Protokoll der Sitzung vom 09.11.2000

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Schritt der Entzauberung Stoibers ist die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Temelin. Temelin ist 90 Kilometer von Passau entfernt, 230 Kilometer von München. Hier findet sich ein gefährlicher Mix aus OstWest-Technik, ein Atomreaktor, der nach deutschem Recht nicht genehmigungsfähig wäre, wie wir wissen.

(Willi Müller (CSU): Das müssen Sie dem Bundesumweltminister sagen!)

Wo war Ihr persönlicher Einsatz, Herr Stoiber, für den Stopp der Inbetriebnahme? Sie haben es vorgezogen abzutauchen, Schnappauf nach vorne zu schicken und über Trittin klagen zu lassen, wie ich es auch hier wieder höre.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu leicht wäre sonst ein Widerspruch ans Tageslicht gekommen, nämlich dass die bayerischen Atomkraftwerke viel näher bei uns sind und sie in dem Zustand heute nicht mehr genehmigungsfähig wären.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Angesichts dieses Zusammenhangs erklärt sich auch die auffallende Zurückhaltung bei der Offenlegung der Millionenkredite für das Atomkraftwerk Temelin durch die Landesbank.

Meine Damen und Herren, das Verhältnis der CSU zur Wirtschaft ist entzaubert. Der geplante Autogipfel in Bayern hätte ein überfälliges Glanzlicht werden sollen. Aber wie es so ist, die Manager hatten keine Zeit. Stoiber ruft, aber keiner kommt. Die Managaer hatten alle schon beim Autokanzler ihr Mütchen abgekühlt. Es gibt sogar einen unter diesen Managern, der Umweltchef von Daimer-Chrysler, der es wagt, die Ökosteuer laut zu loben. Andere dieser Manager wurden auf dem TechnologieKongress der GRÜNEN in München gesichtet. Apropos Ökosteuerkampagne – um diese ist es erstaunlich still geworden, sie ist wohl gescheitert. Bei strömendem Regen wurde die Kampagne mit viel Aufwand eröffnet, und jetzt – trotz vieler strahlender Herbsttage – ist kein Info-Stand weit und breit zu sehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Recht haben Sie, die Kampagne abzubrechen, wo die Wirtschaft doch längst klar für die Ökosteuer ist. Der Chefökonom der Deutschen Bank, Norbert Walter, spricht sich klar für diese Rahmenbedingungen aus. Der Deutsche Industrie- und Handelstag steht klar zur Ökosteuer.

In vielen Briefen und Mails an die Fraktion wird die Zustimmung zur Ökosteuer ausgedrückt. So sprechen

sich junge Leute, Jugendverbände ganz klar dafür aus. Warum bloß? Ich zitiere: „Die Antwort ist einfach. Die ökosoziale Steuerreform will eine lebenswerte Zukunft sichern und mehr Lebensqualität erreichen.“ So das Positionspapier des Bayerischen Jugendrings vom 21. Oktober dieses Jahres. Oder ein anderes Beispiel: Am 14. Oktober 2000 verabschiedete der Diözesanrat der Katholiken im Bistum Passau – ich meine, es ist wahrhaftig keine Fundigruppe der Grünen – eine „Erklärung zur aktuellen Debatte um die Erhöhung des Mineralölpreises“ und – hören Sie zu – darin heißt es: „Es scheint Kennzeichen unserer Mediendemokratie zu sein, dass über kurzfristig aufgeheizte Stimmungen langfristig gültige Einsichten verloren gehen. Der Diözesanrat sieht sich daher veranlasst, einige dieser Einsichten in Erinnerung zu rufen.“ Er spricht die Klimakatastrophe an und fährt fort: „Weiterhin schien es bis vor kurzem, als setze sich in allen politischen Lagern die Einsicht durch, dass unser Steuer- und Abgabensystem geändert werden müsse, da es die menschliche Arbeit zu hoch belaste und den Energie- und Rohstoffverbrauch zu gering. Die Ökosteuer ist zumindest ein bescheidener Versuch, dieser Einsicht Rechnung zu tragen. Wer sie kritisiert“, so die Katholiken aus Passau, „sollte sagen, ob er den erwähnten Grundgedanken ablehnt oder ob er die konkrete Ausgestaltung der Ökosteuer, zum Beispiel die vielen Ausnahmen für die Industrie, bemängelt.“ Hier warte ich auf Ihre klaren Aussagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wiederum enorm zur Verunsicherung und Entzauberung der CSU beigetragen hat, war jetzt, dass zu allem Überdruss auch noch eine Grüne, unsere bayerische Bundestagsabgeordnete Christine Scheel, den Mittelstandspreis der Union mittelständischer Unternehmer für ihre Verdienste um die Steuerreform erhalten hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ja schier unglaublich in Ihren Augen. Hier muss ich natürlich schon anführen: Sie hat ihn für die kompetenten Steuerreformvorschläge der Grünen erhalten. Die Grünen waren es auch, die in dieser Koalition Eichel den Rücken gestärkt haben gegen manche Bremsklötze in der SPD. Nur so ist diese Steuerreform endlich auf den Weg gekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So ist es Herrn Stoiber und der CSU zunehmend ungemütlich in Bayern. Nicht nur, dass die CSU ihre Parteizentrale verkaufen muss, weil die Schulden zu hoch sind. Nein, auch die Schatten der Vergangenheit sind lang. Wie sich herausgestellt hat, hat die CSU offensichtlich über die Umwege der Bayerischen Staatsbürgerlichen Vereinigung Schwarzgeld von der Hessen-CDU erhalten. Ein Vorwurf, der bis heute nicht aufgeklärt wurde, Herr Glück. Noch immer fehlt jede Spur der Festplatte von Max Strauß, was immer noch die Frage offen lässt, wie engagiert die bayerische Justiz ermittelt und welche Manipulationen es gibt, wenn es um die Sprösslinge ehemaliger CSU-Granden geht.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Goppel?

Ich glaube, ich mache weiter.

(Lachen bei der CSU)

Schreiber, Holzer, Pfahls, auch wenn der eine aus Kanada kommt, der andere in Südostasien abgetaucht ist, wenn Panzer zu den Saudis gingen, möglicherweise Siemens-Millionen in die Schweiz – eines steht fest: Viele Wege führen mitten hinein in die schwarze Seele der CSU, so dass hier, wie es aussieht, ein neuer Untersuchungsausschuss ins Haus steht – Stoiber als Irrlicht über schwarzen Sümpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine neue Rolle muss her für den Ministerpräsidenten. Kein Wunder also, dass die Staatskanzlei Öffentlichkeitsarbeit und Personal gewaltig aufstocken muss. Aber warum ist es nicht einfach möglich, Herr Ministerpräsident, das Wohl Bayerns zu mehren? Statt sich ständig zur Speerspitze der schwarzen Opposition gegen Berlin aufzuschwingen, mal als künftiger Kanzlerkandidat, mal als Primadonna, mal doch nicht, statt nach allem zu schnappen, was aus Berlin kommt, könnte man einfach einmal die Chancen nutzen, die sich für Bayern aus einer vernünftigen Bundespolitik ergeben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Zahlenwerk, das Sie heute vorgestellt haben, profitiert ja geradezu von den überfälligen Reformen, die die grün-rote Regierung auf den Weg gebracht hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Modernisierung unserer Gesellschaft, beispielsweise durch Grüne angestoßen, durch das Staatsangehörigkeitsrecht, durch die Arbeit der Einwanderungskommission, die Ächtung der Gewalt gegen Kinder, die Stärkung der Familien mit Kindern, die Verbesserungen im Wohngeld, im Kindergeld, im BAföG – all das gibt doch den Menschen hier in Bayern mehr persönliche, berufliche Entfaltungsmöglichkeiten. Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass sie die neue Wertediskussion immer wieder von neuem mit alten Werten führen wollen. Warum haben Sie, Herr Glück, warum hat die CSU im Bundestag nicht dem Gesetz zur Ächtung der Gewalt gegen Kinder zugestimmt? Ich kann es nicht verstehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein notwendiger Beitrag zur Unterstützung der Familien. Wir wissen doch um diesen fatalen Zusammenhang: Gewalt in Familien, von Kindern erlebt, führt wieder zu Gewalt. Prof. Dr. Christian Pfeifer – er war auch in Ihre Fraktion eingeladen – hat ganz klar diese Zusammenhänge belegt. Ich verstehe Sie nicht und ich hoffe, dass Sie künftig auch dann klar zu Inhalten stehen, wenn dies vernünftige Initiativen der Grünen sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich wundere mich auch, dass Sie nicht anerkennen können, dass es gegenwärtig im ökologischen Bereich die international besten Bedingungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien, für Klimaschutz, für Energieeinsparung und moderne Effizienztechnologien gibt. All dies ist doch ein wirtschaftlicher Impuls für Bayern. Beispielsweise bedeutet die Ökologie im Abfallbereich eine Unterstützung der bayerischen Brauereien, die jetzt endlich eine Stärkung des Mehrwegsystems bei den Flaschen erfahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die energiepolitischen Entscheidungen sind doch die Grundlage für immense private Investitionen gerade hier in Bayern, die dem Handwerk die Aufträge sichern und einem Zuwachs an Arbeitsplätzen dienen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bundesweit werden im Zusammenhang mit Maßnahmen, die im Bereich des Klimaschutzes, der Energieeinsparverordnung und der Gebäudesanierung beschlossen worden sind, die zusätzlichen Arbeitsplätze, die dadurch bis 2020 entstehen, von Prognos auf über 350 000 geschätzt. Ich meine, diese Zahlen zeigen, dass hier ein Weg in die Zukunft mit ökologisch konsequenten Reformen eröffnet wurde.

Ich verstehe auch nicht, wieso in Bayern immer noch beispielsweise die Windenergie behindert wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erst geschah dies in Oberfranken, jetzt massiv in der Oberpfalz. Es ist doch kein Weg in die Zukunft, wenn modernen Technologien der Weg versperrt wird.

Oder schauen wir uns die Verkehrspolitik an. Auch hier sind wir es gewöhnt, dass Sie nur auf Rot-Grün in Berlin schimpfen und lamentieren. Aber betrachten Sie doch einmal, was Bayern allein im Bundesverkehrswegeplan angemeldet hat. Dessen Umsetzung mit einer vernünftigen Finanzierung würde noch 100 Jahre dauern. Wir können nur von Glück reden, dass es so ist. Denn die Klimaschutzziele, die die Bundesregierung erreichen muss, die auch Sie hier in Bayern erreichen wollen, könnten wir mit dem, was Sie mit Autobahnausbau und Bau von Bundesfernstraßen an zusätzlichem Verkehr nach Bayern bringen wollen, nie erreichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Klimaschutz erfordert ein ökologisches Denken.

Was das ewige Jammern über die Bahnpolitik betrifft, so hat sich Bayern auch zu einem guten Teil selbst das Fehlen der Mittel zuzuschreiben. Nicht nur, dass die CDU/ CSU mitverantwortlich ist für die Bahnpolitik der vergangenen 16 Jahre Regierung Kohl, nein, Sie haben beispielsweise auch hier in Bayern, gegen die bayerischen Grünen, in aller Unvernunft an der ICE-Trasse Ingolstadt-Nürnberg festgehalten und sie durchgedrückt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat nicht nur dazu geführt, dass der schwäbische Wirtschaftsraum abgehängt wird, sondern Sie mussten es auch noch privat vorfinanzieren. Das hat in die Bundesmittel der Bahn, die Bayern zugute kommen sollten, ein Loch von derzeit knapp 10 Milliarden DM gerissen, mit einem Kreditvolumen, das Sie in die Bundesregierung haben beschließen lassen, von 15,6 Milliarden DM. Allein das zeigt, mit welchen Preissteigerungen Sie bei der privaten Vorfinanzierung überhaupt gerechnet haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist wirtschaftliche Inkompetenz! Oder nehmen wir den drohenden Interregioabbau. Wir alle sprechen uns dagegen aus, nur frage ich Sie: Warum halten Sie das Gutachten der schweizerischen Firma SMA unter Verschluss?

Schweizerische Erfahrungen zum Ausbau des Verkehrs könnten Bayern nur gut tun. Dann könnten wir endlich mit eigenen Initiativen und angemessener finanzieller Unterstützung die Anbindung der Flächen in einem vernünftigen Takt für Bayern gewährleisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Geben Sie dieses Gutachten an die Öffentlichkeit, und dann werden wir die besten Ideen daraus für Bayern gemeinsam umsetzen können.