Protokoll der Sitzung vom 27.09.2007

Wer meint, dieses Thema in den Landtagswahlkampf einbringen zu müssen, dem geht es nicht um die Sache. Wir Sozialdemokraten sind für die Bekämpfung des Terrorismus auf rechtsstaatlicher Grundlage. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Frömmrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gleich am Anfang an den Kollegen Beuth gerichtet sagen:Wenn sich jemand hierhin stellt und sozusagen beschreibt, auf welcher sicherheitspolitischen Amokfahrt er sich befindet, muss man wirklich den Kopf schütteln. Gerade die Verhaftungen im Sauerland haben doch gezeigt, dass das Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen der Ermittlungsbehörden, was den Verfassungsschutz, den Staatsschutz und unsere Polizei angeht, klappt und dass unsere Sicherheitsarchitektur funktioniert. Sie brauchen also nicht permanent neue Vorschläge zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die Äußerungen, die in den vergangenen Tagen und Wochen von Innenminister Schäuble und Dr. Jung gekommen sind, sind kein Beitrag zur inneren Sicherheit in unserem Land. Diese Vorschläge verunsichern die Menschen. Sie schüren Angst und Hysterie.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist genau das Gegenteil dessen, was wir unter innerer Sicherheit verstehen. Man muss sich nur die Schlagzeilen anschauen. So heißt es z. B. in „Spiegel online“: „Schäuble hält Atomanschlag für eine Frage der Zeit“. Aber eine Woche später erklärt er im Parlament: Ich warne vor Hysterie. – Das spottet jeder Beschreibung. Sie verunsichern die Bevölkerung: jeden Tag ein neuer Vorschlag, jede Woche ein neues Schreckensszenario. Dann erklärt der Herr Innenminister: Ich warne vor Hysterie. – Diese Art und

Weise des Umgangs mit der inneren Sicherheit ist geradezu absurd.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das machen Sie derzeit aus dem Grund, die SPD bei den Online-Durchsuchungen unter Druck zu setzen. Es gibt heute schon eine Überwachung des E-Mail-Verkehrs. Es gibt heute schon eine Überwachung des Internets. Man kann heute schon Computer beschlagnahmen.

Es geht aber nicht – das ist eine ernste, auch verfassungsrechtliche Frage –, dass sich der Staat als Hacker betätigt, also unbemerkt Trojaner an einen fremden Computer verschickt, um diesen Computer auszuforschen. Das ist nicht mit dem Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung vereinbar. Das sagt das Bundesverfassungsgericht.

Wir rufen Sie ausdrücklich zur Verfassungstreue auf. Wir rufen Sie dazu auf, dass Sie endlich die Urteile des Bundesverfassungsgerichts akzeptieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist natürlich die Aufgabe der Innenminister, sich Gedanken über die Verbesserung der Sicherheit zu machen. Auch wir wollen für die Menschen ein Höchstmaß an Sicherheit bereitstellen. Aber wir wollen das tun, ohne dabei die Grund- und Freiheitsrechte über Bord zu werfen. Man kann eine freie und offene Gesellschaft nicht verteidigen,indem man die Grund- und Freiheitsrechte zur Disposition stellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Mitglied dieser Landesregierung, der verehrte Herr Justizminister Banzer, sieht das im Übrigen genauso. Er erklärte am 25.10.2006 in einer Pressemitteilung:

Im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit darf die Sicherheit nicht zulasten der freien,offenen und demokratischen Gesellschaft gehen.

Recht hat dieser Justizminister.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir in der letzten Zeit von unserem Bundesverteidigungsminister erfahren müssen, spottet jeder Beschreibung. Der Bundesverteidigungsminister ist auf die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, auf das Grundgesetz, vereidigt. Dieser Verteidigungsminister schlägt nun vor, bei Terrorangriffen Passagierflugzeuge notfalls abzuschießen. Er kündigt dies an, obwohl das Bundesverfassungsgericht die Abwägung von Leben gegen Leben verboten hat, da es sich um einen Verstoß gegen das Grundgesetz handelt. Aus Sicht der Verfassungsrichter sind die Menschenwürde und das Recht auf Leben verletzt, wenn von einem Abschuss auch Passagiere und Besatzungsmitglieder betroffen sind.

Mit seiner Ankündigung eines Verfassungsbruchs – trotz seines Wissens um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts – stellt sich dieser Bundesverteidigungsminister über die Verfassung. Deswegen fordern wir die Bundeskanzlerin auf, diesen Verteidigungsminister endlich auszumustern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dr. Jung stellt sich nicht nur über die Verfassung, sondern er bringt auch die Soldatinnen und Soldaten in Gewissenskonflikte.

Hören Sie sich einmal an, was der Bundeswehrverband dazu sagt.Vom Bundeswehrverband heißt es, dass ein solcher Befehl verweigert werden müsste. Hören Sie sich an, was der Deutsche Richterbund dazu sagt. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Christoph Frank, sagt:

Ich halte es für sehr bedenklich, wenn sich ein Minister über den Spruch des Verfassungsgerichts hinwegsetzt …

Zu diesen Vorschlägen des Bundesverteidigungsministers sage ich Ihnen: Es spottet geradezu jeder Beschreibung, dass hier ein offener Verfassungsbruch angekündigt wird. Man kann eigentlich nur fordern,dass ein solcher Bundesverteidigungsminister endlich aus dem Verkehr gezogen wird. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Frömmrich. – Das Wort hat Herr Kollege Hahn,Vorsitzender der Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zitieren:

Unter der Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG [Menschenwürdegarantie] ist es schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich... in einer für sie hoffnungslosen Lage befinden,... vorsätzlich zu töten.

Auch die Einschätzung, diejenigen... seien ohnehin dem Tod geweiht, vermag der... Tötung unschuldiger Menschen in einer für sie ausweglosen Lage nicht den Charakter eines Verstoßes gegen den Würdeanspruch dieser Menschen zu nehmen.

Meine Damen und Herren, dieses Zitat stammt aus dem Urteil, das das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 15. Februar 2006, im Übrigen auf Antrag einer Reihe von FDP-Politikern, gefällt hat. Dieses Zitat ist so eindeutig, dass ich niemanden verstehe, der noch meint, dass es eine gesetzliche Kodifizierung dieses Problems geben kann.

(Beifall bei der FDP)

Man kann – wir Juristen üben das viele Semester lang – diskutieren und auslegen, wie auch immer. Aber etwas Eindeutigeres als diese Formulierung des Bundesverfassungsgerichts gibt es nicht. Da steht schlicht und ergreifend, dass es im Leben Bereiche gibt, in denen man demjenigen, der eine Entscheidung treffen muss, nicht vorher eine gesetzliche Norm als Hilfestellung geben kann.

Das kennen auch wir Landespolitiker. Erinnern Sie sich, wie lange wir darum gerungen haben, die Frage des finalen Rettungsschusses zu kodifizieren? Wie lange haben wir gebraucht, um eine Formulierung zu finden, die auch verfassungsgerichtsfest ist?

Immer wenn die Notwendigkeit besteht, dass die staatliche Gewalt mit über das Leben und die Schicksale von Menschen entscheidet, ist der Entscheidungsträger allein. Der Entscheidungsträger ist auf sich und auf seine Entscheidungskompetenz angewiesen.

Eine solche Situation hatten wir in Hessen bereits: am 5. Januar 2003. Das war eine in keinster Weise mit New York und Washington vergleichbare, aber doch eine ähnliche Situation. Eine Einzelperson flog in einem Sportflugzeug über Frankfurt,natürlich nicht legitimiert,und zum selben Zeitpunkt fand in Frankfurt eine Großveranstaltung statt. Der Mensch, verwirrt, wie er war, ließ die Gefahr erkennen, diese Maschine möglicherweise genau auf diesen Platz in Frankfurt fallen zu lassen, dort hineinzufliegen, wie auch immer.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer sich mit dieser Situation beschäftigt – und ich weiß ein wenig, worüber ich rede, was da am 5. Januar 2003 passiert ist –, der weiß, dass sich letztlich der Bundesverteidigungsminister als Befehlshaber über das Gerät und über die Menschen, die dieses Gerät bedienen können, in einer einsamen Situation befindet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum Dr. Jung nun dieses Thema immer wieder zu problematisieren versucht, es immer wieder auf die Seite 1 der Tageszeitungen bringt, ist mir dennoch nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei der FDP)

Ich kenne Dr. Jung. Ich schätze Dr. Jung als einen hoch qualifizierten Juristen. Wir beide haben uns häufig darüber unterhalten, denn wir hatten am 5. Januar 2003 ein gemeinsames Erlebnis. Ich weiß, wie man damit umgeht. Aber spätestens nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist auch der Argumentation, die Dr. Jung im privaten Gespräch immer wieder vorgetragen hat – nämlich: leider, leider sind diese Menschen schon dem Tode geweiht –, vom Bundesverfassungsgericht der Boden entzogen worden; und zwar wörtlich, ich habe das vorhin vorgelesen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf der anderen Seite verstehe ich die künstliche Aufregung insbesondere der Sozialdemokraten nicht.Wie sie sich benehmen, ist unglaubwürdig.

Es war ihr Bundesverteidigungsminister a. D., der heutige Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Struck, der am 12. Dezember 2003 in einem sehr ausführlichen Interview im „Bonner Generalanzeiger“ – natürlich auch noch die Frankfurter Situation im Kopf habend – erklärt hat: Konkret würde das bedeuten, dass ich dann den Befehl zum Abschuss geben würde – wenn alle Vorstufen wie z. B. die Warnung an die Entführer,Warnen oder Drängen zur Landung nicht ausreichen. – So weit Dr. Struck.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eigentlich sollten wir uns in einer Debatte, in der es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod geht, doch nicht immer wechselseitig irgendetwas vorhalten. Wir sollten stattdessen zur Kenntnis nehmen, dass das Bundesverfassungsgericht in einer nicht zu überbietenden Deutlichkeit gesagt hat, dieser Grenzbereich staatlichen Handelns, dieser Grenzbereich möglichen staatlichen Handelns ist nicht gesetzlich kodifizierbar.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem Grunde hat die Bundestagsfraktion der FDP – nicht das getan, was Herr Frömmrich hier in diese Landtagsdebatte hineingegeben hat – einen Missbilligungsantrag der Äußerung des Bundesministers der Verteidigung Dr. Franz Josef Jung auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestags gesetzt.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das habe ich nicht gesagt! Das war der Kollege Rudolph!)

Herr Kollege Hahn, Sie müssten zum Schluss kommen.

Herr Frömmrich, Sie haben heute wohl keinen guten Tag; denn das, was meine Kollegin Frau Wagner vorhin meinte, betraf insbesondere Sie. Sie haben eben von diesem Pult aus den Rücktritt von Dr. Jung gefordert. Das haben Sie vielleicht nicht gemerkt. Dann will ich es noch einmal sagen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): „Ausmustern“ habe ich gesagt!)

Sie haben es gemacht. Ich halte es für relativ albern, wenn ein Provinzpolitiker so etwas mit einem Bundesminister macht.Aber die Bundestagsfraktion der GRÜNEN kann dann ja diesen Antrag der FDP unterstützen. – Vielen herzlichen Dank.