Protokoll der Sitzung vom 20.05.2021

Eine zweite Bemerkung. In diesen Tagen finden projüdische Kundgebungen statt, zum Beispiel am Sonntag um 14 Uhr am Nürnberger Kornmarkt. Ich wünsche mir, dass sich möglichst viele Menschen Bayerns daran beteiligen und deutlich zeigen, dass sich unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger auf ihre Nachbarn, ihre Arbeitskollegen und die anderen Bürgerinnen und Bürger ihrer Stadt verlassen können und unter unser aller Schutz stehen. Mir ist die Mehrheit der Bevölkerung noch zu still. Ich zitiere hier gerne Nils Minkmar aus der "SZ" von gestern:

Alle sind wir nun aufgerufen, ganz vorne die Künstlerinnen und Künstler im Land, dazu die Intellektuellen. Die auch, die viel über die Allmacht des Staates philosophierten in den letzten 18 Monaten [...] Wir alle sind aufgerufen hinzuschauen. Und unseren jüdischen Freundinnen und Freunden zu sagen: Wir sind für euch da.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der letzte Gedanke. In diesen Wochen weilt der 93-jährige jüdische Zeitzeuge Abba Naor aus Israel in Bayern und berichtet vielerorts über sein Schicksal und das seiner Familie. Es ist eine großartige Leistung, fast jeden Tag rauszugehen und vor allem mit Kindern und Jugendlichen zu reden. Ich war letzte Woche dabei. Das war sehr eindrucksvoll. Abba Naor, sein Schicksal ist bitter und unvorstellbar. Er lebte in Litauen. Sein älterer Bruder wurde als 14-Jähriger erschossen. Warum? – Weil sie im Ghetto wohnten und hungerten und sich der 14-Jährige in die Stadt schlich. Es war verboten, das Ghetto zu verlassen. Er wurde erwischt und danach sofort erschossen. Seine Mutter, 38 Jahre jung, und seinen fünfjährigen Bruder verlor er in Auschwitz. Sie wurden vergast.

Abba Naor hat aber den Glauben an die Menschen nicht verloren. Sein Aufruf an die Jugend von heute lautet: Seid dankbar für euer Leben und hasst nicht. Hassen ist schlimm. Hassen tötet.

Lassen Sie uns diese Stunde im Parlament zu einer gemeinsamen Stunde gegen den Hass machen.

(Beifall)

Für die Fraktion der AfD spricht nun Herr Kollege Uli Henkel.

(Beifall bei der AfD)

Verehrte Frau Präsidentin, geschätzte Kollegen, liebe jüdische Mitbürger! Israel ist ein Land, zu dem wir eine ganz besondere Beziehung haben, ist doch unsere neuere Geschichte auf leider unrühmlichste und schmerzhafteste Weise zugleich mit den Menschen jüdischen Glaubens verbunden. Das uneingeschränkte Existenzrecht Israels ist deshalb für uns von der AfD unverhandelbar. Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Auch das ist ein Grund dafür, weshalb wir dieses Juwel in einer insgesamt judenfeindlichen Umgebung unbedingt zu unterstützen haben. Israel ist also ein Freund, ja, ich darf 76 Jahre nach der Shoah Gott sei Dank sagen, ein guter Freund. Genau deshalb ist selbstverständlich auch Kritik an der Politik Israels erlaubt; denn auch dafür sind gute Freunde natürlich da.

Kritik an Israel darf aber niemals vorgeschoben werden, um jüdisches Leben zu diffamieren, das Judentum an sich anzugreifen, Juden in Sippenhaft zu nehmen oder jüdische Verschwörungen zu konstruieren; denn dann wäre sie nicht redlich, sondern Verrat an einem guten Freund. Was wir in den letzten Jahren überall in Europa und leider auch in Deutschland erleben müssen, ist jedoch, dass ein nach meiner Erfahrung weltweit existierender latenter bis offen zur Schau getragener Antisemitismus zunehmend lauter seine dumpfe Stimme erhebt. Es gilt festzuhalten, dass durch die einzigartige und in weiten Teilen auch gelungene Aufarbeitung der schwärzesten Jahre Deutschlands die Bedingungen für ein freies, sicheres und selbstbestimmtes jüdisches Leben hier in Deutschland insgesamt gut waren.

Glücklicherweise ist nur noch ein Rest an Unbelehrbaren übrig geblieben. Dennoch sind wir, unserer Geschichte verpflichtet, alle aufgefordert, im Rahmen dessen, was Vernunft und Rechtsstaatlichkeit noch als zulässig erachten, unentwegt daran zu arbeiten, dieses Übel gänzlich auszumerzen. Jede hier im Landtag vertretene Partei hat zum Thema Antisemitismus ihre eigene Agenda auf dem Weg zum selben Ziel, nämlich dem Schutz und der Normalisierung jüdischen Lebens in unserem Lande. Mir ist bewusst, dass ein Redner der AfD heute von Ihnen allen mit Argusaugen beobachtet wird, teils befürchtend, teils aber auch darauf hoffend, dass er sich vergaloppieren könnte oder eben auch vergaloppieren möge.

Heute sollte es aber doch einzig darum gehen, unseren jüdischen Mitbürgern einstimmig, einvernehmlich und über alle Parteigrenzen hinweg zu versichern, dass wir uns alle uneingeschränkt unserer historischen Verantwortung bewusst sind. Eine solche Resolution verbal zu begleiten, ohne auf die aktuellen Geschehnisse einzugehen, wäre aber kontraindiziert; denn wenn man etwas verbessern möchte, kann man nicht auf Unredlichkeit aufbauen. Ich hoffe sehr, dass wir uns jedenfalls diesbezüglich alle hier im Hohen Hause einig sind.

Ich spiele jetzt auf das Thema und die Vokabeln an, welche man in Ihrer Resolution interessanterweise auf keiner Seite findet. Richtigerweise taucht der Nazi grundsätzlich als Täter in Sachen Antisemitismus auf. Selbstverständlich findet sich leider auch Platz dafür, die AfD unverhohlen zu diffamieren. Dass Sie dagegen linken Antisemitismus nicht thematisieren, ist indessen nicht überraschend; denn der Umstand, dass man hierzulande auf dem linken Auge blind ist, ist wahrlich nichts Neues. Aber das Wort, das ich meine und welches Sie offensichtlich scheuen wie der Teufel das Weihwasser, das lautet "Islamismus". Dabei ist die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des radikalen Islamismus, den ein politischer Islam stets befeuert, angesichts der jüngsten Ereignisse in seiner Dringlichkeit mehr als nur evident.

Im Folgenden geht es mir nicht um die Suche nach Sündenböcken, sondern es geht um den unverstellten Blick auf die Ursachen des gegenwärtig hochkochenden Judenhasses. Dazu gehört es nun einmal, dass sich unsere Bevölkerungsstruktur in den vergangenen dreißig Jahren radikal verändert hat, dass wir das Hauptziel großer Migrantenströme geworden sind und ein übergroßer Anteil dieser Menschen aus archaischen Kulturkreisen kommt und oft einer Religion angehört, deren Anhänger die Vernichtung Israels teils sogar aktiv betreiben. Zumindest predigen sie diese zu oft fanatisch, und sehr oft erhoffen sie selbige sehnlichst.

Wir müssen uns offen eingestehen, dass wir es in sträflichster Weise unterlassen haben, dafür zu sorgen, dass diese Form des Antisemitismus bei uns keine Wurzeln schlagen, sprich hier nicht auch Zuflucht finden kann. Die Ewiggestrigen, die aus deutschen Familien stammen, ja, um die müssen wir uns kümmern. Die haben wir am Hals. Die kann man uns leider nicht abnehmen. Die müssen wir mithilfe des Strafrechts in ihre Schranken weisen. Diejenigen aber, die zu uns gekommen sind, die zu Recht oder auch nur vorgeschoben Schutz suchen oder auch einfach nur nach einem besseren Leben in der Fremde trachten, die müssen wir nicht bei uns dulden, wenn sie sich denn als Antisemiten entpuppen. Die müssen wir nicht ertragen. Von denen müssen wir uns einfach nur trennen, wenn sie denn so, wie in ihren Herkunftsländern auch, gegen unsere Freunde in Israel hetzen oder gar unter unseren jüdischen Mitbürgern hier in Deutschland Angst und Schrecken verbreiten.

Nach wie vor erhält kein zu uns gekommener Geflüchteter nach seiner Registrierung ein Heftchen in seiner Landessprache in die Hand gedrückt, in welchem er lesen kann: Wer meint, als Gast gegen die Aufnahmegesellschaft agieren zu müssen, wer es gar wagt, seine Gastgeber als "Ungläubige" zu bezeichnen, wer die Vernichtung Israels herbeisehnt, und sei es auch nur mit Worten, wer auf der Straße anlässlich des al-Quds-Tags offen Israelhass und Antisemitismus praktiziert, wer in Moscheen zum Dschihad und den Kampf gegen Israel auffordert, der muss mit empfindlichen Strafen, vor allem aber mit seiner zeitigen Abschiebung rechnen. Diese klare Ansage fehlt jedoch vollständig. Das macht ihre Resolution zumindest zu einem Teil zu einer mutlosen.

Machen wir uns bitte nichts vor: Der Gaza-Konflikt ist doch nur ein Vorwand, um endlich einmal wieder den von Kindheit an erlernten Judenhass herauszubrüllen. Und wir stehen dumm da und wundern und ärgern uns darüber. Fürchten aber müssen sich die Kippa-Träger. Dabei haben wir doch diesen Mitbürgern schon vor viel längerer Zeit und aus viel besseren Gründen unseren uneingeschränkten Schutz versprochen als denen, die in diesen Tagen zu uns strömen. Wer aber wie leider auch Sie nicht bereit ist, sich diese Umstände und das Faktum massivster Zuwanderung von antijüdisch indoktrinierten Menschen einzugestehen, der kann nicht hoffen, dieser Bedrohung je Herr zu werden. Dessen Lösungsansätze sind so von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Im Namen der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag erkläre ich hiermit, dass wir diese Resolution gerne als fraktionsübergreifende Resolution mitgetragen hätten. Dies ist uns jedoch faktisch von Ihnen verweigert worden, wurden wir ja nicht einmal in deren Entstehung und Formulierung eingebunden. Durch dieses Verhalten zusammen mit dem taktisch motivierten Rückgriff auf den angeblichen Eklat von 2019, den Sie ganz bewusst zu unserer Abschreckung und Diffamierung eingefügt haben, haben Sie Ihre Resolution selbst um ein gutes Stück entwertet. Es geht Ihnen mit der Aufnahme dieses anlassfremden und hinterhältigen Passus darum, eine sonst mögliche Zustimmung der AfD-Fraktion heute zur Resolution zu verhindern, nur um uns anschließend als Antisemiten diffamieren zu können. Offenbar haben Sie alle nicht einmal mitbekommen, dass sogar Michael Wolffsohn, seines Zeichens ehemaliges Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde in Mün

chen, im Januar 2019 Verständnis für die Reaktion meiner Kollegen geäußert hat. Angesichts eines, wie er sich so freundlich ausdrückte, so unkömmlichen Verhaltens seitens seiner Präsidentin, der es – so könnte man es auch interpretieren – leider wohl nicht nur um das Gedenken ging, sondern auch um einen orchestrierten Angriff auf eine demokratisch gewählte Partei im neuen Landtag.

Sei es wie es sei – als einer der Abgeordneten, der den Saal damals aus ganz persönlichen Motiven nicht verlassen hat, wiederhole ich es noch einmal ganz ausdrücklich: Sie haben diese Resolution entwertet. Sie haben gezeigt, dass es Ihnen um vieles geht, kaum aber wohl um Israel und unsere jüdischen Mitbürger. Sie betreiben Wahlkampf. Sie wollen eine demokratisch gewählte Partei um jeden Preis öffentlich verächtlich machen und ausgrenzen. Das ist wahrlich ein widerliches Politschauspiel und dem Ernst des Themas nicht annähernd angemessen. Es wird Ihnen auch nicht viel nützen; denn nichtorganisierte jüdische Mitbürger wählen uns jetzt schon in großer Anzahl, wohl wissend, dass wir die einzige Partei sind, die es wirklich ernst mit Israel und dem Judentum meint.

(Zuruf)

Ich persönlich aber bin entsetzt und enttäuscht über Ihr Verhalten. Mit seriöser Politik zum Wohle unserer jüdischen Mitbürger hat dieses durchsichtige Wahlkampfmanöver jedenfalls leider sehr wenig zu tun, wenn Sie denn immer von den fünf angeblich demokratischen Parteien im Bayerischen Landtag schwadronieren. Wir aber müssen uns nun bei Ihrem Antrag – und dazu haben Sie uns auf entwürdigende Weise gezwungen – enthalten; denn den Gefallen, ihn abzulehnen, werden wir Ihnen nicht tun.

(Anhaltender Beifall bei der AfD)

Das Wort hat der Kollege Dr. Ludwig Spaenle, Beauftragter der Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Hohes Haus! Das eben Gehörte richtet sich selbst. Wer an dieser Stelle die Einlassungen der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern genau an dieser Stelle im Januar vor zwei Jahren, der ich als Beauftragter beiwohnen konnte, in dieser Weise wertet und zu seiner billigen parteipolitischen Polemik missbraucht, hat den Anspruch auf ernsthafte Wahrnehmung an diesem heutigen Abend verwirkt.

(Beifall bei der CSU sowie Abgeordneten der FREIEN WÄHLER)

Wenn der Führer dieser Partei bei einem Parteitag in Augsburg das Keyword von "Tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" verwendet, dann ist das ein Schlüsselwort. Es ist das Schlüsselwort vom tausendjährigen Reich. Das ist eine bewusste Taktik der Geschichtsklitterung und der Verschiebung von Tabu-Grenzen. Wer "Zwölf Jahre Vogelschiss" für das Unheil und den größten Zivilisationsbruch, der im deutschen Namen je geschah und zu einem der größten Menschheitsverbrechen führte, sagt und dies mit einer solchen Formel belegt, der tut das erstens bewusst und zweitens sendet er in der Kombination mit diesem Schlüsselwort "Tausend Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte" ein Signal. Er sendet das Signal, dass die politische Formation, der er vorsteht, aus den geistigen Quellen derer schöpft, die für diesen Absturz verantwortlich sind und waren. Insofern ist der erste Teil Ihrer Einlassungen reine Heuchelei.

(Beifall bei der CSU sowie Abgeordneten der FREIEN WÄHLER)

Ich erlaube mir diese Bewertung als gewähltes Mitglied dieses Hauses. – Kolleginnen und Kollegen, heute erreicht mich die Nachricht, dass in manchen Schulen in Bayern heute Schülerinnen und Schüler fehlen, weil jüdische Eltern Angst haben, dass ihren Kindern auf dem Weg zur Schule oder zurück aufgrund der bestehenden Situation Dinge widerfahren, die ihnen nicht widerfahren sollen. Vor noch nicht 48 Stunden ist ein Mann hier im Schatten des Domes angegriffen worden, weil er eine Baseballcap verkehrtherum trug und die als Kippa identifiziert wurde. Mich selbst erreichen in meiner Funktion als Beauftragter in diesen Tagen interessante Mails, die ich Ihnen vorenthalte, weil das "Niveau" wirklich bemerkenswert ist. "Judenknecht" ist noch das vornehmste.

"Schalom" ist das wohl weltweit bekannteste Wort für "Frieden". Wir wünschen uns nichts sehnlicher als Frieden für die Menschen im Heiligen Land. Aber deutlich zu machen, dass das Beschießen der Zivilbevölkerung des Staates Israel mit über dreitausend Raketen durch terroristische Gruppen, die die Bevölkerung des GazaStreifens in politischer Geiselhaft halten, schreiendes Unrecht ist und dass die Reaktion Israels selbstverständlich auf sein Selbstverteidigungsrecht zurückzuführen ist, das festzustellen und zu sagen "Am Israel Chai!", ist in diesen Tagen nicht nur möglich, sondern auch zulässig und politisch geboten. Das enthebt uns nicht der Pflicht, – – Wir sind dankbar, dass der Bundesaußenminister in diesen Stunden den Versuch unternimmt – Deutschland kann nicht allein handeln –, aber den Versuch unternimmt und das Zeichen setzt, den Frieden den Menschen im Heiligen Land ein Stück näherzubringen. Frieden im Sinne von "Schweigen der Waffen". Auch das ist eine Folge deutscher Verantwortung.

Jüdische Menschen in diesem Land haben diesen Frieden ebenfalls verdient. Wenn in der Bundesrepublik Deutschland aus ganz unterschiedlichen Motiven unterstellt wird, dass die Fraktionen dieses Hauses, die diese gemeinsame Resolution tragen, die vielleicht ein kleines Stück Revolution ist, auf irgendeinem Auge blind wären für eine Quelle von Judenhass, dann ist das eine politische Infamie. Niemand spricht in Richtung islamistisch begründeten Judenhasses von irgendeinem Verständnis oder anderen Momenten. Wenn sich auf deutschen Straßen islamistisch geprägte Gruppierungen judenfeindlich und auf die Vernichtung Israels abzielend äußern, dann muss das denselben Widerstand der demokratischen Mehrheit in diesem Land finden wie der dumpfe rechtsradikale oder der linksextrem motivierte antizionistische Judenhass, der sich mit Israel fundamental auseinandersetzt und Israel in seiner Existenzberechtigung angreift. Das ist die Botschaft. Leider ist Judenhass präsent; er war nie weg.

Zwischen 1945 und dem Anfang der Fünfzigerjahre wurden mehr jüdische Friedhöfe geschändet als in den ganzen zwölf dunklen Jahren; auch das gehört zur Wahrheit. Wenn jüdische Menschen heute Angst haben und als Staatsbürger unseres Landes dafür in die Pflicht genommen werden, dass sie einem anderen Staat verbunden sind, weil er für eine große Zahl von Angehörigen ihrer Religion Heimstatt und für sie selbst natürlich mindestens religiöse oder geistliche Heimat ist, wenn Menschen und Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in die Pflicht genommen und für politische Vorgänge am Ostende des Mittelmeers beschuldigt werden, dann ist unsere Demokratie im Kern gefährdet.

Wenn Menschen um Leib und Leben fürchten müssen, weil sie erkennbar, scheinbar oder wirklich als Jüdinnen und Juden in diesem Land erkannt werden, und ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken, weil sie sich im Moment in einem angstvollen Zustand befinden, dann geht es um die Menschenwürde im Alltag. Dem müssen wir uns stellen. Das beginnt mit dem dummen Witz. Das beginnt mit der Bemerkung, die man so gehen lässt. Das geht weiter mit geistigen Gebäuden. Wenn in diesem Land in einer Grundschulklasse über Religion gesprochen wird und die Lehrkraft ein jüdisches Kind einer anderen Klasse zu einer Diskussion ein

lädt, die gut verläuft, wenn ein Kind dieser Klasse am Schluss der Diskussion feststellt, es sei interessant, was das jüdische Kinder erzählt habe, und Parallelen zwischen Synagoge und Kirche erkennt und das jüdische Kind fragt, wann die Juden eigentlich das Blut der Christenkinder tränken, dann ist etwas faul im Staate Dänemark. Das heißt: Antisemitismus ist jeden Tag in unserem Land präsent. Jüdische Bürgerinnen und Bürger sind ein Stück weit in ihrer Freizügigkeit im altmodischen Sinne des Grundgesetzes eingeschränkt. Das können und dürfen wir nicht hinnehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall)

Wir müssen handeln, und es wird gehandelt. Nach dem Anschlag in Halle war eigentlich kein anderer Anlass mehr vorstellbar, der die Dinge nach vorne treibt. Wir müssen Antisemitismus mit Bildung und Wissen begegnen. Antisemitismus selbst ist ein aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammender Kampfbegriff eines Rassisten, eines Deutschen, der damit den rassistischen Judenhass ein Stück weit wissenschaftlich verbrämt hat. Er hat sich nun einmal als internationaler Begriff eingebürgert. Aber auch das muss man wissen. Das heißt: Wir müssen uns anstrengen, die Menschen aufzuklären. Das geschieht; wir gehen hier voran, aber wir müssen mehr tun. Wir müssen in der schulischen und außerschulischen Bildung, im Ehrenamt, in der Wissenschaft und auch im öffentlichen Dienst Dinge weiter nach vorne bringen. Wir brauchen schlicht und einfach für jede Zielgruppe die richtige Formel, die richtige Form und die richtige Präsentation des Inhalts, um über jüdisches Leben in diesem Land zu sprechen und eigentlich auch dieses jüdische Festjahr nach 1.700 Jahren zu begehen. Das tun wir auch weiterhin.

Ich bin ein Stück weit stolz, Ihnen berichten zu können, dass Hunderte von Veranstaltungen in Bayern stattfinden, die dieses Jahr auch über diese schlimmen Bilder hinweg prägen werden. Die Menschen sind sich ein Stück weit der jüdischen Vergangenheit ihrer Gemeinde vor Ort bewusster. Es gibt eine neue Geschichte des Judentums in Bayern, die zwei Jahre alt ist und von einem Landeshistoriker der Universität Augsburg stammt, der leider schon verstorben ist. Sie geht diesen Weg von über tausend Jahren Geschichte des Judentums ab. Wenn man – ich sage einmal – in der Mehrheitsgeschichte über den Dreißigjährigen Krieg, die Aufklärung, den Deutsch-Französischen Krieg bis hin zu den schlimmsten Ereignissen der deutschen Geschichte nachdenkt und diese strukturiert, dann ist der Weg des Judentums durch die gemeinsame Geschichte von den Wellen der Pogrome gekennzeichnet. Das muss man wissen. Der Weg durch die gemeinsame Geschichte war schmerzhaft. Es gibt aber genauso das Gemeinsame, das in allen Reden angeklungen ist. Es gibt herausragende Beiträge und Leistungen in Kunst, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft jüdischer Menschen dieses Landes. Darüber müssen wir sprechen.

Uns ist im letzten Jahr deutlich geworden, wie dünn der Firnis ist. Unter den Ausnahmebedingungen der Pandemie und der eingeschränkten Situation der Grundrechte war eines zu beobachten: Die Menschen – ob Querdenker oder nicht – fühlten sich zu Recht bedrängt und machten von ihrem Demonstrationsrecht und ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch. Wenn dann aber eine übergeordnete dunkle Macht identifiziert wird, die uns chipt und uns irgendetwas ins Blut senken will, dann ist es zunächst ein amerikanischer Unternehmer, und dann war man ganz schnell beim Weltjudentum.

Das heißt: Das klassische Suchen eines Sündenbocks, das Grundmotiv des Judenhasses, ist in dieser Ausnahmesituation so rasch wie selten wieder öffentlich erkennbar gewesen. Dem müssen wir uns entgegenstellen. Wir brauchen ein konzertiertes Handeln. Wir brauchen eine Bündelung der Kräfte. Deshalb habe ich der Staatsregierung vorgeschlagen, ein Gesamtkonzept für jüdisches Leben auf der

einen und die Bekämpfung des Antisemitismus auf der anderen Seite zu entwickeln. Im Moment ist der Auftrag gegeben worden, mit den Ressorts darüber zu sprechen. Wir müssen das zwischen den Ressorts vorhandene Fachwissen auf Dauer abgleichen und Schnittstellen sehen.

Wenn man etwa im Bereich der Wissenschaft vorankommt, dann muss man diese Erkenntnis in schulische Bildung, in Lehrerbildung und -fortbildung überführen. Man muss sie auf richtige Anwendung wie etwa in der Polizeiausbildung oder auf Leitfaden übertragen, wie es der Justizminister für Bayern als erstes Land mit einem eigenen Leitfaden zur Bekämpfung und Erkennung von Antisemitismus für die Strafverfolgungsbehörden getan hat. Wir müssen diesen Weg gehen. Wir müssen die Kräfte bündeln und gemeinsam die Stärke besitzen, uns dem entgegenzustellen, was Judenhass bedeutet: einen Angriff auf die Menschenwürde im Alltag. Wir müssen uns dem entgegenstellen, damit das Wort Schalom in unserem Land wieder für alle hier in diesem Land lebende Menschen die volle Bedeutung hat.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Dr. Spaenle. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem überfraktionellen Dringlichkeitsantrag der Fraktion FREIE WÄHLER, der CSU-Fraktion, der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion auf Drucksache 18/15841 "Antisemitismus entschieden bekämpfen!" seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der CSU, der FREIEN WÄHLER, der GRÜNEN, der SPD und der FDP sowie der fraktionslose Abgeordnete Plenk. Gibt es zu diesem Dringlichkeitsantrag Gegenstimmen? – Keine. Gibt es zum Dringlichkeitsantrag betreffend "Antisemitismus entschieden bekämpfen!" Stimmenthaltungen? – Die AfD-Fraktion. Damit ist der Dringlichkeitsantrag angenommen.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Horst Arnold, Doris Rauscher, Dr. Simone Strohmayr u. a. und Fraktion (SPD) Corona-Aufholprogramm des Bundes durch bayerisches Aktionsprogramm stärken (Drs. 18/15842)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Katharina Schulze, Ludwig Hartmann, Gabriele Triebel u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sommerschule 2021 für alle und mit Konzept - Bildungsteilhabe jetzt ermöglichen (Drs. 18/15857)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache und erteile der Kollegin Doris Rauscher von der SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! "Seuche frisst Seele: Die Psyche und die Pandemie" titelte gestern der BR einen Beitrag. Es stimmt: Corona schränkt das Leben von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien seit mittlerweile über einem Jahr enorm ein. Sie haben vielfach ihren strukturierten Alltag verloren. Die Kita war lange Zeit geschlossen und läuft noch nicht im Normalbetrieb. Ähnliches gilt für die Schule. Für die Schülerinnen und Schüler sind 350 bis 800 Unterrichtsstunden ausgefallen. Jugendbegegnungsstätten sind nach wie vor geschlossen. Eltern sind belastet und erschöpft. Für eine gelingende Entwicklung fehlen Beziehungen, Kontakte zu

Vertrauens- und Bezugspersonen wie auch Kontakte zu Gleichaltrigen. Dazu kommen häufig räumliche Enge, fehlende Sportangebote und mangelhafte Voraussetzungen für Homeschooling. Die Sorge vor einem Corona-Abitur und den Perspektiven am Arbeitsmarkt kommt oftmals noch hinzu. Unbeschwertes Aufwachsen findet schon lange nicht mehr statt.