Protokoll der Sitzung vom 30.03.2006

Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend „Von der Freiheit, Kinder zu haben“ – Drucks. 16/5243 –

Die Redezeit beträgt fünf Minuten. Das Wort hat Frau Kollegin Schulz-Asche.

(Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Glücklicherweise reden wir in diesem Hause inzwischen relativ oft über Kinder- und Familienpolitik. Deswegen freue ich mich, heute die Gelegenheit zu haben, auf eine Rede hinzuweisen, die unser Bundespräsident in der Evangelischen Akademie Tutzing am 18. Januar 2006 zu genau diesem Thema gehalten hat.In dieser Rede fordert er von der gesamten Gesellschaft, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen,damit es in diesem Land – ähnlich wie in anderen europäischen Ländern – zu mehr Kinderfreundlichkeit kommt, verschiedene Familienformen akzeptiert werden und die Gleichstellung der Geschlechter endlich Wirklichkeit wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Rede des Bundespräsidenten beginnt mit einer Selbstverständlichkeit – von der wir wissen, dass sie bei uns keine ist. Denn er sagt, es ist notwendig,ein gesellschaftliches Umfeld zu haben,in dem junge Menschen frei und selbstverständlich Ja zu Kindern sagen können. Er beschreibt als ein Hauptaufgabenfeld der Zukunft, dass zum Ersten Haltungen und Vorstellungen überdacht und verändert werden müssen, und dass zum Zweiten Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, die das Leben mit Kindern tatsächlich erleichtern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dabei verweist er auf eine wesentliche Voraussetzung, nämlich auf die Akzeptanz dafür, dass sich die Lebensentwürfe junger Menschen und insbesondere junger Frauen geändert haben und dass für junge Frauen die Klischees der Rabenmutter oder des Heimchens am Herd nicht mehr zumutbar sind,sondern wir uns damit befassen müssen, sie und die junge Väter dabei zu unterstützen, Ja zu Kindern sagen zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen gerne noch ein längeres Zitat des Bundespräsidenten vorlesen:

Kinder auf das Leben vorzubereiten, partnerschaftliche Lebensentwürfe zu verwirklichen, das kann in ganz unterschiedlichen Strukturen gelingen: in der Ehe, in nicht ehelichen und auch gleichgeschlechtlichen Familien, in Patchwork- oder Ein-Eltern-Familien.

Meine Damen und Herren, ich glaube, an dieser Stelle wird klar, wie groß der Paradigmenwechsel tatsächlich ist – wenn man bedenkt, dass der ehemalige Justizminister und jetzige Chef der CDU-Fraktion Wagner noch im Jahre 2004 gleichgeschlechtliche Verbindungen für nicht mit dem Wohl des Kindes vereinbar hielt und von einem „ideologischen Irrweg“ gesprochen hat.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das gilt heute noch! Das sehe ich heute noch so!)

Herr Wagner, ganz offensichtlich widersprechen Sie hier dem Bundespräsidenten, der – nach meiner Meinung zu Recht – diesen Paradigmenwechsel eingefordert hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Bundespräsident fordert in seiner Rede weiter – gestern haben wir darüber debattiert –, dass bei der Kinderbetreuung Bund, Länder und Gemeinden an einem Strang ziehen müssen, um diese Möglichkeiten für Familien auch tatsächlich zu schaffen. In seiner Rede endet er mit einem Zitat, von dem Sie sich vorstellen können, dass es mir angesichts meiner eigenen Biografie besonders gut gefällt: „Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen.“ Dies ist ein afrikanisches Sprichwort.

Ich bitte Sie, stimmen Sie unserem Bundespräsidenten zu, und stimmen Sie unserem Antrag zu, der sich auf genau diese Passagen seiner Rede bezieht. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulz-Asche. – Das Wort hat der Kollege Reißer, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt Anträge, die scheinen auf den ersten Blick gar nicht so schlecht zu sein.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Antrag der GRÜNEN: „Von der Freiheit, Kinder zu haben“, ist ein solcher. „Freiheit, Kinder zu haben“, hört sich zunächst gar nicht schlecht an. Wenn man aber genau hinschaut, entdeckt man doch einige Versatzstücke aus der ideologischen Mottenkiste der Achtundsechziger.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beim Bundespräsidenten?)

Sie ziehen die Rede unseres Bundespräsidenten Horst Köhler heran, um einen Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft zu prognostizieren. Sie zitieren Köhler in Ihrem Antrag mehrfach.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann doch nicht falsch sein, oder?)

Er hat gesagt, Familien „brauchen ein gesellschaftliches Umfeld, das es ihnen ermöglicht, frei und selbstverständlich Ja“ zu Kindern zu sagen. Der Bundespräsident hat Recht. Das ist exakt das, was wir in unserer Familienpolitik anstreben.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Sehen Sie? Dann sind wir uns ja einig!)

Ferner hat der Bundespräsident davon gesprochen, dass – Zitat – „spürbare Verbesserungen für Familien und Kinder“ erreicht werden müssen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Damit hat er auch Recht!)

Auch dies ist ein Ziel unserer Familienpolitik in Hessen. Das haben wir mehrfach gezeigt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Tun Sie etwas dafür!)

Seit 1999 haben wir das in beispielhafter Weise gezeigt und umgesetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Horst Köhler hat davon gesprochen,dass die Rollenbilder von Müttern und Vätern überdacht werden müssen. Man solle Müttern das Klischee ersparen, sie seien entweder „Rabenmutter“ oder „Heimchen am Herd“ – je nachdem, ob sie neben der Kindeserziehung einen Beruf ausüben oder nicht.Auch das ist richtig.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehen Sie!)

Aber nehmen wir ein anderes Beispiel: Wenn ein Vater seinen Chef fragt, ob er frei bekommen könne, um sein krankes Kind zum Arzt zu bringen, entgegnet ihm sein Chef, ob er denn nicht verheiratet sei. – Ich glaube, solche Klischees werden immer weniger, und wenn es sie noch gibt, dann müssen sie immer weniger werden.

(Dr.Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Richtig! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!)

In der Wirtschaft wächst die Erkenntnis, dass Familienfreundlichkeit ein Wettbewerbsvorteil ist. Davon abgesehen haben wir überhaupt kein Problem damit, dass sich die Rollenbilder von Müttern und Vätern ein Stück weit verändern.

Jetzt kommt aber der entscheidende Unterschied. Sie fordern den Landtag auf, sich der folgenden Feststellung des Bundespräsidenten ausdrücklich anzuschließen – Sie haben das Zitat wiedergegeben –:

Kinder auf das Leben vorzubereiten, partnerschaftliche Lebensentwürfe zu verwirklichen, das kann in ganz unterschiedlichen Strukturen gelingen: in der Ehe, in nicht ehelichen und auch gleichgeschlechtlichen Familien, in Patchwork- oder Ein-Eltern-Familien.

Damit endet Ihr Zitat. Bei Herrn Köhler geht es aber noch weiter – und das haben Sie eben unterschlagen; ich zitiere weiter:

Leitbild ist für mich nach wie vor die Ehe mit Kindern – bestimmt auch deshalb, weil ich selbst dieses Glück mit meiner Frau und unseren Kindern erfahren habe. Und wir Köhlers sind damit nicht alleine: Drei von vier Kindern leben bei ihren verheirateten Eltern, sagt uns die Statistik. Es komme mir darum niemand mit dem Gerede vom „Auslaufmodell Ehe“. Und die meisten Menschen in diesem Land wünschen sich immer noch die Vater-Mutter-KindFamilie.

Erst hier endet der von Ihnen zitierte Redeabsatz.

(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie können doch einen Änderungsantrag stellen!)

Das im Zusammenhang gelesen zeigt, was der Bundespräsident gemeint hat. Es geht nicht darum, unterschiedliche Partnerschaftsmodelle zu bewerten und sie in Gut und Böse aufzuteilen. Das will Horst Köhler nicht, und das wollen auch wir nicht. Aber genau wie der Bundespräsident betrachten wir die Vater-Mutter-Kind-Familie als Leitbild.

(Beifall des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Die Familie ist die Keimzelle unserer Gesellschaft. Sie ist ein stabilisierendes Element und gibt Kindern Geborgenheit und Liebe. Meine Damen und Herren, das geht nur so.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Was Sie unter der Freiheit, Kinder zu haben, verstehen, ist doch im Grunde nichts anderes als die Vorstellung, man solle Kinder haben oder nicht – Hauptsache, das hindert nicht bei der persönlichen Selbstverwirklichung und führt nicht zu Einschränkungen des eigenen Lebensstils.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Was ein Quatsch!)

Sie fordern Freiheit, verschweigen aber, dass zur Freiheit ganz entscheidend auch Verantwortung gehört.