Protokoll der Sitzung vom 26.09.2007

Sie wollen doch wohl nicht ernsthaft behaupten, das Staatliche Schulamt halte zwar aus pädagogischen Gründen den Besuch einer Förderschule für notwendig und damit den Besuch der Regelschule für nicht ausreichend, stimme dann aber auf der anderen Seite gleichwohl dem Vergleich zu, der den Besuch der Regelschule ohne eine sonderpädagogische Förderung vorsieht. Wenn dem so wäre, dann wäre die Zustimmung des Staatlichen Schulamts ein eklatanter Verstoß gegen seine Pflichten gewesen.

In der Tat ist es aber auch ganz anders. Der Grund für die Entscheidung des Staatlichen Schulamts findet sich in dessen Bescheid schwarz auf weiß wieder.Das ist auch die einzige Begründung, die in dem Bescheid abgegeben wurde. Ich zitiere:

Die für Ihr Kind erforderlichen Maßnahmen der sonderpädagogischen Förderung können aufgrund der personellen Voraussetzungen in der allgemeinen Schule nicht erfolgen.

Das ist der einzige Grund,den das Staatliche Schulamt genannt hat.

Im Übrigen gab in der Sendung „de facto“ vom vergangenen Sonntag die Leiterin des Staatlichen Schulamts in Kassel die gleiche Begründung mit Blick auf einen anderen Fall in Kassel ab. Auch sie hat erklärt, es habe keine pädagogischen Gründe gegeben, ausschließlich das fehlende Personal sei Grund für das Verweisen auf die Sonderschule.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Lehrer, die Eltern und die Schülerinnen und Schüler wissen es längst: Diese Landesregierung ist nicht willens und nicht in der Lage, ausreichend Personal für den gemeinsamen Unterricht zur Verfügung zu stellen.

(Frank Lortz (CDU): Na, na, na!)

Sie haben die Zahl der Lehrerstellen von 552 auf 522 gekürzt.

Man sollte die Zahlen berücksichtigen.Noch im Schuljahr 1999/2000 – das ist das erste dieser Kultusministerin – stand eine sonderpädagogische Förderkraft im gemeinsamen Unterricht 4,5 Schülerinnen und Schülern zur Verfügung. Im Schuljahr 2005/2006 sind es rund sechs Schülerinnen und Schüler. Das ist das Ergebnis von sieben Jahren Schulpolitik der Frau Wolff.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Inzwischen ist die Integrationsquote bei den praktisch Bildbaren von 3,3 zu Beginn der Amtszeit von Karin Wolff auf 2,3 abgesunken. Man muss feststellen:Während der Amtszeit von Karin Wolff geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Kind mit sogenannter geistiger Behinderung in die Regelschule kommt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) – Frank Lortz (CDU): Na, na, na!)

Das ist das Entscheidende: Hinter all diesen Zahlen verbergen sich Einzelschicksale wie das unserer Schülerin. Sie enthalten den Kindern Lebenschancen vor. Unsere Schülerin hatte bisher nicht das Gefühl, benachteiligt zu werden. Jetzt wird ihr das von Ihnen nachdrücklich und nachhaltig vermittelt.

Herr Kollege Dr. Jürgens, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Wir wissen, dass Kinder, die im gemeinsamen Unterricht die Schule besuchen,größere Chancen haben,einen anderen Arbeitsplatz als einen in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu finden.

Sie wollen dem nicht einmal im Einzelfall abhelfen. Deswegen können wir der Beschlussempfehlung nicht zustimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist eine Unverschämtheit!)

Herr Kollege Dr.Jürgens,vielen Dank.– Nächster Redner ist Herr Kollege Rentsch.Er spricht für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Jürgens, das eben war wieder einmal einer Ihrer unredlichen Auftritte in diesem Parlament.

(Beifall der Abg. Dieter Posch und Roland von Hunnius (FDP) sowie bei der CDU)

Sie haben mit Halbwahrheiten gearbeitet. Sie haben den Sachverhalt nicht komplett vorgetragen.

(Axel Wintermeyer (CDU): Das ist richtig! – Birgit Zeimetz-Lorz (CDU): Das ist unglaublich!)

Sie haben ein allgemeines politisches Thema anhand eines Einzelfalls hochgezogen. Der Verdacht liegt schon nahe: Sie haben lange gesucht, bis Sie einen Fall hatten, den Sie in dieser Art hochziehen konnten.

(Axel Wintermeyer (CDU): Richtig!)

Ich glaube wirklich, dass Sie für das Schicksal dieses Kindes, auf das ich jetzt eingehen werde, überhaupt nichts Gutes getan haben.

(Axel Wintermeyer (CDU): Das ist genau der Punkt! Denn das Gegenteil ist der Fall!)

Herr Kollege Dr. Jürgens, das halte ich für absolut unredlich.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir werden jetzt gemeinsam den Sachverhalt aufarbeiten. Er stellt sich wie folgt dar. Das Kind wurde 1999 mit Downsyndrom geboren.Es hat einen IQ von 50 und leidet unter einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung.

Für das Mädchen wurde dann ein Gutachten von einer dafür beauftragten Förderschullehrerin erstellt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass eine Schule für praktisch Bildbare die richtige sei.

Dann haben sich die Eltern eingeschaltet. Am 9. Juli dieses Jahres war die Konferenz des Förderausschusses.

Der Förderausschuss – darauf kommt es an, Herr Kollege Dr. Jürgens – hat Folgendes festgestellt. Ein gemeinsamer Unterricht wäre mit einer erfahrenen sonderpädagogischen Fachkraft möglich, und zwar maximal bis zum Ende des zweiten Schuljahrs.Ab dem dritten Schuljahr wird die Integration fast nicht mehr durchführbar. Das sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. – Der Förderbedarf beträgt zehn Stunden pro Woche, und neben diesen zehn Stunden muss eine ganztägig tätige Integrationsfachkraft das Kind betreuen.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die gibt es doch schon!)

Herr Kollege Dr. Jürgens, das Problem, das Sie haben und das Sie hier hochzuziehen versuchen, ist, dass Sie das Förderschulsystem, das wir in Hessen haben, ablehnen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das kann man ja vertreten.Ich bin aber anderer Meinung, weil ich fest davon überzeugt bin, dass für diese Kinder eine hervorragende Arbeit geleistet wird. Man kann eine andere Meinung vertreten, Sie versuchen aber, Ihre politische Überzeugung an diesem Beispiel hochzuziehen. Sie werfen anhand dieses Beispiels der Landesregierung und auch der FDP-Fraktion Unredlichkeit vor, weil wir im Ausschuss anders entschieden haben. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich will Ihnen auch sagen, warum. Ihr Vorwurf ist unredlich, weil wir eben keine Integration um jeden Preis betreiben werden. Wir haben in Hessen ein Förderschulsystem, das eine hervorragende Qualität hat. Das sagen uns auch die Experten. Man muss natürlich in jedem Einzelfall abwägen, ob sich eine Integration lohnt oder ob sie sich nicht lohnt. Bei diesem Mädchen ist es eben so, dass der Aufwand so groß ist, dass sogar der Förderausschuss sagt: Eine Integration wäre maximal bis zum dritten Schuljahr möglich.

Herr Dr. Jürgens, wir haben es hier schon häufig erlebt. Sie sind derjenige, der immer von Antidiskriminierung spricht, aber gleichzeitig derjenige, der ohne Probleme selbst diskriminiert. Das haben wir in diesem Parlament nicht zum ersten Mal erlebt.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie Schnösel! Unverschämtheit! – Weitere lebhafte Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Kaufmann, hören Sie doch auf. Es ist nicht das erste Mal, dass wir das hier erleben.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen sagen, worin die Diskriminierung liegt. Sie liegt darin, dass Sie hier erklären, die FDP-Fraktion und die CDU-Fraktion verhielten sich bei dieser Petition nicht redlich. Das ist eine Unverschämtheit, nichts anderes.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind unverschämt! – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das werden wir nicht zulassen.Wir haben bei diesem Einzelfall mit Sorgfalt abgewogen, und wir haben dann so entschieden, wie wir entschieden haben. Uns Unredlichkeit vorzuwerfen ist unredlich. Das wissen auch Sie. Herr Kollege Dr. Jürgens, bevor man einen solchen Einzelfall hochzieht, sollte man wirklich überlegen, ob man dem betroffenen Kind wirklich etwas Gutes tut. Das tun Sie in der Sache nicht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Nächste Rednerin, Frau Kollegin Waschke für die SPD-Fraktion.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Grundsätzlich will die SPD in Hessen einen gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern in der Regelschule, denn das ist ein Beitrag zur Integration Behinderter in die Gesellschaft. Wir wollen das, weil es für das betroffene Kind gut ist, denn bei uns steht das Kind im Mittelpunkt aller unserer Entscheidungen.

Jedes Kind hat eine optimale Förderung verdient, auch das kleine Mädchen, um das es bei der genannten Petition geht. Ihre Eltern bemühen sich um ihre Beschulung in der Regelschule. Sie haben deshalb eine Petition eingereicht. Wir als SPD-Fraktion haben uns im Petitionsausschuss der Stimme enthalten, weil wir uns nicht in der Lage gesehen haben, nur nach Aktenlage zu entscheiden. Wir werden uns auch heute hier im Plenum der Stimme enthalten.

Es gibt Kinder mit einem ähnlichen Krankheitsbild wie im vorliegenden Fall, die ohne Probleme in der Regelschule unterrichtet und gefördert werden können. Es gibt aber auch Kinder, die in der Schule für praktisch Bildbare mit ihren kleineren Lerngruppen besser aufgehoben sind.