Herr Minister Bouffier, glauben Sie nicht auch, dass die Menschen, die tagtäglich mit der Flüchtlingsproblematik zu tun haben, besondere Härten nicht mindestens ebenso gut beurteilen können wie wir Politikerinnen und Politiker?
Wir haben in Hessen ein politisches Gremium statt einer humanitären Kommission. Die Hessische Landesregierung scheint aber lernfähig zu sein. Nach meinen Informationen gibt es derzeit Gespräche darüber, ein sogenanntes „von Fachleuten besetztes Beratergremium“ vorzuschalten. Das ist eine Variante, die auch in Niedersachsen getestet worden ist, aber nicht funktioniert hat. Vertreter von Kirchen und Flüchtlingsverbänden haben das große Problem, die Härtefallkommission zwar beraten zu dürfen, doch an der tatsächlichen Entscheidung nicht als gleichberechtigte Partner beteiligt zu sein. Sie übernehmen die Verantwortung, ohne in der Härtefallkommission auf Augenhöhe mitarbeiten zu können. Es ist interessant zu beobachten, dass man in Hessen an einer Lösung arbeitet, die sich in Niedersachsen als untauglich erwiesen hat und demzufolge abgeschafft wurde.
In der Antwort auf die Fragen 4 und 5 teilt uns die Landesregierung mit, dass im Jahre 2005 31 Anträge auf Feststellung eines Härtefalls in die Kommission eingebracht worden seien und nur ein Fall positiv beschieden worden sei. Das hat auch Gründe.
Wir haben uns in unserer Großen Anfrage auch mit der Verordnung über die Härtefallkommission in Hessen befasst. Das Bundesgesetz sagt ausdrücklich, dass der Lebensunterhalt i n d e r R e g e l gesichert sein muss, wenn ein Aufenthalt nach § 23a erteilt werden soll. In § 6 der Verordnung zur Härtefallkommission in Hessen steht jedoch, dass eine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen ist, wenn der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. – Es gibt keine kleine Nische. Selbst die Worte „in der Regel“ fehlen, die uns einen kleinen Handlungsspielraum ermöglichen. Das ist eine Verschärfung der Bundesgesetzgebung und widerspricht nach unserem Dafürhalten dem Grundsatz, dass Verordnungen grundsätzlich der Durchführung und Konkretisierung von gesetzlichen Bestimmungen dienen sollen.
Der Antwort auf unsere Große Anfrage war auch zu entnehmen, dass in 900 Fällen eine Zustimmung zur Arbeitsaufnahme erteilt worden ist. 900 von 15.000 geduldeten Menschen haben eine Arbeitserlaubnis bekommen. Auf der einen Seite verlangen wir in Hessen von den Menschen, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten. Auf der anderen Seite geben wir ihnen nicht die Möglichkeit, genau das zu tun.
Jede und jeder der Kolleginnen und Kollegen, die im Petitionsausschuss bzw. in der Härtefallkommission arbeiten, kennen das Problem. Die Menschen können sehr oft ganz konkrete Arbeitsplatzangebote vorlegen, bekommen aber keine Arbeitserlaubnis, oder sie wurde ihnen unterdessen entzogen. In einem Fall geschah dies sogar mitten im Härtefallverfahren. Sie können dieses Arbeitsplatzangebot nicht annehmen. Sie sind quasi gezwungen, von öffentlichen Mitteln zu leben.
Deswegen fordern wir Herrn Minister Bouffier auf, genau das in Hessen umzusetzen, was er in Berlin im Rahmen der Bleiberechtsregelung fordert: den Menschen einen sogenannten Aufenthalt zur Probe über sechs Monate zu geben. Die Menschen haben dann die Möglichkeit, in dieser Zeit zu beweisen,dass sie unabhängig von öffentlichen Leistungen leben können.Wenn das gelingt,werden sie einen endgültigen Aufenthaltstitel bekommen.
Herr Minister, eine solche Lösung hier in Hessen würde uns in der Härtefallkommission die Arbeit ganz bestimmt erleichtern und zu wesentlich besseren Ergebnissen im Sinne der Menschen führen.
Eine Überraschung bergen auch die im Aufenthaltsgesetz erstmals verankerten Integrationskurse. Das wollte ich eigentlich dem Herrn Ministerpräsidenten mit auf den Weg geben; denn erstmals hat eine Bundesregierung – es war eine rot-grüne Bundesregierung – die Integration als eine staatliche Aufgabe in ein Gesetz geschrieben. Das macht das Bild, das der Herr Ministerpräsident vorhin zu stellen versucht hat, wieder zu einem ganz anderen.
Es ist ein klarer Hinweis darauf,dass in der Vergangenheit viel versäumt worden ist. Nach Auskunft der Landesregierung sind Ausländerbehörden übrigens nicht verpflich
tet,Neuzuwanderer über die bestehenden Integrationsberatungsangebote zu informieren. Man muss man sich wirklich fragen, ob das Sinn macht.Wäre es nicht sinnvoll, wenn die Ausländerbehörden die Neubürgerinnen und Neubürger im Rahmen ihrer Gespräche darauf hinweisen, dass es Beratungseinrichtungen gibt, die ihnen an der einen oder anderen Stelle weiterhelfen können?
Diese Beratungseinrichtungen werden übrigens ausschließlich vom Bund und von freien Trägern finanziert. Die Hessische Landesregierung hat im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ alle Landesmittel für Beratungseinrichtungen gestrichen. In der Antwort auf eine entsprechende Frage von uns ist auch ganz klar zu lesen: „Das Land Hessen beteiligt sich nicht an der Finanzierung.“
An einer anderen Stelle können wir lesen, dass die Landesregierung 1,5 Millionen c für die Förderung von Integrationsmaßnahmen bereitstellt. Allerdings werden hiermit Integrationsmaßnahmen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und der Deutschen Jugend aus Russland gefördert. Das sei ihnen gegönnt.Aber ich frage mich doch: Was ist mit der Förderung der Integrationsmaßnahmen für all die anderen Menschen, die zu uns kommen? Wo engagiert sich die Landesregierung hier? Man muss sich wirklich fragen: Gibt es in Hessen Zuwanderer erster und zweiter Klasse?
Ich habe es in diesem Haus schon sehr oft gesagt:Wer die Integration unserer nicht deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger und eine wirkliche Partizipation der Migranten an den wirtschaftlichen Prozessen will, der muss sich darüber im Klaren sein, dass all das nicht umsonst zu haben ist. Mit dem Aufhängen von Flaggen und von Bildern unseres Bundespräsidenten ist es nicht getan.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD zum Thema Umsetzung des Aufenthaltsgesetzes ist beantwortet. Dazu wird Stellung zu nehmen sein, zumal die eine oder andere Frage als rhetorische Frage, wenn nicht sogar als Statement daherkam.
Immerhin finden zwei von fünf Absätzen unsere Zustimmung. Jawohl, wir unterstützen – das haben wir schon mehrfach gesagt – die Anstrengungen unseres hessischen Innenministers, in der Konferenz der Innenminister am 16. und 17. November eine Bleiberechtsregelung für die seit Langem geduldeten Flüchtlinge herbeizuführen. Es ist nicht neu,dass wir dies unterstützen;denn es ist immerhin auf Vorschlag Hessens geschehen, dass dieses Thema
Die Beratungen mussten dann allerdings zurückgestellt werden – um es diplomatisch auszudrücken –, weil das Ergebnis einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Evaluierung des Aufenthaltsgesetzes abgewartet werden sollte. Die Ergebnisse liegen mittlerweile vor, und wir wünschen daher dem Innenminister Mitte November viel Erfolg bei seiner mit Sicherheit schwierigen Aufgabe.
Auch die Position des Bundesinnenministers, der sich ebenfalls für die Lösung der Aufgabe eines Bleiberechts für lange Geduldete einsetzt, findet unsere Sympathie.
Abs.3 bis 5 des Antrags der GRÜNEN können wir jedoch nicht zustimmen. Deshalb werden wir, wahrscheinlich im Innenausschuss, eine getrennte Abstimmung zu den Abs. 1 und 2 und zu den Abs. 3 bis 5 beantragen.
Wir können keinem Abschiebestopp zustimmen,da leider noch unklar ist, wann und mit welchen Inhalten eine Bleiberechtsregelung beschlossen werden wird.
Frau Kollegin Waschke, es wäre auch für die Petenten kontraproduktiv, wenn wir aufgrund eines generellen Abschiebestopps unberechtigte Erwartungen wecken würden und nachher diese Erwartungen enttäuschen müssten, wie das schon oft genug der Fall gewesen ist. Der eine oder andere Rechtsanwalt, der meines Erachtens sein Berufsethos falsch interpretiert, hat oft genug solche Erwartungen geweckt.Wenn Leute aber nach vier oder fünf Jahren rückgeführt werden müssen,dann haben sie es mit der oft zitierten Reintegration viel schwieriger, als wenn man die Gesetze vernünftig ausgelegt und zu einem früheren Zeitpunkt rückgeführt hätte.
Ungeachtet dessen wird berechtigten humanitären Interessen schon heute,auch wenn es rechtlich nicht mehr geht, Rechnung getragen. Dies zeigt zumindest aus meiner Sicht die intensive, vorurteilsfreie und auch vertrauensvolle Zusammenarbeit im Petitionsausschuss und in der Härtefallkommission.
Abs. 4 des Antrags der GRÜNEN müssen wir ebenfalls ablehnen, da wir doch wissen, dass die Ausländerbehörden nur einen begrenzten Ermessensspielraum haben. Wenn die Gerichte entschieden haben und das Bundesamt entschieden hat, dann haben die Ausländerbehörden einen Handlungsspielraum, der gegen null geht.
Ich bitte auch zu bedenken, dass es sich bei den langjährig Geduldeten lediglich um einen zeitlich befristeten Aufschub handelt, und zwar bei Menschen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind. Deshalb ist es unseres Erachtens auch nicht nachvollziehbar, wenn in Abs. 5 von der „unmenschlichen Praxis der Kettenduldungen“ gesprochen wird, die in Hessen beendet werden solle. Hier wird bewusst übersehen, dass § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz die Zielgruppe in vernünftiger Weise einengt.
Wenn eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, dann geschieht das, wenn eine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist und mit einem
Wegfall dieser Hindernisse nicht zu rechnen ist. Das gilt auch, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt war und – das wird in der Debatte häufig übersehen – ein Verschulden des Ausländers nicht vorliegt. Ein Verschulden wiederum liegt vor, wenn er falsche Angaben macht, wenn er über seine Identität, Volkszugehörigkeit oder Staatsangehörigkeit täuscht oder wenn er nicht entsprechend mitwirkt.
Entscheidend ist – das ist für uns von großer Bedeutung –, dass von § 25 diejenigen profitieren sollen, die nicht ausreisen konnten oder können, nicht aber diejenigen, die nicht ausreisen wollen oder wollten. Dies sah und sieht der frühere Bundesinnenminister, der heute schon zitiert worden ist, genauso.
Deshalb ist aus unserer Sicht die Intention der Frage 6 falsch, da darin fälschlicherweise gefordert wird, das Aufenthaltsrecht generell zu erteilen, wenn die 18 Monate überschritten sind. Wenn man bedenkt, dass eine freiwillige Ausreise in der Regel möglich ist,
ist es nicht in Ordnung, wenn man von unmenschlichen Kettenduldungen spricht. Als das Aufenthaltsgesetz in Kraft trat, gab es 17.429 Duldungsinhaber, die damals länger als 18 Monate in der Bundesrepublik Deutschland waren. 183 wurde eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis erteilt. Dies zeigt, dass es hier nicht darum geht, unmenschliche Kettenduldungen weiterzuführen, sondern dass nur ein vergleichbar kleiner Bereich, etwa 1 %, überhaupt davon profitieren kann.
Häufig wird, auch in der Anfrage, darauf abgestellt, dass Ausländer, die lange in Deutschland leben, per se nicht rückgeführt werden können. Hier sehen wir ähnlich wie der VGH, dass nicht nur die Frage der Integration, sondern auch die Frage der Reintegration zu beachten ist.
Ungeachtet dessen sind schon heute Einzelfälle in vernünftiger Weise zu regeln, auch und insbesondere in Hessen. Wir haben seit April 2005 die Härtefallkommission. Seit dieser Zeit haben wir 113 Fälle auf der Tagesordnung gehabt und haben sie teilweise heute noch. 16 davon sind negativ beschieden worden, 36 positiv, und 13 wurden zurückgezogen.Das zeigt doch,das nicht eingetreten ist,was mancher befürchtet hat, dass wir zurückführen, ohne vernünftig darüber zu reden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Meinung, dass sich die Härtefallkommission in Hessen bewährt hat. Deshalb sind Änderungen, wie sie in dieser Anfrage suggeriert werden, nicht nötig. Falsch ist meines Erachtens auch die Suggestion in der Großen Anfrage, dass es eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung gäbe, wenn politikunabhängige Personen dieser Härtefallkommission angehörten. Darum geht es doch nicht. Es geht nicht darum, hier einen Schönheitspreis oder Akzeptanz zu gewinnen, sondern es geht darum, dass man individuelle und wohlüberlegte Einzelfallentscheidungen trifft, die man vor sich und seinem Gewissen verantworten kann.