Protocol of the Session on June 27, 2001

Login to download PDF

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 68. Vollsitzung des Bayerischen Landtages. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten; die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch einen Glückwunsch aussprechen. Frau Kollegin Monica Lochner-Fischer feiert heute Geburtstag. Im Namen des Hohen Hauses und persönlich gratuliere ich der Kollegin sehr herzlich und wünsche ihr alles Gute sowie Kraft und Erfolg bei ihrer parlamentarischen Arbeit.

Ich rufe jetzt auf:

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

„Mogelpackung der Bayerischen Staatsregierung?

Auswirkungen des Gegenentwurfs der Staatsregierung zur Novellierung der Verpackungsverordnung auf die bayerische Brauereienlandschaft und die Umwelt“

Vorschlagsberechtigt ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Sie hat die Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt.

Die einzelnen Redner dürfen grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion kann einer ihrer Redner zehn Minuten sprechen; dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Wenn ein Mitglied der Staatsregierung kraft seines Amtes das Wort nimmt, wird die Zeit seiner Rede nicht mitgerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zeit der Dauer der Aussprache zu sprechen.

Bitte, achten Sie jeweils auf mein Signal. Erster Redner ist Herr Kollege Dr. Runge. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben das Thema „Verpackungsverordnung“ heute für die Aktuelle Stunde ausgewählt, um zum einen dafür zu werben, dass die Staatsregierung doch noch dem Landtagsbeschluss vom 9. Mai folgt und im Bundesrat für das Pfand auf Dosen und Einwegflaschen und für den Entwurf der Bundesregierung zur Novellierung der Verpackungsverordnung stimmt. Zum anderen wollen wir selbstverständlich den Gegenvorschlag der Staatsregierung diskutieren.

Ich gehe kurz in die Vergangenheit, und zwar nicht, um die zahlreichen vollmundigen Sprüche von CSU-Größen für das Pfand und für weiter gehende Maßnahmen „abzufeiern“. Wir erinnern an die inhaltliche Diskussion Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre. Der

Hintergrund war damals der gleiche wie heute, nur hat sich im Grunde die Situation heute noch einmal zugespitzt.

Dosen und Einwegflaschen waren und sind auf dem Vormarsch. Das ist schlecht für die Umwelt, wie alle seriösen Ökobilanzen belegen. Das ist übel für die Landschaft, die zugemüllt wird, und es ist übel für die kleinen und mittleren Brauereien und Getränkeabfüller, die sich mit den Dumpingangeboten in Einweggebinden ihrer großen Konkurrenten auseinander setzen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man hat sich damals, also vor gut zehn Jahren, verständigt auf die Verpackungsverordnung mit ihrer Bepfandungs- und Rücknahmepflicht und den Befreiungsmöglichkeiten hiervon.

Von der Pfandpflicht ist dann auch befreit worden, nachdem seitens der Wirtschaft zugesagt worden war, sich an die Verwertungs- und Mehrwegquoten zu halten. Nur, wie wir alle wissen, hat man sich eben nicht an die Mehrwegquote, an die diesbezüglichen Zusagen gehalten.

Jetzt, wo es darum geht, endlich die Reißleine zu ziehen, endlich das Pfand einzuführen, werden auf einmal schwerste Bedenken eingebracht – dieses auch von Politikern, die noch vor gar nicht langer Zeit vehement das Pfand eingefordert haben.

Und da sind wir leider angelangt bei der Bayerischen Staatsregierung. An dieser Stelle doch kurz ein Zitat:

Besondere Sorge bereitet den kleinen Brauereien der anhaltende Trend zum Bier in der Dose. Alles deutet darauf hin, dass die Dose gezielt zum Verdrängungswettbewerb eingesetzt wird. Wir drängen die Bundesumweltministerin, das Instrumentarium der Verpackungsverordnung konsequent anzuwenden,

Wer war das? – Das war unser Ministerpräsident Edmund Stoiber. Und es ist auch noch nicht wahnsinnig lange her; das war im Herbst 1997 anlässlich der Eröffnung der Messe „Drinktec Interbräu“ in München.

Jetzt ist alles plötzlich Schall und Rauch. Die Bayerische Staatsregierung dreht sich um 180 Grad, übt Totalopposition nach dem Motto: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“, und „alles, was aus Berlin kommt, ist schlecht“.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie betreibt damit das Spiel der Dosenindustrie, der Großbrauereien und der großen Einzelhandelsketten.

(Beifall bei Abgeordneten vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da gibt es eigentlich nichts zu klatschen, denn wir kritisieren ja die Staatsregierung.

(Heiterkeit)

Der Gegenvorschlag der Staatsregierung ist in unseren Augen eine Mogelpackung. Er richtet sich massiv gegen die kleinen Brauereien und gegen den Umweltschutz. Nach diesem Vorschlag soll die Wirtschaft zum einen gesetzlich, zum anderen via Selbstverpflichtung in die Pflicht genommen werden, jährlich mindestens 24,5 Milliarden Liter an Massengetränken in ökologisch vorteilhaften Verpackungen, davon 22 Milliarden Liter bzw., wenn man jetzt dem Ansinnen des Präsidenten des Handelsverbandes auch noch einmal nachkommt, nur 21,5 Milliarden Liter, in „Mehrweg“ abzugeben. Wird diese Menge zwei Jahre hintereinander unterschritten, dann soll doch die Pfandpflicht greifen und eine Sanktion in Höhe von bis zu 500 Millionen Mark je Jahr.

In unseren Augen hat eine solche Regelung gravierende Schieflagen: Zum einen handelt es sich um ein bürokratisches, in die Praxis kaum umsetzbares Monstrum, dessen Vereinbarkeit mit dem Wettbewerbsrecht im Übrigen auch infrage steht. Zum anderen schlägt die Staatsregierung, Herrn Schnappauf, vor, die bisher vorgegebene Mehrwegquote von zurzeit 72% auf 66 oder 68% abzusenken. Gleichzeitig – und wohl auch deshalb – nennt die Staatsregierung ihre Lösung die „ökologisch überzeugendere“.

Drittens – das ist jetzt unser Hauptkritikpunkt an Ihrem Vorschlag, Herr Minister Schnappauf – würde die Regelung bedeuten, dass die Vorgaben der Verpackungsverordnung um mindestens zwei Jahre ausgesetzt sind, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Mehrwegquote im freien Fall ist und immer mehr kleine Brauereien dem Konkurrenzdruck durch das Billig-Dosenbier von Großbrauereien und Discountern nicht mehr standhalten können.

Hier auf Zeit zu spielen bedeutet nicht nur einen Vertrauensbruch gegenüber den vielen kleinen Brauereien, die sich auf den Inhalt der Verpackungsverordnung verlassen haben, sondern bedeutet auch einen Gesichtsverlust für die Politik insgesamt. Das so viel gelobte Instrument der freiwilligen Vereinbarung wäre diskreditiert; schließlich ist die Bepfandungs- und Rücknahmepflicht für den Fall, dass die Quoten nicht eingehalten werden, ja nichts Neues, sondern seit zehn Jahren bekannt. Die beteiligten Wirtschaftsverbände haben sich darauf einstellen können und sind auch von Ihrem Vorgänger, Herrn Schnappauf, immer dazu aufgefordert worden, sich darauf einzustellen.

Die Verpackungs- und die Getränkeindustrie sowie der Einzelhandel haben sich aber nicht an ihre Zusagen gehalten. Sie bauen weiter auf Verschiebung und Aufweichung. Herr Dr. Schnappauf, wenn Sie ebenfalls dieses Ziel verfolgen, werden Sie zum Totengräber des Instrumentes der freiwilligen Vereinbarungen, das Ihnen doch immer so sehr am Herzen gelegen hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die erneute Forderung nach einem runden Tisch ist wenig zielführend; einen solchen gab und gibt es seit zehn Jahren. Bis zuletzt wurde verhandelt. Dabei gab es

aber keine Zusagen, die aus der Sicht des Umweltschutzes zufrieden stellend gewesen wären. Herr Dr. Schnappauf, als Umweltminister und als Minister in Bayern müssten Sie eigentlich doppelt motiviert sein, eine Lösung zu finden, die rasch greift. Stattdessen spielen Sie auf Zeit. Dass dies auch von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens praktiziert wird, ist bedauerlich. Wir hoffen, dass sich die dortigen GRÜNEN noch durchsetzen werden. Das Verhalten der dortigen Landesregierung ist aber nachvollziehbar; denn in Nordrhein-Westfalen sitzen „Aldi“, „Tengelmann“ und „Metro“. Wenn sich die Staatsregierung zum Erfüllungsgehilfen west- und norddeutscher Großunternehmen macht, wird das Edmund Stoiber in seinem Sehnen und Streben, Gerhard Schröder zu beerben, keinen Millimeter weiterbringen.

Die Bayerische Staatsregierung sollte die Interessen der bayerischen Wirtschaft im Auge haben. Jede zweite deutsche Braustätte hat ihren Sitz in Bayern. Vier Fünftel aller deutschen Biermarken kommen aus Bayern. Das Brauereisterben hat jedoch erschreckende Ausmaße angenommen. 1960 gab es noch fast 1600 Braustätten. Inzwischen sind nur noch etwa 700 in Betrieb. Der Marktanteil bayerischen Bieres in Bayern ist massiv zurückgegangen, weil Bier aus west- und norddeutschen Großbrauereien sowie aus Discountern Bayern überschwemmt hat. Der Dosenanteil hat sich innerhalb weniger Jahre vervielfacht. 1992 lag er noch bei 4 oder 5%. Inzwischen sind wir bei gut 15% angelangt.

Herr Dr. Schnappauf, wir fordern Sie und die Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung auf, sich dem Votum der Abgeordneten Ihrer Partei – denen wir an dieser Stelle noch einmal herzlich danken wollen – anzuschließen. Diese Abgeordneten haben damals unserem Antrag zum Dosenpfand zugestimmt. Wir fordern Sie im Interesse des Umweltschutzes und im Interesse der kleinen und mittleren Brauereien in Bayern auf, für die Bepfandungs- und Rücknahmepflicht von Einwegverpackungen und für den Entwurf der Novelle der Verpackungsverordnung der Bundesregierung zu stimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Staatsminister Dr. Schnappauf.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Runge hat in seinen Ausführungen deutlich gemacht, dass es ihm um die Einführung des Pfandes in Deutschland und im Freistaat Bayern geht. Ich hatte den Eindruck, es gehe ihm um das Pfand um des Pfandes willen. Herr Dr. Runge, ich hatte den Eindruck, dass bei Ihnen nicht einmal mehr das Nachdenken darüber erwünscht ist, ob mit dem Pfand das erreicht werden kann, was Sie vorgeben, erreichen zu wollen.

Bislang glaubte ich, dass wir das gleiche Ziel hätten. Zumindest die Bayerische Staatsregierung verfolgt das eindeutige Ziel, den Mehrweg zu sichern. Unser Ziel ist, dass über zwei Drittel der Getränke in den Regalen der Supermärkte in Bayern und in Deutschland in Mehrweg

verpackungen abgefüllt sind. Wir müssen aber Mittel einsetzen, die tatsächlich dazu geeignet sind, das Ziel zu erreichen. Sie wollen das Pfand durchdrücken, ohne noch einmal zu prüfen, ob dieses Mittel tatsächlich geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist geprüft!)

Frau Kollegin Stahl, das ist eben nicht geprüft. Das ist der Punkt. Alle Umweltminister der Länder haben auf der Umweltministerkonferenz in Berlin im Oktober 2000 klar gesagt, dass sie bereit seien, mit Ihnen über die Einführung eines Pfandes unter ganz bestimmten Voraussetzungen zu reden. Wir haben damals acht Punkte formuliert. Die wichtigste Forderung war, dass der Bundesumweltminister nachweisen müsse, dass die Lenkungswirkung des Pfandes zugunsten ökologisch vorteilhafter Verpackungen – vor allem der Mehrwegverpackungen – auch tatsächlich gegeben ist. Was hat der Bundesumweltminister getan? Statt diese acht Punkte der Umweltministerkonferenz abzuarbeiten, hat er am 18. Mai 2001 dem Bundesrat einen Verordnungsentwurf zugeleitet, über den am 22. Juni abgestimmt werden sollte. Ob das Pfand eine Lenkungswirkung zugunsten des Mehrwegs hat, ist noch völlig ungeklärt. Außerdem ist noch völlig offen, wie in Deutschland die PET-Flaschen eingestuft werden.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie wissen doch, dass die Selbstverpflichtung nicht hinhaut!)

Der Bundesumweltminister hat die Hausaufgaben, die ihm die Umweltministerkonferenz gestellt hatte, nicht abgearbeitet. Er wollte und will das Pfand übers Knie brechen. Er will das Pfand um des Pfandes willen. Das kann es nicht sein. Wenn wir mit einem solchen Instrument arbeiten, muss klar sein, dass wir die gesetzten Ziele erreichen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eines muss doch über alle Parteigrenzen hinweg klar sein: Wenn das Pfand morgen in Deutschland eingeführt würde, wäre das eine Entscheidung, die nicht in ein oder zwei Jahren von der Politik mit einem Federstrich zurückgenommen werden könnte.

Wenn sich herausstellen sollte, dass die Bepfandung des Einwegs letztlich den Mehrweg reduziert, stünden in Deutschland bereits 80000 Pfandautomaten. Wir hätten bis dahin 4 Milliarden DM investiert. Die Politik könnte diese Entscheidung nicht einfach zurücknehmen. Das ist mein Hauptkritikpunkt an dem Verordnungsentwurf von Herrn Trittin. Er streicht die Mehrwegquote aus der Verpackungsverordnung. Außer dem Pfand wird es dann keine Hemmschwelle mehr geben. Die gewünschte Lenkungswirkung des Pfandes wird momentan zwar vermutet, sie ist aber nicht nachgewiesen. Wenn das Pfand nicht die gewünschte Lenkungswirkung haben sollte, werden die Dosen in Deutschland freie Fahrt haben. Herr Kollege Dr. Dürr, auch wenn es Ihnen nicht gefällt: Dank seiner Politik und der Arbeit der mittelständischen Betriebe ist Bayern deutschland- und europaweit Marktführer in Sachen Mehrweg.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind das Schlusslicht!)

Wir haben beim Bier eine Mehrwegquote von 81,6%. Ich möchte Ihnen jetzt die zwei Beispiele entgegenhalten, die es in Europa gibt: In Schweden gibt es seit 1984 ein Pfandmodell. Als das Pfand in Schweden eingeführt wurde, lag die Mehrwegquote dort bei deutlich über 40%. Nach einem Jahrzehnt lag die Mehrwegquote in Schweden nur noch bei 30%. Das bedeutet, in einem Jahrzehnt hat das Pfand in Schweden dazu geführt, dass die Mehrwegquote um über 25% gesunken ist. Ein zweites Beispiel: Am letzten Freitag habe ich eine neue Zahl erhalten, die in der öffentlichen Diskussion bislang noch keine Rolle gespielt hat. In der Schweiz gibt es für PET-Flaschen ein Teilpfand. Seit dem Jahr 1992 ist in der Schweiz die Mehrwegquote von 79% auf inzwischen 42% gesunken. Diese Beispiele sind der beredte Beweis dafür, dass die Bepfandung von Einweg zulasten des Mehrwegs geht. Wir haben die Sorge, dass das auch in Deutschland passieren könnte. Da wir die Entscheidung über die Einführung eines Pfandes in absehbarer Zeit nicht zurücknehmen können, müssen wir sehr gut überlegen, bevor wir diesen Schritt gehen.

Aus dieser Situation heraus haben wir in Bayern ein Mehrwegsicherungskonzept auf den Weg gebracht, welches genau das Ziel verfolgt, den Mehrweganteil festzuschreiben.