Protokoll der Sitzung vom 17.05.2006

Was Sie gerade als Sprechblase bezeichnet haben, steht im Grundgesetz, Herr Kollege.

(Axel Wintermeyer (CDU): Sie habe ich als Sprechblase bezeichnet!)

Ich erkenne, dass die Regierung Koch mit einer ganzen Masse von Zerstörern in dieser Gesellschaft unterwegs ist. Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen.

Zerstörer Nummer eins betreibt die Entsolidarisierung der Gesellschaft.Wer das Wort „fördern“ nicht mehr ohne das Wort „fordern“ gebraucht, negiert, dass jeder einzelne Mensch jenseits seiner Leistungen und seiner so genannten Nützlichkeit eine Würde und damit auch ein Recht auf soziale Teilhabe hat. Die zynische „Operation düstere Zukunft“ hat gezeigt, dass Sie den Schwächeren der Gesellschaft keine Unterstützung mehr geben. Die Menschen können nur noch bei kirchlichen und karitativen Organisationen um Hilfe bitten. Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung: Menschen haben soziale Rechte.

(Beifall bei der SPD)

Der Zerstörer Nummer zwei entmachtet die Gewerkschaften als Interessenvertretungen der Beschäftigten. Ich sage:Auch die gehören zum sozialen Frieden. Die Regierung betreibt systematisch die Entrechtung aller Landesbediensteten – auch mithilfe der FDP –, wenn zugleich mit der „Operation düstere Zukunft“ auch das HPVG geändert wurde und damit jeder und jede Beschäftigte entrechtet wurde. Durch die PVS wurden Tausende von Beschäftigten zur beliebigen Verfügungsmasse und als überflüssig gebrandmarkt – ebenfalls ohne Mitbestimmungsrechte. Der Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft der Länder hat die 42-Stunden-Woche, die Streichung des Urlaubs- und die Kürzung des Weihnachtsgeldes durchgesetzt.

Wenn sich die GEW jetzt gegen eine Schimäre der Hessischen Kultusministerin, nämlich die Unterrichtsgarantie, wehrt, wird ihr kurzerhand mit dem Kahlschlag der Mitbestimmung auch in diesem Bereich gedroht.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie haben es einfach nicht verstanden: Demokratie braucht auch Interessenausgleich, braucht starke Tarifpartner. Dies unterhöhlt diese Regierung systematisch.

Der Zerstörer Nummer drei kämpft gegen die freie Presse – auch das eine wichtige Errungenschaft. Herr Metz lädt zu Reisen des Ministerpräsidenten unliebsame Journalistinnen und Journalisten nicht mehr ein. Wer irgendwann gegen die Regierung schrieb, bleibt zu Hause. Das zeigt Ihr Demokratieverständnis und zeigt, wie Sie Pressefreiheit schwarz beleuchten.

Der Rundfunkrat wurde – sagen wir es einmal vorsichtig – um Verbände erweitert,die der Regierungsfraktion eher näher stehen als anderen Verbänden und Parteien. Regierungskritische Beiträge des Hessischen Rundfunks und Fernsehens ziehen – so höre ich mehrfach – unweigerlich massive Interventionen von Herrn Metz nach sich, oftmals verbunden mit schlecht verhohlenen Aufforderungen, dies künftig zu unterlassen. Gleiches wird mir von verschiedenen Zeitungen berichtet. Ich sage Ihnen:Wenn auch nur die Hälfte davon stimmt, ist das ein Skandal.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut in einer Demokratie. Ich fordere Sie auf, daran zu denken, dass wir uns nicht im Italien Berlusconis befinden.

Zerstörer Nummer vier. Sie zerstören systematisch Bildungschancen. Meine Damen und Herren, Bildungschancen haben auch etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Das Zementieren des dreigliedrigen Schulsystems, die Trennung der Kinder in gute und schlechte – Frau Ministerin, da sollten Sie vielleicht einmal mit der Kultusministerin reden –, alle Studien zeigen, dass der Schulerfolg nirgendwo sonst so stark von der sozialen Herkunft der Eltern abhängt. Das ist ein Skandal.

Mit Ihren G-8-Klassen verhindern Sie die Durchlässigkeit des Schulsystems, mit Querversetzungen werden unliebsame Schülerinnen und Schüler durchgereicht, und als Krönung des Ganzen drohen jetzt die Studiengebühren, die sicher dazu führen werden, dass nicht die Besten studieren, sondern die, deren Eltern einen genügend großen Geldbeutel haben.Auch das ist ein Skandal.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Durch Ihre hartnäckige Weigerung, einen sinnvollen, notwendigen und überfälligen Ausbildungspakt auf hessischer Landesebene abzuschließen und 10 % Ihrer eigenen Ausbildungskapazität hochzufahren, tragen Sie die Verantwortung für die skandalöse Ausbildungsmisere in Hessen, für die rote Laterne unter den westdeutschen Flächenländern und für einen absehbaren Fachkräftemangel in wenigen Jahren.

Meine Damen und Herren, Demokratie heißt, dass Bildungschancen nicht nach dem Geldbeutel der Eltern, sondern nach der Intelligenz vergeben werden und dass Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Auch das hat etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun, Herr Kollege.

Der Zerstörer Nummer fünf beschneidet die demokratischen Mitwirkungsrechte und entmachtet unliebsame Fachgremien. Sie plappern in allen möglichen Reden vom Ehrenamt; aber wo Ehrenamtliche bisher mitwirken durften, werden ihre Rechte beschnitten. Das Beispiel Rundfunkrat habe ich bereits genannt. Der Ausländerbeirat wurde abgeschafft und als Integrationsbeirat neu zusammengesetzt.Wenn dort gefasste Beschlüsse nicht passen, werden sie negiert. Die Naturschutzverbände sind in ihren Mitwirkungsmöglichkeiten massiv behindert. Der Landesjugendhilfeausschuss als wesentliches Fachgremium des Landes wird praktisch überhaupt nicht mehr

beteiligt, und wenn dort Beschlüsse gefasst werden, werden sie negiert. Die Ligaverbände werden auf Landesebene seit Jahren systematisch ausgebremst. Die wichtige Beratungsfunktion der Wohlfahrtsverbände als Partner der Sozialpolitik haben Sie noch nie begriffen. Demokratie lebt von sozialen Rechten, Demokratie lebt von Beteiligung und vom Ehrenamt und nicht von der Ausgrenzung.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Durch Ihre völlig verfehlte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik haben Sie auch in allen anderen Bereichen das einst wirtschaftsstarke Hessen komplett heruntergewirtschaftet. Die Arbeitsplätze, die Ausbildungsplätze und das Wirtschaftswachstum – alles wurde durch Sie heruntergewirtschaftet. – Herr Boddenberg, Sie schauen entsetzt; aber so ist es.

Ich denke, die Zerstörer haben deutlich gemacht, dass eine Sozialcharta ein hehres Ziel ist. Ich würde sie auch anstreben, allerdings erst nach dem Regierungswechsel im Jahr 2008. Die jetzige Landesregierung jedenfalls wird kein geeigneter Partner für eine Sozialcharta sein. Selbst wenn eine Unterschrift darunter stünde, würde das nichts helfen; ich glaube, darin stimmen wir überein. Meine Damen und Herren, diese Regierung muss 2008 abgewählt werden.Aber bis dahin appelliere ich wirklich nachdrücklich an Sie, Ihr Sozialstaatsverständnis und Ihr Demokratieverständnis dringend zu überprüfen. Denn was Sie in Hessen tun, ist mehr als gefährlich. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Fuhrmann. – Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Florian Rentsch gemeldet. Bitte sehr.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Fuhrmann, jeder Wahrsager würde im Hessischen Landtag arbeitslos werden.Was Sie sagen, ist jedes Mal sehr überraschend.

(Petra Fuhrmann (SPD): Man muss die Dinge manchmal in einen größeren Zusammenhang stellen!)

Wenn es für Recycling in Parlamentsreden einen grünen Punkt geben würde, würden Sie ihn bekommen. Aber heute war nur noch eine thermische Verwertung möglich.

(Beifall bei der FDP – Heiterkeit)

Es war klar,dass die Debatte relativ wenig bringen würde; das haben viele Reden heute gezeigt.

Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu den Wohlfahrtsverbänden machen. Frau Kollegin Fuhrmann, ich habe vorhin gesagt, dass sich die Wohlfahrtsverbände einerseits um ihre Klienten und Kunden kümmern – das ist völlig legitim –, auf der anderen Seite aber auch wie jede Institution und wie jeder Organismus in unserem Land Eigeninteressen haben.Wir als FDP wollen gleichberechtigter Partner der Wohlfahrtsverbände sein; wir lassen uns aber ganz sicher nicht zum Büttel der Wohlfahrtsverbände in der Politik machen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wenn Sie als SPD das vorhaben und da blauäugig sind, sind Sie, glaube ich, wirklich kein guter Partner für Debatten mit den Wohlfahrtsverbänden.

Frau Schulz-Asche, Sie haben die Debatte in RheinlandPfalz angesprochen. Man muss feststellen, dass in Rheinland-Pfalz eine ganz andere soziale Struktur vorherrscht. Es gibt ein anderes Sozialmanagement und eine andere Sozialpolitik. Ich habe vorhin gesagt: Wir in Hessen sind mit der Kommunalisierung und der Sozialberichterstattung ein ganzes Stück weiter. Deshalb ist die Sozialpolitik in Hessen und in Rheinland-Pfalz nicht vergleichbar. Rheinland-Pfalz hat eine andere Struktur. Das sehen Sie im Übrigen auch bei Wahlergebnissen. In RheinlandPfalz sind die GRÜNEN z. B. nicht mehr im Landtag vertreten. Dort ist die Situation einfach ganz anders. Man kann das politische System und das Sozialsystem nicht vergleichen.

Deshalb habe ich gesagt: Frau Schulz-Asche, Ihr Antrag hier wird Ihnen genauso wie die Rede von Frau Fuhrmann sehr wenig weiterhelfen. In Hessen brauchen wir eine kritische Auseinandersetzung mit dem, was die Landesregierung in der Frage des Kommunalisierungsprozesses macht. Daran sollten wir uns abarbeiten. Wir sollten Verbesserungsvorschläge machen. Dazu haben wir Liberale im letzten Jahr einen großen Antrag gestellt. Leider habe ich von Ihnen zu diesem Projekt gar nichts gehört. Das zeigt nun einmal, dass Sie sich mit Dingen beschäftigen, die in Hessen absolut keine Rolle spielen. Eine Sozialcharta wird es in Hessen wahrscheinlich auch in zehn Jahren noch nicht geben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Kollege Rentsch. – Das Wort hat die Sozialministerin, Frau Staatsministerin Lautenschläger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss sich erst einmal überlegen: Was wollten die GRÜNEN mit ihrem Antrag erreichen?

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das steht im Antrag!)

Immerhin ist dieses Thema jetzt etwas mehr als eineinhalb Jahre alt; denn die Sozialcharta wurde uns im September 2004 von den Wohlfahrtsverbänden übergeben. Spannenderweise enthält der erste Satz einen deutlichen Hinweis an die damalige rot-grüne Bundesregierung, die dort unter dem Stichwort „Hartz IV“ angesprochen wurde. Sie brauchen also nicht so zu tun,als wäre immer nur die Hessische Landesregierung betroffen, sondern es gab einen allgemeinen Aufruf unterschiedlicher Sozialverbände.

Spannend ist, ob das, wie Kollege Rentsch sagte, ein Recycling ist oder ob wir immer wieder die gleichen Punkte besprechen. Es ist wichtig, sich über große Linien zu unterhalten, wie Sozialpolitik aussehen kann und was die Schwerpunkte der Sozialpolitik sein müssen und in Hessen auch sind.

Selbstverständlich ist der Arbeitsmarkt ein Thema. Da geht es um die Frage: Wie können die auf Bundesebene beschlossenen Reformen so umgesetzt werden, dass sie den Langzeitarbeitslosen tatsächlich helfen?

(Petra Fuhrmann (SPD): Sie können nicht einmal eine Frage aus diesem Bereich beantworten! Sie wissen nichts!)

Frau Fuhrmann, hören Sie doch einfach zu. Regen Sie sich doch nicht so auf.

(Petra Fuhrmann (SPD): Ich stelle das nur fest! Ich rege mich nicht auf!)

Ich möchte jetzt auf den Ausbildungspakt zu sprechen kommen.Wir können dort deutlich Erfolge erkennen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD):Wie bitte?)

Zusammen mit den Verbänden haben wir eine ganze Menge bewegt.Wir alle wissen aber auch,dass gerade hinsichtlich der Ausbildung noch eine Menge getan werden muss. Die Hessische Landesregierung hat aber in den vergangenen Jahren ihren Teil ganz klar erfüllt.

Ich möchte aber auch über Themen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Integration von Langzeitarbeitslosen sprechen. Wir haben hinsichtlich der Förderung von Frauen bei der Rückkehr ins Erwerbsleben ganz klar einen Schwerpunkt gesetzt. Wir werden das auch in Zukunft tun.

Man wird im Ausschuss sicherlich gemeinsam darüber reden oder streiten können, ob man dafür eine neue Charta beschließen muss. Zumindest ich kann nicht erkennen, was sich in Rheinland-Pfalz durch die Charta geändert hat. Selbstverständlich führen wir auch regelmäßig den Dialog mit den Verbänden. Die Verbände arbeiten z. B. sehr intensiv bei dem Projekt der Kommunalisierung verschiedener Sozialbudgets in Hessen mit. Sie sollten sich das einmal genau anschauen. Nicht nur wir, sondern gerade auch die Vertreter der Verbände der Liga und die Kommunalen Spitzenverbände wissen ganz genau, dass damit ein neuer Weg beschritten wird. Man kann schon fast sagen, dass da tatsächlich von räumlichen sozialen Budgets ausgegangen wird. Dabei fängt man an, zu schauen, was vor Ort möglich ist. Es werden also nicht abstrakt auf Landesebene Förderprogramme festgeschrieben. Denn dabei schaut man sich die räumliche soziale Struktur vor Ort nicht an.

Herr Kollege Rentsch, Sie haben es angesprochen. Auf der Grundlage dieser Kommunalisierung ist eine soziale Berichterstattung zu entwickeln. Das ist eine der völlig neuen Aufgaben. Denn wir denken jetzt sozial räumlich. Damit müssen wir uns aber mit der Frage beschäftigen: Wie können wir da tatsächlich zu einer vernünftigen Berichterstattung kommen, die zielführend wirkt und die Probleme vor Ort aufzeigt?

Es gibt eine Arbeitsgruppe, die sich genau dieses Themas angenommen hat. Im Gegensatz zu dem, was die Rednerinnen und Redner von Grün und Rot hier vorgetragen haben, wird in dieser Arbeitsgruppe mit den Spitzenvertretern sowohl der Liga als auch der kommunalen Seite in völligem Einvernehmen ein Konzept entwickelt, das zum Inhalt hat, wie so etwas erstmals überhaupt umgesetzt werden kann. Es ist der Bedarf festzustellen, und die unterschiedlichen Angebote sind aufzunehmen. Es muss aber auch eine Perspektive festgelegt werden. Es kam zu Fachkonferenzen. Dabei ging es um Interventionsfelder und vieles mehr.