Protokoll der Sitzung vom 31.03.2006

Weil es solche Dinge in Deutschland gibt, tut sich der Föderalismus schwerer, als er sich tun müsste. Ich bin dieser Meinung. Das höre ich doch jeden Tag von ganz normal denkenden Menschen. Deswegen noch einmal in aller Kürze: Warum brauchen wir diese Reform tatsächlich? Tun Sie nicht so, als wollten wir diese Reform torpedieren, weil wir die Diskussion über offene Sachfragen einfordern.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen sie, weil wir in der Tat für den Bürger mehr Klarheit bei der Kompetenzzuweisung zwischen Bund und Ländern brauchen, weil wir mehr Transparenz brauchen, weil das unglaubliche und unwürdige Gezerre in den nächtlichen Sitzungen des Vermittlungsausschusses weniger werden muss, wo am Ende kein Bürger mehr weiß, wer eigentlich dafür verantwortlich ist, dass es zum Beispiel heute eine Praxisgebühr gibt.

(Beifall bei der SPD)

Das brauchen wir nicht mehr. Sie haben auch Recht, Herr Ministerpräsident: Wir müssen die Kompetenzen deswegen klarer zuordnen, weil wir bei der Gesundheitsreform – Sie haben das Integrationsgesetz genannt – zu lange brauchen, weil die Länder nur aufgrund ihrer

Zuständigkeit bei der verwaltungsmäßigen Umsetzung von Bundesgesetzen beteiligt sind und über diesen Weg in der Vergangenheit ihre Beteiligung am Bundesgesetzgebungsverfahren immer eingefordert haben. Deshalb macht es in der Tat Sinn – die Vorschläge sind zielführend –, die Kompetenzen besser und klarer zu ordnen und zu verteilen.

(Beifall bei der SPD)

Der Chef der Staatskanzlei war bei uns in der Fraktion. Wir haben mit ihm diese Fragen erörtert und uns genau angesehen, wie das aussehen wird. Die Vorschläge sind zum großen Teil richtig, vor allem die Philosophie ist richtig, weil der Gesamtstaat davon profi tiert, weil die Länder gestärkt werden, weil sie zusätzliche Gesetzesmaterien erhalten, weil wir mehr Kompetenzen im Wirtschaftsrecht erhalten – das ist alles unbestritten –, weil wir mehr Kompetenzen zum Beispiel in der Wohnungspolitik, beim Wohnungsbau erhalten. Es ist doch Unsinn gewesen, dass in der Vergangenheit Wohnungspolitik und Wohnungsbauförderung bundeseinheitlich gemacht wurden, wo wir doch in Deutschland Regionen haben, in denen es einen Leerstand von Wohnungen gibt, während wir in Bayern Regionen haben, in denen es Wohnungsmangel gibt. Hierfür benötigt man regional spezifi sche Instrumentarien. Deshalb macht auf solchen Gebieten die Bundeszuständigkeit keinen Sinn, die Länderzuständigkeit aber sehr wohl.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind bei diesen Punkten doch zusammen. Auch der Bund profi tiert. Ich will das nicht länger ausführen, da ich glaube, dass es darüber keinen großen Dissens gibt.

Die Europatauglichkeit Deutschlands wird erhöht. Es ist in Ordnung, wenn Deutschland künftig in Europa bis auf drei klar begrenzte und defi nierte Materien mit einer Stimme spricht und die drei begrenzten Materien in Länderzuständigkeit bleiben bzw. eindeutig dort festgeschrieben werden. Damit wird Deutschland in Europa besser positioniert und besser aufgestellt. Viele Vorschläge sind jetzt in der Diskussion. Über das, was ich eben genannt habe, gibt es doch schon einen breiten Konsens.

Es gibt aber eben noch offene Fragen, über die geredet werden muss. Darüber wird im Deutschen Bundestag zwischen allen Parteien und mit Parlamentariern aller Parteien geredet. Dass sich die Bundestagsabgeordneten gegenüber den Landtagsabgeordneten zum größeren Teil als die klügeren und kompetenteren verstehen, trifft, fürchte ich, nicht nur für unsere Bundestagsabgeordneten zu, sondern das höre ich manchmal auch von CSU-Bundestagsabgeordneten. Die Konfl ikte liegen meiner Meinung nach also weniger zwischen den großen Parteien.

Was mich etwas wundert, ist die Einlassung der GRÜNEN in ihrer Resolution. Ich war beim Föderalismuskongress in Lübeck dabei.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Wir auch!)

Der glühendste Verfechter der Föderalismusreform, der dort gesprochen hat, war Kollege Kretschmann von den GRÜNEN aus Baden-Württemberg. Dagegen ist Herr Stoiber ein Waisenknabe, was Föderalismus betrifft. Sie waren in Lübeck dabei. Was wir in dieser Zeit dort gemeinsam zu Papier gebracht haben, war einhellige Meinung aller Parteien. Deswegen sollte man nicht so tun, als wäre die Philosophie der Reform heute völlig verkehrt und käme aus heiterem Himmel. Darüber ist lange diskutiert worden. Die Philosophie ist auch richtig. Über einzelne politische Sachthemen muss aber geredet werden.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, es ist aufgefallen, dass Sie zum Beispiel heute das Wort „Strafvollzug“ nicht in den Mund genommen haben. Ich frage Sie: Wenn beim Strafvollzug alles so bliebe, wie es ist, würde das wirklich die Föderalismusreform zum Scheitern bringen? Würde sich die Situation in Deutschland um ein Jota verschlechtern, wenn wir an dieser Stelle alles so ließen, wie es ist? Lassen Sie uns darüber doch diskutieren. Da ist doch nichts passiert. Am Ende kann ein besseres Ergebnis herauskommen.

(Beifall bei der SPD)

Dissens ist zu klären, Irrtümer sind aufzuklären, manches ist noch zu defi nieren. Ich habe in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ – darauf haben Sie sich bezogen, Herr Dr. Stoiber – angedeutet – ich meine, dies auch belegen zu können –, dass Bayern in der bundesweiten Diskussion um die Föderalismusreform andernorts durchaus kritisch und misstrauisch beäugt wird.

Das muss man wissen. Herr Kollege Herrmann, dafür gibt es auch Gründe. Wer tagein, tagaus in ganz Deutschland mit erhobenem Zeigefi nger herumläuft und ständig wie der Musterschüler und der Klassenbeste auftritt, muss sich nicht wundern, wenn er nicht überall Freunde hat.

(Beifall bei der SPD)

Er muss sich vor allem dann nicht wundern, wenn er in Wahrheit bei der Bildung, bei der Kinderbetreuung, bei der Versorgung des Landes mit Ganztagsschulen und neuerdings sogar beim Wirtschaftswachstum nicht der Primus ist, sondern bestenfalls im Mittelfeld liegt.

(Beifall bei der SPD)

Da kommt es nicht gut an, wenn man immer so tut, als wäre man der Beste. Wer die Bürgerinnen und Bürger von Ostdeutschland, also ganzer Regionen, schlichtweg als frustrierte Loser abqualifi ziert, darf sich nicht wundern, dass diese Menschen von der bayerischen Haltung nicht begeistert sind.

(Beifall bei der SPD)

Überdies erinnern sich viele Menschen in diesen Ländern genau daran, dass es in diesem Hause einmal einen Vor

stoß der Bayerischen Staatsregierung gab, um beispielsweise die Beitragshöhe zur Arbeitslosenversicherung zu regionalisieren. Das war Ihr Vorschlag.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Zukunftskommission Sachsen-Bayern!)

Das war die Zukunftskommission Sachsen-Bayern. Damals war noch Frau Stamm als Staatsministerin zuständig. Sie haben damals ernsthaft vorgeschlagen, die Höhe der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung regional festzusetzen. Das Ergebnis wäre gewesen, dass ausgerechnet die Bürgerinnen und Bürger in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit wesentlich höhere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung hätten zahlen müssen.

(Christa Naaß (SPD): Das sind Föderalisten!)

Vorschläge dieser Art erwecken den Verdacht, dass es Ihnen nicht um einen kooperativen und kollegialen Föderalismus im Sinne eines fairen Wettbewerbs geht, sondern darum, sich zu Lasten der anderen Länder zu profi lieren.

(Beifall bei der SPD)

Bayern ist gut und stark genug, um darauf zu verzichten.

Ich komme nun zu den bayerischen Beamten: Wir waren gemeinsam auf dem Delegiertenkongress des Bayerischen Beamtenbundes in Würzburg. Ich habe dort und anderswo zur Kenntnis genommen, dass die bayerischen Beamten die Vorschläge der Föderalismuskommission nicht unbedingt lautstark bejubeln und begrüßen. Ich stelle fest, die bayerischen Beamten sind nicht unbedingt eingeschriebene Mitglieder der sozialdemokratischen Partei.

(Johann Neumeier (CSU): Gott sei Dank!)

Warum ist das so? – Die bayerischen Beamten haben nicht die Sorge, einen anderen Dienstherrn zu bekommen, der sie besser behandeln würde. Sie haben vielmehr die Sorge, dass in der Folge der Föderalismusreform eine Schlechterbehandlung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst die Folge sein soll und sein wird.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Arbeitszeitverlängerung!)

Diese Sorge ist nicht unbegründet. Der Vorsitzende des Bayerischen Beamtenbundes konnte in Würzburg ausführen, dass die Arbeitsbedingungen der Beamten in Bayern mittlerweile die schlechtesten in ganz Deutschland sind.

(Beifall bei der SPD – Staatsminister Prof. Dr. Kurt Faltlhauser: Unsinn!)

Wenn Sie das als Unsinn bezeichnen, gehen Sie bitte zur nächsten Diskussionsrunde mit dem Präsidium des Beamtenbundes und klären Sie das. Eine Begeisterung

für diese Regelung gibt es dort nicht. Ich möchte Ihnen meine Meinung dazu sagen, die nicht von allen Mitgliedern meiner Fraktion geteilt wird: Es gehört zum Wesen des Dienstverhältnisses und es ist gut, dass der Dienstherr mit seinen Mitarbeitern, mit seinen Beamten, die zentralen Fragen des Dienstverhältnisses regeln kann.

(Joachim Herrmann (CSU): Sehr richtig!)

Das ist meine Meinung. Man darf das auch nicht als Gefahr sehen. Angesichts des Verhaltens des Freistaates Bayern gegenüber seinen Mitarbeitern in den letzten Jahren kann ich jedoch jedes Misstrauen gut nachvollziehen.

(Beifall bei der SPD)

Das Problem an dieser Stelle besteht in der Angst vor einer Spirale nach unten. Diese Angst erleben wir auch auf anderen Gebieten. Ich nenne nur die Sozialpolitik und das Heimgesetz. Soll das Heimgesetz in die Länderzuständigkeit kommen? – Ich denke, dafür gibt es gute Gründe. Allerdings besteht auch hier ein großes Misstrauen. Dieses Misstrauen hat die gleichen Gründe und auch dafür gibt es einen Beleg: Bayern hat vor einigen Jahren das kommunale Entlastungsgesetz im Bund eingebracht. Das geschah nicht zu Unrecht, weil es Auswüchse gibt und wir durchaus darüber diskutieren sollten, bei der Jugendhilfe so manche Leistung einkommensabhängig zu gewähren. Das ist nicht unsozial, sondern überlegenswert. Sie haben sich jedoch bei diesem KEG nicht durchsetzen können. Deshalb ändern Sie es.

(Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber: Ich bringe es wieder ein!)

Aber in anderer Form, weil Sie damals die so genannte Finanzkraftklausel drin hatten und den Vorschlag unterbreitet haben, dass selbst gesetzlich garantierte Bestimmungen und Regeln von der Finanzkraft der jeweiligen Gebietskörperschaft abhängig sein sollen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): So ist es!)

Wir würden dann zu der Situation kommen, dass arme Pfl egebedürftige nur noch in Doppel- und in Dreibettzimmern untergebracht werden dürften. Die Frage, wie wir pfl egebedürftige Menschen menschenwürdig versorgen, würde dann nicht mehr zu einem ethischen Diskurs, sondern nur noch zu einer Frage der Finanzen. Wir halten das für unwürdig und im Übrigen auch nicht für christlich.

(Beifall bei der SPD – Engelbert Kupka (CSU): Das hat nichts mit der Föderalismusdebatte zu tun!)

Das hat sehr viel mit der Föderalismusdebatte zu tun.