Protokoll der Sitzung vom 15.11.2007

(Beifall bei der SPD)

Was tut der Freistaat für die Qualifikation, die Weiterbildung und die Gesundheitsvorsorge? Sie ziehen sich wieder aus der Affäre nach dem Motto: Lassen wir es die anderen machen. Wir haben schließlich die Tarifpartner, die Sozialpartner und den Bund. Das muss ich Ihnen lassen: Das machen Sie wirklich perfekt. Sie haben kreative Vorschläge, aber immer für die anderen. Bei Ihnen selbst hapert es jedoch gewaltig.

Nun zu Ihrem Wunsch, das Finnland-Konzept zu prüfen. Das ist sicherlich sinnvoll. Es gibt in den Niederlanden, in Dänemark und Schweden Programme zur Unterstützung älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Ich könnte mir das sehr gut als Modell für eine Region in Bayern vorstellen, wo die demografische Entwicklung zu einer besonders starken Abwanderung führt, wo die Arbeitslosenquote immer noch am höchsten ist und wo wir einen hohen Anteil von gering qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben, nämlich in Nordostbayern, sprich, dem nördlichen Oberfranken und der nördlichen Oberpfalz. Wir werden diesem Prüfwunsch zustimmen, wenn Sie bereit sind, den letzten Absatz mit den Frühverrentungsanreizen zu canceln bzw. zu streichen. Ansonsten werden wir Nein sagen, vor allem zum letzten Absatz.

Sie erinnern sich sicher: Die von Ihnen so genannte Frühverrentungskultur, also das vorgezogene Altersruhegeld, wurde von der Regierung Helmut Kohl eingeführt. Es war eine verheerende Entwicklung, als sich Unternehmen auf Kosten der Sozialversicherten und der Rentenkassen ihrer älteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen entledigt haben. Im Gegensatz zu Ihnen sehen wir keinen Handlungsbedarf; denn wir haben folgende Regelung, die im Koalitionsausschuss verhandelt worden ist: Die verlängerte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer wird ab dem 50. Lebensjahr bei 15 Monaten, ab dem 55. Lebensjahr bei 18 Monaten und ab dem 58. Lebensjahr bei 24 Monaten liegen.

Von den bisher nicht verwendeten Eingliederungsmitteln der Bundesagentur in Höhe von 700 Millionen Euro wird ein Betrag von rund 500 Millionen Euro für folgende Maßnahmen eingesetzt: Jeder, der einen Anspruch auf das verlängerte Arbeitslosengeld hat, bekommt einen Eingliederungsgutschein, entweder gekoppelt mit den konkreten Arbeitsangeboten oder mit dem Auftrag, sich um dessen Einlösung zu bemühen. Gelingt ihm das nicht, wird ihm für die Verlängerung die Zahlung des Arbeitslosengelds gewährt. Das ist Konsens.

Keinen Konsens gibt es hingegen bei der so genannten Zwangsverrentung. Arbeitslose, die mindestens 58 Jahre alt sind, haben die Möglichkeit, weiterhin Arbeitslosengeld zu beziehen. Danach können sie auch ohne Abschläge in Rente gehen. Dieser erleichterte Leistungsbezug wird häufig ab dem 31. Dezember 2007 ausfallen. Im Jahr 2008 können die Träger Arbeitssuchende, soweit die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, auch gegen ihren Willen in eine abschlagsgeminderte vorzeitige Altersrente verweisen. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb hat das Bundesarbeitsministerium einen Gesetzentwurf mit einer wirkungsvollen Regelung zur Vermeidung der Zwangsverrentung mit Rentenabschlag eingebracht. Die Union hat diesen Gesetzentwurf im Koalitionsausschuss am 12. November zurückgewiesen. Das nehmen wir so nicht hin. Hier muss neu verhandelt werden. Das Thema muss in den nächsten Koalitionsausschuss.

(Beifall bei der SPD)

Wir lehnen deshalb Ihren Dringlichkeitsantrag ab, es sei denn, Sie würden sich Ihrer sozialen Komponente besinnen und den letzten Absatz streichen.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Hallitzky.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bildungsurlaub ist eine Form der bezahlten Freistellung von der Arbeit zum Zwecke der Weiterbildung. Er fällt in die Ländergesetzgebung. In 12 von 16 Bundesländern gibt es eine solche landesgesetzliche Regelung, die den Arbeitnehmern das Recht zuspricht, in der Regel eine Woche pro Jahr bezahlten Bildungsurlaub zu nehmen. In Bayern gibt es dieses Recht nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die CSU-Fraktion vor diesem Hintergrund heute einen Antrag vorlegt, mit dem die Staatsregierung aufgefordert wird, sie möge ihre Bemühungen um Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen noch weiter verstärken – das ist wahrscheinlich das Maximum an sprachlichem Wulst –, ist das eine ziemlich absurde Aktion.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen uns vor Augen halten, dass im öffentlichen Dienst entweder gar keine Angebote bestehen – Frau Kollegin Steiger hat darauf hingewiesen –, oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich weiterbilden wollen, von ihren Kollegen schief angesehen werden, weil der öffentliche Dienst bereits so klein gespart ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die ganze Mehrarbeit zu tragen haben. Auch das ist Ihr Versagen.

Deshalb ist der heutige Antrag nicht wirklich ernst zu nehmen. Ein absurdes Stück führen Sie auch damit auf, dass Sie noch vor wenigen Tagen im Koalitionstheaterausschuss der Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer zugestimmt haben, während Sie hier und heute materiell genau das Gegenteil fordern, nämlich dass der Zuschlag für Ältere zum Arbeitslosengeld II abgeschafft wird. Das Ganze soll dann dazu dienen, ich zitiere aus Ihrer CSU-Sprachregelung, „der Frühverrentungskultur entgegenzuwirken“. Ich finde, das ist ein ziemlich verächtlicher Begriff,

(Beifall bei den GRÜNEN)

wenn man bedenkt, dass Sie es waren, die konservativen Regierungen, die in den Neunzigerjahren systematisch ältere Erwerbspersonen in den Vorruhestand zu schieben begannen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Ihrer schriftlichen Antragsbegründung wird auch das Prinzip klar, dass Sie ältere Erwerbstätige nach wie vor lediglich als Verschiebebahnhof für unternehmerische Arbeitsnachfrage ansehen. Es geht Ihnen nicht um ältere Menschen und deren Bedürfnisse.

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau!)

Die haben Sie schon längst zu einer Funktion der demografischen Entwicklung degradiert, und die funktionieren dann je nach Bedarf. Vor einigen Jahren wurden sie hinausgeschoben, jetzt werden sie wieder hereingeholt. Von Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitikern in der CSU hätte ich mir etwas mehr Respekt für die ältere Erwerbsgeneration erhofft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was bleibt an Materiellem von Ihrem Antrag? – Der sogenannte 9-Punkte-Plan zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation älterer Arbeitnehmer, den Sie vor eineinhalb Jahren – eineinhalb Jahre ist das jetzt schon her – mit der Vereinigung der Deutschen Wirtschaft unterzeichnet haben, ist im Wesentlichen belanglose Prosa. In Punkt 1 beispielsweise heißt es: Wir wollen die Rahmenbedingungen verbessern. Oder es hat nichts mit der Verbesserung der Arbeitsmarktsituation zu tun, sondern schlicht damit, die Lebensarbeitszeit zu verlängern oder Rentenabschläge einzuführen. Oder, wie Sie in Punkt 6 schreiben, ist die Politik gar nicht zuständig, weil Sie die Änderungen tarifvertraglicher Regelungen anmahnen. Oder Sie wollen als neoklassische Überzeugungstäter arbeitsrechtliche

Schutzklauseln für Arbeitnehmer außer Kraft setzen wie beispielsweise das Sozialauswahl-Kriterium für Ältere im Kündigungsschutzgesetz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei diesem Inhalt verwundert es nicht, dass Sie mit Ihrem Vertragspartner für diesen 9-Punkte-Plan, mit der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft – vbw –, einen Partner gefunden haben, der wie Sie vorgibt, als Bock der bessere Gärtner zu sein. Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben im Schnitt aller Leistungsparameter nämlich eine höhere Leistungsfähigkeit als jüngere. Ich verweise auf einschlägige Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung bei der Bundesagentur für Arbeit. Dennoch haben, so die jüngsten mir vorliegenden Untersuchungen, über 50 % der Unternehmen, wenn sich ältere Erwerbspersonen bei ihnen für einen Job beworben haben, diese nicht eingestellt. In über 50 % der Fälle wurden, wenn Ältere in der Auswahl waren, diese nicht genommen. In 40 % aller Unternehmen ist niemand jenseits der 50 beschäftigt. Dieser Widerspruch zwischen den guten Leistungsparametern der älteren Arbeitnehmer einerseits und einer deutlich höheren Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe andererseits, zeigt vor allem eines: Die schlechten Jobchancen beruhen vor allem auf Vorurteilen, die von den Unternehmen und ihren Personalchefs beharrlich gepflegt werden. Mit den Mitgliedern der vbw einen Pakt zu schließen, ist unsinnig. Die sollten sich lieber an der eigenen Nase packen und für die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer sensibel werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist höchste Zeit, die Potenziale älterer Menschen zu erkennen und von den skizzierten lieb gewordenen Vorurteilen und Stereotypen endlich Abschied zu nehmen. Dabei müssen uns die vielen aktiven Alten, von denen ich auch hier im Hohen Haus den einen oder anderen zu erblicken vermag, längst eines Besseren belehrt haben.

(Allgemeine Heiterkeit)

Die Zahl 60 steht weder für Leistungsabfall noch für Rückzug ins Privatleben. Diese Potenziale müssen aber auch aktiviert und stimuliert werden, und dazu braucht es mehr als die Lippenbekenntnisse Ihres Antrags.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf der Abgeord- neten Christa Steiger (SPD))

Konkret wären das zum Beispiel flexible Übergangsregelungen von Erwerbs- in die Nacherwerbsphase. Das will die Mehrheit aller Menschen, die in diesem Alter sind. Hier müssten also die gesetzlichen Regelungen weiter entwickelt werden. Weiter entwickelt werden muss auch die Möglichkeit, mit verringerter Arbeitszeit gleitend in den Ruhestand zu kommen. Das nur zu diesem Komplex.

Nun zu einem anderen, zur Weiterbildung. Bei der Weiterbildung liegt vieles im Argen: ich habe einleitend mit dem Beispiel Bildungsurlaub darauf hingewiesen. Dramatisch aber ist, wenn ich der „Süddeutschen Zeitung“ glauben

darf, dass die Firmen heute an der Weiterbildung immer mehr sparen. So sanken, ausweislich der Zahlen des Statistischen Bundesamtes, seit 1999 sowohl die Bereitschaft der Unternehmen, Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten, als auch die hierfür bereitgestellten Mittel. Auch deshalb ist die Wirtschaft, ist die vbw, Bock und nicht Gärtner.

Der Hinweis des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, die Arbeitnehmer sollten ihre Ferien zur Weiterbildung nutzen, wird vor diesem Hintergrund zu einem unverschämten Abschieben in die Eigenverantwortung. Ich verstehe nicht, warum Sie diese Positionen übernehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Konstellation geht vor allem zulasten älterer Arbeitnehmer. Deren Teilnahme an beruflicher Weiterbildung sinkt ab Ende 50 rapide in Richtung Null. Deshalb müssen die politischen Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen weiter verbessert werden, was im Übrigen nicht nur den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute käme, sondern auch für das inkooperierte Wissen von Bedeutung wäre, auf das unsere Gesellschaft existenziell angewiesen ist. Vor diesem Hintergrund reicht uns dieses kleine Antragssätzchen nicht, Herr Kollege Winter.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich komme aber zu einem versöhnlichen Ende. Sehr originell und wirklich gut finde ich, dass die CSU offensichtlich bereit ist, von den finnischen Erfahrungen zur Integration älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu lernen. Ich gehe davon aus, Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsfraktion, dass Sie wissen, dass es in Finnland ein ausgeprägtes Individualarbeitsrecht gibt, mit einer sehr hohen Schutzregelung, beispielsweise im Kündigungsschutz. Ich nehme an, Sie wissen, dass das Niveau der sozialen Sicherung in Finnland sehr hoch ist.

Die OECD, und damit komme ich zu meiner Anfangsüberlegung, dem Bildungsurlaub, zurück, schreibt in ihrer Studie mit dem bezeichnenden Titel: „Beyond rhetoric – adult learning policies and practices“ wörtlich: „In Finnland ist der Anspruch auf Bildungsurlaub ein bedeutender Anreiz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sich fort- und weiterzubilden.“ Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass Bayern zu den ganz wenigen Bundesländern gehört, wo dieser Anspruch nicht verwirklicht ist. Angesichts der Diskrepanz von Rhetorik und politischer Wirklichkeit bei Ihnen kann ich es nur begrüßen, wenn Sie nach Finnland blicken. Ganz nebenbei bemerkt, ich sehe gerade Frau Kollegin Tolle. Wir wären sehr froh, wenn Sie nicht nur in der Arbeits- und Sozialpolitik, sondern auch in den anderen Politikfeldern, wo die Überlegenheit der Nordmänner und der Nordfrauen ebenso offenkundig ist, anfangen könnten, nach Finnland zu schauen. Ich nenne nur die Schulpolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Lieben, das ist sehr zukunftsvisionär, das ist so im Antragstext nicht konkretisiert. Das kann Ihren heutigen Antrag deshalb nicht mehr retten. Wir lehnen ihn ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Hallitzky, vielen Dank. Nachdem Sie mit Blick auf mich von einem älteren Arbeitnehmer gesprochen haben, gebe ich für das Protokoll noch bekannt, dass das Durchschnittsalter der vier Redner zu diesem Antrag 47 Jahre beträgt. Ich stelle weiter fest, dass jetzt auch bei den Jüngeren das Wort Jugendwahn angekommen ist.

(Allgemeine Heiterkeit – Peter Winter (CSU): Sehr gut, Herr Präsident!)

Die nächste Wortmeldung: Frau Staatssekretärin Huml.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hiermit senke ich sozusagen den Altersdurchschnitt.

Da haben Sie recht, Frau Staatssekretärin.

(Allgemeine Heiterkeit)

Lassen Sie mich, bevor ich zum eigentlichen Antrag komme, mit einigen allgemeinen Ausführungen zur Arbeitsmarktsituation beginnen. Zu den Darlegungen von Frau Steiger möchte ich sagen, dass das 9-Punkte-Programm im Sommer des letzten Jahres vereinbart wurde. Man musste eine gewisse Zeit abwarten, um sagen zu können, welche Bilanz wir ziehen.