Protokoll der Sitzung vom 12.07.2018

(Beifall bei der CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich will aus dem Antrag einfach noch einmal wörtlich zitieren: " … dass sich die in der Seenotrettung Engagierten nicht zum Werkzeug skrupelloser Schlepperbanden machen lassen...". Wir haben es gerade von der Kollegin Kamm gehört. Die Leute gehen trotzdem aufs Meer. Es geht nur darum: Lassen wir sie ersaufen oder nicht.

Da sind wir noch mal bei Ihrem Parteivorsitzenden und Bundesinnenminister, der gesagt hat, er möchte den Kapitän, der gerade gerettet hat, zur Verantwortung ziehen und auch anzeigen lassen. So viel zum Thema, man diskreditiere nicht. Man macht ihnen das Leben noch schwer, indem man ihnen eine Anzeige hinterherschickt – dafür, dass sie Leute retten. Das ist der erste Punkt.

Den zweiten Punkt habe ich leider vergessen, weil ich offenbar aus Ihrem eigenen Antrag zitieren muss. Tut mir leid.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Nächster Redner ist Herr Staatsminister Herrmann.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will in aller Kürze nur fünf Anmerkungen machen. Die erste ist: Die Rettung von Menschen aus jeglicher Not ist zweifellos ein Gebot von Humanität und Mitmenschlichkeit, und Hilfe in der Not ist selbst

verständlich auch bei der Rettung von Schiffbrüchigen im Mittelmeer geboten.

Zweitens. Es gibt nach meiner Beobachtung keinen Einzigen in diesem Parlament, der einem Ertrinkenden den Rettungsring verweigern würde – weder real noch in übertragenem Sinne. Frau Kollegin Schulze, Sie haben sich gestern Abend hier nachdrücklich für einen sachlichen Ton im Parlament eingesetzt. Ich will ausdrücklich festhalten, dass ich absolut sicher bin, dass Sie mit Ihren Bemerkungen vorhin überhaupt nichts anderes zum Ausdruck bringen wollten, als dass es keinen Einzigen in diesem Parlament gibt, der einem Ertrinkenden den Rettungsring verweigern wollte. Sicherlich haben Sie nichts anderes gemeint.

(Beifall bei der CSU und der Abgeordneten Chris- tine Kamm (GRÜNE))

Drittens. Es gehört leider auch zu dem brutalen Geschäft von Schleuserbanden, die Seenot, in die manche auf dem Mittelmeer geraten, überhaupt erst herbeizuführen. Auch das ist doch unbestreitbar richtig. Es sind Schleuser, die versuchen, Menschen unter falschen Versprechungen gegen erhebliche Geldsummen, die die Flüchtlinge zu bezahlen haben, nach Europa zu bringen. Es ist doch ganz offenkundig, dass es natürlich Einzelne gibt, die sich völlig selbstständig auf den Weg machen. Sie, Frau Kollegin, haben solche denkbaren Schicksale vorhin beschrieben. Aber auch die NGOs bestreiten nicht, dass Menschen in unverantwortlicher Weise zum Teil in Gummibooten auf dem Meer ausgesetzt werden. Manchmal sind sie auch in größeren Booten oder Kähnen, die aber völlig seeuntüchtig sind. Diese Schleuserbanden spielen in unverantwortlicher Weise mit Schicksalen von Menschen, die nach einem besseren Leben streben oder auf eine bessere Zukunft hoffen. Diese Menschen werden von den Schleusern in eine solche Lage gebracht. Dazu sage ich Ihnen in der Tat: Es muss die Herausforderung für uns alle sein, solchen Schleusern, die derartig unverantwortlich mit dem Leben anderer Menschen umgehen, das Handwerk zu legen. Denen muss man klar entgegentreten.

(Beifall bei der CSU und der Abgeordneten Chris- tine Kamm (GRÜNE))

Viertens. Wenn Menschen erfreulicherweise erfolgreich aus Seenot gerettet worden sind, dann muss ihnen anschließend geholfen werden. Ich erlaube mir, erneut an dieser Stelle festzuhalten: Egal, ob es um Resettlement-Programme geht oder um welche Programme auch immer – das betrifft auch die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen –, es gibt kein anderes Land in Europa, das in puncto Resettlement und hin

sichtlich ähnlicher Programme mehr leistet als die Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CSU)

Das ist die Realität. Umgekehrt muss uns aber schon bewusst sein, dass nicht jeder, der zum Beispiel von Schleusern an der nordafrikanischen Küste in ein Gummiboot gesetzt wird, automatisch nach Europa gebracht wird. Ich sage deshalb klar: Es ist richtig, dass möglichst schon die Küstenwachen nordafrikanischer Staaten Menschen davor bewahren, in Seenot zu geraten. Schon das wird zum Teil von anderen kritisiert. Sollen denn die nordafrikanischen Küstenwachen tatenlos zusehen, wenn sich jemand in unverantwortlicher Weise mit Booten, die allenfalls für den Starnberger See geeignet wären, auf das Mittelmeer begibt? – Nein, das ist natürlich nicht verantwortlich. Deshalb ist es richtig, dass die nordafrikanischen Küstenwachen in die Lage versetzt werden, stärker für den Schutz von Menschenleben zu sorgen.

Der libysche Staat hat beispielsweise die Malteser-Organisation gebeten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der libyschen Küstenwache in Notfallrettung auszubilden. Das empfinde ich als ein beachtliches Zeichen. Ich halte es jedenfalls für gut, wenn versucht wird, von der nordafrikanischen Küste aus die Seenot von Menschen zu verhindern.

Mein fünfter und letzter Punkt ist: Es ist die schwierige Situation in den afrikanischen Herkunftsländern angesprochen worden. Deshalb liegt die eigentliche, langfristige Lösung – wir müssen jetzt jeden davor bewahren, im Mittelmeer zu ertrinken; das ist gar keine Frage – darin, die Situation in Afrika so zu verbessern, dass Menschen von dort nicht mehr fliehen müssen. Daran werden wir wahrscheinlich noch lange arbeiten müssen. Wir müssen doch zum Ausdruck bringen – ich hoffe, darin sind wir uns einig –, dass die Entwicklungshilfe für Afrika deutlich verstärkt werden muss. Das darf aber nicht nur in Sonntagsreden deklamiert werden, sondern das muss real geschehen, auch im nächsten Bundeshaushalt. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Bundesregierung zusammenrauft.

Es ist aus meiner Sicht unbestreitbar, dass wir auch für die Bundeswehr mehr Geld brauchen, wir brauchen in der Tat aber auch wesentlich mehr Geld für die Entwicklungshilfe, zum Beispiel für Afrika. Damit muss Ernst gemacht werden. Ich denke, gerade in der heutigen Zeit bietet dieser Bundeshaushalt genügend Spielräume. Deshalb müssen wir uns nachdrücklich gemeinsam, wie ich hoffe, dafür einsetzen, dass im neuen Bundeshaushalt wesentlich mehr Geld für die Entwicklungshilfe in Afrika zur Verfügung gestellt wird.

(Beifall bei der CSU, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Wir müssen den Menschen in Afrika eine Zukunftsperspektive in ihrer Heimat geben. Das ist besser als eine halsbrecherische Flucht über das Mittelmeer.

(Beifall bei der CSU)

Frau Kollegin Kamm hat eine Zwischenbemerkung.

Sehr geehrter Herr Minister, in vielen Punkten sind wir uns durchaus einig. Mich hat sehr gefreut, dass Sie auf Resettlement-Programme verwiesen haben. Die Zeiten, in denen sich Bayern an Resettlement-Programmen beteiligt hat, liegen weit zurück. Aber vielleicht kommen wir in Zukunft dazu, das zu tun, was notwendig ist.

Wozu ich Sie fragen wollte, ist das Thema – Sie haben das freundlich ausgedrückt – der Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Küstenwachen. Herr Minister, gibt es einen funktionierenden libyschen Staat? Gibt es eine Küstenwache, die so arbeitet, wie wir uns das vorstellen? Können Sie ausschließen, dass die Verbrecherbanden, die nachts die Menschen auf diese seeuntüchtigen Schiffe setzen, morgens die sind, die mit den schönen und teuren Schiffen, die die EU ihnen finanziert, auf dem Mittelmeer herumfahren und die Menschen eben nicht retten, sondern wegschauen? Warum sind denn eigentlich in den letzten Wochen 1.400 Menschen ertrunken?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Frau Kollegin Kamm, wir sind uns wahrscheinlich darin einig, auch wenn Sie natürlich viel an unserem Land kritisieren, dass angefangen vom Thema Rechtsstaat über Demokratie bis hin zum Sozialstaat und vielen anderen Aspekten es nur wenige Länder in der Welt gibt, die unseren heutigen Maßstäben in der Bundesrepublik Deutschland gerecht werden. Das kann aber nicht dazu führen, dass wir die Zusammenarbeit mit jedem anderen Land der Welt, das nicht die Maßstäbe erfüllt, die wir heute in der Bundesrepublik Deutschland haben, aufgeben. Das werden sicherlich auch Sie selbst nicht vertreten wollen.

Natürlich gibt es viele afrikanische Länder, in denen aus unserer Sicht indiskutable Zustände herrschen. Aber es muss doch darum gehen, dass wir den Menschen, die dort zu Hause sind, helfen. Wenn ich jedes afrikanische Land, in dem mir der momentane Regierungsstil nicht gefällt, von unserer humanitären Hilfe ausschließen wollte, dann käme ich nicht sehr weit.

Ich glaube nicht, dass Sie das ernsthaft gemeint haben. Wenn ich die Menschen in Afrika erreichen will, muss ich also mit Ländern zusammenarbeiten, deren Regierungsform mir nicht besonders gefällt und wo die Demokratie nicht unseren rechtsstaatlichen Maßstäben genügt. Wir müssen trotzdem die Menschen erreichen.

Ich kann doch beim besten Willen nicht erklären, dass das Heil der vielen Millionen Menschen, die in Afrika leben, darin besteht, dass sie nach Deutschland oder nach Europa kommen sollen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Aber das sagt uns doch der gesunde Menschenverstand. Das kann doch niemand ernsthaft vertreten. Wir müssen den Menschen dort helfen. Nichts anderes habe ich gesagt und gewollt.

(Beifall bei der CSU – Thomas Gehring (GRÜNE): In concreto Libyen!)

Danke schön. – Jetzt kommt die zweite Intervention: von Herrn Kollegen Rosenthal.

Herr Staatsminister, erstens, danke für die nachdenklichen Worte. Das macht Hoffnung.

Zweitens. Stimmen Sie mit mir überein, dass die Tatsache, dass Hilfsorganisationen im Moment schiffbrüchige Menschen im Mittelmeer retten, das Ergebnis eines Versagens der Europäischen Union und der europäischen Werte ist?

Drittens. Sie sagen, Europa könne nicht das Ziel sein. Europa muss zumindest als Hoffnung das Ziel sein. Daran müssen wir arbeiten.

Viertens. Ich stimme Ihnen zu. Ich bin genauso wie viele andere in diesem Hause bezüglich des Themas Entwicklungshilfe entsetzt. Da ich jahrelang in Entwicklungsländern gearbeitet habe, weiß ich, dass nicht nur Geld etwas ändert. Wir sollten viele Verträge, die im Namen Deutschlands und im Namen Bayerns abgeschlossen werden, auf einen humanitären Kodex überprüfen. Nichttarifäre Handelshemmnisse, die wir unterstützen, sind oft das Brechen von wirtschaftlichen Erfolgen, die wir zulassen; sie ermöglichen oft erst die humanitären Katastrophen, über die wir gerade miteinander diskutieren.

Wir müssen anfangen, diese Punkte auf den Prüfstand zu stellen, damit die europäischen Werte verwirklicht werden und die Hoffnung dieser Menschen auf Europa in diesen Ländern in Erfüllung gehen kann. Wir verstoßen in unseren Verträgen jeden Tag gegen diesen Kodex, dem wir uns in der Europäischen Union selbst verschrieben haben. – Sollten

Sie auch dieser Meinung sein, dann haben wir, glaube ich, viel zu tun.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Humanitäre Hilfe ist eine Aufgabe Europas. Das kann nicht nur ein ZweijahresSonderprogramm sein.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, Sie haben von europäischem Versagen oder von einem Versagen der EU gesprochen. Dort ist sicherlich manches nicht optimal gelaufen. Ich meine aber, dass wir das, was Europa leistet, und das, was unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, leistet, nicht schlechter reden sollten, als es ist. Ich darf darauf hinweisen, dass im Mittelmeer nach wie vor Schiffe der Bundesmarine unterwegs sind.

(Christine Kamm (GRÜNE): Aber weit weg!)

Auch Schiffe anderer europäischer Länder sind im Mittelmeer unterwegs. Zahlreiche Schiffe aus europäischen Staaten und aus NATO-Staaten haben in den letzten drei Jahren Hunderte, wenn nicht Tausende von Menschen im Mittelmeer gerettet. Ich habe jetzt keine konkreten Zahlen zur Hand.

Ich möchte mich nicht zu weit in der Außenpolitik verlieren. Zu Libyen darf ich aber schon daran erinnern, dass es seinerzeit gemeinsame Position im Bundestag und in der Bundesrepublik Deutschland war, dass wir es nicht für richtig gehalten haben, Libyen zu bombardieren. Lassen Sie uns nicht alles schlechtreden. Es waren andere, auch wichtige Partner, die gemeint haben, man könnte das Leben der Menschen in Libyen verbessern, indem man den damals in der Tat schlimmen Machthaber dort mit Bombenangriffen kleinkriegt. Das Ergebnis war eine totale Katastrophe in Libyen, an der die Bundesrepublik Deutschland nicht beteiligt war.

(Reinhold Bocklet (CSU): So ist es!)

Wir sollten nicht alles in einen Topf werfen und unsere politische Verantwortung nicht schlechter reden, als sie ist. Im Nachhinein hat sich die damals gemeinsam vertretene Position der Bundesrepublik Deutschland als richtig erwiesen. Dieses Chaos haben andere zu vertreten. Das rechtfertigt keine Verbrecherbande in Libyen. Ich möchte nur sagen: Die dortige Situation ist nicht von der Bundesregierung, egal, von wem sie gestellt wurde, zu vertreten. Wir handeln humanitär. Deshalb würde ich einem pauschalen Rundumschlag

nach dem Motto, die EU hat kolossal versagt, nicht zustimmen. Wir sind uns einig, dass die dortige humanitäre Situation unbefriedigend ist. Wir müssen jetzt schauen, wie wir Schritt für Schritt vorankommen.

Europa muss eine Hoffnung für Afrika sein. Das gilt jedoch nicht für eine komplette Auswanderung, sondern für eine starke Hilfe für die Menschen dort. Auch in puncto Menschenrechte muss Europa eine Hoffnung für Afrika sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, daran sollten wir gemeinsam arbeiten.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt.