Protokoll der Sitzung vom 18.10.2006

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Schleierfahndung – ich denke, da sind wir uns einig – ist aus der polizeilichen Praxis nicht mehr wegzudenken.

(Marianne Deml (CSU): Das ist aber neu!)

Was aber jetzt im Zuge der Polizeireform in Mittelfranken vorgesehen ist, reduziert zum einen die Kontrolldichte, demontiert und demoralisiert zum anderen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und schwächt die Fahndung und damit auch die Fahndungserfolge. Das, Herr Minister Beckstein, können Sie nicht wollen.

Kolleginnen und Kollegen, aus den vergangenen Debatten hier im Hause wissen wir: Die Schleierfahndung ist in ganz Bayern unterschiedlich geregelt. Ich will darauf nicht näher eingehen. In Mittelfranken ist es jedenfalls so, dass sogenannte Fahndungskontrollgruppen bei den Polizeiinspektionen gebildet wurden, und zwar an drei Standorten: Feucht, Erlangen und Ansbach. Das war – so muss man heute sagen – ein Vorzeigeprojekt, das europaweit für Nachahmung sorgte.

Dann schlägt die Polizeireform zu. Vor allem wohl aus finanziellen Gründen, vielleicht auch, weil die örtliche Führung kein besonderes Faible für die Fahndungskontroll

gruppen hat, soll nun erprobt werden, ob man das gleiche Ergebnis nicht auch mit weniger Standorten und vor allem mit weniger Personal erreichen könnte. Ich will ausdrücklich dazusagen, dass man dagegen, sich Gedanken zu machen, ob man Personal einsparen und es anders organisieren kann, nichts sagen kann. Im konkreten Fall macht man einen Pilotversuch. Dieser sollte zwar schon längst beendet sein, aber die Zahlen, sprich die Fahndungserfolge, waren nicht vorzeigbar. Also wird der Versuchszeitraum einfach verlängert, das Personal wird aufgestockt, weil – das wissen wir alle – Modellversuche oder Pilotprojekte in Bayern zum Erfolg verurteilt sind.

Das Zwischenergebnis zum heutigen Stand, zumindest soweit es mir bekannt ist: Die Fahndungskontrollgruppe in Ansbach ist aufgelöst, und bei der Fahndungskontrollgruppe in Erlangen haben sich wegen der Unruhen so viele Beamte wegbeworben – und niemand hat sie aufgehalten, was ich noch viel unglaublicher finde –, dass von den zehn oder zwölf Planstellen nur noch drei besetzt sind. Eine Rund-um-die-Uhr Fahndung können Sie damit in Erlangen vergessen. Herr Minister, Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion, Schleierfahndung findet damit sowohl am Standort in Ansbach als auch am Standort Erlangen de facto nicht mehr statt.

Dennoch von einem „ergebnisoffenen Versuch“ zu sprechen ist mehr als ein Witz. Die örtliche Polizeiführung sagt dann: Das macht aber nichts. Auf der A 7 – also der Autobahn, die an Ansbach angrenzt – kommt nachts sowieso nur alle halbe Stunde ein Auto vorbei – was nicht stimmt. Die Ansbacher haben also eh wenig zu tun, und überhaupt: Irgendwann müssen ja alle am Autobahnkreuz Feucht vorbei, und da ist die Fahndungskontrollgruppe Feucht.

Nun muss man sich aber vor Augen führen, dass in Feucht nicht etwa eine Hundertschaft von Beamtinnen und Beamten auf „Kundschaft“ wartet, sondern da haben sie etwas mehr als 20 Beamte im Schichtdienstbetrieb. Folglich ist es eine Milchmädchenrechnung zu glauben bzw. uns glauben zu machen, dass die Kontrolldichte unter dem Wegfall der Fahndungskontrollgruppenkapazitäten in Ansbach und dem Schrumpfungsprozess in Erlangen nicht leiden würde.

So war es dann wohl auch in den letzten Monaten. Anders ist nicht zu erklären, dass Sie, Herr Minister, der Fahndungskontrollgruppe in Feucht Mitte September offensichtlich sieben neue Beamtinnen und Beamte zugeteilt haben, obwohl Sie damit die Personaldecke mitten im Pilotversuch verändert haben. Das machen Sie sonst nie, ist mir gesagt worden. Aber das Argument, dass die Aussagekraft verloren gehen würde – ich würde sagen: dass nicht die gewünschte Aussage herauskäme –, das sticht in diesem Fall. Diese Beamtinnen und Beamten, die Sie der Fahndungskontrollgruppe Feucht zugeführt haben, fehlen natürlich anderenorts. Aber das ist momentan offensichtlich nicht von Bedeutung.

Wohin soll es nach dem Pilotversuch gehen? In den nächsten Wochen, so ist mir gesagt worden, wird auch dieser lang währende Pilotversuch zu Ende sein. Die Frage, wo es dann hingeht, müssen Sie sich stellen, Herr

Minister, und diese Frage müssen Sie auch umgehend beantworten.

Nach den Vorstellungen der örtlichen Führung soll die Schleierfahndung künftig nur noch von Feucht aus geschehen, und zwar mit einem Drittel weniger Personal, als es bis vor kurzem mittelfrankenweit zur Verfügung stand. Die Frage ist: Kann das gut gehen mit einem einzigen Einsatzstandort, von dem aus ein Netz von rund 360 Autobahnkilometern betreut werden soll? Wenn Sie an einem Rastplatz in Westmittelfranken kontrollieren wollen, haben Sie erst einmal eine Anfahrt von rund einer Stunde. Ist das vernünftig? Da muss man doch einfach sehen, welche Verkehrsströme durch Mittelfranken laufen, von Nord nach Süd, von Nordwest Richtung Südost – das ist die sicherlich auch Ihnen bekannte Drogentrasse von Holland Richtung Balkan und Osteuropa – und von Südwesten Richtung Osten zur tschechischen Grenze, eine Dreiviertelstunde hinter Nürnberg. Nicht umsonst haben wir von der Gatewayfunktion der Metropolregion Nürnberg gesprochen. Sie macht sich eben auch bei der Schleierfahndung bemerkbar.

Ich will nicht darauf eingehen, dass das eingesparte Personal in Ansbach den ZEGen, also den Zivilen Einsatzgruppen, zugeteilt werden soll. Das ist ein wichtiges Instrument, hat aber mit der Schleierfahndungsarbeit nichts zu tun. Ich meine, Sie, Herr Minister Beckstein, haben die Notwendigkeit, international tätige Kriminalität zu bekämpfen, betont und auf die hohe Bedeutung der Schleierfahndung hingewiesen.

Die Schleierfahndung ist eine tragende Säule der inneren Sicherheit. An diese tragende Säule legen Sie die Axt, wenn Sie es zulassen, dass die Schleierfahndung in Mittelfranken um ein Drittel ihres Personals gebracht wird. In keinem anderen Präsidiumsbezirk soll jedenfalls ein ähnlicher Umbau stattfinden. Ich erwarte von Ihnen, Herr Minister, dass Sie hier nicht mitspielen, sondern Ihr Veto einlegen. Es wäre schon grotesk, wenn ausgerechnet ein Aushängeschild bayerischer Sicherheitspolitik auch nach jahrelanger Auseinandersetzung um die Zulässigkeit der Schleierfahndung und ihre Modalitäten

(Herbert Fischer (CSU): Die Sie früher immer bekämpft haben!)

das ist Ihre praktische Politik, Herr Kollege – kurzfristigen Stellenverschiebungen im Zusammenhang mit der Polizeireform zum Opfer fallen würde. Wir brauchen in einem Europa ohne Grenzen eine effektive Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität, und ich bin der festen Überzeugung, diese kann nur dann erfolgreich sein, wenn ausreichend Personal zur Verfügung gestellt wird und die Einheiten an strategisch wichtigen Orten vorhanden sind. Das sind eben in Mittelfranken Erlangen, Feucht und Ansbach.

Darum geht es, Herr Minister Beckstein. Sie haben meiner Meinung nach schon viel zu lange zugeschaut. Ich erwarte endlich klare Entscheidungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nächste Wortmeldung: Kollege Peterke.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Schmitt-Bussinger, willkommen im Klub! Ich freue mich, dass Sie sich endlich zur Schleierfahndung bekennen.

(Beifall bei der CSU – Herbert Fischer (CSU): Genau! – Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Machen wir schon viel länger, als Ihnen lieb ist! – Weitere Zurufe)

Sie haben sie in der Entstehungsphase der Gesetzgebung massiv bekämpft und ich erinnere mich noch sehr genau an die Diskussion, die wir hier im Plenum geführt haben, als wir den Antrag der GRÜNEN zu bearbeiten hatten. Damit wollten sie aufgrund der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs die Schleierfahndung ein weiteres Mal zu Fall bringen.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Falsch!)

Heute sprechen Sie mit einer anderen Zunge. Heute sprechen Sie in der Öffentlichkeit völlig anders. Immer, wenn es in Ihre Interessenslage passt, sprechen Sie, wie Sie wollen.

(Beifall bei der CSU)

Die Schleierfahndung ist eine Erfindung und erfolgreiche Entwicklung bayerischer Sicherheitspolitik, die sich seit der Öffnung der Grenzen zu Österreich zunächst im grenznahen Raum und dann auf den Transitstrecken außerordentlich bewährt hat. Sie findet heute nicht nur Gegner, sondern vor allen Dingen auch Befürworter und ist ein europäisches Erfolgsmodell.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Ach, nehmen Sie das endlich zur Kenntnis?)

Die Polizeiinspektionen „Fahndung“ und die Fahndungskontrollgruppen leisten ganz ausgezeichnete Arbeit. Sie beweisen sich selbst durch ihre ausgezeichneten Bilanzen und Aufgriffserfolge. Wir werden alles tun, gegen jeglichen Widerstand – ich sage als Stichworte nur EU, obergerichtliche Entscheidungen – und immer wieder aufs Neue, die erfolgreichen Bemühungen in diesem Fahndungsbereich weiter zu entwickeln und weiter zu stärken.

Worum geht es nun ganz konkret in diesem Antrag? – Das Polizeipräsidium Mittelfranken hat beantragt – das hat mit der Polizeireform jetzt überhaupt nichts zu tun –,

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Selbstverständlich!)

einen Modellversuch, einen Probelauf durchführen zu können, der zum Inhalt hatte, die Schleierfahndung im Wesentlichen auf den Bereich des Autobahnkreuzes und des Drehpunktes Nürnberg-Feucht zu konzentrieren und

dort natürlich auch ökonomisch gesehen die Einsatzkräfte der Fahndungseinheiten entsprechend aufzustellen.

Frau Kollegin Schmitt-Bussinger, letzte Woche waren wir doch beide bei einer Podiumsdiskussion. Auch der Polizeivizepräsident war dabei, und es waren auch die örtlichen Fahnder da. Da ist das alles wunderbar in den Einzelheiten erklärt worden, welche Hintergründe zu diesem Modellversuch geführt haben und welche Überlegungen dazu bestanden haben. Es wurde dargelegt, dass das kein Schnellschuss war, sondern dass hochkarätige Arbeitsgruppen des Polizeipräsidiums Mittelfranken diese Linie zunächst ganz genau geprüft haben, dass sie abgewogen haben und erst dann beim Ministerium den Probelauf beantragt haben.

Der Hintergrund ist schnell erklärt. Die Durchflussmengen auf den Bundesautobahnen sind sehr unterschiedlich. Die A 9 beispielsweise ist hoch frequentiert, die A 6 und die A 7 dagegen weisen nicht einmal die Hälfte der Durchflusszahlen auf, die wir auf der A 9 haben. Genau diese Überlegung hat auch dazu geführt, dass die Aufgriffserfolge der Fahndungskontrollgruppen im Vergleich zum Beispiel von Feucht-Nürnberg zu Erlangen und insbesondere Ansbach außerordentlich unterschiedlich waren. Wo nichts ist, liebe Kollegin, kann man auch nichts finden.

(Zuruf der Abgeordneten Helga Schmitt-Bus- singer (SPD))

Es geht im Grunde auch gar nicht darum, obwohl ich ausdrücklich betone, dass die Schleierfahndung nach wie vor natürlich auch einen sehr hohen Präventivcharakter haben soll und muss.

Genau diese Überlegung war Anlass, hier einmal eine Straffung der Schleierfahndung zu überlegen und einen Probelauf auf den Weg zu bringen. Dagegen kann man vom Grundsatz her eigentlich nichts haben, und ich sage Ihnen klipp und klar und eindeutig: Wir erwarten – und das hat wiederum mit der Polizeireform überhaupt nichts zu tun – von einer kreativen Polizeiführung, dass die Einsatzgebiete, dass die Einsatzeffizienz und dass insbesondere die Grundlagen für die polizeilichen Einsätze immer wieder aufs Neue überprüft werden, dass sie modifiziert und modernisiert werden und dass sie in die Zukunft gerichtet immer wieder aufs Neue verbessert werden. Das ist richtig so und das wollen wir auch. Genau dieser Punkt ist es. Und da betone ich noch einmal, dass ich das Ansinnen des Polizeipräsidiums vom Grundsatz her nicht für verkehrt halte, sondern es im Gegenteil sogar einfordere. Es soll auch beispielgebend sein für alle anderen Schutzbereiche und Präsidialbereiche und sich nicht nur auf die Schleierfahndung beziehen.

Ob dieses Modell am Ende umgesetzt und eingeführt wird, wird das Hohe Haus entscheiden; weder das Polizeipräsidium Mittelfranken noch das Innenministerium, sondern der Bayerische Landtag wird es in seinen Ausschüssen und letzten Endes im Plenum tun. Und genau hier unterscheiden sich unsere Vorstellungen, liebe Frau Kollegin. Ich meine, wir sollten die Chance ergreifen, etwas besser machen zu können. Denn das Bessere ist der Feind des Guten, und wenn wir etwas besser machen

können, sollte das auch wirklich seriös und sauber geprüft werden. Dann wird es politisch entschieden.

Das heißt heute hier und an dieser Stelle noch lange nicht, dass wir diesem Ansinnen – da spreche ich auch für das Polizeipräsidium Mittelfranken – näher treten werden, aber wir werden es sorgfältig fachlich und politisch prüfen.

Noch eine letzte Anmerkung zu einigen Bemerkungen, die Sie zu dem vorangegangenen Thema gemacht haben. Ich halte es für etwas leer und finde es einfach nicht korrekt, wenn Sie immer wieder mit Ihren politischen Argumentationen, Ihren Vermutungen, Annahmen und angeblichen Informationen hier im Hohen Hause operieren.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Nicht angeblich!)

Ja, dann sagen Sie doch endlich einmal, worum es konkret geht. Wenn es stimmen sollte, dass Sie so viele EMails oder sonstige Nachrichten und Anrufe von Polizeiangehörigen erhalten haben, dann sagen Sie uns doch wenigstens, was der konkrete Inhalt dieser Anrufe ist.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Habe ich Ihnen doch gesagt!)

Das machen Sie nicht. Sie nennen nicht Ross und Reiter und deswegen können wir damit nichts anfangen. Nur Vermutungen und nur Annahmen sind hier nicht angebracht.

(Beifall bei der CSU)

Ich glaube, damit kann ich meinen Redebeitrag durchaus abschließen. Wir sollten dem Ergebnis des Probelaufs mit Interesse entgegensehen. Wir werden das sicherlich im Innenausschuss diskutieren und am Ende verantwortungsvoll darüber entscheiden. Ihren Antrag heute werden wir ablehnen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Kollegin Kamm, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wird Sie nicht überraschen: Wir wollen die Schleierfahndung auf das verfassungsrechtlich gebotene Maß zurückführen, nämlich in den Grenzbereichen und auf den Transitrouten. Wir wollen nicht soviel Schleierfahndung wie möglich, sondern lediglich das Mindestmaß.