSU als auch auf der Seite der Opposition aufgestellt. Die Nein– und die Enthaltung-Urne befinden sich auf dem Stenographentisch. Mit der Stimmabgabe kann nun begonnen werden. Dafür stehen fünf Minuten zur Verfügung.

(Namentliche Abstimmung von 15.13 Uhr bis 15.18 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Stimmabgabe ist abgeschlossen. Das Abstimmungsergebnis wird außerhalb des Plenarsaals ermittelt. Ich erlaube mir, Ihnen noch eine Bitte des stenographischen Dienstes vorzutragen: Die Niederschriften des zweiten Teils der heutigen Sitzung sind nicht mehr bis zum Sitzungsende fertigzustellen, weshalb sie den Rednern im Plenarsaal auch nicht mehr zugestellt werden können. Aus diesem Grunde bitte ich die Redner, von den am Rednerpult ausliegenden gelben Formularen Gebrauch zu machen, falls Sie die Niederschriften an eine Adresse außerhalb des Hauses zur Korrektur übermittelt haben möchten.

Wir fahren mit der Beratung der Dringlichkeitsanträge fort. Zur gemeinsamen Beratung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Paulig, Gote, Christine Stahl und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verbesserter Schutz für elektronische Kommunikationssysteme (Drucksache 14/3573)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Dr. Söder, Prof. Dr. Stockinger und anderer und Fraktion (CSU)

Schutz von Computernetzen in Behörden und Schulen gegen Computerviren (Drucksache 14/3574)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Die erste Rednerin ist Frau Kollegin Gote.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollte man dem Erfinder des Love-Letter-Virus dankbar sein, entlarvt er doch in höchst anschaulicher Weise, mit welcher Naivität und Verantwortungslosigkeit die Bayerische Staatsregierung ihre Laptop-Politik betreibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Geradezu peinlich und lächerlich mutet es an, wenn Ministerpräsident Dr. Stoiber und andere Mitglieder der Staatsregierung immer wieder die Nähe zum vermeintlich großen Bill Gates suchen, damit ein kleiner Teil seines Ruhms auf sie entfallen möge, des Ruhms eines skrupellosen Unternehmers, der seinen Profit mit unlauteren Methoden auf Kosten von Millionen Computernutzerinnen und -nutzern und zum Schaden vieler kleinerer Konkurrenten gemacht hat und immer noch macht. Diese Konkurrenten zeigen übrigens weit mehr Kreativität und Innovationsfreude als der Marktgigant Microsoft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In blinder Naivität folgt die Bayerische Staatsregierung seit Jahren in dem ihr angeblich so am Herzen liegenden IT-Bereich einem Herdentrieb, der eine kommunikationstechnologische Monokultur zur Folge hat. Das ist nicht Hightech, sondern Lowtech. Diese falsche Strategie hat sich längst zum Standortrisiko für den Wissenschafts– und Wirtschaftsstandort Bayern ausgewachsen.

Auch ohne Virusbefall verursachen die fast ausschließlich verwendeten Microsoft-Betriebssysteme und -Anwendungsprogramme große volkswirtschaftliche Schäden aufgrund ihrer hohen Fehleranfälligkeit und Bedienungsunfreundlichkeit. Dies einmal wissenschaftlich zu untersuchen, wäre sicher auch ein lohnendes Projekt.

Dass Windows-Betriebssysteme extrem unsicher sind, ist seit langem bekannt. Die Integration vielfältiger Schutzmechanismen in seine Betriebssysteme, die bei Produkten anderer Hersteller längst selbstverständlich sind und sich bewährt haben, lehnt Microsoft ab. Sicherheitskonzepte und -praktiken werden nicht öffentlich gemacht, und Kunden und Kundinnen werden nicht ausreichend oder falsch informiert. Die mangelhafte Qualität der Microsoft-Produkte und die Monokultur in der Computerlandschaft sind die Hauptursachen für die Verwundbarkeit des ganzen Systems. Eine Politik, die diese Verwundbarkeit nicht nur nicht erkennt, sondern auch noch aktiv verschärft, ist verantwortungslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit ich mit Computern umgehe, und das sind nun auch schon bald 20 Jahre

(Zurufe von der CSU: Was, schon so lange?)

obwohl ich noch sehr jung bin, ja –, habe ich den userfreundlicheren, intelligenteren, moderneren Systemen von Anfang an den Vorrang gegeben. Ich habe anstatt Microsoft-Produkte Produkte von Atari, Apple oder Unix genutzt. In all diesen Jahren wurden meine Computer niemals von Viren befallen. Erst mit dem Einzug in den Landtag wurde ich gezwungen, mir eine „Dose“ zu kaufen und teilweise auf Microsoft-Betriebssysteme umzusteigen. Da die Nutzung der anderen Systeme in Schulen und Universitäten im In- und Ausland keine Probleme bereitete, wollte ich anfangs gar nicht glauben, dass im Bayerischen Landtag das Arbeiten im Netz nur mit Microsoft-Betriebssystemen möglich sein sollte. Ich halte dies und die Tatsache, dass es längerer Erklärungen bedurfte, um das Landtagsamt davon zu überzeugen, dass mein Apple-Powerbook die Mindestanforderungen an Abgeordneten-Laptops bei weitem übertrifft, für einen Skandal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Microsoft-Monopolstrukturen haben sich in Ministerien und Behörden mittlerweile so weit durchgesetzt, dass Ministerpräsident, Minister und Regierungspräsidenten in Grußworten und Reden mit glänzenden Augen davon schwärmen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun in der Lage seien, Powerpoint-Präsentationen durchzuführen. Den Einsatz moderner Präsentationsmedien so zu verkürzen, zeugt vom gleichen Niveau, wie beim Würzen nur an Maggi zu denken. Auch die Qualität der Produkte ist ähnlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies alles geht einher mit einem Qualitätsverlust beim Informations- und Werbematerial öffentlicher Stellen in Bayern in Layout, Typographie und Design. Kein ernstzunehmender Designer und keine ernstzunehmende Designerin werden ein Printmedium oder eine InternetPräsentation mit Microsoft-Produkten erstellen. Was nützt uns der Bayerische Designpreis oder eine staatliche Designförderung, wenn im öffentlichen Sektor im Kommunikationsbereich längst das Mittelmaß regiert?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bundesregierung ist auf diesem Feld übrigens längst ein gutes Stück weiter, wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, online bei unix-open unter „www.unix-open.de“ nachlesen können. Ich zitiere:

Vor kurzem hat die „Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung (KBSt)“ eine Studie veröffentlicht, die sich für den Einsatz freier Software in öffentlichen Händen ausspricht. Diese Studie argumentiert unter anderem damit, dass Open-SourceSoftware in Behörden im Server-Umfeld schon des längeren eingesetzt wird und sich dort als äußerst zuverlässige Lösung erwiesen hat. Die KBSt geht aber noch einen Schritt weiter, denn sie stellt darüber hinaus fest, dass schon heute die Möglichkeit besteht, Büroanforderungen komplett mit Open

Source-Lösungen abzudecken. Eines der Hauptargumente für Behörden ist der Preis, denn die Informationstechnik steht nach Aussage der KBSt vor erheblichen Herausforderungen und hohen Ansprüchen aus dem politischen Bereich, wobei gleichzeitig nicht mit einer spürbaren Erhöhung der Haushaltsansätze gerechnet werden kann. Aber auch die Funktionen haben die Beratungsstelle überzeugt: „Windows NT-File- und Print-Server können durch eine Linux- oder FreeBSD- und Samba-Lösung vollständig ersetzt werden“, ist eine der wichtigsten Aussagen des Papiers. Als Strategie schlägt die KBSt schließlich vor, sich aus der Abhängigkeit eines Herstellers zu lösen, und zwar durch den Aufbau einer heterogenen Landschaft mit Linux, FreeBSD und anderer Open-Source-Software sowie kommerziellen Produkten. Diese Kombination bietet ein „stabiles, preiswertes, ressourcenschonendes, sicheres und von ausreichend vielen Beratungsfirmen unterstütztes Rechnersystem“, sowohl für den Client- als auch für den Server-Bereich. Auch der Investitionsschutz ist nach Ansicht der Beratungsstelle gewährleistet.

Diese Studie ist offiziell unter „http://www.kbst.bund.de/ papers/briefe/02-2000/brief2-2000.html“ im Internet verfügbar und könnte Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren von der Staatsregierung, bei der Umsetzung unseres Dringlichkeitsantrags sicher hilfreich sein.

Der Dringlichkeitsantrag, den wir Ihnen heute mit Blick auf die Verwundbarkeit unserer Kommunikationssysteme und den Schaden, den das Love-Letter-Virus verursacht hat, zur Abstimmung stellen, fordert nicht mehr und nicht weniger, als auch auf dem Gebiet der IT ökologischen Prinzipien zu folgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Computervirus ahmt in seiner Funktion die Natur nach. Viren wird es in der Natur immer geben, und auch Computerviren werden immer neu programmiert werden. Die Natur reagiert auf Viren mit Diversifikation. Die gleiche Strategie fordern wir heute von Ihnen für den ITBereich ein: Verlassen Sie die Monopolstrukturen von Microsoft und ermöglichen Sie Vielfalt und Konkurrenz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hundertprozentige Sicherheit gibt es zwar nicht und wird es nie geben, aber ein vielfältiges System ist widerstandsfähiger als eine Monopolstruktur.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vermeiden Sie, dass schon unsere Kinder in den Schulen im Umgang mit den modernen Kommunikationstechnologien durch mittelmäßige bis schlechte Produkte behindert werden. Ermöglichen Sie ihnen vielmehr das Lernen eines kritischen Umgangs mit den neuen Technologien, und vermitteln Sie ihnen die Kompetenz, die Qualität verschiedener Produkte und Angebote zu beurteilen, indem Sie ihnen die Vielfalt der technischen Möglichkeiten zugänglich machen. Tragen Sie Sorge dafür, dass Qualitätssicherung auch im IT-Bereich in allen

öffentlichen Einrichtungen umgesetzt wird. So kommen wir langfristig zu sichereren, moderneren, schnelleren und preisgünstigeren Systemen.

Die Männerfreundschaft des Ministerpräsidenten zu Bill Gates in allen Ehren – aber bitte sorgen Sie dafür, dass nicht einmal mehr derartige Freundschaften zu Personen mit zwielichtigen Geschäftspraktiken dem Land Bayern zum Schaden gereichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stimmen Sie unserem Dringlichkeitsantrag zu. Handeln Sie schnell; denn der nächste Virus ist schon längst dabei, sich seinen Weg durch das globale Netz zu bahnen.

Der Antrag der CSU deckt sich im Wesentlichen mit den ersten beiden Absätzen unseres Antrags. Wir werden diesem Antrag zustimmen und den dritten Absatz unseres Antrags getrennt zur Abstimmung stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als erster Redner hat Herr Kollege Dr. Waschler das Wort.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wo ist Herr Söder?)

Sehr geehrter Herr Präsident, Hohes Haus! Ich hätte nicht gedacht, dass ich eine Rede in diesem Hohen Hause einmal mit den Worten „I love you“ würde beginnen können. Das wäre auch übertrieben, wie ich zugeben muss. Doch ist eine Botschaft übermittelt worden, die, wie Frau Kollegin Gote vorhin richtig dargestellt hat, vielen Computernutzern eine unliebsame Überraschung gebracht hat.

(Willi Müller (CSU): Nicht nur in Bayern!)

Leider hat Frau Kollegin Gote ihre Betrachtung in etwas unzulässiger Weise eingeengt. Zum einen waren Computer nicht nur in Bayern betroffen, sondern weltweit. Zum Zweiten kann das Thema nicht auf einen möglichen Konkurrenzkampf zwischen Apple und Microsoft verkürzt werden.

Tatsache ist, dass ein Schaden von insgesamt rund 30 Milliarden DM entstanden ist, und zwar hauptsächlich wegen verlorener Arbeitszeit. Frau Kollegin Gote, wenn Sie in dem Zusammenhang die Verantwortungslosigkeit der Staatsregierung in Bayern – so haben Sie es ausgedrückt – ins Feld führen, kann ich nur sagen: Das ist ein gewaltiges Eigentor. In einem Punkt haben Sie allerdings Recht: Das jetzt zur Diskussion stehende Thema ist nicht nur etwas für Dringlichkeitsanträge hier im Bayerischen Landtag, sondern sollte weltweit Beachtung finden. Die G-8-Regierungschefs sind dazu aufgerufen, bei ihrem Treffen in Paris zum Thema „Sicherheit und Vertrauen im Cyberspace“ Stellung zu nehmen. Das alles hat seinen Grund. Denn das Thema ist sehr differenziert zu betrachten.