Herr Präsident, meine Damen und Herren, kurz noch an die CSU-Fraktion und ihren Redner Herrn Ettengruber gerichtet. Herr Ettengruber, Sie haben gesagt, wir würden mit dem Antrag offene Türen einrennen. Dann kamen wieder tolle verbale Bekundungen. Es geht in dem Antrag um zwei konkrete Dinge. Das eine ist die entsprechende Formulierung im Grundlagenvertrag. Diese wäre für uns grottenschlecht, deshalb müssen wir dagegenhalten. Sie haben es bisher nicht getan. Deshalb fordern wir Sie auf, das endlich zu tun, statt sich vor Ort in Maulheldentum zu üben.
Zum Zweiten geht es um die Trennschärfe: Was ist wirtschaftlich, was ist nicht wirtschaftlich? Herr Kollege Kaiser ist ein bisschen darauf eingegangen, dass die Kommission in eine Richtung arbeitet, die wir alle nicht gutheißen können. Da gilt es endlich gegenzuhalten, das ist auch noch nicht passiert.
Das Dritte, Herr Ettengruber: Wenn Sie wieder treuherzig das Beispiel Wasser bringen, dann bitte ich Sie, ins Archiv zu sehen. Der letzte Umweltminister Bayerns hat einen Gesetzentwurf präsentiert, wie er in keinem anderen Bundesland präsentiert worden ist. Dabei war nämlich die Aufgabenprivatisierung beim Wasser ein Kernbestand. Wir erinnern uns noch an den Aufruhr bei den kommunalen Spitzenverbänden usw. Vor dem Hintergrund, dass es derartige Gesetzentwürfe gibt, bei denen die Aufgabenprivatisierung der Kernbestandteil ist, wirkt das, was Sie als Bekenntnis vortragen, doch zumindest mau und lau.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Nur ein Satz, Kollege Runge, weil Sie immer die Trennschärfe ansprechen. Nach Meinung aller Fachleute ist es nicht sinnvoll, jetzt eine solche Trennschärfe zu fordern, weil zu befürchten ist, dass sie auf einem sehr viel niedrigeren Niveau stattfindet, als wir es jetzt haben. Deswegen stimmen wir diesem Anliegen auch nicht zu.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Kollege Runge, darf ich Sie darauf hinweisen, dass sich für die Belange der kommunalen Daseinsvorsorge nach wie vor der bayerische Innenminister vorrangig
zuständig fühlt, und ich war von Anfang an bei dieser Debatte anwesend. Dass es darüber hinaus natürlich auch eine Zuständigkeit und Betroffenheit des Staatsministers für Bundes- und Europaangelegenheiten gibt, den Sie wahrscheinlich vorhin im Blick bzw. nicht im Blick hatten, kann ich nachvollziehen. Ich darf Ihnen aber ausdrücklich herzliche Grüße des Kollegen Söder übermitteln, der sich in genau dieser Angelegenheit heute zur Vorbesprechung der morgigen Bundesratssitzung in Berlin aufhält. Morgen steht im Bundesrat nämlich genau dieses Thema auf der Tagesordnung, und es wird heute zwischen den Ländern darüber gesprochen, wie man sich zu diesem Thema im Bundesrat morgen verhalten wird.
Es geht, wie in Ihrem Antrag angesprochen, um diese aktuelle Mitteilung der Kommission, die den offiziellen Titel hat: „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts – Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen – Europas neues Engagement“ – Ende des Titels. Diese Mitteilung ist ihrerseits ein Begleitdokument zur sogenannten Binnenmarktmitteilung der Kommission vom 20. November 2007.
Der Bundesrat hat sich in den letzten Wochen bereits ausführlich damit auseinandergesetzt. Bayern hat als Mitantragsteller zahlreiche Beschlussempfehlungen eingebracht, die in den Ausschussbehandlungen einstimmig angenommen wurden. Morgen, am 15. Februar, wird bereits das Bundesratsplenum darüber beschließen.
Ich will nur einige zur Daseinsvorsorge dort formulierten Beschlusspunkte ansprechen, vor allen Dingen diejenigen, die Sie in Ihrem Antrag aufgreifen. Der Bundesrat fordert rechtlich klare Kompetenzzuweisungen, Beachtung der Subsidiarität und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Er betont die wichtige Funktion der lokalen Gebietskörperschaften für die Daseinsvorsorge. Er verlangt, Liberalisierungstendenzen hinsichtlich der in kommunaler Selbstverwaltung organisierten und gut funktionierenden Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse entschieden entgegenzutreten. Der Bundesrat verlangt, dass die Grundsätze der Daseinsvorsorge bei vergabe- und beihilferechtlichen Festlegungen stärker als bisher zu beachten sind. Er betont, dass interkommunale Kooperationen als innerstaatliche Organisationsentscheidungen anzusehen sind und nicht vom Vergaberecht erfasst werden. Der Bundesrat lehnt die sogenannte auslegende Mitteilung zu Vergaben ab, in denen die Kommission ihre Auffassung zur Bindung von binnenmarktrelevanten Vergaben unterhalb der Schwellenwerte an die Grundsätze der Gleichbehandlung, Transparenz und Nachprüfbarkeit dargelegt hat.
Bayern, meine Damen und Herren, unterstützt hierzu die Haltung der Bundesregierung, die gegen diese Mitteilung am 14. September 2006 Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof erhoben hat. Der Bundesrat stellt schließlich auch fest, dass trotz der Darlegungen der Kommission zur begrifflichen Abgrenzung der Dienstleistungen von allgemeinem nichtwirtschaftlichem Interesse zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sichere Abgrenzungen im Einzelfall nicht möglich sind.
Der Bundesrat lehnt Regelungen zu sektorspezifischen Qualitäts- und Sicherheitsstandards eindeutig ab.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, ich konnte mit diesen wenigen Stichpunkten deutlich machen, dass sich der Bundesrat mit allen im Dringlichkeitsantrag aufgeführten Bereichen bereits beschäftigt hat und morgen beschäftigen wird. Deshalb kann ich die Ausführungen des Kollegen Ettengruber nur nachdrücklich unterstreichen. Sie rennen offene Türen ein. Sie kommen jetzt mit Themen, mit denen sich Bayern, mit denen sich auch die anderen Bundesländer schon seit Monaten im Bundesrat beschäftigen. Deshalb ist dieser Antrag hier und heute überflüssig. Sie sollten ihn zumindest mit diesen klaren Aussagen, die wir hier getroffen haben, für erledigt erklären.
Ich will noch zwei Anmerkungen zum Thema trennscharfe Abgrenzung der europäischen Begriffe im Sinne der kommunalen Daseinsvorsorge in Deutschland machen. Der Begriff „Dienste von allgemeinem Interesse“ wird erstmals im Protokoll über den Vertrag von Lissabon in den europäischen Rechtsrahmen eingeführt. Bislang ist im EG-Vertrag nur von „Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ die Rede. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission nun in der oben genannten Mitteilung zur Daseinsvorsorge folgende begrifflichen Abgrenzungen getroffen: Der Begriff der „Dienstleistung von allgemeinem Interesse“ wird als Oberbegriff verwendet, und darunter sind zu unterscheiden die „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem“ und von „allgemeinem nichtwirtschaftlichem Interesse“.
Die Kommission hat sich vor diesem Hintergrund bereits vielfach nationalen Forderungen ausgesetzt gesehen, den Begriff „Dienste von allgemeinem“ und „wirtschaftlichem/nichtwirtschaftlichem Interesse“ zu definieren. Ich bin allerdings skeptisch, ob dies gelingen kann. Wir haben nämlich bisher die Situation, dass die Daseinsvorsorge in den verschiedenen Mitgliedstaaten der EU de facto unterschiedlich gehandhabt wird und dass wir sogar in unserem eigenen Land, in Bayern, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt keine legale klare Definition des vielfach gebrauchten Begriffs der Daseinsvorsorge haben.
Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich aufgrund anderer Erfahrungen mit der Europäischen Union skeptisch bin. Wenn wir bislang aus guten Gründen – das behaupte ich jedenfalls – keine legale klare Definition des Begriffs „Daseinsvorsorge“ in Deutschland haben, dann glaube ich nicht, dass wir uns in der Politik allgemein und speziell unseren Kommunen einen Gefallen täten, wenn wir das ausgerechnet von Brüssel verlangen würden. Ich fürchte, dass dabei am Schluss wesentlich mehr Ungemach für uns alle, auch für unsere Kommunen herauskäme, als dass wir etwas dabei gewinnen würden.
Eine zweite Bemerkung möchte ich zu dem machen, was Sie, Herr Kollege Runge, zum Lissaboner Vertrag angesprochen haben. Natürlich kann man sich über die einzelnen Formulierungen streiten, aber seien wir ein bisschen realistisch.
Nachdem es jetzt eine Verständigung über die Neuformulierung dieses Vertrages gibt und die Ratifizierung quer durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union läuft, sage ich Ihnen – bei aller Sympathie für viele Anliegen in Ihrem Antrag, Herr Kollege Dr. Runge –: Dass wir wegen dieses kleinen Spezifikums ernsthaft den gesamten, auf der Ebene der europäischen Regierungschefs ausgehandelten Vertrag mit einem Antrag im Bayerischen Landtag noch einmal ändern könnten, das glauben doch wohl selbst die GRÜNEN in diesem Hohen Hause nicht ernsthaft. Deshalb muss ich Ihnen in diesem Punkt eindeutig sagen – das gilt für uns genauso wie für den Deutschen Bundestag –, dass wir auch nur einen Hauch der Chance hätten, einen einzelnen Satz in diesem neuen Grundlagenvertrag der EU durch einen Antrag umzuformulieren, das ist nicht der Fall. Wenn das Ihr Anliegen sein sollte, Herr Kollege, dann ist der Antrag nicht sinnvoll.
Ansonsten betone ich noch einmal: Wir haben das alles schon abgearbeitet und erledigt. Ihren Anliegen wird Rechnung getragen. Deshalb denke ich, Sie sollten Ihren Antrag für erledigt erklären. Wenn Sie dies nicht tun, bitte ich nachdrücklich darum, dass das Hohe Haus diesen Antrag ablehnt.
Herr Minister, wenn Sie bitte gleich stehen bleiben würden. Ich erteile Herrn Kollegen Dr. Runge das Wort zu einer Zwischenbemerkung.
Aus zeitökonomischen Gründen spreche ich hier von hinten, damit die Kolleginnen und Kollegen noch ausreichend Redezeit haben.
Herr Kollege Runge, darf ich Sie unterbrechen. Sie müssen von dort hinten sprechen, weil es eine Zwischenbemerkung ist. Das steht in der Geschäftsordnung.
Aber ich mache deshalb eine Zwischenbemerkung und keine weitere Wortmeldung, um zu – – Sie haben es verstanden.
Herr Minister, Ihre letzten Bemerkungen veranlassen mich noch einmal zu einer klaren Aussage. Im Dezember 2003 gab es hier im Plenum einen einstimmigen Beschluss. Damals und fortan hat sich die Staatsregierung aber nicht nach diesem Beschluss gerichtet. Damals hätte man nämlich noch sehr wohl etwas an der Formulierung ändern können, aber Sie haben es verschlafen. – Gut, Sie waren damals noch nicht in der Staatsregierung. Die Staatsregierung hat nicht den Mut gehabt, zumindest zu versuchen, die nötigen Änderungen herbeizuführen. Das möchten wir an dieser Stelle noch einmal klargestellt haben.
Ihnen als damaligem Fraktionsvorsitzenden dürfte im Bewusstsein geblieben sein, dass wir jahrein, jahraus immer wieder Anträge gestellt haben, weil uns das Thema in der Debatte um den Verfassungsvertrag wichtig war, wie es uns auch jetzt in der Debatte um den Grundlagen
vertrag wichtig ist. Jetzt zu sagen, man kann nichts mehr ändern, ist schäbig und kleinlich vor dem Hintergrund, dass die Staatsregierung auch nicht ansatzweise bemüht war, im Sinne der Kommunen zu arbeiten.
Erstens. Ich kann Ihnen versichern, am Mut fehlt es der Bayerischen Staatsregierung grundsätzlich nie.
Zweitens. In der Prioritätensetzung erlauben wir uns manchmal, uns von der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN zu unterscheiden.
Drittens. Im Einsatz für die kommunale Daseinsvorsorge lassen wir uns von niemandem übertreffen, und dabei bleibt es auch in Zukunft.
Es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Dann können wir zur Abstimmung kommen. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/9917 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD-Fraktion. Gegenstimmen? – CSU-Fraktion. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Dringlichkeitsantrag der Abg. Georg Schmid, Renate Dodell, Joachim Unterländer u. a. u. Frakt. (CSU) Erhöhung des Kindergelds und der Kinderfreibeträge (Drs 15/9918)
Dringlichkeitsantrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut statt weiteren Versickerns von Transferleistungen (Drs. 15/9947)
Dringlichkeitsantrag der Abg. Franz Maget, Joachim Wahnschaffe, Johanna Werner-Muggendorfer u. a. u. Frakt. (SPD) Familien und Kinder besser fördern Kindergeld erhöhen. Bei Kindertagesstättenausbau muss Bayern nachbessern. (Drs. 15/9948)
Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erste Wortmeldung: Herr Kollege Unterländer. Vielen Dank, dass Sie schon da sind, wir sind heute in Zeitdruck.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation vieler Familien in unserem Land macht deutlich, dass eine Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages zum 01.01.2009 dringend notwendig ist.
Insbesondere die um fast drei Prozent gestiegenen Lebenshaltungskosten machen es erforderlich, dass diese Elemente des Familienleistungsausgleichs erhöht werden. Deshalb spricht sich die CSU ausdrücklich dafür aus, nach der Vorlage des vorgesehenen Berichtes zum Existenzminimum das Kindergeld und den Kinderfreibetrag zum 01.01.2009 zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, es würde mich freuen – aber leider kann man es nach den nachgezogenen Dringlichkeitsanträgen der Opposition nicht erwarten –, wenn Sie Ihren familienpolitischen Eiertanz der vergangenen Wochen abschließen und sich unserer Initiative vorbehaltlos anschließen würden. Sie haben wieder die Position eingenommen, die ich für mehr als problematisch, ja geradezu für verwerflich halte, nämlich dass Sie versuchen, materielle Leistungen, die Familien brauchen, gegen Sachleistungen bzw. den Ausbau der Kinderbetreuung auszuspielen. Wir wollen beides. Wir wollen mehr Priorität für die Familie, und da reicht es nicht, wenn die Familien sich die Leistungen von einer Tasche in die andere selbst umfinanzieren müssen. Diesen Weg gehen wir nicht mit.