Protokoll der Sitzung vom 25.09.2007

plätze zu schaffen. Demnach muss es das wichtigste Ziel sein, alles zu tun, um welche zu schaffen, und bitte alles zu unterlassen, was sie gefährdet.

Frau Ypsilanti, auch wenn Wahlkampfzeiten sind, so finde ich es nicht in Ordnung, auf dem Rücken der Betroffenen eine Debatte zu führen, als gebe es in diesem Hause eine Seite, die sagt:Wir wollen euch Ungemach und sind diejenigen, die nur dafür sorgen, dass die Unternehmer ihr Geld verdienen. – Meine Damen und Herren, das ist nicht redlich.

(Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Meine Damen und Herren, ich habe eingangs gesagt, unser gemeinsames Ziel ist ein ausreichendes Einkommen. Wir sagen aber, die Defizite, die der Markt lässt, sind am Ende nicht einseitig von den Arbeitgebern leistbar, sondern müssen eben leider auch zum Teil über staatliche Transfers geleistet werden.

Meine Damen und Herren, wenn ich noch einen allerletzten Punkt sagen darf: Wir haben überhaupt noch nicht über die Regulierungsfunktion von Löhnen gesprochen,

(Lachen des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

von Preisen auf diesem Markt. – Herr Schmitt, da kann man lachen. Herr Schmitt, ich will bitte nicht als Zyniker missverstanden werden.

Aber weil Sie die Friseure angesprochen haben, will ich Ihnen noch eines sagen. Wir sollten auch aufpassen, dass wir am Ende nicht das Regulierungsinstrument der Lohngrößen aus den hier diskutierten Gründen opfern, um an anderer Stelle eine völlig falsche Lenkung zu haben. Ich sage Ihnen auch, warum ich das so ausführe. Wenn Sie heute 100 Ausbildungswillige fragen, welche der 121 Berufe allein im Handwerk sie anstreben, dann nennen 70 von denen zehn Berufe, die sie sich vorstellen können. Ich glaube, von den weiblichen potenziellen Auszubildenden sagen 30 bis 35 %, sie hätten Spaß am Friseurberuf.

Meine Damen und Herren, im Moment haben wir eine Regelung auf dem Markt, die sagt:Vorsicht, in diesem Beruf gibt es ziemlich viele, und unter anderem deswegen ist er nicht allzu toll bezahlt. – Noch einmal, ich habe ausdrücklich vorweg gesagt: Ich möchte hier nicht als Zyniker verstanden werden. Ich will nur sagen, dass wir auch dies im Hinterkopf haben müssen, nämlich eine Regulierungsfunktion des Preises, in dem Fall bei der Lohngröße des Stundenlohns, in einem Handwerk, das ausschließlich Dienstleistung bedeutet. Das ist ein Punkt, der auch in den Debatten, die wir in den Ausschüssen zum Tariftreuegesetz noch führen werden, eine Rolle spielen wird.

Meine Damen und Herren, wir finden, wir haben mit den Berliner Beschlüssen eine Lösung, die dem Rechnung trägt, was erforderlich ist. Wir warnen davor und lehnen ganz kategorisch ab die flächendeckende Einführung eines Mindestlohns, der keiner Branche gerecht wird, der Arbeitnehmerinnen nicht gerecht wird und erst recht nicht denjenigen gerecht wird, über die wir hier reden, nämlich Menschen mit geringen oder gar keinen Schulabschlüssen, also denjenigen, die froh sind, dass sie wenigstens einen solchen Job haben, wenn ich das abschließend so salopp sagen darf. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Frau Abg. Ypsilanti das Wort.

Herr Boddenberg, erstens eine Korrektur. Sie haben von der Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich gesprochen. Das ist ein schlechtes Argument,denn für die Jugend in Frankreich gilt der Mindestlohn überhaupt nicht.

(Michael Boddenberg (CDU): Es gibt diese Jobs überhaupt nicht!)

Zweitens haben Sie übersehen: Ich habe in den letzten Wochen viele Gespräche mit dem Handwerk, dem Mittelstand, auch Unternehmen geführt. Die Ablehnung des Mindestlohns konnte ich dort nicht feststellen. Es gibt eine ganze Menge aus dem Handwerk und dem Mittelstand, die einen Mindestlohn haben wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss. Sie haben hier gesagt, und ich nehme Ihnen das auch ab, Sie wollen Löhne haben, von denen die Menschen leben können. Aber außer den Transferleistungen des Staates haben Sie an keiner Stelle angesprochen, wie Sie das Problem lösen wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind uns hier die Antwort schuldig geblieben. Für uns ist die Transferleistung, die teilweise wirklich Lohndumping subventioniert, nicht die Antwort. Sie haben uns hier keine andere Antwort gegeben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur Antwort, Herr Kollege Boddenberg.

Frau Ypsilanti,die Antwort ist von mir gegeben.Vielleicht wollen Sie diesen Terminus nicht mehr hören, aber ich habe von Kombilöhnen gesprochen. Ich gehe davon aus, dass andere, auch die Ministerin, heute noch etwas zu diesem Thema sagen werden.

(Norbert Schmitt (SPD): Was ist das denn? Staatlich!)

Zum Thema Frankreich sage ich Ihnen, dass alle Gutachter, auch die Sachverständigen,

(Norbert Schmitt (SPD):Welche?)

zu der Einschätzung kommen, dass es diese Jobs in Frankreich generell nicht mehr gibt, weil über die Regelung des Mindestlohns diese Jobs in Frankreich nicht mehr stattfinden, dann selbstverständlich auch nicht für junge Leute.

Frau Ypsilanti, wenn Sie das Handwerk ansprechen, will ich deutlich sagen: Sie haben eben auch Frau Merkel in der „Wirtschaftswoche“ von vor 18 Monaten zitiert. Sie wissen, nicht nur Frau Merkel, sondern auch andere in der Union haben gesagt, dass wir uns selbstverständlich kon

kret mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Sie wissen, dass es in der Großen Koalition seit Juni eine Verabredung gibt, die nicht zuletzt deshalb zustande gekommen ist, weil ganz besonders die Handwerksverbände gesagt haben, sie wollen solche Regelungen. Die gleichen Handwerker, vom ZDH bis zu den Kammern in Hessen, sagen uns heute, dass sie das Instrument, das dort verabredet worden ist, sowohl mit der Entsenderichtlinie und deren Erweiterung als auch mit dem Mindestarbeitsbedingungengesetz und der Novelle,die dazu diskutiert worden ist, als ausreichende Lösung des Problems ansehen.

Noch einmal:Wir werden über die Kombilöhne weiter reden müssen. Wir müssen dort noch ausfeilen und dafür sorgen, dass es keine Mitnahmeeffekte gibt. Ich sage nicht, dass das alles problemlos ist.

(Norbert Schmitt (SPD): Staatszuschüsse, Staatsknete!)

Aber es ist die wesentlich bessere Antwort, als mit der großen Gießkanne herumzulaufen. Da Sie den Vertreter des Baugewerbes zitiert haben, der in der „Rundschau“ von einem Einheitshaarschnitt gesprochen hat, sage ich Ihnen noch einmal: Den können wir nicht wollen – im Sinne der Beschäftigten.

(Beifall bei der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Wenn jemand Gießkannenpolitik macht, dann Sie, mit staatlichen Zuschüssen!)

Das Wort hat Herr Abg. Al-Wazir, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich während der ganzen Rede des Herrn Kollegen Boddenberg gefragt, was eigentlich jemand, der Vollzeit arbeitet und für diese Vollzeitarbeit so viel Lohn bekommt, dass er zusätzlich noch zum Amt gehen muss, um Hartz IV zu beantragen, an Antwort von der Regierungspartei in Hessen auf sein Problem bekommen hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das interessiert die nicht!)

Ich muss feststellen: keine. Die Antwort, die er bekommen hat, lautet: „Du musst halt weiter zum Amt gehen.“ Herr Kollege Boddenberg, ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich finde das – wie soll ich es ausdrücken? – der Lage nicht angemessen. Denn ich empfinde Hochachtung vor insgesamt 500.000 Menschen in Deutschland, die Vollzeit arbeiten und genauso viel bekommen, wie sie bekämen, wenn sie „nur“ Hartz IV bezögen.

(Michael Boddenberg (CDU): Ich möchte, dass diese 500.000 weiter diese Arbeitsplätze haben, Herr Al-Wazir!)

Herr Kollege Boddenberg, diesen 500.000 Menschen in Deutschland, die einen Vollzeitarbeitsplatz haben und trotzdem zusätzliche Leistungen nach SGB II bekommen, haben Sie nichts zu sagen,außer: Es muss weiter so gehen. – Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das finde ich ein bisschen wenig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dieses Thema ist kein Thema für parteipolitische Manöver,sondern dieses Thema hat etwas damit zu tun,wie sich diese Gesellschaft entwickelt hat. Es hat etwas damit zu tun,was in einem bestimmten Bereich der Gesellschaft los ist.Wenn Sie sehen,was in den letzten zwei Tagen über die Frage diskutiert wurde,wie sich die Realnettolöhne in den letzten 20 Jahren entwickelt haben, dann muss ich Ihnen sagen: Die Zahlen, die jetzt genannt werden, finde ich, weil es um reale Kaufkraft unter Abzug von Inflation und Ähnlichem geht, gar nicht mal so schlimm. Sie werden dann schlimm, wenn man vergleicht, wie das Wirtschaftswachstum in derselben Zeit war. Sie werden dann schlimm, wenn man vergleicht, wie die Vermögenszuwächse in derselben Zeit waren. Sie werden vor allem aber dann schlimm, wenn man sich überlegt, dass das der Durchschnitt ist und in einem bestimmten Bereich ganz andere Sachen passiert sind, wo es nämlich Leute gibt, die heute real sehr viel weniger verdienen, als sie vor 20 Jahren verdient haben, obwohl sie dieselbe Arbeit leisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, da müssen wir als Politik insgesamt eine Antwort geben, und diese Antwort kann nicht darin bestehen, dass wir sagen: Geh halt zum Amt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben noch ein weiteres Problem, das sich darin ausdrückt. Vielleicht muss man das auch einmal den Gewerkschaften sagen.Wir haben zu Zeiten einer rot-grünen Bundesregierung schon einmal über die Frage eines Mindestlohns diskutiert. Leider hat die SPD diesen Weg damals nicht weiter beschritten,unter anderem deshalb,weil die Gewerkschaften sich nicht einig waren. ver.di war schon lange der Auffassung, dass in diesem Bereich etwas passieren soll; die IG Metall und die IG BCE hatten eine andere Auffassung vertreten.

Das, was jetzt passiert, und die Tatsache, dass inzwischen auch der DGB für einen Mindestlohn ist, ist natürlich auch ein Alarmsignal für die Frage, wie viel Macht eigentlich Tarifpartner – ich sage ausdrücklich „Tarifpartner“; das trifft auch die Frage,wie viele Arbeitgeber noch in Arbeitgeberverbänden organisiert sind – in dieser Gesellschaft noch haben.Wenn wir feststellen, dass uns Tarifautonomie in diesem Fall nicht mehr weiterhilft,weil der Organisationsgrad in bestimmten Branchen gar nicht mehr gegeben ist, weil der Grad an Zugehörigkeit zum Arbeitgeberverband in bestimmten Bereichen gar nicht mehr gegeben ist, dann müssen wir versuchen, eine Antwort darauf zu geben, die die realen Probleme löst.

Da kann ich nur an die Union appellieren, sich einfach einmal zu überlegen, ob es nicht auch Teile ihrer Wählerschaft betrifft und ob wir nicht ein Problem haben, das am Ende alle betrifft. Wenn man sich die Wahlbeteiligungen anschaut – wir hatten vor eineinhalb Jahren Kommunalwahlen in Hessen –, wenn ich mir betrachte, dass in meiner Heimatstadt gerade einmal 31 % der Wahlberechtigten zur Wahl gegangen sind, dann stelle ich fest, die Betroffenheit ist zwei Tage lang groß.

(Zuruf des Abg.Axel Wintermeyer (CDU))

Ach, Herr Wintermeyer, wenn es so simpel wäre: „Die haben die Schnauze von Rot-Grün voll!“ Die Wahlbeteiligung ist doch nicht davon abhängig, ob gerade RotGrün, Schwarz-Gelb oder, was weiß ich, wer regiert, sondern hängt damit zusammen, wie die Sozialstruktur in einer Stadt ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn man das nicht mehr sieht und dann mit einem – Entschuldigung – so dummen Zwischenruf kommt, dann hat man nicht verstanden, was momentan in dieser Gesellschaft los ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Axel Wintermeyer (CDU): Ich brauche Sie nicht zu verstehen! Was dumm ist, können wir gern einmal ausdiskutieren!)

Verstehen Sie? Dann ist die Betroffenheit zwei Tage lang groß, und danach geht es weiter wie immer, weil sich die Zahl der Sitze im Parlament nicht dadurch verändert,dass die Wahlbeteiligung sinkt. Ich finde, wir müssen uns schon einmal überlegen: Woher kommt so etwas? Was bedeutet es denn, wenn in einer Stadt 69 % der Wahlberechtigten sagen: „Ich beteilige mich nicht mehr an der demokratischen Willensbildung“? Das bedeutet, dass es einen Riesenprozentsatz von Menschen gibt, die schlicht von der Politik nichts mehr erwarten.