Protokoll der Sitzung vom 14.06.2016

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vorsorgeprinzip ist weltweit das Prinzip, auf dem Umweltschutzstandards, aber auch alle anderen Schutzstandards, die wir so kennen, für Gesundheit, Nahrungsmittel, Tierschutz usw., aufbauen. Das Ganze resultiert aus WTO-Vereinbarungen, die alle Länder gegengezeichnet haben, auch die USA. Bereits in der Weltnaturcharta aus dem Jahr 1982 wurden diese Schutzstandards für den Umweltschutz festgelegt. Wir haben gesagt, das Vorsorgeprinzip soll immer dann zur Anwendung kommen, wenn ein Produkt oder Verfahren über die reine Unbedenklichkeit nicht zugelassen werden kann.

Was bedeutet das? – Wenn wir über das Vorsorgeprinzip reden, dann reden wir nicht darüber, dass bei jeglicher Art von Produkt, von Konsum, von Dienstleistung, aber vor allen Dingen auch von Produktion von Nahrungsmitteln und Ähnlichem jeweils unbedingt immer das Vorsorgeprinzip angewendet werden muss. Nein, wir gehen davon aus, dass wir in den meisten Fällen bei unbedenklichen Produkten sind und insoweit gar nicht in diese Grauzone hineinkommen. Aber gerade weil wir alle darauf aus sind, soweit irgendwie möglich, für uns alle vereinbar Globalstandards zu setzen, haben wir auf WTO-Ebene das Vorsorgeprinzip eingeführt.

Was bedeutet ein Vorsorgeprinzip? – Es bedeutet, dass ein Produkt, dessen Unbedenklichkeit bis dato nicht bescheinigt werden kann – davon gibt es sehr viele –, zunächst einer Risikoanalyse unterzogen wird. Nach dieser Risikoanalyse kommt man zu einer

Risikobewertung. All dies erfolgt regelmäßig wissenschaftlich basiert. Auf die Wissenschaft müssen wir uns stützen, wenn wir nicht im unbedenklichen Bereich sind, sondern wenn eine Abwägung vorzunehmen ist. Nach der Analyse ist das Risiko zu bewerten und abzuwägen. Danach kommt es zu sogenannten Risikoinformationen. Dann sind wir im sogenannten Risikomanagement. Sie erkennen eine ganz feinsinnige Abstufung. Wie kommen wir in diesen Fällen zu einer möglichst guten Bewertung, die den Bürgern hilft? – Die Bürger wollen von uns eine Grundlage, auf der unsere Entscheidungen beruhen, die der Sache dienen und nicht nur den Emotionen und vor allem nicht nur den Ideologien. Dafür ist das Vorsorgeprinzip einstmals geschaffen worden. Wir alle haben uns darauf verständigt.

Dieses Vorsorgeprinzip führen wir seit Beginn der Europäischen Union auch in den europäischen Verträgen immer weiter. Zuletzt haben wir es im Vertrag von Nizza wieder festgeschrieben. Wir haben das Vorsorgeprinzip in unser Verhandlungsmandat geschrieben. Das macht die Sache an dieser Stelle so einfach. Im EU-Verhandlungsmandat steht zunächst in Punkt 3 der Hinweis, dass unter den WTO-Standards – Vorsorgeprinzip festgeschrieben – nicht hinweggetaucht werden kann. In Punkt 8 wird das noch einmal konkretisiert und gesagt, dass wir uns nicht nur wie bei der WTO auf Umweltstandards festlegen, sondern das Gleiche in allen anderen Standards – Gesundheitsschutz, Verbraucherschutz, Nahrungsmittel etc. – anwenden. Schließlich wird in Punkt 25, wo es um Lebensmittel geht, genau darauf noch einmal hingewiesen, dass das Heft des Handelns durch dieses Verhandlungsmandat nicht aus der Hand gegeben werden kann, sondern dass das Heft des Handelns in der Risikobewertung bei den Staaten bleiben muss und dies alles sich dem reinen Vorsorgeprinzip unterwirft. – Kurz und gut: Das ist einer der wenigen Punkte, die wir im Verhandlungsmandat völlig sicher festgehalten haben.

Deswegen, meine Damen und Herren, haben wir einen Antrag vorgelegt, in dem es um mehr geht. Da geht es nicht darum, mal wieder mit TTIP die Leute scheu zu machen, weil man irgendwie versucht, die Fünf-Prozent-Hürde wieder zu erklimmen,

(Beifall bei der CSU)

sondern da geht es darum, das grundsätzlich noch einmal festzuhalten, damit Sie nicht wieder landauf, landab mit Ihrem oberflächlichen Geschrei durch die Gegend laufen und behaupten, dass es angeblich ja nur um TTIP geht.

(Beifall bei der CSU)

Wir wollen, dass dieses Schutzniveau für immer in unseren Händen bleibt. Dies schreiben wir für alle Freihandelsabkommen, für alle anderen Arten von Außenhandelsabkommen – da gibt es nämlich noch mehr – und Ähnliches fest, und wir betonen dies noch einmal mit unserem Antrag. Eigentlich wäre es nicht nötig gewesen, weil wir dieses Verhandlungsmandat haben. Aber an diesem Punkt macht es Sinn, damit Sie noch einmal darauf kommen, warum wir Ihnen nicht zustimmen werden.

Wir erleben annähernd wöchentlich, dass Sie versuchen, Ihre Politik darauf zu reduzieren, die Bürger verrückt zu machen und zu verunsichern. Sie glauben, mit dieser Kurzatmigkeit irgendwo bei der Bevölkerung punkten zu können.

(Beifall bei der CSU)

Sie haben dies getan bei G 8, als endlich Ruhe in den Schulen eingekehrt war, und sind im Übrigen daran grandios gescheitert – Gott sei Dank!

(Zurufe von der SPD)

Sie haben dies jedes Mal bei TTIP gemacht. Sie machen das jetzt bei den Stromleitungen. Es fällt Ihnen nichts mehr ein außer plumper Polemik, die die Bürger verunsichern soll. So werden Sie nie in politische Führung kommen.

(Beifall bei der CSU)

Ein amerikanischer Minister kann fordern, was er will. Entscheidend ist, dass vonseiten der EU-Kommission mit derselben Härte für unsere Interessen verhandelt wird. Da ist das Vorsorgeprinzip unstrittig im Verhandlungsmandat festgelegt worden. Es kann überhaupt nicht unterschritten werden, es kann nicht preisgegeben werden.

An dieser Stelle darf ich den Brückenschlag machen: Auch die Kanzlerin, die im Gegensatz zu einer etwas kritischeren Haltung, die wir einnehmen, sehr stark zum Abschluss dieses Abkommens drängt, sagt: nicht ohne Vorsorgeprinzip! Und Sigmar Gabriel – das darf ich an dieser Stelle zur SPD sagen –, der hier der führende Minister ist, hat sich mehrfach dafür ausgesprochen und dies auch schriftlich niedergelegt.

Meine Damen und Herren, wir haben es mal wieder mit ein bisschen Polemik zum Thema TTIP zu tun. Wir werden dem nicht folgen. Schon damit Sie irgendwann einmal mit diesem Zirkus aufhören, uns hier ständig die Zeit zu stehlen, werden wir diesem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei der CSU)

Wir werden solide weiterverhandeln. Wir werden versuchen, das Beste für die Bürger zu erreichen. Wenn uns Texte vorliegen, die bewertbar sind, werden wir diese Bewertung mit Hirn und Herz und Verstand vornehmen.

(Beifall bei der CSU)

Danke, Frau Kollegin. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, darf ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass zu diesen beiden Anträgen jeweils namentliche Abstimmung von den antragstellenden Fraktionen beantragt worden ist. Das Problem ist: Wir haben jetzt noch zwei Redner. Wir werden mit diesen zwei Rednern nicht die Frist von 15 Minuten erreichen. Ich bitte deswegen, dann noch geduldig zu sein und die paar Minuten, die uns fehlen, hier auszuharren, damit wir die namentliche Abstimmung heute noch durchführen können. Sie sind danach in Gnaden entlassen.

Jetzt spricht als nächster Redner der Kollege Pfaffmann von der SPD. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Wittmann, ich möchte schon gern eine kurze Antwort auf Ihren Vorwurf der Polemik geben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der polemischen politischen Debatte sind Sie Weltmeister.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Da brauchen wir keine Nachhilfe. Ich könnte jetzt einige Beispiele nennen. Aber das ist nicht das Thema.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FREIEN WÄHLER: Ich bin schon der Meinung, zu so einem schwierigen, auch hoch emotionalisierten Thema wäre eine fachliche Debatte auch in diesem Haus sinnvoll und notwendig. Die Handelsabkommen haben viele Facetten, viele Schwierigkeiten und viele Themen. Aber eins ist völlig klar: Es gibt einen Konsens auch in Brüssel, auch dank Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, auch in der Bundesregierung und, ich meine, auch hier. Bei allen Handelsabkommen gibt es rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Das haben wir nun schon sehr oft gesagt.

Ich will noch einmal ein paar wiederholen: Die Daseinsvorsorge ist unantastbar. Transparenz muss geschaffen werden, und zwar besser als bisher. Die Lebensmittelsicherheit ist unantastbar. Die genmanipulierten Lebensmittel wollen wir nicht haben – aus die Maus. Der Arbeitnehmerschutz ist ein zentraler Bestandteil der Forderungen der Handelsabkommen. Die Rechte der demokratischen Strukturen sind unantastbar. Öffentliche Zuständigkeiten sind nicht

verhandelbar. Das haben wir schon mehrmals besprochen.

Zu diesen nicht verhandelbaren Themen gehört auch das Vorsorgeprinzip. Deshalb verstehe ich die FREIEN WÄHLER nicht ganz. Wir haben das schon geklärt. Es bedarf keines Antrags. Aber gut, es ist Ihr gutes Recht. Frau Wittmann hat hier gesagt, dass es gesetzlich geregelt ist. Liebe Frau Wittmann, es ist nicht nur gesetzlich geregelt. Wenn man die Debatte sinnvoll und intensiv verfolgt, wird man unschwer feststellen, dass es einen Beschluss des Europäischen Parlaments gibt, einen einstimmigen Beschluss aufgrund einer Initiative der SPD auch hier, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Beschluss schließt eine Veränderung der bisherigen Prinzipien aus. Es gibt also nicht nur eine formale Festlegung, es gibt auch eine parlamentarische Festlegung, dass das Vorsorgeprinzip nicht zur Debatte stehen kann und auch nicht zur Debatte stehen wird. Herr Kraus, zum Nachlesen: Dieser Beschluss ist am 8. Juli 2015 vom Europäischen Parlament gefasst worden. – Ende Gelände.

(Beifall bei der SPD)

Wenn jetzt die amerikanischen Unterhändler – egal, wie sie heißen, egal, woher sie kommen – meinen, sie könnten das unterlaufen, dann haben die deutschen oder die europäischen Verhandler oder wer auch immer und die Europäische Kommission in dieser Frage kein Verhandlungsmandat. Insofern geht das nicht; das ist völlig klar. Es wäre vielleicht auch gut, das zu wissen.

Noch einmal ein Bekenntnis zum Vorsorgeprinzip. Ein Bekenntnis zu den roten Linien ist ohne Zweifel die grundsatzpolitische Linie des Europäischen Parlaments sowie auch vieler anderer Parlamente und auch der Bundesregierung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Freihandelsabkommen ist ein schwieriges Thema. Ich habe aber schon einmal gesagt und wiederhole dies: Wir müssen Handelsabkommen, ob mit Amerika oder sonst wem, nicht um jeden Preis abschließen. Wenn es nicht geht, geht es eben nicht. Die Gründe, warum es für uns nicht gehen kann, sind sozusagen beschlossen. Das sind die roten Linien mit vielen Facetten. Wenn das nicht geht, geht es nicht. Ich sage auch ganz klar: Die Welt geht nicht unter, wenn es kein Freihandelsabkommen gibt.

Auf der anderen Seite gebe ich schon zu bedenken, was ich für wichtig halte: Für unser Land ist es wich

tig, dass wir darüber diskutieren. Sie wissen alle: Wir sind exportabhängig. Es ist wichtig, dass wir beste Bedingungen für den Handel schaffen – nicht aus Selbstzweckgründen, sondern ganz einfach deshalb, weil andere Kontinente, andere Länder diese Diskussion nicht führen. Die machen das dann. Wir müssen uns schon überlegen, ob wir dabei sein wollen. Hier geht es nämlich nicht nur darum, das eine oder andere Handelsabkommen zu besprechen und darüber abzustimmen, sondern auch darum – übrigens erstmals –, den Versuch zu unternehmen, Handelsabkommen zu gestalten. Die Politik muss sich überlegen: Will sie bei der Gestaltung dabei sein oder nicht? – Wir jedenfalls wollen dabei sein.

Wir wollen für gute Arbeitsbedingungen in Handelsabkommen kämpfen. Wir wollen für die öffentliche Daseinsvorsorge kämpfen. Wir wollen dabei sein, wenn das verhandelt wird, um vielleicht Schlimmeres zu verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen. Andere nehmen aber von Anfang an eine Verweigerungshaltung ein. Ich gestehe zu, dass es derzeit eine breite Mehrheit in der Bevölkerung gegen diese Abkommen gibt. Wir haben in dieser Frage aber auch eine Verantwortung. Ich sage ganz offen: Nicht jede Stimmung der breiten Bevölkerung muss unbedingt immer richtig sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.

Deswegen ist der Antrag zwar in der Sache völlig überflüssig, aber richtig, weil er das beschreibt, was ich jetzt gesagt habe. Deshalb werden wir diesem Antrag natürlich zustimmen; denn falsch ist er in der Sache nicht.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Pfaffmann. Bitte bleiben Sie noch. Wir haben eine Zwischenbemerkung des Kollegen Herz. Bitte schön.

Herr Kollege Pfaffmann, zunächst herzlichen Dank für Ihre Bemerkung zur Kollegin Wittmann. Ich glaube, in diesem Hause gehören ihre unsachlichen Bemerkungen schon traditionell dazu.

Ich habe Ihnen schon persönlich gesagt und muss dies jetzt wiederholen: Sie sollten zunächst einmal in der SPD klären, wie Ihre Position zu TTIP ist. Ich habe unlängst vernommen, dass die gesamte SPD im Allgäu in einer Pressemitteilung mitgeteilt hat, dass die Verhandlungen so schnell wie möglich zu stoppen sind und dass diesem Abkommen niemals zuzustimmen wäre. Ich bitte Sie, dass Sie, bevor Sie Kritik an

anderen Gruppierungen und Parteien üben, erst einmal im eigenen Hause für Klärung sorgen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Bitte schön, Herr Pfaffmann.

Selbstverständlich sorgen wir für Klärung. Sie wissen ganz genau, dass zu dieser schwierigen Frage auch ein parteiinterner Abstimmungsprozess stattfindet. Das ist doch völlig klar. Wir sind auch nicht diejenigen, die eine Meinung äußern, die dann jeder zu übernehmen hat. Selbstverständlich werden wir uns untereinander abstimmen.

Ich sage Ihnen aber schon eines: Ich bin schon eher dafür, dann eine Entscheidung zu treffen, wenn wir wissen, über was wir abstimmen. Sie wissen ganz genau, dass die Verhandlungspapiere in der übersetzten Form jetzt wohl vorliegen, aber erst seit Kurzem. Über was stimmen wir also ab? – Wir wissen nicht, was darin steht. Dies gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen im Allgäu. – Sorry.