Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach dieser gedrängten Wochenübersicht der FDP über alles,worüber man einmal reden könnte, kommen wir zum Thema zurück.
Herr Kollege Rentsch, erlauben Sie mir eine Bemerkung zu dem Zusammenhang, den Sie zwischen – vielleicht auch ungeschickten und unnötigen – Briefen der Selbstverwaltung das Jahr 2005 betreffend und einem Gesetz aus dem Jahr 2006 hergestellt haben. Wenn Sie die Frau Ministerin deswegen hätten kritisieren wollen – als Mitglied der Opposition bin ich immer dabei, die Landesregierung kritisch zu überprüfen –, hätten Sie der Landesregierung vorwerfen müssen, dass sie das KV-Problem und seine neuesten Blüten nicht im Griff hat und sich nicht einmal konsequent damit auseinandersetzt.
Aber was diesen Zusammenhang betrifft, Herr Rentsch: Wir alle wissen,dass Sie es besser können.Gönnen Sie uns das doch.
Lassen Sie mich zum Kindergesundheitsschutzgesetz zurückkommen. Es gibt ein Zitat der Massai, wonach man ein ganzes Dorf braucht – –
Meine Frau stammt aus einem oberfränkischen Dorf, das – als sie Kind war – knapp 200 Einwohner hatte.In diesem oberfränkischen Dorf mit seinen knapp 200 Einwohnern hatte meine Frau zwei biologische und noch ungefähr 15 soziale Großeltern. Sie hatte zwei echte Eltern und vier echte Onkel und Tanten und noch ungefähr 30 soziale Onkel und Tanten – denn in kleinen Gemeinschaften gelingt die ganz besonders schwierige Aufgabe, aus Eltern eine Familie werden zu lassen,ohne Weiteres,indem diese Aufgabe auf zahlreiche Schultern verteilt wird.
Genau das gelingt heute in unseren wuchernden Großstädten, in unseren Hochhaussiedlungen nicht mehr. Meine Damen und Herren, wenn wir über das Thema Kindesvernachlässigung und -misshandlung sprechen, dann sprechen wir doch in Wahrheit über den gescheiterten Versuch eines Paares, eine Familie zu werden.
Das hat allerdings mit diesem Gesetz nicht sehr viel zu tun. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Landesregierung die seit 30 Jahren als Konzept der Public Health etablierte, die einzige in Deutschland wirklich erfolgreich umgesetzte Präventionsmaßnahme, nämlich die Vorsorgeuntersuchungen U 1 bis U 9, mit mehr Nachdruck versorgen möchte.
Ich begrüße das ausdrücklich. Es ist richtig, wir möchten, dass alle Kinder an allen U-Untersuchungen teilnehmen.
Ich begrüße ausdrücklich, dass die Landesregierung vorschlägt, die Stoffwechselfrüherkennung verbindlich zu machen. Man kann darüber streiten, ob das bei einer Teilnahme von über 99 % unbedingt sein muss.Wir reden hier über eher exotische Ideen,warum Leute das nicht machen wollen. Aber ohne Zweifel ist diese Stoffwechselfrüherkennung richtig.
Frau Ministerin, ich war ein bisschen verwundert über diesen Grad an staatsmedizinischem Rigorismus. Man könnte fast eine bislang völlig unbekannte Regulierungswut, geradezu einen Regulierungsrausch bei der Regierung erkennen – wenn sie eine Untersuchung zur Pflicht machen möchte. Aber das ist ohne Zweifel eine sinnvolle Sache.Vielleicht tragen tatsächlich verbindliche U-Untersuchungen zu einem gesteigerten Gesundheitsbewusstsein bei.
Frau Ministerin, ich begrüße ausdrücklich Ihren Vorschlag zur Impfprüfungspflicht – das ist es ja eigentlich.
Allerdings entbehrt der Blick in § 33 des Infektionsschutzgesetzes, auf den Sie Bezug nehmen, nicht einer gewissen Pikanterie. Denn der Gesetzentwurf der Landesregierung schreibt vor, dass Kinder, die Einrichtungen im Sinne dieses § 33 besuchen, nachweisen sollen, dass sie alle Impfungen haben, oder erklären, dass sie sie nicht wollen.Welche Einrichtungen sind das?
Das sind Einrichtungen, in denen Säuglinge, Kinder oder Jugendliche betreut werden, und zwar Krippen, Kindergärten, Tagesstätten, Horte, Schulen und andere Ausbildungseinrichtungen. Meine Damen und Herren, da verstehe ich jetzt überhaupt nicht, warum wir seit einem halben Jahr im Sozialpolitischen Ausschuss die Frage einer von der STIKO besonders empfohlenen Impfung diskutieren, ohne dass die CDU es mitmachen will. Jetzt aber empfiehlt die Landesregierung in einem Gesetz genau diese Pflicht.
Ich begrüße diesen Sinneswandel und sehe mit großem Interesse der Einigung im Sozialpolitischen Ausschuss zum Gebärmutterhalskrebs entgegen.
Meine Damen und Herren, was aber Ihr deklamatorisches Ziel angeht, das Sie mit diesem Gesetz verfolgen, nämlich die Verhinderung von Kindesmisshandlung, damit sind Sie auf dem Holzweg. Bilden wir uns nicht ein, wir würden mit diesem Gesetz auch nur eine Misshandlung verhindern.
Lassen Sie mich mit dem Problem anfangen, sie überhaupt zu erkennen. Das ist schon erwähnt worden. Ich kenne Fälle, in denen Säuglinge mit Oberschenkelfrakturen gebracht wurden – es gibt überhaupt keinen zufälligen Weg, überhaupt keinen nicht wenigstens einer Prüfung zugänglich zu machenden Weg, auf dem ein Säugling eine Oberschenkelfraktur bekommen kann – und die vom be
Meine Damen und Herren, wenn wir über die Früherkennung von geprügelten Kindern reden – wer wäre denn so blöd,mit vielen blauen Flecken zum Kinderarzt zu gehen?
Wenn wir über das Problem der Schweigepflicht reden – meine Damen und Herren, die Schweigepflicht ist das vorrangige Recht. Dann müsste man die Frage prüfen, ob in diesen Fällen das Recht der Schweigepflicht zu ändern ist. Allein mit der Aufforderung, man möge das tun, ist es nicht getan.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns die Masse der Kindesmisshandlungen ansehen, dann sind das nicht die körperlichen, sondern die seelischen Vernachlässigungen. Glauben Sie nicht ernsthaft, das Erkennen von sozialen Auffälligkeiten könnte in der Kinderarztpraxis adäquat geleistet werden.
Ihr Gesetz ist nicht falsch. Aber diesen Zweck wird es in keiner Weise erfüllen. Da überschätzen Sie den Wert dieses Gesetzes enorm.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch einmal die Wirklichkeit an. Die Zahl der Kindesmisshandlungen mit Todesfolge – jedenfalls die, die in der polizeilichen Kriminalstatistik auftauchen, und das wird in diesem speziellen Fall eine ganz große Mehrheit sein – ist in den letzten 25 Jahren um 50 % zurückgegangen. Das sind immer noch viel zu viele. Wir wollen keinen Fall akzeptieren. Aber entgegen der veröffentlichten Meinung geht der Trend in die andere Richtung.
Tatsächlich aber findet sich nur jeder 400. Fall von körperlicher Kindesmisshandlung am Ende tatsächlich in der Kriminalstatistik.
Was heißt das? Wenn wir eine 90-prozentige Erfolgsrate der U-Untersuchungen haben, dann haben wir offenkundig immer noch 360 von 400 Fällen überhaupt nicht entdeckt – denn in all diesen Fällen sind Kinder zum Kinderarzt gegangen,haben Eltern die U-Untersuchungen wahrgenommen, ohne dass das zu einer Entdeckung geführt hat, zu einem Kontakt mit dem Jugendamt oder was auch immer.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle wird doch deutlich: Angesichts der grotesken Dunkelziffer werden Sie, indem Sie die letzten 10 % zum Kinderarzt bringen, bei der Entlarvung von Kindesmisshandlungen keinen Millimeter weiterkommen. Frau Ministerin, all die Fälle, auf die Sie verwiesen haben, all diese schweren Fälle, die in der Zeitung standen und bei denen Sie gesagt haben, diese Kinder waren häufig niemals bei einer U-Untersuchung – ja, aber die waren alle schon lange vorher dem Jugendamt bekannt. Deshalb werden Sie an dieser Stelle auch keinen Erfolg haben. Das aber mindert nicht den Gewinn der vorgesehenen Regelung.
Diese Regelung aber gehört ins Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst. Genau dort passt sie hinein. Denn es handelt sich um Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes zur Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung und gerade nicht um eine Maßnahme, die Kindesmisshandlung verhindert.
Meine Damen und Herren, es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen. Genau das ist der Kernsatz, wenn wir darüber reden, wie wir Kindesmisshandlungen verhindern. Tatsächlich ist das Großziehen von Kindern
kein Privatproblem. Kinder sind kein Privateigentum, sondern dass unsere Kinder ordentlich, zufrieden, wohlgenährt, optimal gebildet, großzügig versorgt und mit Liebe aufwachsen, ist eine gesellschaftliche Verantwortung, die uns alle betrifft. Wir alle müssen wieder lernen, dass wir alle für jedes einzelne dieser Kinder Verantwortung tragen. Es gibt nicht immer ein Einmischungsrecht, aber wir tragen Verantwortung.
Meine Damen und Herren, wir müssen durch präventive Maßnahmen an diesem Bewusstsein arbeiten – und die fangen in der Schule an,indem man Kindern erklärt,wenn sie in das entsprechende Alter kommen, wie sie später mit Kindern umgehen.
Das betrifft Eltern, Schulen und Beratung. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle war die „Operation düstere Zukunft“ mit ihren Kürzungen bei den Erziehungsberatungsstellen nicht hilfreich, wahrlich nicht hilfreich – wenn wir darüber reden, wie man Eltern dabei hilft, Familie zu werden.
Meine Damen und Herren, deshalb greift an dieser Stelle auch der sehr hübsche, deklamatorische Antrag der CDU viel zu kurz. Er beschreibt ein paar Einzelpunkte und tut so, als wären die vollständig. Die Ideen sind gar nicht so falsch, aber sie greifen viel zu kurz.
Dieser Gesetzentwurf, den wir beraten werden, ist nicht falsch.Aber er greift viel zu kurz. Meine Damen und Herren, am Ende bleibt eine Kontrollnorm, wo Hilfe und vor allen Dingen Verantwortung gefordert wären.
Wir sehen den Beratungen in der Anhörung und im Ausschuss mit Interesse entgegen. Vielleicht kann man noch etwas Vernünftiges daraus machen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Spies. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit hat die erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung für ein Hessisches Gesetz zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes für Kinder, Drucks. 16/7796, stattgefunden.
Es ist vorgeschlagen,diesen Gesetzentwurf sowie den Änderungsantrag der GRÜNEN, Drucks. 16/7848, dem Sozialpolitischen Ausschuss zu überweisen. – Ich nehme an, der Antrag der CDU-Fraktion, Drucks. 16/7801, ebenfalls.
Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Kommunalwahlgesetzes – Drucks. 16/7807 –