Protokoll der Sitzung vom 06.09.2007

Das, was im Grunde genommen von allen europapolitischen Sprechern als Problemstellung immer wieder in den Raum geworfen wird, sollte auch der CDU nicht ganz neu sein. Es gab im Jahr 1995 eine sehr interessante europapolitische Debatte in diesem Parlament. Damals haben die Fraktionsvorsitzenden Roland Koch, Armin Clauss, Fritz Hertle und Ruth Wagner gemeinsam einen Antrag eingebracht, der sich damit beschäftigte, dass der Landtag besser informiert werden sollte. Ich zitiere: „Die Landesregierung wird aufgefordert, die ihr... in Angelegenheiten der Europäischen Union zugehenden Informationen unverzüglich dem Landtag zuzuleiten“ und „die ihr rechtzeitig zugegangenen Stellungnahmen des Landtags zu Vorhaben der Europäischen Union, die die Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder wesentlich berühren, bei ihrer Meinungsbildung zu berücksichtigen.“

Nun sagt die CDU, aus ihrer Sicht sei alles gelöst. Wir sehen, dass es bis heute nicht endgültig gelöst ist. Ganz im Gegenteil, die Aufgaben der Europäischen Union sind nicht kleiner geworden. Es wird uns ein Mitwirkungsrecht zugestanden, das 1995 noch nicht so da war. Insofern besteht immer noch der Bedarf, dies weiterzuentwickeln.

Natürlich wird es dann nicht so sein – das haben Sie quasi durch die Blume gesagt –, dass wir dann mit Informationen zugeschüttet würden. Diese Drohung können wir gelassen hinnehmen. Es gibt durchaus genügend Personal in der Staatskanzlei, das sich grundsätzlich damit beschäftigen und die Informationen systematisieren muss.

Es dürfte keine Überforderung sein, das Parlament in ein Gesetzgebungsverfahren mit einzubeziehen. Wir wollen es vorher wissen, bevor die Landesregierung eine Stellungnahme im Bundesrat oder im Ausschuss der Regionen abgibt.

Wir haben aber noch erheblichen Klärungsbedarf hinsichtlich des Gesetzentwurfs der FDP. Nach unseren Informationen ist das, was vom Schleswig-Holsteinischen Landtag einstimmig beschlossen wurde, eine Regelung, die zwar guten Willen demonstriert, aber es gibt vor Ort auch Probleme in der Umsetzung.

Deshalb sollten wir uns – das ist unser Appell – mit der Regierung zusammensetzen und gemeinsame Leitplanken dafür ausarbeiten, wie wir das in Zukunft gestalten können und wie wir dem Europaausschuss das entsprechende Gewicht geben, damit solche Dinge dort systematisch behandelt werden. Denn uns soll nicht irgendwann der Vorwurf gemacht werden können, es habe wichtige Informationen gegeben, die wir nicht berücksichtigt und zu denen wir nicht oder zu spät Stellung genommen hätten. Das darf uns in Zukunft nicht passieren. Das ist unsere Aufgabe, vor allem die Aufgabe derjenigen, die im Europaausschuss tätig sind.

Deshalb hoffen wir, dass die CDU-Fraktion nicht gleich sagt, sie wolle darüber nicht reden, sondern dass wir uns im Ausschuss im Rahmen einer Anhörung Gedanken darüber machen, wie es mit diesem für unsere Zukunft entscheidenden Aspekt, der mit der Europäischen Union und unserer Information darüber zusammenhängt, weitergehen könnte. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einer Kurzintervention hat Herr Dr.Lennert das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache mir ein bisschen Sorgen um das Selbstverständnis des Landtags,wenn ich höre, dass wir nicht in der Lage sind, mitzureden, nur weil wir meinen, dass uns die Landesregierung nicht ausreichend informieren könnte. Das war der Tenor der letzten Redebeiträge.

Ich denke, es ist wesentlich, dass wir Abgeordneten eine Infrastruktur haben – und wenn wir sie nicht haben, sie schaffen –, dass wir selbst sagen und bestimmen, wie wir informiert werden wollen, und dass wir selbst diese Informationen an der Quelle requirieren, sie nicht gefiltert von irgendjemandem bekommen. Nie, auch 1995 nicht, waren die technischen Möglichkeiten dazu so umfangreich, so gut und organisatorisch so ausgeklügelt wie heute. Ich habe vorhin in meiner Rede darauf hingewiesen.

Deshalb appelliere ich noch einmal an das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein des Landtags.Wir sollten sagen:Wir informieren uns direkt, wir schaffen uns die Infrastruktur, und dann haben wir die Informationen und können sie analysieren und bestimmen, wie wir sie verwenden wollen. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön. – Das Wort hat Herr Minister Hoff.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst will ich mich sehr herzlich dafür bedanken, dass wir hier im Hessischen Landtag wieder einmal über das Thema Europapolitik sprechen. Ich gestatte mir die Vorbemerkung, dass die Erfahrung aus meiner 16-monatigen Amtszeit zeigt, dass wir eher selten über europapolitische Fragen diskutieren. Ich glaube, dass das größte Problem, das wir uns gegenseitig konzedieren müssen, darin liegt, dass es keinen Mangel an Informationen und keinen Mangel an Interesse gibt, dass aber die zeitliche Begrenzung der Plenarsitzungen im Regelfall dazu führt, dass europapolitische Fragen nicht mehr im Hessischen Landtag, sondern zur abschließenden Beschlussfassung im europapolitischen Ausschuss diskutiert werden. Von daher sollten wir vielleicht einmal darüber nachdenken, welchen Stellenwert wir der Europapolitik hier im Landtag einräumen.

Lieber Herr Kollege von Hunnius, diesen kleinen Schlenker werden Sie mir schon erlauben: Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn Sie das Gespräch mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden suchten,

(Roland von Hunnius (FDP): Immer!)

nachdem ich kürzlich in einem Interview gelesen habe, dass er der Auffassung ist, Europapolitik sei nicht so wichtig, dass es einen dafür zuständigen Minister als Mitglied der Landesregierung geben müsste. Das widerspricht ein bisschen dem,was Sie hier vorgetragen haben.Ich lade Sie herzlich ein, ihn davon zu überzeugen, dass wir in einer

Zeit,in der europapolitische und europarechtliche Fragen uns immer mehr tangieren, auch stärker auf diese Fragen Einfluss nehmen müssen.

(Axel Wintermeyer (CDU): Richtig!)

Ich will Ihnen eine einzige Zahl nennen, die wir gerade aktuell ermittelt haben: Wir werden bei der nächsten Bundesratssitzung Ende September rund 110, 120 Tagesordnungspunkte haben. Knapp die Hälfte, nämlich 50, dieser Tagesordnungspunkte werden sich mit Europafragen beschäftigen. Das zeigt, wie stark dieser Einfluss dort mittlerweile geworden ist. Deshalb möchte ich an Sie appellieren, dass wir auch in dieser Frage weiter im Gespräch bleiben.

Eine zweite Vorbemerkung. Ich hatte bisher nicht das Gefühl, dass Informationen über europapolitische Fragen, die vonseiten des Parlaments von der Landesregierung gewünscht wurden, nicht erteilt wurden oder Fragen offengeblieben sind.

Verehrte Frau Kollegin Hoffmann, wenn wir in einer Ausschusssitzung eine Detailfrage nicht beantworten konnten, haben wir immer diese Fragen im Nachgang schriftlich beantwortet. Darauf lege ich Wert. Wir haben überhaupt kein Interesse daran, Informationen vorzuenthalten, im Gegenteil. Ich glaube, dass es gerade in der Frage der Europapolitik, die sich oft auch parteipolitischen Auseinandersetzungen entzieht, wichtig ist, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Gerade unter dem Aspekt der Subsidiarität sollten wir versuchen, uns als ein regionales Parlament – denn das sind wir im Ansehen Brüssels – zu behaupten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Information des Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union basiert auf einer formlosen Vereinbarung. Auch wenn es eine formlose Vereinbarung ist, ist es eine Vereinbarung, und zwar zwischen dem Parlament und der Landesregierung aus den Jahren 1995 und 1996. Sie können, wenn Sie wollen, den genauen Inhalt dieser Vereinbarung in der Landtagsdrucksache 4000 aus der 15.Wahlperiode auf Seite 16 nachlesen. Es handelt sich, wie man nachlesen kann und wie es durch die Informationspraxis der Landesregierung im Rahmen des Europaausschusses bei jeder Sitzung bestätigt wird, um ein recht umfassendes Informationssystem.

Deshalb müssen wir uns – so habe ich auch den Kollegen Dr. Lennert verstanden – die Frage stellen, ob wir in einer Zeit, in der die Informationen eigentlich gegeben werden, diesen Informationsfluss nochmals über ein Gesetz absichern müssen oder ob man sagen kann – wie Herr Kollege Lennert es hier gesagt hat;ich halte das für richtig –:Wenn etwas läuft und funktioniert, aber ohne Gesetz organisiert ist, ist es dann notwendig, noch ein Gesetz obendrauf zu setzen?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe die FDP in der Vergangenheit eigentlich eher so verstanden, auch in anderen Debatten des heutigen Tages, dass sie eher weniger als mehr Gesetze wünscht.

(Roland von Hunnius (FDP): Das ist richtig! – Florian Rentsch (FDP): Wir wollen Gesetze da, wo es notwendig ist!)

An dieser Stelle erscheint dieser Grundsatz ein wenig verletzt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass wir in der weiteren Diskussion dieses Entwurfs miteinander darüber ins Gespräch kommen sollten, inwieweit weitere Informationsmöglichkeiten, die der

Landtag wünscht, an dieser Stelle eröffnet werden können. Ich finde auch, wir sollten dieses Ergebnis offen diskutieren, auch unter Einbeziehung dessen, dass diese zusätzlichen Informationsmöglichkeiten dort, wo sie gewünscht werden, eröffnet und gewährleistet werden, ohne deshalb erneut ein Gesetz auf die Reise zu schicken. Lassen Sie mich dies an zwei Beispielen erläutern.

In § 2 des Gesetzentwurfs wird die Übermittlung der im Bundesrat erstellten Eingangslisten über EU-Dokumente an den Landtag gefordert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann hier und heute sagen: Das geschieht bereits. Wenn es nach mir geht, werden wir dafür sorgen, dass sich der Landtag die Dokumente in Zukunft auch selbst ausdrucken kann und sie nicht erst umständlich bei der Landesregierung anfordern muss. Dies wäre aus meiner Sicht insbesondere unter zeitlichem Aspekt ein großer Gewinn.

In § 3 des Gesetzentwurfs wird eine Unterrichtung über vom Bundesrat festgestellte Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips geregelt. Der Landtag bekommt zwar bisher schon die dokumentierenden Bundesratsdrucksachen. Wir sind selbstverständlich auch gerne bereit, dies noch einmal schriftlich in unseren jeweiligen europapolitischen Bericht aufzunehmen. Aber inwieweit es sinnvoll ist, dies für jeden einzelnen Subsidiaritätsverstoß, den wir feststellen, mit einem besonderen Schreiben an den Landtag zu schicken, ist fraglich. Angesichts der Vielzahl der Schreiben, die dann wahrscheinlich auf den Weg gebracht werden müssten, warne ich vor einem solchen Vorgehen. Ich glaube, es würde nur zu einer Inflationierung der Papierflut beitragen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt – Herr von Hunnius hat es offen angesprochen, dass der Gesetzentwurf aus Schleswig-Holstein stammt – einige andere Dinge in diesem Gesetzentwurf, die nicht auf unser Land Hessen zugeschnitten sind. So wird z. B. in § 6 ein jährlicher europapolitischer Bericht der Landesregierung gefordert.So etwas gibt es in der Tat in einigen Ländern.Unsere Vorgehensweise ist, dass es zu jeder Europaausschusssitzung einen aktuellen europapolitischen Bericht gibt. Dieser ist erstens weniger umfangreich, also kein Konvolut von 200 oder 300 Seiten, und zweitens sehr viel aktueller. Ich glaube, dass ein solches Vorgehen wesentlich zielführender ist, als an dieser Stelle auf einen jährlichen Bericht auszuweichen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die von mir genannten Beispiele sollten eigentlich nur verdeutlichen, dass wir über den Gesetzentwurf, den die FDP hier vorgelegt hat, nachdenken und auch weiter diskutieren sollten. Wir sollten vor allem darüber nachdenken, ob alles, was in diesem Gesetzentwurf steht,sinnvoll ist.Wir sollten auch – ich wiederhole mich – darüber nachdenken, ob wir am Ende wirklich ein weiteres Gesetz wollen oder ob wir nicht lieber Vereinbarungen treffen, die zielführender sind und, weil Europa im Fluss ist, auch entsprechend angepasst werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, schon heute ist es so, dass ein ganz großer Teil der Arbeit des Europaausschusses durch die Beratung der ausführlichen europapolitischen Berichte geprägt wird. Ich glaube, in keinem anderen Land der Bundesrepublik Deutschland sind diese Berichte so intensiv. Es gibt schließlich nicht nur den europapolitischen Bericht für den Europaausschuss, sondern darüber hinaus alle 14 Tage noch einen weiteren Bericht, den die Landesvertretung in Brüssel anfertigt und den Abgeordneten zur Verfügung stellt. Dieser kann

ebenfalls – soweit der Bedarf besteht – in den entsprechenden Sitzungen des Europaausschusses diskutiert werden. Dieser Bericht der Landesvertretung in Brüssel ist der Versuch,sehr aktuell auf die einzelnen Dinge,die in Brüssel vorgehen, Einfluss zu nehmen,Aufschluss und Informationen zu geben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,meine Bitte ist: Nutzen wir die Sachkenntnis und das, wie ich finde, sehr gute Klima des Europaausschusses dazu, uns darüber zu unterhalten, was der Ausschuss stellvertretend für das Parlament noch an Zusatzinformationen erhalten möchte und kann.

Ich bin sehr davon überzeugt, dass wir nach einer ausführlichen Diskussion gemeinsam eine Lösung finden werden. Ich würde Sie nur sehr herzlich bitten, dass wir nicht von vornherein sklavisch an der Idee festhalten, das mit einem Gesetzgebungsverfahren zu regeln. Vielmehr sollten wir die nächste Runde des Gesetzentwurfs der FDP-Fraktion ergebnisoffen ansteuern. Wir sollten uns darüber unterhalten, wie wir unsere Arbeit effektivieren können. – Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält nun Frau Kollegin Hoffmann für die SPD-Fraktion.Danach spricht Herr Kollege von Hunnius.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal betonen, worum es uns, den Mitgliedern der SPD-Fraktion, in dieser Debatte geht. Herr Kollege Dr. Lennert, es geht nicht darum, dass wir die technischen Möglichkeiten des Internets nicht nutzen könnten und da Nachhilfe bräuchten, weil wir uns im Internet nicht zurechtfänden.

In einem gebe ich Ihnen recht. Es ist in der Tat so, dass die Europäischen Union eine hervorragend aufgebaute Homepage hat. Ich würde mir nur manchmal wünschen, dass einige Begleitdokumente etwas früher in Deutsch vorliegen. So muss ich mich manchmal mit der englischen Version begnügen.

Darum geht es überhaupt nicht. Vielmehr geht es um die Mitsprache des Hessischen Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union. Genau das ist der Punkt, der eben nicht geregelt ist.

Herr Minister Hoff, Sie haben zitiert. Das ist immer so: Aus den Vorlagen kann sich jeder das herausziehen, was ihm so passt.

In Drucks. 15/4000, das ist der Bericht der Enquetekommission „Künftige Aufgaben des Hessischen Landtags an der Wende zum 21.Jahrhundert“,wurde sehr deutlich dargestellt, dass es um die Rolle des Landtags geht. Es geht darum, dass der Landtag seine Meinung und seine Position einbringen will.

Es geht also um die Abgrenzung der Kompetenzen zweier Verfassungsorgane. Es geht nicht um die technischen Fähigkeiten, die man braucht, um das Internet nutzen zu können.

Wir halten deshalb eine Ergänzung der Verfassung für erforderlich. Ich denke, das wird in den Ausschüssen entsprechend diskutiert werden können.

(Beifall der Abg. Lothar Quanz und Ulrike Gott- schalck (SPD))

Vielen Dank. – Die nächste Wortmeldung stammt von Herrn Kollegen von Hunnius.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass wir der CDU-Fraktion dankbar sind, dass wir überhaupt die Chance haben, das im Ausschuss zu diskutieren. Leider ist es üblich geworden, solche Vorhaben kurz nach dem Entstehen totzuschlagen, indem man sie ablehnt.

(Beifall der Abg. Heinrich Heidel und Florian Rentsch (FDP))

Dass das nicht immer so ist, ist vielleicht ein gutes Zeichen.