Protokoll der Sitzung vom 15.02.2017

Ich kann deshalb gut verstehen, wenn man sagt, eigentlich müsste es für die Bedarfe, die jetzt mit dem Fonds gedeckt werden, eine andere, eine grundsätzliche gesetzliche Lösung geben. Die Debatte darüber, dass es diesen Fonds gibt, ist geführt worden. Er ist eingerichtet. Natürlich ist es auch wichtig, dass dieser Fonds entsprechend ausgestattet wird. Dieser Fonds arbeitet. Es werden auch entsprechende Anträge aus Bremen gestellt. Das ist nicht ausgeschlossen. Schattenriss und auch das Mädchenhaus Bremen begleiten die Antragstellerinnen und Antragsteller, um diesen Fonds für sie nutzbar zu machen. Da das jetzt die Realität ist, finde ich es nur recht und billig, dass sich Bremen daran entsprechend beteiligt. Da muss ich dem CDU-Antrag recht geben.

(Beifall DIE LINKE, CDU)

Wir müssen die beiden Fonds auseinanderhalten. Es gibt den Teilfonds für den institutionellen Missbrauch. Es sind inzwischen 14 Bundesländer dabei. Vierzehn! Bremen nicht! Die finanzielle Unterstützung ist für diesen Teil übrigens auch nicht so hoch angesetzt wie für den anderen Teil. Es gibt den anderen Teilfonds für die Opfer von familiärem Missbrauch. Es ist richtig, dafür engagieren sich tatsächlich bislang nur sehr wenige Bundesländer. Ich finde es aber nicht nachvollziehbar, dass sich Bremen weder dort noch in dem anderen Teilfonds aktiv einbringt.

(Beifall DIE LINKE)

Das wären nach dem Königsteiner Schlüssel tatsächlich 500 000 Euro. Der Fonds enthält 50 Millionen Euro. Die Frage, ob es diesen Fonds geben soll, um eine schnelle unbürokratische Hilfemöglichkeit zu finden, ist längst entschieden. Wenn Bremen sagt: „Wir beteiligen uns aber nicht, weil wir eigentlich für eine andere Lösung sind“, dann ist das für mich nicht nachvollziehbar. Ich finde auch, eine solche Weigerung ist kein gutes Signal.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Für die Betroffenen vor allem!)

Der Antrag wird nun überwiesen. Dem werden wir uns natürlich anschließen. Wir hätten ihn auch befürwortet. Das möchte ich an dieser Stelle sagen.

Der Antrag der Koalition, auf den ich jetzt kurz eingehen möchte, richtet sich darauf, dass Opfern von Missbrauch grundsätzlich ein Recht auf Beratung

eingeräumt und diese Beratungsleistung auch bezahlt wird. Es geht nicht um die Therapie, sondern um den dringenden Bedarf an Beratungsleistungen. Sowohl Schattenriss als auch insbesondere das Bremer JungenBüro und die anderen Einrichtungen haben sehr viele Anfragen dazu. Ich halte es also nicht für einen Showantrag, sondern durchaus für richtig, dass man einen Rechtsanspruch einrichtet.

(Beifall DIE LINKE)

Insbesondere das JungenBüro hat festgestellt, dass der Bedarf durch die vielen geflüchteten Jugendlichen, die Opfer von Missbrauch werden, gestiegen ist.

Die Beratungsstellen möchten allerdings nicht, und das möchte ich an der Stelle noch einmal kurz problematisieren, dass man sozusagen eine Prioritätenliste zwischen Gewalterfahrung und sexueller Gewalterfahrung aufstellt, sodass man sagen kann: „Das eine ist prioritär, und du hast einen Rechtsanspruch“, während wir diese Kriterien bei dem anderen nicht anwenden können und sagen: „Du hast da Pech gehabt“. Das kann nicht der Sinn der Sache sein. Das muss man im Auge behalten. Das ist mir an dieser Stelle einfach wichtig.

(Beifall DIE LINKE)

Insofern finde ich auch diesen Antrag unterstützenswert. Ich finde es gut, dass es diese beiden Anträge gibt. Wir werden uns ihnen letztendlich anschließen. Sie haben nur in der Sache und Auswirkung gar nichts miteinander zu tun, sondern sind eben zwei unterschiedliche Dinge. – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Kappert-Gonther.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte damit beginnen, daran zu erinnern, was gestern war. Gestern war nämlich One Billion Rising. Das ist eine Aktion, die sich jährlich wiederholt und bei der Menschen auf der ganzen Welt gemeinsam darauf hinweisen, wie viele Menschen mit Gewalterfahrungen es gibt. Es betrifft weltweit jede dritte Frau. Heute sprechen wir über einen besonderen Bereich von Gewalt, nämlich von sexualisierter Gewalt. Diese betrifft etwa jede vierte Frau und ziemlich viele Männer. Das muss man sich einmal vergegenwärtigen.

Auch hier im Raum gibt es ganz sicher Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Wenn uns Menschen draußen zuhören – ich glaube, eine Radioübertragung gibt es heute nicht, aber vielleicht im Fernsehen –, dann werden Menschen dabei sein, die diese Erfahrung gemacht haben. Warum bin ich da so sicher? Eben, weil es so häufig ist!

Ich beginne die Debatte damit, über die beiden Begriffe zu sprechen, die in dieser Debatte immer eine Rolle spielen. Das eine ist der Opferbegriff, und das andere ist der Missbrauchsbegriff. Vielleicht haben Sie den verschiedenen nationalen Tageszeitungen am Wochenende entnehmen können, dass es eine Debatte über den Opferbegriff gibt. Mir zumindest leuchten die Argumente ein.

Die betroffene Bewegung selbst sagt, sie möchten nicht als Opfer bezeichnet werden, weil Opfer zu sein etwas sehr Passives ist und begrifflich überhaupt nicht diesem Aspekt des Überlebens und dieser enormen Kraft Rechnung trägt, die es braucht, um eine solche Gewalterfahrung zu überleben und damit umzugehen. Deshalb sprechen die Betroffenen selbst entweder von Überlebenden oder von Erlebenden sexualisierter Gewalt. Das ist etwas, über das wir hier gemeinsam nachdenken können.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Der zweite Begriff, über den ich gern kurz mit Ihnen nachdenken möchte, ist der des Missbrauchs. Ich lehne diesen Begriff ab. Sexueller Missbrauch würde bedeuten, dass es auch einen sexuellen „Gebrauch“ gibt. Auch das ist meiner Meinung nach nicht der Fall. Außerdem ist die Begrifflichkeit des Missbrauchs aus meiner Sicht verharmlosend. Das Ausmaß an Zerstörung an Leib und Seele, die sexualisierte Gewalt bei Männern und Frauen sowie bei Mädchen und Jungen auslöst, die diese Erfahrung machen mussten, ist kaum zu beschreiben. Es ist eine tiefgreifende Zerstörung, ein tiefgreifender Angriff auf das Ich, auf die Individualität. Insofern empfinde ich diesen Begriff als verharmlosend.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU)

Wenn wir uns dann noch vor Augen führen, dass die Täter in der Regel die Vertrauenspersonen der von sexualisierter Gewalt Betroffenen sind, dann wird das ganze Ausmaß des Grauens deutlich. Das bedeutet nämlich, dass diese Mädchen und Jungen – es sind deutlich mehr Mädchen – häufig nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Die Menschen, an die sie sich normalerweise wenden könnten, sind zum Großteil die Täter. Es ist also ein einziges Martyrium, ein einziges Grauen.

Das Mindeste, was man politisch tun kann, ist, tatsächlich endlich einen Rechtsanspruch zu schaffen, damit die Menschen, die Mädchen und Jungen, die sexualisierte Gewalt erleben mussten, einen gesetzlich garantierten Anspruch haben, entsprechende Hilfen zu finden.

Hier im Raum gab es gerade die Kritik, das habe nichts mit der Landesebene zu tun. Das ist natürlich nicht so, Frau Ahrens. Wir wissen, was mit dem Rechtsanspruch auf Kita-Betreuung passiert ist. Er muss nämlich umgesetzt werden. Natürlich sind dann

die Länder und die Kommunen in der Pflicht, das zu finanzieren. Das ist völlig klar.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Unser Koalitionsantrag zielt darauf,

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Also, Sie brauchen eine bundesgesetzliche Freigabe für die freiwilligen Leis- tungen? Wenn Sie es wollen, dann setzen Sie es doch jetzt schon um!)

endlich einen Rechtsanspruch auf Hilfen für diese Mädchen und Jungen zu finden. Ein Rechtsanspruch hilft immer denen, die Hilfe benötigen, damit sie diese notfalls einklagen können. Er hilft natürlich auch uns, um politisch zu sagen, dass diese Stellen entsprechend ausgestattet werden müssen. Das ist doch völlig klar. Das ist so etwas wie: eins plus eins gleich zwei! Ja, das wird helfen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Frau Ahrens [CDU]: Aber Sie sind Haushaltsgesetzgeber, Kollegin!)

Was ist nun aber, wenn diese Betroffenen, wenn diese Überlebenden sexualisierter Gewalt erwachsen werden? Darauf geht unser Antrag tatsächlich nicht ein. Wie ich und wie meine Vorrednerinnen und Vorredner schon ausgeführt haben, ist das im Laufe eines Lebens in der Regel nicht zu verkraften, ohne dass Narben und Wunden bleiben. Gerade bei Menschen, die von komplexer Gewalt, zum Beispiel von ritualisierter sexualisierter Gewalt, betroffen sind, wird häufig eine lebenslange Therapie oder zumindest Begleitung notwendig.

(Glocke)

Ein Gedanke noch, wenn Sie gestatten, Herr Präsident!

Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für Therapie. Was ist aber, wenn die Therapiestunden aufgebraucht sind? Was ist, wenn es um andere Dinge als Regelpsychotherapie geht, die diese Männer und Frauen zur Unterstützung benötigen, wenn sie erwachsen geworden sind?

Dafür sind diese beiden Fonds nach dem Jahr 2010 von der Bundesregierung gegründet worden, nachdem dieser runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ getagt hat. Sie hat zwei Fonds gegründet, nämlich zum einen für Menschen, die im institutionellen Bereich geschädigt wurden, und zum anderen für Menschen, die im familiären Bereich geschädigt wurden. Dem Fonds für den institutionellen Bereich ist Bremen inzwischen beigetreten, Frau Bernhard, dem für den familiärem Bereich jedoch nicht. Wir finden diese Forderung in Ihrem Antrag durchaus angemessen und richtig und finden es deshalb gut, wenn das in der Sozialdeputation weiter besprochen wird. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Steiner.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sexuelle Gewalt vor allem an Kindern ist das Schlimmste und Abscheulichste, was ein Mensch überhaupt jemandem zufügen kann. Allein bei dem Gedanken daran bekommt man Gänsehaut.

Man muss sich überlegen, wie viele Fälle überhaupt angezeigt werden und wie viele sich gar nicht trauen, deutlich zu machen, was ihnen widerfährt. Frau Dr. Kappert-Gonther hat es vorhin angesprochen. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Kinder es vielleicht gar nicht einzuschätzen wissen, weil sie das nicht als Unrecht wahrnehmen. Wann kann ein Kind gerade in ganz jungen Jahren schon beurteilen, was Recht und was Unrecht ist?

Wir sind sehr dankbar, dass Sie von der SPD und von den Grünen, aber auch von der CDU dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben und es konkrete Vorschläge dazu gibt. Wir finden das absolut richtig und wichtig, gerade vor dem Hintergrund, dass etwa 12 000 Fälle von sexuellem Missbrauch gegen Kinder pro Jahr in Deutschland zur Anzeige gebracht werden. In Bremen waren es Im Jahr 2015 laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 106 Fälle. Die tatsächliche Zahl der Fälle liegt nach Einschätzung der Experten deutlich darüber. Das habe ich eben gesagt.

Das Bundeskriminalamt schätzt, dass das Verhältnis bei 1 zu 15 liegt. Wenn wir das zugrunde legen, dann wären wir für Bremen bei einer Zahl von fast 1 600 Fällen jährlich. Das ist wirklich eine unglaublich erschreckende Zahl.

Das große Problem bei der Dunkelziffer liegt darin, dass die Täter oft aus dem eigenen Umfeld der Kinder kommen. Das haben wir eben gehört. Das können Onkel, Väter, Bekannte oder was auch immer sein. Gerade, wenn ein Täter aus dem eigenen Familienumfeld kommt, fällt es den Mädchen und Jungen sehr schwer, sich Hilfe zu suchen beziehungsweise zu erkennen, dass dieses Unrecht bestraft gehört. Wer ist schon so mutig, zeigt den eigenen Onkel an und lässt sich vor allem auf so ein Martyrium ein, das auf die Anzeige oft innerhalb der eigenen Familie folgt?

Für uns als Freie Demokraten ist klar, die Betroffenen brauchen Hilfe. Sie brauchen Ermutigung. Sie brauchen Hilfe, um sich zu wehren, damit die Täter strafrechtlich belangt werden. Die Betroffenen brauchen vor allem auch Hilfe, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten; denn die psychischen Folgen dieser verachtenswerten Taten begleiten viele Kinder und Jugendliche ein Leben lang. Frau Dr. Kappert-Gonther, Sie wissen das am besten. Sie können es durch Ihren Beruf beurteilen. Deswegen habe ich Ihnen eben sehr genau zugehört und möchte gar nicht genauer darauf

eingehen. Ich kann das so unterstützen. Oft sind die Folgen, dass Kinder später nicht lebensfähig sind, dass sie keinen geregelten Beruf aufnehmen können, dass sie unter schweren traumatischen Erlebnissen leiden, und, und, und.

Ich bin froh, dass es in Bremen viele Beratungs- und Unterstützungsangebote gibt. Sie wurden vorhin schon genannt. Ich bin sehr dankbar, dass sich so viele Menschen dafür engagieren und dementsprechend ein gewisses Spendenvolumen zu verzeichnen ist. Ich hoffe, das wird noch viel, viel mehr.

Zu den einzelnen Anträgen möchte ich Folgendes sagen. Die Koalition schlägt vor, einen bundesweit geltenden Rechtsanspruch auf Beratung einzuführen. Das finden wir grundsätzlich richtig. Noch wichtiger ist in unseren Augen, die Beratungsangebote in Bremen angemessen auszustatten und den Betroffenen hier unkompliziert zu helfen.

(Beifall FDP)

Da mag ein Fonds, bei dem Gelder durch eine Clearingstelle müssen, zwar nicht ideal sein, aber es ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Der Fonds hat ein Volumen von etwa 58,5 Millionen Euro, von denen 50 Millionen Euro vom Bund gekommen sind. Ich finde es richtig, dass sich Bremen mit einem kleinen, aber angemessenen Betrag an den Kosten des Fonds beteiligt. Es ist aber auch klar, der Fonds gilt für Betroffene, die Opfer eines sexuellen Missbrauchs im familiären Umfeld zwischen dem 23. Mai 1949 und dem 30. Juni 2013 geworden sind. Hinzu kommen weitere Bedingungen, die eben nicht jedes Opfer erfüllt. Es ist also ein richtiges Instrument, um die Belastungen der Vergangenheit zu lindern. Es ist aber eben leider kein Instrument, um diejenigen, die gegenwärtig oder zukünftig Opfer von sexuellem Missbrauch werden, zu unterstützen und das Geschehene zu verarbeiten.

Frau Ahrens, ich möchte ganz gern zu Ihnen noch etwas sagen. Ich hätte mir von der CDU bei diesem Thema tatsächlich noch mehr gewünscht. Sie haben selbst gesagt, dass für Sie der Opferschutz im Vordergrund steht. Ich hätte mir gewünscht, dass dies bei diesem Thema noch mehr im Antragstext herauskommt. Der Antragstext liest sich so, dass er mehr Senatskritik statt den eigentlichen Opferschutz in den Vordergrund stellt.