Protokoll der Sitzung vom 10.05.2017

Aus welchen Gründen ist die Trennung so wichtig? Es ist erstens wichtig, damit bisher unerkannte Tötungsdelikte künftig besser zu erkennen sind, und

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zweitens -das geht manchmal in der Debatte etwas unter, es ist aber ein genauso wichtiger Punkt -, damit die Todesursachenstatistik besser und sorgfältiger geführt werden kann, weil mit einer qualifizierten Leichenschau die Wahrscheinlichkeit, dass der die Todesursache feststellende Arzt wirklich herausfindet, an welchen Umständen es wirklich gelegen hat, höher ist, als es bisher gewesen ist. Diese Erkenntnisse werden in die Todesursachenstatistik einfließen, und das bedeutet, dass wir zukünftig noch besser von den Toten für die Lebenden lernen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein ganz wichtiger Punkt,

Strittig ist - und das ist eben aus den Wortbeiträgen von Frau Dehne und Herrn Bensch deutlich geworden -, ob die Todesursachenfeststellung immer am Auffindeort der Leiche stattfinden muss. Sie haben gesagt, alle Fachleute sind sich darin einig, dass sie immer am Auffindeort stattfinden muss. Das sind die Fachleute aus dem Bereich Kriminologie, also die Polizei, und es sind die Kollegen der Rechtsmedizin. Auf der anderen Seite gibt es aber auch gute Argumente vonseiten der Angehörigenvertreter, der Seniorenvertretung, der Kirchen, die gesagt haben, sie solle kriterienbezogen stattfinden.

Es soll für den Kollegen, der den Tod feststellt, klare Kriterien geben. Er soll dann beurteilen, ob es notwendig ist, dass die zweite, die Todesursachenfeststellung, also die qualifizierte Leichenschau, in dem Fall wirklich am Auffindeort der Leiche stattfinden muss. Wir als Koalition finden, dass das Gesetz hier eine vernünftige Balance zwischen den Argumenten der einen und der anderen Seite findet, und deshalb legen wir das Gesetz in der vorliegenden Fassung vor.

Ich selbst halte es für richtig, das Gesetz in der jetzigen Form vorzulegen. Wir haben eine Evaluation des Gesetzes nach zwei Jahren vorgesehen. Wir betreten bundesweit Neuland, und wir wollen nach zwei Jahren prüfen, ob die gesetzlichen Regelungen sinnvoll sind und ob sie sich dauerhaft durchführen lassen. Das ist doch ein gutes Verfahren. Wenn man Neuland betritt und einen Kompromiss schließt, dann überprüft man ihn nach einer gewissen Zeit und steuert gegebenenfalls nach, wenn es notwendig ist.

Wir finden das klug, und wir glauben, dass das ein guter Weg ist. Ich freue mich darüber. - Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Erlanson.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, zu Anfang sollte man versuchen, sich noch einmal zu erinnern, welcher Sinn hinter dem vorgelegten Gesetz zur qualifizierten Leichenschau steht, das wir heute beschließen sollen.

Es ging eigentlich am Anfang darum, dass festgestellt wurde, dass es wahrscheinlich eine relativ hohe Dunkelziffer bei den Toten gibt, und zwar im heimischen Bereich, die keines natürlichen Todes gestorben sind, sondern die eher als ermordet kategorisiert werden müssten. Es gab sogar, um auch das noch einmal in die Debatte einzuführen, vor zwei oder drei Jahren eine Umfrage einer Münchner Zeitung, in der Mediziner zu Protokoll gegeben haben, dass sie von der Polizei und von der Staatsanwaltschaft unter Druck gesetzt worden seien, natürliche Tode festzustellen, damit sie danach bei entsprechender Formulierung nicht so viel Arbeit haben.

Es gab einen Streit darüber, ob es sich um eine repräsentative Umfrage gehandelt hat. Es sind 400 Mediziner befragt worden. Zumindest ist sie aber ein Schlaglicht zur Diskussion gewesen: also eine hohe Dunkelziffer!

Aus welchen Gründen war das möglich? In der Vergangenheit ist es immer so gewesen: Ein älterer Mensch, der Vorerkrankungen hatte, stirbt. Der Hausarzt oder der behandelnde Arzt wird hinzugerufen, er schaut sich die Situation an und sagt: Na ja, das Alter stimmt! Es gab Vorerkrankungen, die ich auch kenne, und jetzt ist die Patientin oder der Patient verstorben. Dann hat er den Tod festgestellt, und damit war das Verfahren in vielen Fällen beendet.

Ich glaube, dass das ein Zustand ist, der mit der Verabschiedung dieses Gesetzes beendet werden wird, denn es gibt eine Trennung zwischen der Todesfeststellung und der Leichenschau beziehungsweise der Ursachenforschung, wie es eben von Frau Dr. Kappert-Gonther genannt worden ist. Der Hausarzt, der zu einem Todesfall gerufen wird, stellt den Tod fest, und nach einer bestimmten Zeit wird die Leiche abgeholt und in eine Leichenhalle gebracht. In der Leichenhalle findet dann die qualifizierte Leichenschau statt.

Ich sage einmal ganz deutlich, wenn man mit Praktikern spricht - ich habe das getan, und ich habe versucht, mir ein Bild zu machen -, dann hört man, wenn man bei Toten nachschauen will, ob es irgendwo vielleicht nicht so gut zu erkennende oder gewollt nicht gut zu erkennende Einstiche oder

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sonstige Verletzungen gibt, dass dann Bedingungen vorhanden sein müssen, damit man die Verletzungen finden kann.

Ich habe in unserer Fraktion gesagt, die alte Oma, die in ihrem alten Bett verstorben ist, hin- und herzurollen, um zu schauen, ob sie irgendwo irgendwelche Einstiche hat, ist nicht so einfach. Das hat etwas mit Pietät gegenüber den Angehörigen zu tun, es hat aber auch mit der Möglichkeit zu tun, die Verletzungen überhaupt entdecken zu können. Ich denke, das ist die Überlegung, wie es dazu gekommen ist, dass es in der Tat ein relativ großes Dunkelfeld geben könnte.

Das hat sich jetzt geändert. Ich habe es eben schon gesagt: Alle verstorbenen Bremerinnen und Bremer werden in einer Leichenhalle von einem speziell dafür Ausgebildeten - auch das kommt hinzu, und auch das ist eine Neuerung - untersucht. Die Leichenschau darf nur von jemandem vorgenommen werden, der dafür eine entsprechende qualifizierte Ausbildung oder eine qualifizierte Fortbildung besitzt. Sie wird von Ärztinnen und Ärzten wahrgenommen, aber sie müssen sich weiterqualifizieren, um eine Leichenschau vornehmen zu können. Das heißt, alle verstorbenen Bremerinnen und Bremer werden einer qualifizierten äußeren Leichenschau unterzogen. Wenn es dann noch Bedenken gibt, dann kommt es zur inneren Leichenschau, also zur Obduktion. Das ist das Neue, das jetzt in Bremen passieren wird.

Der Kompromiss gibt allerdings nicht her - und das muss man auch ganz deutlich sagen, und das haben viele Experten während der Anhörung, die es zum Thema gegeben hat, ausgeführt -, dass es sinnvoll wäre, die qualifizierte Leichenschau an der Fundstelle des Toten vorzunehmen, weil die Eindrücke, die man an der Fundstelle gewinnen kann, möglicherweise neben den harten Fakten, wie beispielsweise Einstiche oder Würgemale, wichtig sind. Man könnte ein Gefühl dafür bekommen, in welcher Situation jemand gelebt hat. Es ist gesagt worden, dass das eine noch bessere Möglichkeit sein würde, um das Dunkelfeld zu erhellen. Das haben wir auch immer gefordert, und das ist auch genau das, was der Kollege Bensch gesagt hat.

(Glocke)

Wir wollten, dass das eigentlich so geregelt wird. Das haben wir als LINKE auch immer unterstützt. Im Endeffekt ist es sicherlich aus finanziellen Gründen nicht gesetzlich verankert worden, denn die andere Variante wird wahrscheinlich die kostengünstigere Variante sein.

Ich selbst war auch intensiv an diesem Prozess in der Gesundheitsdeputation beteiligt. Ich selbst war

der Meinung, dass das ein Fortschritt ist. Ich habe dementsprechend in der Deputation auch dafür gestimmt, muss aber feststellen, dass meine Fraktion mir in dem Fall nicht folgt. Das heißt, DIE LINKE wird sich bei dem Gesetz enthalten, wird aber dem Änderungsantrag zu den statistischen Bedingungen selbstverständlich zustimmen. - Danke!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist schon von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern berichtet worden, dass es viel zu viele Tötungsdelikte gibt, die nicht aufgeklärt werden. Es geht eben darum, dass keine Tötungsdelikte unerkannt bleiben. Dennoch ist es so, dass die Mehrheit der Menschen eines natürlichen Todes stirbt. Dann kommt es nicht auf Preise an. Ich möchte das Wort von Herrn Erlanson nicht wiederholen. Es kommt auch nicht auf Kosten an, sondern es kommt darauf an, was angemessen für den Umgang mit Toten ist und wie würdig mit diesen Toten umgegangen wird.

Es gilt auch, die Kritik ernst zu nehmen, dass wir, wenn wir alle und jeden verdächtigen würden, sehr vielen Menschen Unrecht tun würden. Deswegen ist zu überlegen, was angemessen und was das richtige Vorgehen ist. Wenn man jetzt den richtigen Schritt tut, ein Vier-Augen-Prinzip einzuführen und zwischen Todesfeststellung und Todesursachenfeststellung zu trennen, dann sagt man damit doch nicht gleich und unterstellt, dass jemand keines natürlichen Todes gestorben ist. Der Regelfall bleibt der natürliche Tod. Wenn wir das wissen, kann man gut und gern verantworten, dass nicht gleich der Rechtsmediziner mit dem Kommissar kommen und untersuchen muss, was schiefgelaufen ist, sondern dass zuerst ein Arzt den Tod feststellt und dann überlegt wird, ob die Einschaltung eines Rechtsmediziners sinnvoll ist oder nicht. Stellen wir uns einmal die Situation vor, wie lange eine verstorbene Person sonst am Fundort liegen müsste! Auch das ist manchmal nicht angemessen. Insofern ist es sinnvoll, den Weg zu gehen, der hier vorgeschlagen ist.

Ich gehe davon aus, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis man weiß, wie viele Fälle das sind und in welchen Fällen man vor Ort sein muss und wann nicht. Dabei wird es vielleicht am Anfang Fehler geben. Auch dort wird man aber eine Lernkurve hinbekommen.

Ein nächster Schritt ist dann getan. Das ist ja auch

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ein Vorteil bei allem, was das mehr an Kosten verursacht. Wir haben dann diese bessere Qualität. Die zweite Leichenschau vor einer Verbrennung entfällt. Es ist doch ein sinnvoller Schritt, diese dann zu unterlassen.

Insofern halten wir als FDP-Fraktion das Ganze für angemessen, für richtig, für pietätvoll und auch für einen vernünftigen Umgang mit den Angehörigen und all den anderen, die an solch einem Fundort sind. In diesem Sinne werden wir dem Ganzen zustimmen und natürlich genau darauf schauen, ob sich das bewährt und ob diese Kriterien für Untersuchungen am Auffindort schon richtig gewählt sind oder ob man nachjustieren muss. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall FDP)

Als Nächste hat das Wort die Senatorin Professor Dr. Quant-Brandt.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst einmal herzlichen Dank für die sehr konstruktive Debatte zur Entwicklung des Leichenwesengesetzes! Ich bin sehr froh, dass wir uns in der Deputation und auch in den Anhörungen so konstruktiv miteinander ausgetauscht haben und wir uns jetzt als erstes Bundesland hier auf den Weg begeben.

Ich bin auch der Auffassung, dass es sich um ein sehr gutes Gesetz handelt, weil wir den strukturellen zweiten Blick festlegen und die Todesfeststellung und die Todesursachenfeststellung voneinander trennen. Ich finde es auch ausgesprochen positiv, dass wir jetzt alle Verstorbenen einbeziehen und auch den zweiten rechtsmedizinischen Blick sehr dicht an den Todeszeitpunkt heranrücken. Das ist eine weitere qualitative Weiterentwicklung zu dem, was wir jetzt haben: Bisher haben wir dies immer vor einer Kremierung und somit nur bei den Leichen, die kremiert werden. Dass Todeszeitpunkt und zweiter Blick zusammenrücken, ist eine sehr richtige und wichtige Entscheidung, die auch den Patientinnen und Patienten sowie den Angehörigen der Verstorbenen mehr Sicherheit geben wird.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen - Vize- präsident Imhoff übernimmt den Vorsitz.)

Noch ein Punkt zu der Kritik, man müsse die qualifizierte Leichenschau immer am Auffindort durchführen: Ich finde die Lösung, die wir jetzt miteinander gefunden haben - eine Evaluation nach zwei Jahren vorzunehmen -, richtig. Wir entwickeln jetzt mit den Rechtsmedizinern ein Konzept dazu, dass auch Vergleichsgruppen

erzeugt. Das heißt, wir wissen dann, was wir hier finden und was wir dort finden. Das gibt sozusagen eine bessere Sicherheit, ob wir mit diesem Gesetz in der Form, wie wir es jetzt auf den Weg gegeben haben, alles richtig gemacht haben, oder ob wir den nächsten Schritt noch zu gehen haben.

(Glocke)

- Ja, ich habe es gesehen. Ich sage den Satz zu Ende. Dann spricht Herr Hinners, und dann geht es wahrscheinlich um die gleiche Frage.

Wir werden das selbstverständlich sehr ernst nehmen, weil auch mein Interesse genau darin besteht, was schon ausgeführt worden ist. Ich möchte auch aufklären, wo ein Fremdverschulden bei der Todesursache vorliegt. Genauso möchte ich natürlich wissen, um welche Todesursache es sich handelt, um einen anderen Einblick und Überblick zu den Ursachen von Krankheiten und so weiter zu bekommen. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Frau Senatorin, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinners zulassen?

Selbstverständlich!

Herr Hinners!

Frau Senatorin, Sie haben eben gesagt, dass nur dann, wenn von vornherein Zweifel vorhanden sind, eine qualifizierte Leichenschau am Fundort durchgeführt wird und in allen anderen Fällen zu einem späteren Zeitpunkt an dem Aufbewahrungsort. Können Sie dabei ausschließen, dass die spätere qualifizierte Leichenschau, wie Sie sie nennen, nicht mehr ordnungsgemäß durchgeführt werden kann?

Können Sie die Frage einmal positiv formulieren?

(Heiterkeit - Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Sehen Sie eine Fehlerquelle bei der zweiten Leichenschau, die nicht mehr am Fundort, sondern an einem Aufbewahrungsort stattfindet?

Wenn ich am Funddort das gesamte Umfeld einbeziehe, dann sehe ich natürlich mehr - das ist nie abgestritten worden -, als wenn ich mir in der Leichenhalle zu einem sehr zeitnahen Zeitpunkt die Leiche anschaue. In der Leichenhalle sehe ich den Auffindort nicht. Der Unterschied ist also völlig