Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 86. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Diese wurde wie immer erteilt.
Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch zwei Glückwünsche aussprechen: Einen halbrunden Geburtstag feierten am 10. April Herr Kollege Rudolf Klinger und am 13. April Herr Kollege Joachim Unterländer. Im Namen des Hohen Hauses und persönlich gratuliere ich den Kollegen sehr herzlich und wünsche ihnen alles Gute, Gottes Segen sowie Kraft und Erfolg bei der Erfüllung ihrer parlamentarischen Aufgaben.
Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema beantragt.
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Maget, Werner-Muggendorfer, Radermacher und anderer und Fraktion (SPD)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Elisabeth Köhler und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion kann einer ihrer Redner zehn Minuten sprechen. Dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Wenn ein Mitglied der Staatsregierung kraft seines Amtes das Wort nimmt, wird die Zeit seiner Rede nicht mitgerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mit
glieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zeit der Dauer der Aussprache zu sprechen. Ich bitte Sie, jeweils auf mein Signal zu achten.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kinderarmut – ein Thema, das auch in Bayern lange Schatten aufwirft, aber meist in Fachkreisen wie der Armutskonferenz der Wohlfahrtsverbände letzte Woche diskutiert wird. Wenn ich mir hier die Reihen anschaue, stelle ich fest, dass sich seitens der Staatsregierung nur der Herr Staatssekretär Schmid dafür interessiert.
Es bestätigt mich in meiner These und in dem, was ich an Erfahrungen habe, dass sich die Staatsregierung in Bayern lieber in Hochglanzbroschüren darstellt, in denen man sozusagen nur die Sonnenseiten des Freistaats sieht.
Wir stolpern hier zwar noch nicht über das Elend der Straßenkinder, aber es ist ein Zeichen von Armut, wenn wir Kinder im Winter ohne Handschuhe und Stiefel in die Schule gehen sehen, wenn Kinder die Einladungen zu Kindergeburtstagen grundsätzlich nie annehmen und wenn man beim Lachen von Kindern sieht, dass der Gang zum Zahnarzt offensichtlich schon mehr als überfällig ist.
Wir wissen, dass im Freistaat fast 74000 Kinder von Sozialhilfe leben, also ein Drittel der Sozialhilfebezieher Kinder sind. Wir wissen auch – das müssten auch Sie langsam wissen –, dass Armut und Krankheit ein leider unzertrennliches Paar sind. Wir wissen auch, dass Armut und mangelnde Bildungschancen ein leider unzertrennliches Paar sind. Mit dem Anteil der Bildungsarmen wird die Zahl von 74000 Kindern in der Sozialhilfe noch bei weitem übertroffen. Laut dem bayerischen Sozialbericht verlassen 8% der Kinder die Schule ohne einen Abschluss.
Gerade anlässlich der letzten Armutskonferenz der Wohlfahrtsverbände hat sich die Sozialministerin, die ich jetzt hier noch vermisse, in einer Presseerklärung wieder in Wahlkampfpose geworfen und getrommelt: Bayern ist Spitze und eigentlich ist doch sowieso alles in Ordnung. Bayern hat einen Landessozialbericht vorgelegt und wird
dies wieder tun. – Anscheinend glaubt die Staatsregierung, dass mit dem Schreiben eines Berichtes sozusagen die Hausaufgaben schon gemacht sind. Frau Stewens hofft wohl, dass das Kurzzeitgedächtnis bei uns mehr oder weniger präsent ist und dass die Querelen um den damaligen Sozialbericht schon vergessen sind.
Ich will Sie dennoch noch einmal daran erinnern: Der bayerische Armutsbericht hat schonungslos aufgedeckt, dass die verdeckte Armut in Bayern etwa genauso groß ist wie die registrierte. Der Tenor der CSU, Sozialhilfebezieher immer ein Stück weit mit der Missbrauchsdiskussion in einem Atemzug zu nennen, hält eben viele vom Gang zum Sozialamt ab. Die Chancen, einen Abschluss in der Schule zu erreichen, sind in Bayern so ungleich verteilt, dass in dem Bericht von Bildungsarmut gesprochen wird und dass vor allen Dingen die kranken Kinder in unserem Bildungssystem kaum eine Chance haben.
Mit dem damaligen faulen Trick, den Armutsbericht für ein Jahr in der Schublade verschwinden zu lassen, hat die Staatsregierung versucht, ihn aus dem Wahlkampf herauszuhalten, und sie hat damit zudem die Beschlusslage des Bayerischen Landtags umgangen. Ansonsten müsste sie nämlich noch in dieser Legislaturperiode einen weiteren Armutsbericht vorlegen.
Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass Armut Ihr Bild eines schönen Bayernlandes von Laptop und Lederhose stört.
Aber gerade die Armut von Kindern darf uns nicht kalt lassen. Auch in Zeiten knapper Kassen müssen wir weitere Maßnahmen auch zur materiellen Besserstellung gerade armer Kinder ergreifen.
Wir GRÜNEN fordern unter anderem die Einführung einer Kindergrundsicherung. Mit dieser Grundsicherung müssen vor allem Kinder aus einkommensschwachen Familien unterstützt werden. Mit einem Zuschlag von bis zu 100 e soll das Kindergeld einkommensabhängig aufgestockt werden. Wir GRÜNEN präsentieren sogar einen Vorschlag zur Gegenfinanzierung in Gestalt der Reform des Ehegattensplittings, während Ihr Familiengeld doch eine reine Luftbuchung nach dem Motto des Kandidaten ist: Der Aufschwung bin ich!
Nachdem Frau Stewens – ich möchte sie ganz herzlich begrüßen – sicherlich gleich zu einer Philippika gegen die Bundesregierung ausholen wird, möchte ich eines zu den Taten der Vorgängerregierung sagen: Kohl und seine Regierung hatten viel Herz für Spender, aber wenig Herz für Kinder.