Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hofmann, Sie können gespannt sein. Hören Sie gut zu; Sie werden heute eine Menge lernen.
Nein, nichts Neues, aber wir werden einige Dinge auflisten, damit Sie sich daran erinnern, welchen Eiertanz Sie um die Betreuungsangebote mit Krippen und Horten – von der Ganztagsschule ganz zu schweigen – gemacht haben. Das geht so seit Mitte der achtziger
Jahre. Meine Damen und Herren von der CSU, seit dieser Zeit ignorieren Sie schlicht und einfach die Bedürfnisse von Familien, Frauen und Kindern. Sie wollten und Sie wollen den Menschen Ihre Familienideologie aufdrücken. In all diesen Jahren haben Sie Ihre ideologischen Scheuklappen kaum abgelegt, allenfalls ein kleines bisschen geöffnet, und das auch nur dann, wenn der öffentliche Druck so groß wurde, dass Sie ihm nicht mehr standhalten konnten. Das war auch jetzt so. Wenn die Wirtschaft nicht massiv Betreuungsangebote eingefordert hätte, hätten Sie sich bei diesem Thema nach wie vor überhaupt nicht bewegt.
Wer sich die alten Protokolle über die Beratungen zu unseren Forderungen nach Krippenbetreuung, Hortfinanzierung, längeren Öffnungszeiten der Kindergärten oder gar nach der Ganztagsschule ansieht, stellt fest, dass Ihnen meistens nichts anderes eingefallen ist, als die SPD massiv zu diskriminieren. Ich will Ihnen einige Beispiele vorführen, die Sie gewiss längst vergessen haben. 1992 hatten wir hier eine große Interpellation zum Thema Altersmischung in Kindergärten. Hören Sie bitte gut zu: Altersmischung in Kindergärten. Das war die Forderung, also etwas wie Kindertagesstätten und Kinderhäuser einzurichten. Ein liebenswerter Kollege, der hier vorn saß, hatte während der ganzen Debatte nichts anderes zu tun, als stets dazwischenzurufen: Reiner Sozialismus, wie in der DDR! Frau Stewens – sie ist leider nicht da –, wir sind neugierig, wie Sie diesem Kollegen beibringen werden, dass das heute nicht mehr gilt.
Im selben Jahr hat sich der Herr Ministerpräsident dazu verstiegen, vor dem Bayerischen Senat folgende Formulierung zu gebrauchen:
Sie sind lediglich Ausfluss einer wohlverstandenen Sozialstaatlichkeit im Geiste der Subsidiarität, der Hilfe zur Selbsthilfe. Die Gesellschaft darf dem Einzelnen nur dann unter die Arme greifen und ihm helfen, wenn er dies selbst nicht kann.
Ich habe aber immer gedacht, wir hätten in Bayern mit dem Kindergartengesetz ein Bildungsgesetz. Weit gefehlt.
1995 führten wir hier eine Diskussion – das ist noch nicht so lange her – über die Einführung der staatlichen Förderung für Kinderkrippen. Da gab es folgenden Ausspruch von Ihnen:
Wir haben Tagesmütter, Tagespflege, Nachbarschaftsbetreuung und anderes. Wir sind froh, dass es das gibt. Das wird nicht dadurch kaputt gemacht, dass wir das jetzt staatlich fördern.
Wir fragen uns, wie Frau Stewens erklärt, dass wir jetzt plötzlich doch in diese Förderung einsteigen.
Solche Zitate könnten den ganzen Vormittag füllen. Man könnte denken, dass Ihnen im Jahr 2001 endlich die große Erleuchtung gekommen ist, aber weit gefehlt: Sie geben nur dem großen Druck der Wirtschaft nach. Wenn es politisch opportun war, sind Sie immer ganz schnell von Ihrer Linie abgewichen, haben ein bisschen etwas geändert, aber weiter an Ihrer Linie festgehalten. Als Beispiel nenne ich die Ganztagsschule in WürzburgHeuchelhof. Ich zitiere aus dem kulturpolitischen Ausschuss von 1991. Der verehrte Herr Kollege Knauer hat wörtlich gesagt:
Sämtliche Gutachten haben das Modell gutgeheißen, aber eine Ganztagsschule ist bekanntlich von der CSU nicht gewünscht. Darum soll der Begriff „Ganztagsschule“ in „ganztägige Betreuung“ umgewandelt werden.
So ist es heute noch. Das phantastische Modell der Ganztagsschule am Heuchelhof – kein Mensch spricht dort von ganztägiger Betreuung, sondern nur von Ganztagsschule – besteht fort. Die CSU möchte keine Ganztagsschulen und versucht dann, wenn der Druck zu groß wird, alle möglichen anderen Lösungen zu finden. Das war übrigens zu dem Zeitpunkt, als die verehrte Frau Kollegin Stamm in Würzburg als Oberbürgermeisterin kandidiert hat. Man musste es politisch tun; es blieb nichts anderes übrig.
Zu Ihren jetzigen Vorschlägen. Sie sind zu kurz gesprungen und haben lediglich ein Betreuungskonzept vorgelegt. Die SPD betont noch einmal: Für uns sind Bildung, Erziehung und Betreuung eine Einheit, und zwar auf allen Ebenen, von der Krippe bis zur Ganztagsschule; anders geht es nicht. Den stufenweisen Einstieg in die Krippen- und Hortfinanzierung halten wir einerseits für positiv, weil wir endlich erreichen, was wir bereits seit den Achtzigerjahren fordern. Allerdings werden die Träger und Kommunen, die bereits bisher finanziert haben dafür bestraft, indem sie nur stufenweise in diese Finanzierung einbezogen werden.
Das Schlimmste ist aber Ihre Haltung zur Ganztagsschule. Die dort munter verbreiteten Unwahrheiten füllen Seiten. Es wird von „verpflichtend“ geredet. Kein Mensch hat eine verpflichtende Ganztagsschule gefordert. Es wird davon geredet, dass dort von 8 bis 17 Uhr ein schlimmer Unterricht passiere. Keine Ganztagsschule hat eine solche Palette. Herr Glück versteigt sich sogar zu folgender Formulierung, dass die kommunalen Lobbyisten nur die Begriffe nicht verstanden hätten und selbst doch keine Ganztagsschule wollten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Deimer so dumm ist. Herr Deimer hat sehr gut durchschaut, was er fordert.
Besonders charmant äußert sich Herr Huber. Er fürchtet gar, Ganztagsschulen würden gravierend in das Verhältnis von Staat und Familie eingreifen. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie es Frau Stoiber empfunden hat, die ihren Sohn in eine solche Einrichtung schickte. Ob sie wohl geglaubt hat, der Staat – ihr Mann, Herr Huber oder die CSU – hat massiv in ihr Familienleben eingegriffen? Ich kann mir dies beim besten Willen nicht vorstellen.
Es können nur Menschen einen solchen Unsinn reden, die in einer komfortablen Situation sind, die nicht allein erziehend und darauf angewiesen sind, die Dinge in einer solchen Form zu regeln.
Herr Freller, Sie als Schulmann müssten es besser wissen. Von Ihnen gibt es keine solchen irrigen Zitate. Vielleicht sollten Sie Nachhilfeunterricht geben. Ein Kollege schreibt heute noch: Ganztagsschulen richten sich an Schülerinnen und Schüler, die einen spezifischen zusätzlichen Förderbedarf haben. Nein, wir brauchen keine Ganztagsschulen für Spezialfälle. Das hat auch Frau Staatsministerin Hohlmeier wiederholt gesagt.
Wir brauchen keine Ganztagsschulen nur für Leistungssportler oder für Kinder aus sozialen Brennpunkten – diese brauchen wir auch. In Wirklichkeit brauchen wir Ganztagsschulen dort, wo sich Eltern aus pädagogischen Gründen für diese Schulform entscheiden. Man fragt sich natürlich, was eigentlich eine Engländerin oder Französin bei einer solchen Diskussion sagen würde, wonach alle ihre Kinder, die in Ganztagsschulen gehen, Spezialfälle sind, die einer besonderen Förderung bedürfen. Mit einer Definition, wonach alle Kinder eine besondere Förderung brauchen, können wir einverstanden sein, weil das eine sehr positive Form des Unterrichts ist. Wir brauchen Ganztagsschulen für Eltern, die für ihre Kinder diese Schulform wünschen und für richtig halten.
Meine Damen und Herren, wir sagen Ihnen nochmals deutlich: Es ist die Entscheidung der Eltern – weder die Entscheidung der Kultusministerin noch des Ministeriums oder von sonst irgendjemandem –, welche Schulform sie für angemessen halten. Bei der sechsstufigen Realschule war Ihnen der Elternwillen auch besonders wichtig.
Es gibt in Pullach eine katholische Bekenntnisschule, die einen nie dagewesenen Run erfährt. Die Eltern wollen nicht eine bestimmte Werteerziehung, wie ich anfangs dachte. Der Leiter dieser Schule sagte Folgendes: Es gibt auch deshalb einen Run auf diese Schule, weil es eine Ganztagsschule sei. Der Schulleiter sagte wörtlich: „Angesichts der großen Nachfrage ist die Einrichtung von Ganztagsschulen unabwendbar.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie sich dies zu Herzen.
(Beifall bei der SPD – Maget (SPD): War das zufällig die Schule, wo der Herr Ministerpräsident seinen Sohn hatte?)
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Beitrag der Frau Kollegin Radermacher stelle ich mir die Frage: Was wollen Sie? Wenn Sie auf den Elternwillen hinweisen, der für uns zentraler Mittelpunkt in der Ausgestaltung eines künftigen Kinderbetreuungskonzeptes ist, sollten Sie bitte auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Großteil der Eltern in Bayern Konzeptionen wünscht, die vielfältig sind, die die Situation in unserem Land, das Umfeld von Schulen und die soziale Infrastruktur berücksichtigen.
Die Ganztagsschule als Modell, verpflichtend in jedem Landkreis, wie Sie sie einmal gefordert haben, ist genau das Gleiche, wie Sie es in der Bildungspolitik vor zwei, drei Jahren gemacht haben. Sie springen auf alte Züge auf, die in die falsche Richtung gehen.
Für die CSU-Landtagsfraktion ist der deutliche Ausbau der Betreuung für Kinder bis zum 16. Lebensjahr eines der zentralen Anliegen in dieser Legislaturperiode.
Dabei ist es aber im Gegensatz zu den Vorstellungen der SPD nötig, dass maßgeschneiderte Konzepte vor Ort in und durch die jeweiligen Kommunen unter Einbeziehung der Betroffenen, also der Eltern und der Einrichtungen, die es dort gibt, entwickelt werden.
Das Konzept der CSU sieht als Schwerpunkte erstens den Ausbau der Betreuungsangebote innerhalb der nächsten sieben Jahre von 15% für Schulkinder, von 7% für Kinder bis zum 3. Lebensjahr sowie von 95% für Kinder im Alter der Kindertagsstättenzeit vor. Dass es da unterschiedliche Bedürfnisse gibt, müssen Sie zur Kenntnis nehmen; denn in einer kleinen Landgemeinde ist die Bedarfssituation anders als in einem sozialen Brennpunkt.
Neben dem gesamten Betreuungsangebot betrifft der zweite Punkt des Konzeptes die Förderung der Kinder. Ich frage mich in dieser Diskussion manchmal, was hier eigentlich im Mittelpunkt stehen solle. Wenn die Förderung der Kinder im Mittelpunkt steht, müssen wir aber Konzepte wählen, die auf die unmittelbaren Bedürfnisse der Kinder eingehen. Da gibt es völlig unterschiedliche Wege. Nehmen Sie die Situation von allein Erziehenden, zum Beispiel in sozialen Brennpunkten, etwa mit zwei Kindern, die sich in schweren Belastungen der Zeitorganisation und damit in einem psychischen Druck befinden. Dafür brauchen wir andere Betreuungsangebote als in einer Situation, wo aufgrund der Erwerbstätigkeit eines Elternteils eine Ergänzung erforderlich ist.
Es kann nicht sein, dass wir, wenn wir über das Thema Ganztagesschule reden, von Arbeitszeitverkürzungen auf dem Arbeitsmarkt reden, aber in der Regel an eine Arbeitszeitverlängerung für Schulkinder denken.
(Widerspruch der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Frau Radermacher (SPD): Machen Sie sich doch nicht lächerlich!)
Dies liegt nicht im Wohl des Kindes und ist nicht die Politik, die wir wollen. Dieses Zitat stammt übrigens nicht von mir, sondern von einem Elternverband.
Der dritte Ansatzpunkt lautet: Familien stärken. Das heißt, es müssen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt werden, sodass Familien über ihren Lebensweg autonom entscheiden können. Die Herstellung einer echten Wahlfreiheit des Lebensweges für Familien erfordert einen weiteren Ausbau des Familienleistungsausgleichs.
Es geht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es geht darum, die Kinderbetreuungsangebote auszubauen. Aber es geht gleichzeitig auch darum, die Familien in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden, welchen Weg sie gehen, ob ein Elternteil zugunsten der Kindererziehung zu Hause bleibt – das muss übrigens nicht immer die Frau sein – oder ob die Entscheidung in einer anderen Weise fällt.