Protokoll der Sitzung vom 05.07.2007

Hier dürfte es in diesem Haus völlig klar und nicht strittig sein, dass auch in der Justiz uneingeschränkt die politische, weltanschauliche und religiöse Neutralität des Staates gilt. Dies kommt nicht zuletzt durch die „kleinen Vorschriften“ bei Gericht zum Ausdruck, dass Richter und Staatsanwälte, aber auch z. B. die Anwälte entsprechende Roben zu tragen haben.

Deshalb ist für die SPD-Fraktion im konkreten Fall ganz klar, dass die Rechtsreferendarin bei der Durchführung der Beweisaufnahme, aber auch, wenn sie z. B. die Staatsanwaltschaft im Sitzungsdienst vertritt, ihr Kopftuch ablegen muss.

(Beifall bei der SPD)

Das ist aus unserer Sicht im vorliegenden Fall ganz klar. Deswegen ist dieser konkrete Fall aus unserer Sicht pragmatisch zu lösen und kein geeigneter Fall für parteipolitischen Klamauk der CDU im Rahmen einer Aktuellen Stunde. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Dr. Jürgens, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Schauen wir uns doch einmal an, was eigentlich passiert ist. Ein Anwaltverein beschwert sich beim Justizminister über eine Rechtsreferendarin, die während der mündlichen Verhandlung des Richters, dem sie zur Ausbildung zugewiesen ist, mit einem Kopftuch neben ihm auf der Richterbank sitzt. Das ist zunächst der Ausgangspunkt.

Nun kann man sich überlegen: Was hätte ein verantwortungsbewusster Justizminister in diesem Fall getan? – Er hätte den zuständigen Landgerichtspräsidenten angerufen oder angeschrieben, ihn gebeten, die Referendarin darauf hinzuweisen, dass sie mit dem Kopftuch nicht auf der Richterbank sitzen darf, und die Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass sie nicht die Beweisaufnahme durchführen und keine Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft mit Kopftuch machen darf. Damit wäre die Situation geregelt gewesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So hätte ein verantwortungsbewusster Justizminister reagiert. Aber wir haben Herrn Banzer als Justizminister. Was hat er gemacht?

(Horst Klee (CDU): Na, na, na!)

Mit missionarischem Eifer hat er erst einmal prüfen lassen, ob man die Referendarin ganz aus dem Beamtenverhältnis werfen kann. Nach Auskunft von seinem Hause und von anderen Ländern, die ihm da auf die Sprünge geholfen haben, war dies wegen des Ausbildungsmonopols des Staates für den juristischen Bereich nicht möglich – eine Erkenntnis, auf die im Übrigen ein Justizminister selbst hätte kommen können.

Dann geht er aber weiter.Wenn er sie schon nicht herauswerfen kann, überlegt er sich: Vielleicht kann ich sie wenigstens hinausekeln. – Er weist nämlich nicht nur – wie ich finde, völlig zu Recht – den Landgerichtspräsidenten und den Ausbilder darauf hin, dass die Kopftuch tragende Referendarin mit dem Kopftuch nicht am Richtertisch sitzen darf. Er kündigt gleichzeitig noch an, dass diese nicht erbrachten Leistungen mit „ungenügend“ bewertet werden. Er gibt das Ganze an die Presse, und heute wird dazu noch eine Aktuelle Stunde nachgelegt.

Herr Banzer, Sie haben die Referendarin zur Ausbildung übernommen. Sie haben auch Fürsorgepflichten als Dienstherr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie eine Referendarin öffentlich in dieser Weise an den Pranger stellen, dann werden Sie dieser Ihrer Verantwortung einfach nicht gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Es gibt einen Ausbildungsplan für Referendare. Er stellt Regeln über Leistungen auf, die in den einzelnen Stationen erbracht werden müssen und allerdings in den wenigsten Fällen eingehalten werden. Ob Referendare tatsächlich Beweisaufnahmen – zwei sind z. B. in der ersten Station vorgesehen – durchführen oder Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft wahrnehmen, richtet sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles, ob z. B. einem Ausbilder überhaupt geeignete Akten und Verfahren zur Verfügung stehen.

Es gibt Referendare, die in ihrem Leben keine Beweisaufnahme durchgeführt haben. Dann wird dieser Ausbildungsabschnitt nicht bewertet. Aber Sie sagen: In diesem Fall wird er mit „ungenügend“ bewertet. – Das ist eine gewollte Schikane gegenüber einer missliebigen Referendarin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich teile die Auffassung, solange sie ein Kopftuch trägt, kann sie nicht als Richterin oder Staatsanwältin auftreten. Dem steht die Neutralitätspflicht des Staates entgegen. Aber es gibt eine ganze Reihe von anderen juristischen Tätigkeiten. Sie kann Rechtsanwältin werden.Viele international tätige Wirtschaftsunternehmen suchen im Übrigen gut ausgebildete junge Menschen mit Migrationshintergrund, möglicherweise auch Spracherfahrung, wobei ich gar nicht weiß, ob die Referendarin überhaupt eine andere Sprache spricht.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Offenbacherisch!)

Es gibt jedenfalls gute Berufschancen,die Sie ihr eher verbauen wollten. Und das ist nicht in Ihrem Verantwortungsbereich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Beuth, Frau Hofmann hat schon darauf hingewiesen, die Motive für junge muslimische Frauen, ein Kopftuch zu tragen, sind mindestens so vielfältig, wie die Anzahl der Kopftuchträgerinnen groß ist. Es gibt praktisch keine zwei übereinstimmenden Überzeugungen. Sie behaupten, das muslimische Kopftuch – das haben Sie heute wieder gesagt – stehe für ein Frauenbild, wonach die Frau dem Mann untergeordnet ist, für Haus und Kinder zu sorgen hat und sogar dem Züchtigungsrecht des Mannes unterliegt.

(Michael Boddenberg (CDU): Das sagen relativ viele!)

Nun kenne ich diese junge Frau,diese Referendarin nicht. Ich weiß nicht, warum sie ein Kopftuch trägt. Ich weiß auch nichts über ihren familiären und kulturellen Hintergrund. Aber eines kann man jedenfalls sagen: Sie hat ein Hochschulstudium absolviert, sie strebt eine qualifizierte Ausbildung an und entspricht damit jedenfalls nicht dem Frauenbild, das nach Ihrer Auffassung durch das Kopftuch symbolisiert wird.

(Beifall der Abg. Heike Habermann (SPD) – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Sie zeigt Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein. Es ist nicht überliefert, dass sie z. B. immer nur in männlicher Begleitung in den Ausbildungsstationen aufgetreten ist – von Vater, Bruder oder Ehemann.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Was ist denn dann das Kopftuch? – Gegenruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Schmuck! – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Dieser jungen Frau, die durch die Wahl ihrer Ausbildung, in der sie das Recht dieses Landes auf Grundlage des Grundgesetzes lernt,Eigenständigkeit gezeigt hat,sagt ihr oberster Dienstherr, der Justizminister: Eigentlich wollen wir sie nicht.

Wenn sich diese Frau bisher gesellschaftlich nicht ausgegrenzt gefühlt hat, haben Sie ihr dieses Gefühl sicherlich vermittelt, Herr Justizminister.

Fundamentalismus führt in die Irre – nicht nur bei Muslimen, Herr Minister, sondern immer und überall.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Abg. Beer für die FDPFraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich seit Montag, seit die CDU-Fraktion diese Aktuelle Stunde beantragt hat, gefragt: Warum diskutieren wir heute in einer Aktuellen Stunde über dieses Thema? Ich habe die Berichterstattung offensichtlich etwas anders wahrgenommen als der Kollege Dr. Jürgens. Ich habe sie so empfunden, dass angemessen reagiert wurde – ähnlich wie in Fällen, über die wir hier bereits breit diskutiert haben, nämlich über das Kopftuchtragen als Rechtsreferendarin oder als Lehrerin im Schulunterricht.

Herr Dr. Jürgens, nach den Berichten wurde nicht erst aufgrund des Drucks des Justizministeriums oder des Justizministers angemessen reagiert. Das hat bereits der Amtsgerichtsdirektor getan, bei dem die Referendarin die Zivilstation absolviert.

Ich würde gerne wieder zu der sachlichen Debatte zurückkehren und das Wahlkampfgetöse beiseite lassen, wenn ich sage:Wir sind uns sicherlich alle darin einig, dass in einem Gerichtssaal, ob auf der Richterbank oder auf der Bank der Anklagevertretung, das Gebot staatlicher Neutralität zu befolgen ist,

(Beifall bei der FDP)

und zwar in politischer,weltanschaulicher und auch religiöser Hinsicht. Ich denke, wir 110 Abgeordneten sind uns darin einig, dass das Tragen eines Kopftuchs gerade deshalb, weil es von einem Dritten mit unterschiedlichen Wertungen verbunden werden kann – Stichwort:Empfängerhorizont –, dem Anspruch auf staatliche Neutralität weder in politischer noch in weltanschaulicher noch in religiöser Weise gerecht wird.

(Beifall bei der FDP)

Das bedeutet aber auch,dass eine Rechtsreferendarin,die sich weigert, bei Sitzungsvertretungen auf der Richterbank oder auf der Bank der Staatsanwaltschaft das Kopftuch abzulegen, nicht bereit ist, das Gebot der staatlichen Neutralität im Justizdienst zu beachten.

(Beifall bei der FDP)

Was ist passiert? Das ausbildende Gericht hat der Referendarin erklärt, dass sie an den Teilen der Ausbildung nicht teilnehmen kann,wo sie als Vertreterin der Justiz,als Vertreterin des Staates von Dritten, also von Rechtsuchenden, wahrgenommen wird, wenn sie darauf besteht, weiterhin das Kopftuch zu tragen. Das betrifft Einsätze auf der Richterbank, für die Staatsanwaltschaft und die Amtsanwaltschaft.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet aber auch,dass weder das Amtsgericht noch das Justizministerium und der Justizminister einen Grund gesehen haben, die Referendarin grundsätzlich von der Ausbildung im Justizdienst auszuschließen. Das ist richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Beifall bei der FDP)

denn es gibt im Referendardienst weite Bereiche, die nicht mit einem hoheitlichen Auftreten verbunden sind. Das ist eine ganz andere Situation als im Schuldienst, wo eine Lehrerin ständig den Staat „vertritt“ und zudem die Grundrechte Minderjähriger oder Kinder im Hinblick auf die Religionsfreiheit bzw. die negative Religionsfreiheit berührt werden.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist richtig, aber warum muss sie mit „ungenügend“ bewertet werden?)

Herr Kollege Dr. Jürgens, in diesem Fall sehe ich es auch deshalb anders, weil der Referendarin vorher angekündigt worden ist, welche Konsequenz ihre Haltung haben würde, das Kopftuch auch auf der Richterbank und auf der Bank der Staatsanwaltschaft nicht abzulegen. Die Konsequenz ist, dass sie an diesen Teilen der Ausbildung nicht teilnehmen kann. Aufgrund der rechtlichen Grundlagen der Ausbildung bedeutet das wiederum, dass sie bestimmte Praxisteile ihrer Ausbildung eben nicht erfolgreich ablegen kann.

So, wie ich die Berichterstattung verstehe, ist sie auf diese Problematik hingewiesen worden, und sie ist offensichtlich aufgrund eigener freier Entscheidung dazu übergegangen, an diesen praktischen Ausbildungsteilen, die die Ausbildungsvorschriften vorsehen, nicht teilzunehmen. Herr Kollege Dr. Jürgens, das bedeutet aufgrund der Regelungen im JAG, dass ihre Leistung als „nicht teilgenommen“ bewertet wird. Und „nicht teilgenommen“ bedeutet, dass sie die erforderliche Leistung in diesem Ausbildungsteil nicht erbracht hat, die dementsprechend eben mit nicht mehr als „ungenügend“ bewertet wird.