Protokoll der Sitzung vom 27.03.2014

Als nächster Redner hat das Wort Herr Senator Günthner.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ausgangspunkt für die Debatte ist eine Entscheidung des OLG Koblenz aus dem Jahr 2011. In dem Fall hat das OLG entschieden, einen 32-jährigen Lehrer, der in 22 Fällen Sex mit einer 14-jährigen Schülerin hatte, letztendlich doch nicht zu verurteilen. Er ist in der Vorinstanz noch wegen 22-fachen Missbrauchs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden, und das OLG Koblenz hat dann in der nächsten Instanz seinerzeit entschieden, es liege keine Straftat im Sinne des Paragrafen 174 Strafgesetzbuch vor. Begründung, es ist schon darauf hingewiesen worden: Es handelte sich um einen Vertretungslehrer, nicht um den Klassenlehrer.

Das Ergebnis – und deswegen hat es in den vergangenen Jahren durchaus immer unterschiedliche Diskussionen gegeben, ob es wirklich eine Regelungslücke gegeben hat – war für viele überraschend, und ich persönlich finde, es ist auch vollständig unbefriedigend. Ob nun Klassenlehrer, Fachlehrer oder Vertretungslehrer, ich denke, wir sind uns alle einig, dass es zwischen Lehrern und Schülern ein strukturelles Machtgefälle gibt, das zu dem ohnehin bestehenden Alters- und Reifeunterschied hinzutritt und ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Beziehungsverhältnis unmöglich macht. Darum finde ich, dass sich ein sexuelles Verhältnis zwischen Lehrern und minderjährigen Schülern nicht nur nicht gehört, sondern verboten sein sollte.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Genau diesem Zweck sollte Paragraf 174 StGB eigentlich dienen, und so ist er vor der OLG-Entscheidung auch allgemein verstanden worden. Ich bin ja nun bekanntermaßen kein Jurist und betreibe als Justizsenator grundsätzlich auch keine Richterschelte, aber ich kenne etliche Juristen, die die Auffassung vertreten, dass das Urteil so nicht überzeugend sei und sich diese Rechtsauffassung des OLG Koblenz wahrscheinlich auch in anderer obergerichtlicher Rechtsprechung nicht als beständig erweisen würde. Insofern war zunächst durchaus auch in der Fachöffentlichkeit umstritten, ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestünde oder ob die weitere Rechtsprechung das nicht schon wieder zurechtrücken werde.

Im Sommer des Jahres 2012 hat sich die Justizministerkonferenz mit dieser Frage beschäftigt und einstimmig den folgenden Entschluss gefasst: Die Justizministerinnen und Justizminister sind der Auffassung, dass ein wirksamer staatlicher Schutz von Schülerinnen und Schülern vor sexuellem Missbrauch, der durch an ihrer Schule tätige Lehrkräfte begangen wird, unabdingbar ist. Um gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu überprüfen, hat die Justizministerkonferenz dann eine Arbeitsgruppe eingesetzt, und diese Arbeitsgruppe hat einen ausführlichen Bericht vorgelegt.

Die Justizminister haben sich dann auf ihrer Herbstkonferenz im November des Jahres 2012 darauf verständigt, dass sie eine Erweiterung des Schutzes des Paragrafen 174 StGB auf alle Lehrkräfte und auch auf weitere Personen, die zu Minderjährigen in einem Autoritätsverhältnis stehen, zum Beispiel Betreuer auf Jugendfreizeiten oder in Jugendeinrichtungen, verbindlich ausgeweitet sehen wollen. Die bayrische Staatsregierung und die rheinland-pfälzische Regierung haben es dann entsprechend übernommen, auf der Grundlage des Arbeitsergebnisses der Justizministerkonferenz einen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Dieser Gesetzentwurf liegt nur leider bis heute nicht vor.

Ich habe nun vernommen, dass Sie den Antrag zur weiteren Beratung in den Rechtsausschuss überweisen wollen. Ich würde da durchaus gern mit Ihnen über die ausführlichen Überlegungen der JuMiKoArbeitsgruppe diskutieren, gleichzeitig macht es aus meiner Sicht durchaus Sinn, die staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Praxis noch einmal mit in die Debatte einzubeziehen. Ich kann allerdings schon jetzt feststellen, dass der Senat das Ziel einer Konkretisierung und Verschärfung des Paragrafen 174 StGB unterstützt.

Die Justizministerkonferenz hat schon vor über einem Jahr entsprechende Beschlüsse gefasst, und die Justizministerien von zwei großen Bundesländern arbeiten bereits an einem Gesetzentwurf. Es bedarf also meines Erachtens am Ende keiner Bremer Gesetzesinitiative, sondern es macht Sinn, dass wir noch auf die angekündigte Initiative von Bayern und Rheinland-Pfalz warten, auch deshalb, weil es, mit Verlaub, einfach unrealistisch ist, dass das relativ kleine Bremer Justizressort jetzt mal eben nebenbei die Arbeit erledigt, an der zwei deutlich größere Justizministerien seit etwa einem Jahr arbeiten.

Abschließend einige kurze Sätze zur Lage in Bremen! Die Befragung von Gerichten und Staatsanwaltschaften hat ergeben, dass wir hier in der jüngeren Vergangenheit keine einschlägigen Fälle hatten, die zur Anklage geführt haben. Ganz vereinzelt sind Ermittlungsverfahren eingestellt worden, dort bestanden aber jeweils keine rechtlichen Probleme, sondern der Tatvorwurf konnte nicht nachgewiesen werden.

Zusammenfassend: Ich finde es richtig, dass die Ausnutzung von Autoritätsverhältnissen für sexuel

len Missbrauch zweifelsfrei unter Strafe steht. Die Gesetzeslage ist so auszugestalten, dass es nicht darauf ankommt, ob der Klassen- oder der Vertretungslehrer Täter eines sexuellen Übergriffes ist, und es darf auch nicht ausschlaggebend sein, ob die Ausnutzung während der Schulzeit durch den Sportlehrer im Sportunterricht oder am Nachmittag oder am Abend durch den Trainer im Sportverein passiert ist.

Ich möchte nur nicht, dass der Eindruck entsteht, der Senat oder sonst jemand hätte das Thema verschlafen. Die Justizministerien des Bundes und der Länder arbeiten hier parteiübergreifend und seit der Entscheidung des OLG Koblenz konstruktiv, gemeinsam an einer Reform des Paragrafen 174 StGB. Darum bin ich sehr optimistisch, dass dieses Bemühen erfolgreich sein wird, aber darum eignet sich dieses Thema nicht besonders gut zur parteipolitischen Profilierung.

In diesem Sinne hoffe ich darauf, dass die weitere Beratung im Rechtsausschuss in Bremen genauso konstruktiv und gemeinschaftlich verlaufen wird, wie das bisher im Bund auch der Fall gewesen ist. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Hier ist die Überweisung zur Beratung und Berichterstattung an den Rechtsausschuss vorgesehen.

Wer der Überweisung des Antrags der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 18/1269 zur Beratung und Berichterstattung an den Rechtsausschuss seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) überweist entsprechend. (Einstimmig)

Zwischenbericht zum Entwicklungsplan Partizipation und Integration: Integration im Handlungsfeld Beschäftigung Mitteilung des Senats vom 18. Februar 2014 (Drucksache 18/1263)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Staatsrätin Hiller.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Tuchel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Schutz, Gerechtigkeit und Teilhabe für alle und die Möglichkeit, sich mit den individuellen Potenzialen einbringen zu können, sind die Voraussetzungen für eine gerechte Weiterentwicklung des Einwanderungslandes Bremen. Heute geht es um den Zwischenbericht zum Entwicklungsplan im Handlungsfeld Beschäftigung. An dieser Stelle bedanke ich mich beim Senat und bei der Senatskanzlei für die offene und ehrliche Art der Problemanalyse, der Beschreibung der aktuellen Ausgangslage sowie die zusammenfassende Bewertung für die bestehenden integrationspolitischen Anstrengungen im Handlungsfeld Beschäftigung!

Die Zielgruppe benötigt laut Bericht differenzierte Handlungsansätze. Aus meiner persönlichen Erfahrung weiß ich, dass wir eine gute und funktionierende Integration auf dem Arbeitsmarkt brauchen, um Integration in der gesamten Gesellschaft erfolgreich gestalten zu können. Vor diesem Hintergrund beraten wir heute den Zwischenbericht über neue Chancen für Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt, denn leider gibt es bei der Integration in das Erwerbsleben noch erheblichen Handlungsbedarf.

Seit Jahren ist die Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Migrationshintergrund fast doppelt so hoch wie bei Deutschen. Das betrifft Menschen mit Migrationshintergrund ohne schulischen oder beruflichen Abschluss, aber eben auch zu viele gut ausgebildete. Jugendliche mit Migrationshintergrund haben bei gleichen Qualifikationen geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz als deutschstämmige Jugendliche. An den Weiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte nehmen zu selten Personen mit Migrationshintergrund teil beziehungsweise werden sie für diese Maßnahmen zu selten berücksichtigt. Zu selten gelingt es bei Qualifikationsangeboten, Arbeitslose mit Migrationshintergrund im geplanten Umfang zu erreichen.

Die grundsätzliche Frage ist: Was ist zu tun? Welche konkreten Konsequenzen ziehen der Senat beziehungsweise das Ressort Wirtschaft, Arbeit und Häfen aus diesen Erkenntnissen? Auch die Bundesagentur für Arbeit und das Jobcenter sollen die unbefriedigenden Erkenntnisse nutzen, um Arbeitslose mit Migrationshintergrund an von ihnen finanzierten Maßnahmen angemessen zu beteiligen.

Die besonderen Zielgruppenansätze sind unverzichtbar. Es gilt demnach, im Rahmen aller arbeitsmarktpolitischen Ansätze, insbesondere im neuen ESF-Programm und beim Einsatz von Landesmitteln, zielorientierter auf die spezifische Situation und die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund einzugehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt mehrere Gründe, Änderungen herbeizuführen: Erstens, natürlich müssen alle, die hier bei uns leben, eine indi

viduelle Chance auf Integration haben. Das ist nicht nur für die Sicherung der ökonomischen Existenz wichtig, sondern ebenso eine Frage der Würde und der gesellschaftlichen Teilhabe.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Zweitens, es ist für unser Land auch aus ganz rationalen Gründen wichtig, dass möglichst alle Menschen in den Arbeitsmarkt integriert sind. Es gibt eine Studie, die die Kosten der Nichtintegration berechnet hat. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat dazu die fehlenden Einnahmen durch Steuern und Abgaben sowie die höheren Ausgaben der sozialen Sicherungssysteme berechnet. Diese Studie zeigt, es lohnt sich auch fiskalisch, die Integration aller in den Arbeitsmarkt voranzutreiben, erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik erspart dem Staat hohe Ausgaben in anderen Bereichen.

Drittens, für unsere Wirtschaft ist es wichtig, dass Menschen mit Migrationshintergrund ihre Qualifikationen tatsächlich nutzen können, also Arbeitsplätze in hiesigen Unternehmen haben.

Wir diskutieren hier seit Langem über den Fachkräftebedarf in unserem Land. Wir alle wissen, dass wir nur dann genügend Fachkräfte haben werden, wenn wir alle Menschen in unserem Land in den Arbeitsmarkt integrieren. Unsere Wirtschaft kann es sich nicht leisten, zum Beispiel aufgrund von Vorurteilen oder wegen hier unüblicher Qualifikationsprofile auf die Kompetenzen einer großen Gruppe von Menschen zu verzichten,

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

und deshalb zähle ich bei der Integration in den Arbeitsmarkt auch auf tatkräftige Unterstützung aus der Wirtschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem in Gesprächen mit Jugendlichen, die einen ausländisch klingenden Namen haben, höre ich immer wieder von Diskriminierungen. Ich finde es deswegen wichtig, dass nach der Anhörung der Sachverständigen beschlossen wurde, im Land Bremen bei Bewerbungen für Ausbildungsplätze im öffentlichen Dienst das anonymisierte Bewerbungsverfahren im Rahmen eines Pilotprojekts zu erproben.

(Beifall bei der SPD)

Mir persönlich ist es besonders wichtig, das Schicksal derjenigen zu betonen, die in Deutschland nur mit einer Duldung leben.

(Glocke)

Dahinter stehen viele persönliche Schicksale, und wir brauchen aus diesem Grund eine gesetzliche Klarstellung, dass die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter Geduldete mit Arbeitserlaubnis beraten müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser vorgelegte Bericht formuliert differenzierte Forderungen, und in diesem Zusammenhang ist es ganz wichtig, dass diese Optimierungsansätze im Land Bremen erkannt und genutzt werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohammadzadeh, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn es um die Darstellung der bremischen Integrationspolitik ging, legte der Senat früher noch Berge von Tabellen vor, die die Projekte und Maßnahmen in diesem Bereich auflisteten. Einige von Ihnen können sich vielleicht daran erinnern, das nannte man damals dann lntegrationskonzeption. Ich bin heute daher froh, dass der vorliegende Bericht ein Beweis für die erfolgreiche Fortentwicklung der Integrationspolitik ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte dies begründen, weil dieser Bericht nicht nur irgendwelche Tabellen und Programme auflistet, sondern fokussiert auf die Beschäftigung und den Arbeitsmarkt ein Strategiepapier auf Basis belastbarer statistischer Zahlen und Fakten vorlegt. Ich danke auch hier der Senatskanzlei dafür!