Protokoll der Sitzung vom 27.01.2004

(Beifall bei der FDP – Petra Fuhrmann (SPD): Ja!)

Die vorher vorgenommenen Festsetzungen haben sehr viele Wünsche für unsere behinderten Menschen offen gelassen. Aber weiter gehende Forderungen, wie sie im Entwurf des Gesetzes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN enthalten sind, sind meines Erachtens aus Gründen des Wettbewerbs und wegen der Unvereinbarkeit mit der Eigentumsgarantie unzulässig.

Meine Damen und Herren, auf weitere Regelungen, die entweder der Grundlage des Bundesgleichstellungsgesetzes oder anderen gesetzlichen Vorgaben nicht entsprechen sowie in vielem finanziell nicht umsetzbar sind, möchte ich heute nicht eingehen. Wir werden dies eingehend im Fachausschuss tun und zusammen mit den Verbänden und Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung unter Garantie auch mit dem Entwurf der Landesregierung eine Lösung finden. Eines sollten wir allem voranstellen: Politik und besonders Politik für behinderte Menschen ist kein Wunschkonzert.

Meine Damen und Herren, mit der Vorlage der Hessischen Landesregierung für ein Hessisches Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze werden wir im Rahmen einer ordnungsgemäßen parlamentarischen Beratung eine Änderung des Landesrechts herbeiführen und Klarheit über die mit der Änderung verbundenen Kostenfolgen gewinnen. Viele

bisherige Hilfsstrukturen für Menschen mit Behinderungen betonen noch zu stark den Geist der Sonderbehandlung und erinnern stark an eine Bevormundung. Es ist Wunsch der behinderten Menschen, dass dies nicht mehr in den neuen Regelungen so hervortritt. Es muss uns also ein zentrales Anliegen sein, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung zu unterstützen und ihnen eine eigene,selbst bestimmte Lebensgestaltung zu ermöglichen. Nicht ausgrenzende Fürsorge, Mitleid oder wohlmeinende Bevormundung sind hier gefragt, sondern die gesellschaftliche Integration und die Gleichstellung von behinderten und nicht behinderten Menschen.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU) und bei der FDP)

Frau Dörr, lassen Sie Frau Fuhrmann noch zu Wort kommen und eine Zwischenfrage zu?

(Ilona Dörr (Bergstraße) (CDU): Ja!)

Danke schön,Frau Kollegin Dörr.Ich habe Ihrem Vortrag entnommen, dass der Entwurf der Landesregierung mit den Behindertenverbänden diskutiert wird. Das Bundesgesetz ist mit den Behindertenverbänden entstanden. Das ist ein qualitativer Unterschied. Sie haben gesagt, Sie hätten beim Gegenlesen mit dem rheinland-pfälzischen Gesetz, das es seit dem Jahre 2002 gibt, festgestellt, dass es viele Parallelen gibt. Frau Kollegin, wenn Sie schon Entwürfe haben, würden Sie gegebenenfalls diese Entwürfe der Opposition zur Verfügung stellen, damit wir ebenfalls zu diesem Thema mit Ihnen konstruktiv diskutieren können?

Frau Kollegin Fuhrmann, Sie sind so auf meine Person fixiert, auf das, was von diesem Pult zu Ihnen rübergeht, dass Sie die Worte, die ich tatsächlich sage, überhaupt nicht wahrnehmen. Ich habe gesagt: Ich habe den Entwurf, der heute von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebracht wurde, mit dem Landesgesetz von Rheinland-Pfalz gegengelesen und festgestellt, dass es sehr viele Parallelen gibt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat Herr Jürgens auch gesagt!)

Wenn Sie sagen: „ein Entwurf der Landesregierung“, dann heißt das, dass die zuständige Fachabteilung in dem Ministerium einen Gesetzentwurf gefertigt hat,der mit allen Betroffenen entsprechend beraten wurde.

(Petra Fuhrmann (SPD): Nein!)

Ich glaube schon. Ich glaube nicht, dass man etwas ins Leere formuliert hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Petra Fuhr- mann (SPD): Erst erarbeitet, und dann hat sich die Regierung damit befasst!)

Danke schön, Frau Dörr. – Gehe ich recht in der Annahme, dass für die Landesregierung Frau Ministerin Lautenschläger sprechen wird?

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, erarbeitet auch die Landesregierung momentan einen Gesetzentwurf.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Sie selbst haben das vorhin aus meinen Pressemitteilungen zitiert. Ich erläutere das auch sehr gerne.

(Petra Fuhrmann (SPD): Sie haben angekündigt!)

Ich glaube, wir sind in den Zielbestimmungen des Gesetzentwurfs einig.Wir müssen nicht große Gräben hineindiskutieren, wo wir möglicherweise nicht ganz so große vorfinden werden. Zu den gesetzlichen Zielbestimmungen gehören neben der Schaffung einer möglichst barrierefreien Umwelt auch Begriffsbestimmungen zu Behinderungen,Barrierefreiheit,die Anerkennung der Gebärdensprache, die barrierefreien Informationstechniken, die Gestaltung von Bescheiden und Vordrucken.

Das haben auch die GRÜNEN mit ihrem Entwurf eines Landesgesetzes gemacht, der hier vorgelegt wurde. Nichtsdestotrotz gibt es an diesen Stellen einige Unterschiede in der Einschätzung. Bevor ich auf diese Unterschiede eingehe, ist es wichtig, Revue passieren zu lassen, was wir gemeinsam im Landtag auf den Weg gebracht haben. Das war die Überarbeitung der hessischen Gesetze und Verordnungen, zu der der Landtag eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, um Barrieren aufzuspüren und Benachteiligungen deutlich zu machen.

Diese Arbeitsgruppe ist auch von den Verbänden besetzt gewesen. Aus der Arbeitsgruppe – das kann man heute schon feststellen – wurden parallel Änderungen im Landesrecht vorgenommen, so z. B. bei der Hessischen Bauordnung, die im Jahre 2002 novelliert wurde und die nach wie vor bundesweit unter dem Gesichtspunkt der Barrierefreiheit und der Sozialverpflichtung von Eigentum vorbildlich ist. Ein weiterer Punkt, der bereits in eine gesetzliche Normierung aufgenommen wurde, ist z. B. die Frage der Landeswahlordnung, also entsprechende Wahlschablonen zur Verfügung zu stellen und aufzubereiten, um möglichst schnell und unbürokratisch an diesen Stellen Benachteiligungen von Behinderten abzubauen.

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass nicht in Vergessenheit gerät,was wir in den vergangenen Jahren in diesen Bereichen gemacht haben. Das ist zum einen das Schwerbehindertenprogramm,wo es darum geht,Schwerbehinderte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das war eine der wichtigsten Grundlagen der Landesregierung. Wir haben dort eine hervorragende Arbeit geleistet,

(Beifall bei der CDU)

was uns nicht nur die Verbände bescheinigt haben, sondern auch die Statistiken, weil wir große Vermittlungserfolge hatten.

Der Beauftragte der Landesregierung ist jetzt nicht mehr nur für die innere Landesverwaltung zuständig, sondern wirkt auch nach außen, was er vorher in vielen Bereichen schon getan hat, wofür er aber jetzt die entsprechende Unterstützung genießt. Dort kann er im Auftrag der Landesregierung viele Vorgespräche mit Verbänden führen.

In diesem Zusammenhang muss man auch das Thema Kindergärten abhandeln. Diesen Punkt haben Sie in Ihr Artikelgesetz aufgenommen.Wir haben eine Rahmenvereinbarung zu Integrationsplätzen in Kindergärten getroffen, die mit den Kommunen abgestimmt wurde. Sie trägt

ein ganzes Stück dazu bei, sicherzustellen, dass die Integration vor Ort stattfinden kann, dass eine Finanzierung vereinbart wird und dass wir flächendeckend Integrationsplätze in den Kindergärten vor Ort haben und die Bedingungen – ich sage dies dazu – immer besser werden. Es gibt sicher noch Punkte, wo Handlungsbedarf besteht.

Meine Damen und Herren, wir als Landesregierung haben unter dem Gesichtspunkt „Integration im Kindergarten“ ein weiteres Projekt auf den Weg gebracht, das Modellprojekt QUINT, dessen Abschlussbericht jetzt vorgestellt wird. Es geht darum, wie vor Ort noch besser gewährleistet werden kann, dass der Bedarf von behinderten Kindern berücksichtigt wird, dass alle die, die bei der Förderung von behinderten Kindern beteiligt sind, miteinander reden, sich miteinander abstimmen. Ich nenne nur die Frühförderstellen in den Kindergärten, die Jugendämter und die Eltern. Ich will deutlich machen: Da sind wir ein ganzes Stück weitergekommen.

Wir diskutieren hier ein weiteres Mal einen Gesetzentwurf der GRÜNEN – ich kann es aus Oppositionssicht verstehen –, der an vielen Stellen nicht nur vom Gesetz in Rheinland-Pfalz abweicht, sondern auch weit über das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes hinausgeht. Das ist durchaus einer der Knackpunkte. Als Landesregierung werden wir uns an dem Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes orientieren, weil wir dort in den interministeriellen Arbeitsgruppen mitgearbeitet haben und das Interesse haben,dass nicht zu große Unterschiede entstehen.

Meine Damen und Herren,ich bitte Sie aber auch,als hessisches Parlament zu bedenken, dass wir es gemeinsam auf den Weg gebracht haben, dass das Konnexitätsprinzip in der Hessischen Verfassung verankert wurde, das mit großer Mehrheit von der Bevölkerung angenommen wurde. Das heißt aber auch, dass man Gesetze nicht 1 : 1 übertragen kann, sondern sich die Folgen der verschiedenen Gesetze, auch eines Behindertengleichstellungsgesetzes, genau anschauen muss.

Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf die Begriffsbestimmungen an das Bundesgesetz angepasst.Ich glaube,da besteht gar kein großer Dissens. Bei der Beweislastumkehr wird es aus meiner Sicht aber schon schwieriger. Dort werden wir möglicherweise zu unterschiedlichen Ansichten kommen. Die Definitionen für „besondere Förderung von Frauen“ und „Benachteiligungsverbot“ kann man mit Sicherheit an vielen Stellen durchaus gemeinsam tragen. Wir müssen uns aber auch angucken, welche Folgen der Gesetzentwurf hat.Ich nenne z.B.die Bescheidvordrucke. Da wird es mit Sicherheit noch eine ganze Menge Diskussionen geben.

Sie beziehen die Lernbehinderten mit ein. Das geht weit über die Definition des Bundesgesetzes hinaus. Andererseits ist für mich nicht ganz nachvollziehbar, dass Sie diesen Personenkreis mit geistig Behinderten gleichstellen. Auch dieser Punkt muss zumindest diskutiert werden.Die Regelungen haben auf der anderen Seite auch direkte Folgen, wenn es um die Kosten geht.

Kommunikationshilfen: Wir haben vor, uns diesbezüglich am Entwurf des Bundes zu orientieren. Sie gehen dort einen anderen Weg, der auch deutlich von den Regelungen in anderen Ländern abweicht. Dies führt nicht unbedingt dazu, dass mehr Klarheit besteht, sondern aus unserer Sicht wird es in der verwaltungstechnischen Umsetzung eine ganze Menge von Problemen geben.

Das Thema Bau und Verkehr wird in § 9 des Gesetzentwurfes der GRÜNEN geregelt. Mit diesen Regelungen wollen Sie gestalten. Ich denke, als Landesparlament muss man auch unter dem Gesichtspunkt Konnexität – ich betone: auch Konnexität – zweimal darüber nachdenken. Eine Sollvorschrift für Neubauten ist das eine. Aber was wollen wir für Behinderte erreichen? Was ist machbar? Wo stoßen wir an tatsächliche Grenzen, wo würden wir das Gegenteil bewirken? Ich denke z. B. an Fenstererneuerungen an Schulen, die allein Kosten in Höhe von 1 oder 2 Millionen c verursachen könnten. Dies würde möglicherweise einen kompletten Umbau erforderlich machen. Das heißt, an diesen Stellen ist eine ganze Menge abzuwägen, wenn man nicht alles, was man mit gutem Willen plant, ins Gegenteil verkehren will.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben gemeinsam über die Arbeitsgruppe, die der Landtag eingesetzt hat, eine gute Grundlage erarbeitet. Diese gute Grundlage haben wir gerade im Kindergartenbereich, durch den Beauftragten der Landesregierung, die Hessische Bauordnung, das ÖPNV-Gesetz, das demnächst novelliert wird. Ich sage aber auch sehr deutlich: Man muss an diesen Stellen das Machbare im Auge haben, um die Belange der Behinderten ein ganzes Stück nach vorne zu bringen, darf aber gleichzeitig die kommunale Seite nicht überfordern.

Sie nennen auch das Thema kommunale Behindertenbeauftragte.Wir sind der Auffassung, dass dies in die Selbstverwaltung der Kommunen gehört. Viele der hessischen Kommunen haben heute kommunale Behindertenbeauftragte. Ich will hier sehr deutlich sagen: Auch RheinlandPfalz hat bei seiner letzten Novellierung weder eine Sollnoch eine Mussvorschrift in diesem Bereich eingeführt, sondern hier ist die kommunale Selbstverantwortung gefragt. Die kommunale Seite muss das entscheiden.Wir sehen: Das funktioniert. Dort werden Behindertenbeauftragte installiert. Sie werden dann auch entsprechend ernst genommen. Sie haben sich in einer Arbeitsgemeinschaft der Behindertenbeauftragten auf Landesebene zusammengeschlossen. Es gilt, die Kontakte weiter auszubauen und Möglichkeiten z. B. der Weiterbildung zu geben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Frau Ministerin, Herr Dr. Jürgens möchte eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie dies?

(Ministerin Silke Lautenschläger: Ja!)

Frau Lautenschläger, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir die kommunalen Behindertenbeauftragten nicht verpflichtend vorschreiben wollen, sondern als Kann- oder Solllösung, wir die Verantwortung also genau dort belassen wollen, wo sie hingehört, in der Kommune?

Sie haben jetzt formuliert: Eine Kann- oder Solllösung. Eine Solllösung ist schon fast eine Mussvorschrift. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Sie sind Jurist. Dann ob

liegt es also nicht mehr der kommunalen Selbstverwaltung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Deshalb hat Rheinland-Pfalz diese Regelung bei der Novellierung nicht aufgenommen.

Es gibt eine ganze Reihe von Vorschriften, wo es Gemeinsamkeiten gibt. Ich sichere Ihnen zu:Wir werden unseren Gesetzentwurf dann einbringen, wenn wir in der Abstimmung so weit sind, dass alle Erfordernisse berücksichtigt werden, auch das Konnexitätsprinzip. Ich sage Ihnen gleich: Ein Behindertengleichstellungsgesetz, das keine Kosten verursacht, wird gar nicht möglich sein. Dies gilt z. B. für die Umsetzung der Änderung der Vordrucke, um die Bescheide behindertengerecht zu machen. Das kann das Land für sich verantworten.

Ich denke, wenn man das Konnexitätsprinzip beschlossen hat, dann muss man es auch so ernst nehmen, dass man der kommunalen Seite nicht mehr aufbürdet, als notwendig ist. Wir müssen es gemeinsam tragen, sodass Behinderte sehen, dass ein gemeinsames Ziel umgesetzt wird und nicht alles nur auf einem Blatt Papier steht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, ob es die Regelungen im ÖPNV-Gesetz sind, im Gemeindefinanzierungsgesetz des Bundes – dort wurden Rahmenregelungen getroffen, die damals bezüglich der Neubeschaffung von Fahrzeugen auch in das Bundesgleichstellungsgesetz eingeflossen sind –: Dies muss bei einer weiteren Novellierung in Hessen mit geregelt werden. – Aber, meine Damen und Herren, das darf nur für Neubeschaffungen gelten, damit der Betrieb aufrechterhalten werden kann.