Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

(Große Heiterkeit)

Wenn ich mir die Debatte anschaue, dann stelle ich fest – –

(Petra Fuhrmann (SPD): Ich ziehe meine orangefarbige Lieblingsbluse nicht mehr an,weil ihr das zu eurer Farbe gemacht habt! – Große Heiterkeit)

Frau Kollegin Fuhrmann, Ihr orangefarbiges Tuch ist ausgesprochen schick. Trotzdem würde ich es vorziehen, wenn Sie es erst nach dem Ausscheiden der Holländer tragen würden.

(Große Heiterkeit und Beifall)

Meine Damen und Herren,ich finde es einen großen Fortschritt, dass wir über die so genannten Minijobs so entspannt miteinander diskutieren können. 1998/1999 gab es eine neue Bundesregierung mit einem Finanzminister namens Lafontaine, die sich die weitgehende Abschaffung der Minijobs zum Programm gemacht hatte und dann auch umgesetzt hat.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es hat lange gedauert, bis Sie 2003 die Minijobs wieder eingeführt haben. Zwischenzeitlich haben Sie Lafontaine verloren. Dann haben Sie sich auf das alte AdenauerMotto besonnen: Haben Sie etwas dagegen, dass ich über Nacht klüger geworden bin? 2003 haben Sie die Minijobs in der heutigen Form eingeführt.

Der positive Bericht der Sozialministerin aus dem Herbst 2003 ist in der Tat berechtigt. Es ist Bewegung hineingekommen. Es gab Zuverdienstmöglichkeiten für Menschen, die darauf angewiesen sind

(Zurufe von der CDU)

oder das gern machen würden und noch fit genug sind,um einen solchen Job anzunehmen. Warum sollen wir sie daran hindern?

Minijobs können auch eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sein. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass z. B. der Sachverständigenrat der Bundesregierung und das RWI davor warnen – da würde ich die Analyse von Frau Fuhrmann nicht ganz von der Hand weisen –, dass es in einzelnen Bereichen auch zu Verdrängungseffekten kommen kann, d. h. dass reguläre sozialversicherungspflichtige Jobs zugunsten von Minijobs verloren gehen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Richtig! So ist es!)

Das kann aber nicht in unser aller Interesse sein; denn damit wird die Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme in einer Zeit, in der wir ohnehin vor schwierigsten Entscheidungen stehen, noch komplizierter. Daher müssten wir alle ein Interesse daran haben, solche Effekte zu vermeiden.

(Wortmeldung des Abg. Michael Denzin (FDP))

Nicht bei fünf Minuten Redezeit, Herr Kollege Denzin. Wir reden nachher in der Kaffeepause darüber.

Genau das hat die Bundesregierung jetzt versucht, indem sie auf die Abgaben für die Minijobs im gewerblichen Bereich, die die Unternehmen zu leisten haben, einen Aufschlag von 5 % draufhaut. Im Einzelfall soll also ganz genau überlegt und geprüft werden, ob es nicht auf lange Sicht vernünftiger wäre,einen sozialversicherungspflichtigen Job zu schaffen. Das muss in unserem Interesse sein.

(Petra Fuhrmann (SPD): Richtig!)

Deswegen unterstützt die Landesregierung diese Änderungen im Haushaltsbegleitgesetz des Bundes.

(Petra Fuhrmann (SPD): Ich war noch nie so einig mit Ihnen!)

Wie es der Sachverständigenrat der Bundesregierung empfiehlt,werden wir das aber sehr genau evaluieren.Wir werden uns die Auswirkungen dieser Änderung sehr genau betrachten. Wir alle wollen nämlich keine erneute Zunahme der Schwarzarbeit und der Schattenwirtschaft. Sollte dieser Effekt eintreten, müsste wiederum nachgesteuert werden. Ich glaube, dagegen gibt es bei der Bundesregierung überhaupt keine Vorbehalte.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Insofern können wir sagen, dass wir das unterstützt haben, weil wir es in der jetzigen Situation und in dieser speziellen Ausformulierung für eine sinnvolle Maßnahme halten.

(Beifall bei der CDU)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Abstimmung.Wer dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend keine Erhöhung der Pauschalabgabe auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, Drucks. 16/5412, zustimmen möchte,

den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktionen der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

Antrag der Abg. Habermann, Hartmann, Quanz, Dr. Reuter, Riege, Ypsilanti (SPD) und Fraktion betreffend Sicherung der Qualität beruflicher Bildung in Hessen – Drucks. 16/5457 –

Die vorgesehene Redezeit beträgt fünf Minuten. Das Wort hat Herr Kollege Riege für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind am Ende einer Plenarwoche, und ich will Sie nicht langweilen. Eigentlich ist es nicht möglich, in fünf Minuten über die Qualität der beruflichen Bildung zu reden. Dabei wissen wir alle, dass die berufliche Bildung ein Standortfaktor ist, den man nicht unterschätzen darf. Ich bezweifle nicht, dass alle in diesem Haus daran interessiert sind, die Qualität der beruflichen Bildung zu verbessern.

Weit mehr als die Hälfte aller Jugendlichen in Hessen ist darauf angewiesen, dass wir im Hessischen Landtag nicht nur auf die Gymnasien und die Hochschulen achten, sondern ab und zu auch einen Blick auf jene Schulen werfen, die „berufliche Schulen“ heißen und berufliche Bildung vermitteln.

(Beifall bei der SPD)

Es geht schon lange nicht mehr nur um die Teilzeitberufsschule, in der zurzeit 125.000 Jugendliche beschult werden. Inzwischen sitzt dort auch eine ganze Menge an Abiturienten, sodass wir uns vielleicht wegen der Abiturienten einmal mit den beruflichen Schulen beschäftigen sollten.

(Reinhard Kahl (SPD): Das steigert natürlich das Interesse daran!)

Es gibt eine wachsende Zahl von Vollzeitschulformen: z. B. die Berufsfachschule, die zu einem mittleren Bildungsabschluss führt; die Fachoberschule, die ein Fachabitur vermittelt; die beruflichen Gymnasien, die zur Hochschulreife führen; die Berufsvorbereitung und die Berufsgrundbildung. In den Vollzeitschulformen der beruflichen Schulen befinden sich zurzeit 90.000 Jugendliche, also fast so viele wie in der Teilzeitberufsschule. Nur sind die Vollzeitschüler eben jeden Tag in der Schule.

Gerade für diese Vollzeitschulformen arbeitet das Hessische Kultusministerium zurzeit an neuen Verordnungen zur Unterrichtsgestaltung, die ich gern näher beleuchten will. Aber es ist notwendig, dass das im Wesentlichen im Ausschuss erfolgt, weil wir erhebliche Zweifel daran haben, dass alle diese Verordnungen das Ziel haben, die Qualität zu verbessern.

Zum einen gibt es eine Verordnung, die die Verschärfung der Aufnahmebedingungen für die Berufsfachschule und das Berufsgrundbildungsjahr zum Inhalt hat. Der dort zu erreichende mittlere Bildungsabschluss wird so definiert, dass er eine mindere Qualität erhält. Er ist nicht mehr mit dem mittleren Bildungsabschluss vergleichbar, den man an einem Gymnasium erwerben kann. Die pädagogischen

Freiräume der Lehrerinnen und Lehrer werden durch bürokratische Vorschriften ohne Ende eingeschränkt.

(Beifall bei der SPD)

Zum anderen gibt es eine Verordnung, die die Vor- und Nachbereitung von Praktika in der Berufsvorbereitung des Berufsgrundbildungsjahres abschafft. Ressourcen, die in einer Verordnung zur Lehrerzuweisung enthalten sein müssten, fehlen; daran ist gekürzt worden. Es gibt inzwischen keine ausreichende Zahl von Lehrerstunden mehr, um die Gruppen im fachpraktischen Teil dieser Ausbildungen ordnungsgemäß und wie vom Kultusministerium selbst vorgeschrieben zu betreuen.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Für die in der Verordnung vorgesehene sozialpädagogische Betreuung, die anstelle der Vor- und Nachbereitung durch Lehrer Platz greifen soll, ist bisher jedenfalls keine Ressource vorhanden. Bei den Fachoberschulen gibt es Zugangsbeschränkungen und eine Kürzung der Stundentafel um 12 %. Es gibt inhaltliche Vorgaben, die für einen landeseinheitlichen Qualitätsstandard völlig ungeeignet sind.

(Beifall bei der SPD)

Schließlich sind die Lehrerzuweisungen unzureichend, was in vielen Teilen der praktischen Ausbildung zu einer minderen Qualität führen wird.

(Beifall bei der SPD – Petra Fuhrmann (SPD): Im Prinzip ein Stiefkind der Bildungspolitik!)

Bisher ist nicht erkennbar, dass auch nur einer der im Beteiligungsverfahren vorgebrachten Kritikpunkte ernsthaft geprüft worden wäre.Die Beteiligungsverfahren werden sozusagen als Formalität abgehakt, und anschließend wird alles wie vorgesehen in Kraft gesetzt.

Diese Verordnungen haben natürlich ein Ziel. Der Lehreraufwand in der Vollzeitschulform soll verringert werden, damit die wichtigen Ziele Unterrichtsgarantie plus und G-8-Zweig zusätzliche Ressourcen erhalten können.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hört, hört!)

Das erfolgt ohne Rücksicht auf die Qualität,die ja nicht so im Schaufenster steht wie der G-8-Zweig und die Unterrichtsgarantie plus. Das wird wohl niemand bestreiten. Darüber haben wir auch heute wieder geredet.

Mit dem einstimmigen Beschluss, den Modellversuch „Selbstverantwortung plus“ an den beruflichen Schulen einzuführen, haben Sie gezeigt, dass Sie diesen Schulen bei der Bewältigung der vor ihnen liegenden Aufgaben einiges zutrauen. Die beruflichen Schulen haben sich vor zwei Jahren mit großem Engagement auf den Weg gemacht. Leider ist dem Hessischen Kultusministerium erst jetzt aufgefallen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen dazu notwendig sind. Welche es nun sein werden, ist immer noch nicht klar.