Protokoll der Sitzung vom 03.05.2007

denn Sie haben ganz hauptverantwortlich auf Berliner Ebene mit dafür gesorgt, dass es in Hessen zu einer erheblichen Verschlechterung der Gesundheitsversorgung gekommen ist. Das wollen wir an dieser Stelle nicht vergessen.

(Beifall bei der FDP – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und das alles kurz vor der Mittagspause!)

Das sehen übrigens auch viele in der Region so. Da müssen Sie jetzt nicht klatschen, aber wir haben den Beifall dazugerechnet. Herr Kollege Dr. Spies, insofern ist es schon abenteuerlich, dass Sie diejenigen sind, die nach der Feuerwehr rufen, obwohl Sie das Feuer selbst gelegt haben.

Wir haben in Hessen – da müssen Sie sich einmal mit Ärzten unterhalten – eine wirtschaftliche Situation, die sich aufgrund des Wettbewerbsstärkungsgesetzes erheblich verschärft hat. Man kann wirklich nicht davon reden, dass man mit einem Gesetz zum öffentlichen Gesundheitswesen alles wieder gutmachen könnte. Da sind beide Bereiche zu nennen.

(Beifall bei der FDP)

Zwei Vorbemerkungen. Zum einen muss ich Frau Kollegin Fuhrmann recht geben. Sie hat vorhin gesagt: Wir arbeiten sozusagen im Akkord und müssen jetzt ein Gesetz nach dem anderen besprechen. – Frau Ministerin, da hat sie – weiß Gott – recht. Es ist nicht gerade angenehm, wenn einem vier Gesetzentwürfe der Landesregierung an einem Plenumstag präsentiert werden. Es geht jedes Mal um ein wichtiges Thema, und man sollte diese Themen in der ihnen gebührenden Ruhe beraten können. So jedenfalls sieht es der Parlamentarismus vor. Wenn man dazu getrieben wird, alles an einem Tag durchzuheizen – nach dem Motto: „Wir müssen das noch schnell vor der Sommerpause verabschieden“ –, ist das nicht ein optimaler parlamentarischer Stil.Wir hätten uns gewünscht, Sie wären an der einen oder anderen Stelle etwas schneller oder langsamer gewesen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein zweites Thema. Da teile ich die Kritik der Vorrednerinnen und Vorredner. Man muss sagen: Dieses Gesetz ist eine Zusammenstellung der Vorschriften, die für den öffentlichen Gesundheitsdienst notwendig sind. Da haben

Sie recht.Aber es lässt in jedem Fall Visionen für ein Gesundheitswesen vermissen, in dem Prävention, Aufklärung und Bildung die Grundlagen für eine gute Gesundheitspolitik sind.

Es erinnert mich ein wenig an das Hessische Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch. Das ging in eine ähnliche Richtung. Da haben Sie als Landesgesetzgeber mit der Sie tragenden Fraktion ein Gesetz beschlossen, das vom Grundsatz her nicht falsch ist. Es sind viele wichtige Dinge darin enthalten. Sie haben verschiedene Gesetze zusammengefasst.Das kann man machen.Aber auch dort fehlt eine Vision, wie man die Kinder- und Jugendhilfe richtig organisieren kann. Deshalb teile ich die Meinung meiner Vorredner. Frau Ministerin, mir fehlt bei diesem Gesetz eine Idee, wie Sie den öffentlichen Gesundheitsdienst organisieren wollen und was er für Aufgaben hat.

Ich teile nicht die Auffassung, die Herr Kollege Spies zum Schluss zum Ausdruck gebracht hat. Er hat zum Schluss gesagt: Wir müssen diesen Bereich weiter stärken und brauchen Leute, die in Kindertagesstätten und in Grundschulen Gesundheitsuntersuchungen durchführen. – Herr Kollege Dr. Spies, dafür haben wir niedergelassene Ärzte und ambulante Behandlungsmöglichkeiten.Es gibt in einzelnen Kreisen Hessens schon Kooperationen zwischen den niedergelassenen Ärzten und den Gesundheitsämtern. Hier geht es um eine Verzahnung zwischen den Ämtern, die für Gesundheitsplanung zuständig sind, und den Ärzten, die sie ambulant vor Ort durchführen. Ich stelle mir vor,dass ein Gesetz so etwas erreicht und nicht immer nur Geld darauf schüttet – nach dem Motto:„Das muss alles staatlich organisiert werden.“

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Fakt ist, dass wir im Gesundheitswesen vor Fragen stehen, die erheblich sind und die das Land Hessen und die Bundesrepublik Deutschland erheblich verändern werden.Wir haben gestern – das ging dem Kollegen Spies so; ich weiß nicht, ob es noch andere Kollegen gemacht haben – Interviews zur sogenannten Fettsteuer geben müssen, einer Idee, die sich die Kollegen in Berlin haben einfallen lassen. Wir haben noch nicht herausgefunden, welche Partei genau es war. Die FDP war es auf jeden Fall nicht, das kann ich Ihnen versichern.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Kommt sie von der SPD? Das weiß ich nicht, kann sein. Ich würde es ihnen zutrauen. – Auf jeden Fall geht es darum, dass ungesunde Lebensmittel höher besteuert werden sollen.Wir haben einmal versucht, das nachzuvollziehen. Wenn Sie ein Schwein schlachten, müssten Sie es in verschiedene Mehrwertsteuerzonen einteilen.

(Heiterkeit und Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Das wäre nicht ganz einfach, denn bei einem Schwein oder einem Rind gibt es gesunde und ungesunde Teile. Meine Damen und Herren,das zeigt doch,in was für einer Situation wir uns befinden. Wir führen hier hysterische Diskussionen zu einem ernsten Problem, die aber überhaupt keine Lösung darstellen.

Meine Damen und Herren, wir haben das Problem – das sehe ich auch so –, aufgrund verschiedener Umstände deutlich übergewichtige Kinder zu haben, die dieses Übergewicht in ihr weiteres Leben mitnehmen und letztendlich im Gesundheitssystem höhere Kosten verursachen werden. Deshalb bezweifle ich auch, dass das, was

die Enquetekommission „Demografischer Wandel“ vorgelegt hat, eintreten wird. Fakt ist: Es werden in den nächsten Jahren Erkrankungen auftreten, von denen wir jetzt noch nichts wissen. Die Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden zunehmen. Das ist sozusagen „Stand der Technik“,um Frau Schulz-Asche zu zitieren.Das ist nichts Neues, das wissen wir.

Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass wir im öffentlichen Gesundheitswesen bis jetzt keine Antworten auf die Frage gefunden haben, wie wir mit diesem Problem umgehen.

Frau Ministerin, ich glaube, dass es dringend notwendig wäre – da teile ich Frau Schulz-Asches Auffassung –, in den Bereich der Gesundheitsbildung zu investieren, und zwar ganz dringend.

(Beifall bei der FDP)

Ich würde mir wünschen,dass ein solches Gesetz zwischen den niedergelassenen Ärzten auf der einen Seite, die vor Ort in vielen Bereichen schon Gesundheitsaufklärung betreiben, und den Schulen auf der anderen Seite eine Verzahnung vornimmt. Frau Ministerin Wolff, Sie sind da.Wir werden demnächst einen Antrag der FDP zum Thema „Gesundheitsbildung in der Schule“ diskutieren, weil hauptsächlich die Schulen gefordert sind, hier voranzuschreiten. Wo, wenn nicht in den Schulen, kann Gesundheitsbildung stattfinden? Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es ist dringend erforderlich, sie anzugehen, weil wir uns ansonsten in den nächsten Jahren mit ganz anderen Problemen herumschlagen werden als nur mit „ein paar dicken Kindern“. Das sind Kosten von mehreren 100 Millionen c, die auf das Gesundheitswesen zulaufen und die wir zu tragen haben. Bis jetzt ist überhaupt nicht klar, wie das finanziert werden soll.

Frau Ministerin, wir wünschen uns – und vielleicht kriegen wir das in der Anhörung noch hin –, dass das Gesetz auf dieses Problem eingeht, nämlich wie wir Gesundheitsbildung im öffentlichen Sektor mit den Schulen und den niedergelassenen Ärzten verzahnen können. Ich glaube, das fehlt völlig. Insofern können wir dem vorgelegten Gesetzentwurf hier keineswegs zustimmen.

Frau Kollegin Schulz-Asche und Herr Kollege Spies, beim Thema Gesundheitsberichterstattung teile ich Ihre Auffassung nicht ganz, denn ich glaube nicht, dass immer dann, wenn „Berichterstattung“ draufsteht, damit etwas Gutes für ein Land erreicht werden kann. Die Frage ist, welche Berichterstattung wir machen. Darüber müssen wir uns zunächst einmal verständigen.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Denn Sie wissen es und teilen das auch, wie ich weiß: Es ist nicht sinnvoll, Berichte zu schreiben, die dann im Ministerium abgelegt werden und dort in einem Aktenordner verstauben.Was wir brauchen, ist eine intelligente Berichterstattung, die letztendlich – und zwar bürokratiearm, das will ich hier klar betonen – in wenigen Daten viele Informationen nach Wiesbaden liefert. Das kann man heutzutage organisieren.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Das ist eine ganz neue Erkenntnis bei Ihnen!)

Herr Kollege Dr. Spies, da gibt es Modelle, wie man es mit relativ einfachen Parametern schaffen kann, über wesentliche Daten Rückschlüsse auf die Gesundheit der Bevölkerung zu ziehen.

(Dr.Thomas Spies (SPD):Ach!)

Der Kollege Dr. Spies nickt. Es ist schade, dass Sie in Ihrer Regierungszeit eine solche bürokratiearme Berichterstattung nicht umgesetzt haben. Aber auch die SPD ist hier lernfähig, wie ich von Ihnen weiß.

Darüber sollten wir diskutieren. Insofern geht es auch darum, dass dieses Gesetz hier eine Lücke hat. Ich glaube, wir brauchen uns nicht über die Frage zu streiten, welche Berichterstattung wir letztendlich bekommen sollten. Sie muss leicht sein, nicht so tiefgehend, aber sie muss einen Rückschluss auf die Gesundheitslage der Bevölkerung zulassen. Ich denke, hier werden wir einen Vorschlag unterbreiten. Insofern teile ich die grundsätzliche Kritik von Frau Schulz-Asche und Herrn Dr. Spies an dieser Stelle.

Im Vorfeld der Einbringung dieses Gesetzentwurfs haben Sie gesagt, es gebe eine Entbürokratisierung. Ich muss ehrlich sagen, ich bin etwas überrascht gewesen, als ich das gelesen habe. Nur weil man Vorschriften herausnimmt, die seit Jahren nicht mehr angewandt werden, kann man nicht von einer Entbürokratisierung sprechen.

(Beifall bei der FDP)

Abschließend will ich sagen,ich glaube,wir sind hier an einer grundsätzlichen Frage: Inwieweit können wir dem öffentlichen Gesundheitsdienst überhaupt Aufgaben übertragen, die er eigenständig erledigt? Brauchen wir nicht eine Verzahnung mit dem ambulanten Bereich,wie wir sie fordern?

Ich habe bereits eingangs gesagt, es gibt in einigen Kreisen unseres Bundeslandes Modellprojekte oder Projekte, in denen das geschehen ist.Die waren ein bisschen aus der Not geboren, weil die Besetzung der Gesundheitsämter auf kommunaler Ebene häufig personell sehr schwach ist und man sich Know-how von außen „hinzukaufen“ musste. Dieses Know-how hat häufig dazu geführt, dass man in eine deutlich bessere Lage geriet als zuvor.

Dies zeigt eben auch, dass nicht das Gesundheitsamt vor Ort alles organisieren muss, sondern dass man wirklich auf eine Verzahnung mit dem ambulanten Sektor zurückgreifen sollte.

(Beifall bei der FDP)

Die Kollegen bieten das auch an. Daher werden wir auch hier einen Vorschlag unterbreiten. Ich bin mir sicher, dass das bei der Anhörung zur Sprache kommen wird – nämlich genau die Frage, inwieweit der ambulante Sektor viel stärker in den öffentlichen Gesundheitsdienst eingebunden werden kann.Wie gesagt, gibt es hier Vorschläge von kommunaler Ebene, die zurzeit schon praktisch erprobt werden.

Frau Ministerin, insgesamt werden wir zu diesem Gesetzentwurf sicherlich eine interessante, kritische Anhörung bekommen. Denn schon im Vorfeld ist klar, dieser Gesetzentwurf erfüllt nicht das, was Sie eigentlich haben wollten – eine Neuordnung in diesem Bereich. Sie haben Gesetzesformulierungen zusammengefasst,aber letztendlich ist das kein großer Wurf,der eine wirkliche Vision darstellt. Daher bin ich der Auffassung, dass wir hoffentlich eine sehr konstruktive und kritische Beratung erhalten werden, die auch dazu führen wird, dass die Landesregierung diesen Gesetzentwurf noch einmal erheblich nachbessert. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke,Herr Rentsch.– Hiermit darf ich Frau Oppermann für die CDU-Fraktion das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Spies, ich weiß nicht, welchen Gesetzentwurf Sie gelesen haben, wenn Sie hier zu solchen Aussagen kommen – jedenfalls nicht den, so scheint es mir, der die Druckssachennummer 16/7236 trägt und über den wir heute reden.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Genau diese Nummer! Sie ist mir schauerlich in Erinnerung!)

Lesen Sie § 1 einmal intensiv. Dort werden die Ziele und Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes benannt. Ich will nicht alle zehn Punkte hier vorlesen, sondern nur vier davon vortragen. Danach

... hat der öffentliche Gesundheitsdienst insbesondere die Aufgabe,

gesundheitliche Gefahren von der Bevölkerung abzuwehren,

übertragbare Krankheiten bei Menschen zu verhüten und zu bekämpfen,

Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung zu veranlassen und zu koordinieren,

den Ursachen von Gesundheitsgefährdung und Gesundheitsschäden nachzugehen,...

So weit eine kleine Auswahl aus dem § 1 dieses Gesetzentwurfes.