Ich will über Ihre Politik reden, denn wir haben die Gelegenheit schon genutzt,um unsere Ziele und Vorstellungen an die Eltern und Schulen zu vermitteln. Das Ergebnis dessen werden Sie im Januar auch zu sehen bekommen.
Im Bereich der frühkindlichen Bildung haben Sie die Chancen verpasst. Die SPD hat bereits vor der letzten Landtagswahl ihre Eckpunkte eines Bildungs- und Erziehungsplans und die entsprechenden Schritte zur Einführung vorgelegt. Sie wiederum haben eine ganze Legislaturperiode verstreichen lassen.
Trotz ständiger und wiederholter Beteuerung, man wolle die Grundlagen dieses Plans in den Einrichtungen flächendeckend einführen, warten wir bis heute auf die Konsequenzen, die Sie aus der abgeschlossenen Modellphase ziehen.
Eine Sitzung des Landesjugendhilfeausschusses, der sich mit der Ausweitung der Ergebnisse beschäftigen sollte, wurde ohne Begründung abgesagt.
Meine Damen und Herren, man kann feststellen, dass die Einführung des Bildungs- und Erziehungsplans gefährdet ist, und zwar durch Verschleppung, Verzögerung und dadurch, dass Sie nicht in der Lage sind, auch dafür die notwendigen Mittel im Landeshaushalt bereitzustellen.
Bei der Neustrukturierung des Schulanfangs ist ebenfalls Fehlanzeige zu vermelden. Seit der Novellierung des Schulgesetzes im Jahre 2004 gibt es in Hessen nach dem Gesetz die Möglichkeit einer flexiblen Schuleingangsstufe. Da die erforderlichen Stellen für Sozialpädagogen bis heute noch nicht eingeplant worden sind, ist auch noch nichts passiert. Doch nun überraschte die Kultusministerin plötzlich zum Schuljahresbeginn mit der Meldung, die flexible Schuleingangsstufe in 18 Grundschulen einzuführen. Mit den Schulen aus dem abgeschlossenen Modellversuch sind das dann insgesamt 47 von etwa 1.150 Grundschulen.
Frau Kultusministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie dies nicht in Ihre Rede eingebaut und dazu auch keine Prozentzahlen errechnet haben, denn ich sage Ihnen: Bei diesem Tempo sind die Kinder,die heute geboren werden, bereits gestandene Großeltern im Alter von 60 Jahren, bis Hessen eine Eingangsstufe vorweisen kann, die den Schuleingang erleichtert und Bildung fördert.
Andere Bundesländer haben die Bedeutung einer entzerrten Schuleingangsstufe für die Entwicklung und die Bildungschancen von Kindern längst erkannt – sieben Bundesländer haben bereits Stufenpläne, oder sie haben die flächendeckende Schuleingangsstufe umgesetzt. In Hessen dagegen gibt es – wie immer – nur leere Versprechungen und symbolische Schritte.
Sie haben auch bei den Förderschulen versagt. Die Einrichtung sonderpädagogischer Beratungs- und Förderungszentren geht sicherlich in die richtige Richtung, aber dies ist auch keine Idee, die ursprünglich von Ihnen war.
Dagegen stagniert die Entwicklung des gemeinsamen Unterrichts. Er ist in Hessen nicht gewünscht. Seit Jahren ist das Stellenaufkommen für diesen Bereich unverändert, obwohl der Bedarf steigt.
Die Weiterführung des gemeinsamen Unterrichts in der Sekundarstufe I geht zulasten neuer Integrationsklassen in der Grundschule. Erst gestern haben wir aufgrund einer Frage in der Aktuellen Stunde von Herrn Dr. Jürgens noch einmal die aktuellen Zahlen erhalten. 203 Kinder wurden nicht für den gemeinsamen Unterricht berücksichtigt, obwohl die Eltern es wünschten. Deutlicher kann man eigentlich nicht zeigen, dass diese Landesregierung auf Selektion aus ist und eine wachsende Integration behinderter Kinder ablehnt.
Bereits im Schuljahr 2004/2005 gab es 16,2 % mehr Schüler für Lernhilfe als im Jahr 1999. Die Zahl der Schüler in Erziehungshilfeklassen hat sich fast verdreifacht. Verstärkte Selektion und fehlende individuelle Förderung führen zu einer Verdrängung in die Förderschulen für Lern- und Erziehungshilfe. Frau Kultusministerin, das sind die Ergebnisse Ihrer Schulpolitik.
Ungelöste Probleme wird auch Ihr Vermächtnis für die Hauptschulen sein. Die Zahl der Anmeldungen geht kontinuierlich zurück. Nur noch 4,5 % der Eltern wünschen, dass ihr Kind nach der 4. Klasse eine Hauptschule besucht. Fehlende Ausbildungsstellen für diese Schüler, fehlende berufliche Perspektiven und der Wunsch nach einer besseren Bildung für ihre Kinder führen zu dieser Abstimmung mit den Füßen.
Alle Schulträger schließen Hauptschulstandorte. Ihre einzige Antwort darauf ist, die Politik mit dem Rechenschieber fortzusetzen und flächendeckend SchuB-Klassen einzurichten.
Aber SchuB-Klassen sind nicht die Lösung für die strukturellen Probleme der Hauptschule. Sie stellen eine Lösung für diejenigen dar, die sich jetzt im System befinden und zu scheitern drohen.
Ihr Vorstoß,SchuB-Klassen flächendeckend einzurichten, ist erstens unrealistisch, weil die Bereitstellung von Praktikumsplätzen für den Praxistag mit der hessischen Wirtschaft nicht ausreichend besprochen wurde. Zweitens ist er bezeichnend für eine Bildungspolitik, für die Fördern nicht Bestandteil jedes Lernprozesses ist, sondern lediglich eine Reaktion auf drohendes Schulversagen.
Das ist entlarvend für eine Bildungspolitik, die bei einer ebenso alten wie falschen Begabungstheorie verharrt. Kinder werden in praktisch und theoretisch Begabte aufgeteilt. Dabei gibt es den intellektuellen Professor, bei dem das Wechseln einer Glühbirne scheitert, ebenso wenig wie den Handwerker, der außer seinen Geschäftsbüchern nichts mehr liest. Das sind Klischees aus der Feuerzangenbowle. Darauf bauen Sie in Hessen Ihre Schul
politik auf. Sie lassen es zu, dass viel zu viele Kinder zurückbleiben und ihre Talente nicht entfalten können.
Falsche Entscheidungen gab es auch bei den Gymnasien. Die Einführung von G 8 war ein Fehler. Das haben Ihnen die Eltern, die Lehrer und die Schüler schon bei der Verabschiedung der Novelle des Schulgesetzes mit 74.000 Unterschriften attestiert. Jetzt, nachdem drei Schülerjahrgänge in das Gymnasium mit G 8 aufgenommen wurden, entdeckt die Kultusministerin endlich selbst,dass es falsch war, den Stoff aus sechs Schuljahren in fünf Schuljahren zu komprimieren.
Ich will Ihnen den Kern der Kritik anhand eines offenen Briefs des Landeselternbeirats noch einmal deutlich machen, der heute veröffentlicht wurde. Ich zitiere:
G 8 und die verkürzte Mittelstufe führen neben den enormen Stunden zu höheren Stoffbelastungen für die Kinder,die dies nicht bewältigen können.Stress, Überbelastung und mangelnde Freizeit aufgrund längerer Unterrichtszeiten sowie eine regelmäßig sehr hohe Aufgabenbelastung lassen kaum noch Freistunden für sportliche und musische Aktivitäten. Das Familienleben leidet, und auch am Wochenende muss regelmäßig gelernt werden, um in der Schule mitzukommen.
Die Kinder haben 34 Wochenstunden Unterricht und zwei Stunden Hausaufgaben pro Tag zu bewältigen. Meine Damen und Herren, Sie haben es mit der Verkürzung der Gymnasialzeit zu verantworten, dass die Kinder solch einem Druck ausgesetzt sind.
(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Sie wollen doch, dass die Kinder jeden Tag bis abends in der Schule sind!)
Sie haben auch über Ganztagsschulen gesprochen. Das hessische Ganztagsschulprogramm war von Beginn an eine Mogelpackung. Der Wunsch vieler Schulen, offene oder gebundene Ganztagsschulen einzurichten, wurde nicht berücksichtigt. Sie haben die Förderung des Landes auf die pädagogische Mittagsbetreuung beschränkt.
Wie sieht die Bilanz in der Realität aus? Von den 470 in Ihrer Bilanz inzwischen als ganztägig arbeitend ausgewiesenen Schulen verfügen 366 über eine halbe zusätzliche Stelle, die ihnen für diese Arbeit zur Verfügung gestellt wird.
Die 104 Ganztagsschulen, die in offener oder gebundener Form arbeiten, wurden fast ausschließlich vor 1999 genehmigt und eingerichtet. Das ist die Realität Ihres Ganztagsschulprogramms in Hessen.
Diese Bilanz ist ebenso dürftig wie verräterisch. Denn es geht nicht allein darum, den Eltern eine Entlastung zu verschaffen und den Eltern ein Angebot zu machen. Die Ganztagsschulen sind eine Chance für die Kinder, mehr Zeit zum Lernen zu haben. Damit kann Chancengleichheit in der Bildung umgesetzt werden. Ihnen können dort bessere Chancen geboten werden, als das in einer Halbtagsschule möglich ist.
Ich möchte jetzt auf die verlässliche Schule und die Unterrichtsversorgung zu sprechen kommen. Frau Kultusministerin, Sie haben wieder einmal vergessen, die aufgrund der „Operation düstere Zukunft“ 1.000 gestrichenen Stellen aus dem Jahr 2004 zu erwähnen.Das wollte ich nur der Vollständigkeit halber sagen.
Der fachspezifische Mangel an Lehrern ist auch ein Ergebnis falscher Personalpolitik. Sie ist davon ausgegangen, dass weniger Köpfe durch längere Arbeitszeit ausgeglichen werden können.
Sie haben auch vergessen, zu erwähnen, dass sich die Lehrerversorgung in diesem Schuljahr faktisch verschlechtert hat.
(Mark Weinmeister (CDU): Das ist glatt gelogen! Das wissen Sie besser, und Sie erzählen es trotzdem! Das kann doch nicht wahr sein!)