Protokoll der Sitzung vom 24.11.2005

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege von Hunnius. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Pighetti für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Durchführung einer umfangreichen Immobilientransaktion, den Verkauf mit anschließender Rückmietung von 18 landeseigenen Immobilien unter dem forschen Titel „Leo“. Was heißt eigentlich „Leo“? Lassen Sie mich am Ende darauf zurückkommen und zunächst das Geschäft genauer unter die Lupe nehmen.

Das Land verkauft 18 größere Immobilien für knapp über 1 Milliarde c, um damit die Neuverschuldung zu senken. Im ersten Moment könnte man auf die Idee kommen, darüber zu streiten, ob der Verkauf von Tafelsilber der richtige Weg ist, die schon lange vorhandenen strukturellen Haushaltsprobleme zu lösen.

(Florian Rentsch (FDP): Wir erinnern Sie einmal daran!)

Diese Diskussion ginge aber am Thema vorbei; denn es handelt sich bei den Immobilien nicht um irgendwelche Gebäude des Landes, sondern um Behörden, die auf absehbare Zeit als Arbeitsplatz für die Mitarbeiter und somit als Dienstgebäude des Landes benötigt werden.

(Beifall bei der SPD)

Dementsprechend zieht das Land unmittelbar nach dem Verkauf als Bewohner in sein ehemaliges Eigentum ein und bezahlt Miete dafür. – Hiermit ist ein erster Punkt ganz offensichtlich: Es handelt sich bei dieser Transaktion nicht um einen Verkauf von Landeseigentum zur Schuldenreduktion, nein, es handelt sich eindeutig um eine versteckte Art der Kreditaufnahme.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gläubiger ist hierbei nicht mehr die Bank, sondern der Vermieter. Aber da es sich bei dem Käufer um die Commerzbank handelt, stimmt selbst das nicht so ganz. Man kann vielmehr sagen: Normalerweise gibt die Bank das Geld und behält zur Sicherheit eine Grundschuld. Bei der weimarschen Art der Kreditaufnahme gibt die Bank Geld und erhält die Gebäude dafür sofort. Für die Bank ist es offensichtlich ein Vorteil.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Müsste sie sich im Falle eines Zahlungsverzugs oder sogar einer Zahlungsunfähigkeit des Landes als Kreditgeber mit allen anderen Gläubigern über die zu pfändenden Objekte und Werte streiten, kann ihr das bei dieser Art der Kreditvergabe nicht blühen. Die Gebäude gehören ihr bereits.

(Beifall bei der SPD)

Wie ist die Kreditaufnahme aus Landessicht zu beurteilen? Hierzu liegt uns eine 17-seitige Wirtschaftlichkeitsberechnung mit Anhang vor. Es kam noch das eine oder andere hinzu, wie Herr von Hunnius schon bemerkt hat. Da wird versucht, zu belegen, dass der Verkauf mit anschließender Rückmietung letztlich für jedes der 18 Gebäude rentierlicher sei als eine entsprechende Neuverschuldung im Falle des Verbleibens der Gebäude beim

Land. Wer sich jetzt Aufklärung von diesem Papier erhofft, wird schnell ernüchtert sein; denn eines muss man zur Klarheit und Verständlichkeit dieser Vorlage sagen. Die Macher sind strikt dem Prinzip gefolgt:Wenn du nicht überzeugen kannst, dann verwirr wenigstens.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das soll natürlich nicht heißen, dass man komplizierte Sachverhalte immer einfach darstellen kann. Aber das Gutachten des Rechnungshofs zur Gutleutstraße hat sehr wohl gezeigt, dass man komplexe Sachverhalte zumindest so darstellen kann, dass der normale Landtagsabgeordnete eine Chance hat, sie nachzuvollziehen. Deswegen wollen wir uns auf diesem Wege der Frage nähern, wie wirtschaftlich die Transaktion wohl sein wird.

Aus dem Gutachten zur Gutleutstraße wissen wir, dass zum Vergleich der Optionen Verkauf oder Neuverschuldung ein Zins-versus-Miete-Vergleich angestellt werden muss. Zur Ermittlung des so genannten Diskontierungssatzes wird der aktuelle Basiszins genommen und dazu ein Risikoaufschlag addiert, Risikoaufschlag deshalb, weil die Risiken, die sich aus dem Besitz eines Gebäudes ergeben, von dem Land mit dem Verkauf auf den Verkäufer übergehen. Das ist so weit nachvollziehbar. Wer ein Gebäude nicht mehr besitzt, kann es weder durch eine Naturkatastrophe verlieren, noch hat er ein Vermarktungsrisiko damit.

Wenn man sich nun ausrechnet, wie rentierlich der Verkauf eines Gebäudes ist, dann ist klar, egal nach welchem finanzmarkttechnischen Modell es gerechnet wird: Je höher der Risikofaktor, desto sinnvoller und damit rentierlicher erscheint der Verkauf. Genau das hat sich aus dem Gutachten zur Gutleutstraße ergeben. Da solche Risiken immer zukünftige Risiken sind und somit nur eine Schätzung sein können, war dort sinnvollerweise eine Bandbreite angegeben. Die Landesregierung – wir erinnern uns – hat damals einen Wert am obersten Ende der Skala genommen. Man ging vom fast größtmöglichen Risiko für das eigene Gebäude aus und kam so mit Mühe und Not zu dem gewünschten Ergebnis, dass sich der Verkauf rentiert. Da fast jedes andere Risikoszenario zum umgekehrten Ergebnis führen würde, muss man festhalten: Das Geschäft rentiert sich mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Ich will das einmal in ein anderes Bild fassen. Jemand will in der Stadt ein Geschäft aufmachen und Regenschirme verkaufen. Er überlegt sich, ab wann das rentierlich ist, und findet heraus:Wenn es mindestens 145 Regentage im Jahr gibt, kann man das Geschäft mit Gewinn betreiben. Man weiß aufgrund der langfristigen Statistik, dass die Anzahl der Regentage im Jahr zwischen 100 und 150 liegt. Wenn dieser Mensch dann sagt, in Zukunft wird es immer 148 Regentage und mehr geben, dann ist er ein riesengroßer Optimist und wird an seinem Geschäft nicht allzu lange Freude haben.

Wie ist es jetzt mit den Risikozuschlägen bei den zu verkaufenden 18 Objekten? Im Fall der Gutleutstraße gab der Rechnungshof eine realistische Bandbreite zwischen 0,6 und 1,1 % an.Bei den hiesigen 18 Gebäuden liegen die Risikozuschläge zwischen 1,75 und 4,25 %. Das heißt, alle Gebäude, inklusive das Polizeipräsidium in Frankfurt, werden mit einem deutlich höheren Risikozuschlag in Rechnung genommen – es ist der zwei- bis fünffache Satz.

Wer das andere Gutachten angeschaut und gesehen hat, welchen Unterschied selbst Zehntelprozente ausmachen, der ahnt, wie günstig hier zu rechnen versucht worden ist.

Man muss sich fragen, wie man auf diese großen Risikounterschiede kommt.Das Verlustrisiko kann nicht allzu sehr voneinander abweichen. Beim Vermarktungsrisiko kann man, wenn man die langfristigen Mietverträge und die geringen Restwerte sieht, mit denen die Gebäude veranschlagt werden, nur zu dem Ergebnis kommen: Hier wurde mit Gewalt schöngerechnet, damit es so richtig passt.

Man muss sich die absoluten Zahlen vergegenwärtigen. Bei einer Verkaufssumme von 1 Milliarde c sollen dem Land im Falle eines Verbleibs 250 Millionen c in den nächsten 15 bis 30 Jahren als Barwertvorteil entstehen. Wenn man den gleichen Anteil der Bank als Käufer zurechnet – das ist das Mindeste, was man bei solch einem Geschäft tun muss –, dann entsteht durch diese Transaktion sage und schreibe ein Gewinn von 0,5 Milliarden c bei einem Verkaufspreis von 1 Milliarde c,nur durch Verkauf und Rückmietung. Herr Weimar, da glaube ich eher an den Weihnachtsmann. Das glauben Sie wirklich selbst nicht.

(Beifall des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Deswegen stimme ich an dieser Stelle explizit der FDPFraktion zu: Derartige Geschäfte müssen in Zukunft immer durch den Rechnungshof überprüft und plausibilisiert werden. Denn der Glauben, dass aus dem Nichts der Goldesel aufgetaucht ist, ausgerechnet Karlheinz Weimar in den Stall gerannt ist und nun für den hessischen Finanzminister Dukaten legt, ist geradezu absurd.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kommen wir zu einem weiteren wunden Punkt bei dieser Sache. Der Finanzminister betont immer wieder, wie gut die Relation zwischen der Jahresmiete und dem Verkaufspreis ist. Herr Finanzminister, womit wollen Sie dieses Geschäft vergleichen außer mit der Gutleutstraße? Bei 11 der 18 verkauften Immobilien ist eine Mietvertragslaufzeit von 25 bis 30 Jahren vereinbart.Gesicherte Mieten bis 2035, als Mieter ein Bundesland – welches Geschäft bietet einem privaten Unternehmen größere Sicherheiten? Das heißt, rentabel ist die Sache wirklich, und zwar für den Käufer und Vermieter.

Was aber noch schwerer wiegt: In einer Zeit, in der Veränderungen immer schneller vor sich gehen, in der Umstrukturierungen in der Verwaltung und beim Personal an der Tagesordnung sind, in der selbst der Staatsaufbau einem Wandel unterzogen ist, in einer solchen Zeit gießt die Hessische Landesregierung das Behördenzentrum Wetzlar bis zum Jahre 2035 in Beton, legt die Nutzung des Behördenzentrums Fulda für 30 Jahre fest, zementiert das Behördenzentrum Wiesbaden bis tief in dieses Jahrhundert, usw. usf.

Herr Finanzminister, wie kommen Sie eigentlich in Anbetracht der ganz offensichtlichen Veränderungsnotwendigkeiten im öffentlichen Sektor schon in den nächsten zehn Jahren darauf, die Dinge auf 30 Jahre festzulegen? Mit welchem Recht verstellen Sie Ihren Nachfolgern und Nachnachfolgern die Möglichkeit, auf Veränderungen flexibel zu reagieren?

(Beifall bei der SPD)

Wenn sie in 15 Jahren feststellen, dass die Gebäude nicht mehr gebraucht werden, wird dann weitere 15 Jahre sinnlos Miete gezahlt? Man stelle sich nur vor, der Bundesfinanzminister hätte im Jahr 1985 entschieden, alle Ministerien in Bonn zu verkaufen und für die nächsten 30 Jahre dort anzumieten.

(Norbert Schmitt (SPD): Sehr gut!)

Das stelle man sich einen Augenblick vor, und dazu muss man gar nicht mehr allzu viel ausführen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Finanzminister, Festlegungen in eine Zeit hinein zu treffen, in der mit größter Sicherheit ganz andere Bedingungen und Notwendigkeiten herrschen werden als heute, dazu bedarf es hellseherischer Fähigkeiten. Über die verfügen Sie nicht und auch sonst niemand. Dementsprechend sind solche Geschäfte schlichtweg anmaßend und verantwortungslos.

(Zuruf von der CDU: Was ist denn für eine Rede- zeit vereinbart?)

Herr Kollege Pighetti, darf ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen?

Ich komme zum Ende. – Es hat sich auf jeden Fall gezeigt, welches die wahren Antriebsfedern für dieses Geschäft sind. Es geht nicht um seriöse oder strategische Finanzpolitik, sondern es ist die pure Not, die Sie treibt und die zu solch leichtfertigen, die zukünftige Entwicklung ignorierenden Geschäften führt.

Herr Finanzminister, Sie haben diese Immobilientransaktion „Leo“ genannt. Es fällt mir daher leicht, das Fazit in einem einzigen Satz zu ziehen: „Leo“ – letztlich ein Offenbarungseid.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank Herr Pighetti.– Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Caspar von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Pighetti, Sie haben Recht gehabt,

(Reinhard Kahl (SPD): Das war eine sehr gute Rede!)

als Sie gesagt haben, dass Sie die Ausführungen des Finanzministeriums hinsichtlich der Wirtschaftlichkeitsberechnung sehr verwirrend fänden. Ich glaube nämlich, dass Sie die Ausführungen von der Sache her nicht verstanden haben. Das ist auch in Ordnung. Es ist kompliziert, und nicht jeder muss das verstehen. Die Frage ist nur, ob man dann zu diesem Thema reden muss.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Ihr Vergleich mit den Regenschirmen hat mich hingegen sehr überzeugt. Das heißt, wenn die SPD-Fraktion Sie in

Zukunft zum „regenschirmpolitischen“ Sprecher ernennen würde, fände ich das in Ordnung.

Warum sage ich das? Wenn man sich die Dinge anschaut, stellt man fest, dass es völlig anders ist. Sie haben als Begründung vor allem angeführt, der Fehler bestehe darin, dass die Mietverträge, die zwischen 15 und 30 Jahren liefen – mit dem Schwerpunkt 25 bis 30 Jahre –, das Land langfristig bänden und daher zu einem Problem werden würden.

Wenn Sie sich aber mit dem Immobilienmarkt beschäftigten, wüssten Sie, dass er gewissen Zyklen unterliegt und dass wir momentan in einer Phase sind, in der die Mieten, historisch gesehen, sehr niedrig sind. Das heißt, es ist außerordentlich klug, dass sich das Land die Mietvertragsverhältnisse zu den heutigen niedrigen Mietkonditionen langfristig sichert. Das bedeutet auch – so viel zum Thema Flexibilität –, dass, wenn ein Standort in einigen Jahren aufgegeben werden muss, das Land die Möglichkeit haben wird, einen Untermieter hineinzunehmen, der vermutlich mehr Miete zahlt, als das Land heute selbst zahlen muss. Das ist ein Plus-Geschäft, das in der Wirtschaftlichkeitsberechnung überhaupt noch nicht enthalten ist.